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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 21.04.2018

Toller Manga, dessen Cover etwas irreführend ist.

Inspector Akane Tsunemori (Psycho-Pass) 01
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Meine Erwartungen an Inspector Akane Tsunemori waren recht gering: Ich hatte mit viel Action und einem harten Stil gerechnet. Stattdessen wurde ich mit einer interessanten Geschichte überrascht, der es ...

Meine Erwartungen an Inspector Akane Tsunemori waren recht gering: Ich hatte mit viel Action und einem harten Stil gerechnet. Stattdessen wurde ich mit einer interessanten Geschichte überrascht, der es nicht an Ernsthaftigkeit, aber auch nicht an Humor mangelt. Die Protagonistin Akane Tsunemori steht ständig vor einem moralischen Dilemma: Folgt sie der Gesellschaftsnorm, die von Maschinen dirigiert wird, oder trifft sie ihre eigenen Entscheidungen und begibt sich so selbst ins Fadenkreuz?

Das Artwork ist schlicht und arbeitet mit vielen Leerräumen. Das Weiß ist super eingesetzt und ergibt in Kombination mit Rasterfolien und klaren Linien einen Stil, der nicht zu aggressiv, aber auch nicht zu weich gut zur Geschichte passt. Merkwürdig finde ich, dass die Hauptfigur Akane nicht auf dem Cover abgebildet ist, sondern einer ihrer Kollegen. Der ganze Manga trägt ihren Namen, warum nicht auch ihr Gesicht? So sieht das Cover sehr nach einem Shonen-Manga aus, doch weibliche Protagonisten sind in diesem Genre selten zu finden.

Entgegen meiner Erwartung bin ich echt neugierig auf Band 2 und werde mit ziemlicher Sicherheit weiterlesen.

Veröffentlicht am 19.05.2023

Solide Fortsetzung

Seelendieb
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Dass die Mercy Thompson-Reihe meine liebste Buchserie ist, ist inzwischen wirklich keine Neuigkeit mehr. Ich habe ja sogar vor einigen Jahren schon einen Buchtipp zum Mercy-Universum geschrieben: (Link ...

Dass die Mercy Thompson-Reihe meine liebste Buchserie ist, ist inzwischen wirklich keine Neuigkeit mehr. Ich habe ja sogar vor einigen Jahren schon einen Buchtipp zum Mercy-Universum geschrieben: (Link auf dem Blog)

Im März ist nun mit Seelendieb der 13. Band der Reihe auf Deutsch erschienen und ich habe es tatsächlich geschafft, vorher nicht das englische Original zu lesen, obwohl mich die Wartezeit von fast zwei Jahren verflixt neugierig gemacht hat! Vor allem der Klappentext, der auf interessante Entwicklungen hindeutet.

Beinhaltet diese Rezension Spoiler?

Natürlich versuche ich, diese Rezension so spoilerfrei wie möglich zu halten. Weil es aber eben bereits Band 13 ist und einzelne Figuren sich seit dem Anfang stark entwickelt haben, wird es sich nicht ganz vermeiden lassen, die vorherigen Bände etwas zu spoilern.

Handlung

Die Geschichte von Seelendieb (im Original: Soul Taken) beginnt, als Mercy und ihre Wölfe sich kaum vom letzten Angriff erholt haben (Zur Erinnerung: es ging um eine spezielle Hexen-Familie). Mit den lokalen Vampiren stimmt irgendetwas nicht, die Hexen in der Gegend beklagen Verluste und ganz offensichtlich will jemand die Schuld den Personen in die Schuhe schieben, die versprochen haben, die Stadt und ihre Bewohner*innen zu beschützen: Mercy und ihre erweiterte Familie.

Die Autorin greift hiermit einen Handlungsfaden wieder auf, der in einem früheren Band nicht ganz zum Ende gebracht wurde, und verknüpft ihn mit einem neuen Mythos, der scheinbar doch recht real ist – jedenfalls in Mercys Welt. Sherwoods Geheimnis wird gelüftet, eine neue Facette von Zees Charakter wird offenbart und Mercy ist wieder einmal die einzige Person, die irgendwie Ordnung und Sinn in das neue Chaos bringen kann.

Es gibt auch ein paar kleinere Hinweise auf das Spin-Off Alpha & Omega über Charles und Anna, die mich sehr sehr neugierig machen und mich daran erinnert haben, dass ich den neuesten Band über dieses Paar noch gar nicht gelesen habe, dabei ist er schon längst auf Deutsch erschienen!

Die Idee des Seelendiebs, deren Details ich hier nicht verraten werde, finde ich ziemlich clever. Sie erinnerte mich etwas an die Serie Supernatural, was auch zur Stimmung dieses Bandes passt. Insgesamt habe ich den Eindruck, dass Mercy in dieser Geschichte ernster war. Die Dringlichkeit der Ermittlungen, die Auswirkungen, die ein Versagen zur Folge hätte, und die hintergründigen Verstrickungen geben Seelendieb einen weniger lustigen, aber immer noch leicht humorvollen Unterton.

Schreibstil

Dieser Stil ist es, den ich – wie immer – an dieser Autorin sehr schätze. So düster und grausam manche Bösewichte auch sind: sobald Mercy einen Moment Ruhe gefunden hat – zum Backen, Stupsen oder Ausdenken von mehr oder weniger harmlosen Streichen – und die Monster mit diesem Namen bedenkt, dann wirken sie gar nicht mehr so gruselig und ich kann nach dem Lesen gut schlafen.

Ich habe diesen Band wieder sehr gern gelesen und bleibe der Reihe auch zukünftig treu. Zwischendurch gab es aber ein paar kurze Momente und Szenen, die meiner Meinung nach entweder nicht nötig waren oder sich einfach zu sehr in die Länge gezogen haben. Zum Beispiel die vielen Wiederholungen: wer sind diese Figuren, welche Vergangenheit haben sie, wie sieht die Beziehung zu den Hauptfiguren aus?

Ich verstehe den Sinn solcher Wiederholungen, besonders, wenn der vorherige Band wie in diesem Fall schon mehrere Jahre zurückliegt. Für mich war das aber eher störend als helfend – wahrscheinlich auch deshalb, weil ich die Wartezeit damit verbracht habe, die englischen Hörbücher der Reihe rauf und runter zu hören und die Handlung und Charakterbeziehungen mir deshalb noch sehr präsent waren. Eine bessere Lösung wäre vielleicht ein Charakterglossar statt der langen Erklärungen im Text – bei der Fülle an Figuren wäre das inzwischen wahrscheinlich grundsätzlich keine schlechte Idee.

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Veröffentlicht am 24.04.2023

Faszinierende Welt, zu detailliert erzählt und trotzdem spannend

Das Reich der Vampire
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Ich habe lange überlegt, wie ich diese Rezension schreiben soll. Während ich nämlich ziemlich begeistert von Das Reich der Vampire bin, gibt es auch ein paar Dinge, die mich sehr gestört haben. Ich bin ...

Ich habe lange überlegt, wie ich diese Rezension schreiben soll. Während ich nämlich ziemlich begeistert von Das Reich der Vampire bin, gibt es auch ein paar Dinge, die mich sehr gestört haben. Ich bin zwiegespalten, ob ich die Fortsetzung lesen sollte.

Mein erstes Jay Kristoff-Buch war vor einigen Jahren Illuminae, danach habe ich mich an Nevernight herangetraut und Aurora erwacht und Aurora entflammt haben mich total vom Hocker gehauen, bevor ich Lifelike gelesen habe. Während ich das hier schreibe, fällt mir zum ersten Mal bewusst auf, dass ich – Stand heute – keine einzige seiner Reihen beendet habe. Von manchen habe ich nur einen Band gelesen, von Nevernight auch den zweiten. Band 3 von Aurora und Band 2 von Illuminae stehen sogar schon in meinem Regal und warten darauf, gelesen zu werden.

Aber so sehr mich die Welten auch begeistern, die Kristoff in seinen Büchern (zum Teil zusammen mit Amie Kaufman) gestaltet, zum Leben erweckt und mit so faszinierenden Figuren füllt, dass ich mir diese Geschichten sehr gut als TV-Serie vorstellen könnte, so sehr gibt es einen gemeinsamen Nenner aller dieser Bücher, der mich konsequent stört:

Die Bücher sind zu lang!

Bitte nicht falsch verstehen, ich habe kein Problem mit dicken Büchern! Dass ein Roman die 1000-Seiten-Marke überschreitet, ist für mich kein Grund, nicht danach zu greifen. (Ich habe ja auch Diana Gabaldons Outlander gelesen, als es im deutschen Raum noch Feuer und Stein hieß.) Ganz im Gegenteil, ich ziehe mehr Seiten eigentlich weniger Seiten vor, weil die erzählte Geschichte dadurch mehr Raum hat, sich zu entfalten und ich die Figuren richtig kennenlernen kann, bevor sie direkt wieder verschwinden. Deshalb lese ich so gern Reihen. Aber die Geschichte muss eben auch genug Stoff haben, um all diese Seiten zu füllen.

Im Fall von Das Reich der Vampire, was meines Wissens nach wieder eine Trilogie werden soll, sind es nach meinem Bauchgefühl etwa 200 Seiten zu viel – im Verhältnis zur Seitenzahl von 1024 Seiten macht das zwar durchaus einen spürbaren Unterschied, aber ich bin mir absolut sicher, dass man die Handlung auch locker auf 824 Seiten unterbringen könnte, ohne zu viel zu verlieren. Das ist immer noch eine gewaltige Seitenzahl! Oder man hätte diesen ersten Band auf zwei Bände aufteilen können, wobei ich nicht wüsste, wo genau man den Cut setzen sollte …

Schreibstil und Erzählweise

Der Schreibstil ist absolut nicht schleppend oder langweilig, es passiert immer etwas und auch in der Handlung sehe ich keine richtigen Durchhänger, die ich am liebsten überblättert hätte (bei anderen Büchern kommt das schon ab und zu mal vor). Aber weil so unfassbar viel passiert, während die Figuren nur langsam auf ihrem Weg in Richtung Zielgerade vorankommen, hatte ich oft den Gedanken: “Wann ist es denn nun endlich soweit? Wann erfahre ich, was es mit XY auf sich hat? Wann wird dieser eine Erzählstrang weitergeführt, der mich viel mehr interessiert (und interessieren soll) als der andere?” Dieses Erlebnis hatte ich auch mit Tolkiens Herrn der Ringe – und die Bücher habe ich irgendwann frustriert abgebrochen.

Die Art, wie die Geschichte von Das Reich der Vampire erzählt wird, ist super und hebt sich von der Masse ab: Wie schon in Nevernight (übrigens wurden beide Bücher von derselben Person ins Deutsche übersetzt, s. u.) wird rückblickend berichtet, was passiert ist, sodass wir Lesenden eigentlich von Anfang an zum Teil wissen, wie das Ende aussehen muss. Es werden immer wieder Details und dezente Hinweise eingestreut. In Form einer Binnenerzählung blickt der Protagonist auf sein Leben zurück, während jemand seine Geschichte aufschreibt und immer mal wieder nachhakt.

Das ist ziemlich clever gemacht, führt aber zu genau dem Problem, das ich oben schon erwähnt habe: Unterbrochene Erzählstränge. Die erzählende Figur beschreibt eben nicht linear von A bis Z, wie sein Leben abgelaufen ist, sondern will über Manches nicht sprechen oder findet andere Dinge irrelevant, wodurch der Zusammenhang verschleiert wird.

Das hat Vor- und Nachteile. Ein Vorteil wäre Abwechslungsreichtum, sodass das Publikum nicht von einem Erzählstrang gelangweilt ist – in der Theorie. Nachteilig wird es dann – wie hier – , wenn die Geschichte mit so vielen Details und Unterbrechungen bestückt ist, dass es schwierig wird, lange dran zu bleiben, weil man einfach den Überblick verliert. Und wenn man dann nach mehreren Tagen Unterbrechung wieder weiterlesen will, gibt es erst einmal eine Phase der Verwirrung: wo genau bin ich jetzt in der Geschichte? Welchem Erzählstrang folge ich gerade?

Inhalt

Mit Gabriel de Leon hat Kristoff nach Nevernights Mia wieder einen Antihelden geschaffen, der mit schlechten Manieren, Gewalttätigkeit und der Sehnsucht nach Rache und Ruhm zwar letzteren erlangt, aber auf dem Weg dahin immer wieder gewaltig auf die Nase fliegt und auch Familie und Freunde an den Feind verliert (das sind in diesem Fall übrigens der Tod und Vampire, die in dieser Welt nicht glitzern, sondern ziemlich blutrünstig sind). Er ist von vielen schlechten Erfahrungen gezeichnet und schon oft an die Grenzen des Erträglichen gestoßen – und doch verliert er sein großes Mundwerk nicht. Im Gegensatz zu seinem Glauben.

Religion spielt eine enorme Rolle und ist sehr deutlich an das katholische Christentum angelehnt. Meine persönliche Einstellung Religion gegenüber (agnostischer Atheismus) konnte ich in vielen Kritikpunkten und Beschreibungen wiederfinden. Ich finde es ziemlich clever, wie real existierende Elemente des Christentums aufgegriffen, minimal verändert und auf eine Weise in die Welt eingebaut wurden, die sofort einige merkwürdige Elemente und Strukturen der realen Religion erkennen lassen.

Ein Beispiel: Als morbides Symbol für die Religion wurde der Gegenstand gewählt, an/mit dem der religionsstiftende Heilige ermordet wurde, als er sich für seine Anhänger geopfert hat. Kommt euch bekannt vor, oder? Oder, als zweites Beispiel, das im Das Reich der Vampire glücklicherweise nur eine Randnotiz ist: Ein Bischof, der unter dem Deckmantel, ein Waisenhaus zu leiten, kleine Mädchen – mehr muss ich nicht schreiben, hoffe ich.

Es fällt mir schwer, genauer auf Details einzugehen, ohne zu sehr zu spoilern, deshalb halte ich den Teil zum Inhalt kurz. Nur noch so viel: Es hat mir großen Spaß gemacht, zu verfolgen, wie sehr sich manche Figuren verändert haben, und gleichzeitig habe ich den Verlust von anderen betrauert. Ich habe keine wirkliche Vorstellung davon, wie die Handlung in der Fortsetzung weitergehen könnte. Die Welt, die Kristoff hier geschaffen hat, finde ich wirklich faszinierend, und ich sehe viel Potenzial für Spin-Offs, die die Geschichten anderer Figuren in dieser Welt erzählen.

Fazit

Das Reich der Vampire ist eine spannende und aus meiner heutigen Perspektive einzigartige Geschichte über einen unsympathischen – und dadurch irgendwie wieder sympathischen – Antihelden und die Menschen und Monster, die sein Leben begleiten. Leider ist diese Geschichte so umfassend und detailreich erzählt, dass ich beim Lesen das störende Gefühl hatte, mich zu sehr in diesen Details zu verlieren, anstatt die Handlung voranzutreiben. Einige Seiten weniger hätten der Erzählung gut getan.

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Veröffentlicht am 27.12.2022

Glitzer ist für alle da!

Glitzer für alle!
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Rosa ist für Mädchen, Jungen lieben Blau – Klischees wie diese sind in unserer Gesellschaft fest verankert. Dieses Kinderbuch von Milena Baisch und Eefje Kuijl zeigt, wie befreiend es sein kann, sich von ...

Rosa ist für Mädchen, Jungen lieben Blau – Klischees wie diese sind in unserer Gesellschaft fest verankert. Dieses Kinderbuch von Milena Baisch und Eefje Kuijl zeigt, wie befreiend es sein kann, sich von diesen beengenden Stereotypen zu lösen, wie viel Mut man dafür braucht und dass es gar keine Rolle spielt, welches Geschlecht man hat – denn schließlich ist Glitzer für alle da!

Tarek und Paul finden eine glitzernde Krone im Kindergarten und nehmen lieber schnell Reißaus – schließlich haben sie gelernt, dass nur Mädchen glitzernde Dinge mögen! Doch dann fragt sich Paul: was passiert denn eigentlich so Schlimmes, wenn ein Junge etwas Glitzerndes berührt? Die Jungs kommen zu dem Schluss, dass sie zu Sternen am Himmel werden, und Tilly ermutigt sie, genau das herauszufinden.

Die beiden ziehen alle glitzernden Kostüme an, die der Kindergarten zu bieten hat, und nutzen das Klettergerüst als Startrampe zum Himmel – aber es passiert rein gar nichts. Außer, dass die Sonne durch die Wolken bricht, sodass alles noch mehr glitzert, und ein paar Kinder über die Jungs lachen. Tilly, die mit Tarek Shirts getauscht hat und nun einen Traktor auf blauem Stoff trägt, stellt sich schützend vor ihre Freunde: “Wer lacht, kriegt Ärger!”

Am Ende will Tarek Tillys glitzerndes Erdbeer-Shirt gar nicht mehr hergeben und zum Lachen ist die Situation den anderen Kindern inzwischen zu egal und normal. Glitzer ist eben für alle da, auch für Jungs. Und Mädchen wie Tilly können – und dürfen! – auch mutig und stark sein – und blaue Traktor-Shirts tragen.

Besonders toll sind auch die einfachen und gleichzeitig sehr detailreichen Illustrationen von Eefje Kuijl, die nicht nur das titelgebende Glitzern hervorragend darstellen, ohne sich auf Folien-Effekte zu verlassen, sondern auch diverse und inklusive Bilder zu dieser wichtigen Geschichte präsentieren. Die Kinder haben verschiedene Haut- und Haarfarben, ein Kind sitzt im Rollstuhl. Diese Elemente spielen für die Handlung keine Rolle und werden im Text nicht erwähnt. Die Selbstverständlichkeit, mit der diese Details stillschweigend in die Illustrationen einfließen, macht diese so großartig.

Bücher wie dieses gehören in jede Kita-Bibliothek. Mit Glitzer für alle! haben Baisch und Kuijl zusammen mit dem Verlag Penguin JUNIOR ein Buch geschaffen, das Kinder dazu anregt, Stereotype zu hinterfragen und Toleranz zu leben, dazu, nach den eigenen Wünschen zu handeln, anstatt sich von Klischees oder Gruppenzwang in eine Richtung drängen zu lassen, die man selbst gar nicht versteht oder mag. Glitzer für alle! erzählt von Mut und Neugier, von Freundschaft und der klassischen Rosa-Hellblau-Falle, mit einer Prise Glitzer. Von der Sorge in Kinderköpfen, die durch Genderzuordnung und einschränkende Klischees entstehen: darf ich das mögen? Die Antwort darauf ist deutlich: Ja, du darfst!

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Veröffentlicht am 15.06.2022

Eine neue Pandemie, aber mit Genmutation und umgekehrter Evolution ...

Das Steinzeit-Virus
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Thriller lese ich sehr selten. Aber irgendwas im Klappentext von Das Steinzeit-Virus hat bei mir genug Neugier erzeugt, um zumindest mal hineinlesen zu wollen. Nun: ich war sechs Stunden beschäftigt und ...

Thriller lese ich sehr selten. Aber irgendwas im Klappentext von Das Steinzeit-Virus hat bei mir genug Neugier erzeugt, um zumindest mal hineinlesen zu wollen. Nun: ich war sechs Stunden beschäftigt und habe das Buch in einem Rutsch durchgelesen …

[Klappentext]


Interessante wissenschaftliche Handlung

In diesem Thriller habe ich Wissenschaft erwartet, schließlich geht es um eine Pandemie, in der ein Virus die Evolution umkehrt. Medizin, Forschung, Biologie – logisch, dass solche Elemente im Zentrum der Handlung stehen. Was mich überrascht hat (rückblickend hätte ich aber wirklich damit rechnen können) war die Rolle, die die Politik für die Handlung spielt. Weltorganisationen und lokale politische Akteure kämpfen mindestens verbal gegeneinander, während sie gemeinsam versuchen das Virus in den Griff zu bekommen. Besonders die Entscheidungsfindung auf hoher politischer Ebene wird komplex und frustrierend dargestellt – sehr realitätsnah, würde ich sagen.

Von tragender Bedeutung ist die Paläontologie, was der Wirkung des Steinzeit- Virus zu verdanken ist. Ein faszinierendes Konzept, finde ich: umgekehrte Evolution im Zeitraffer. Das ist es auch, was mich nach dem Buch hat greifen lassen. Solche Entwicklungen, ob vorwärts oder rückwärts, geschehen normalerweise so langsam, dass man sie kaum direkt beobachten kann, sondern immer erst rückblickend herausfindet, dass es überhaupt eine Veränderung gegeben hat.

Dass diese Disziplin mal außerhalb von Sachbüchern und losgelöst von Dinosauriern zum Einsatz kommt, gefällt mir sehr. Der Autor, der in Frankreich als Wissenschaftsjournalist arbeitet und laut Klappentext-Biografie Physiker ist, stellt die wissenschaftliche Arbeit für Laien wie mich glaubhaft dar. Im Nachwort benennt er außerdem Studien, die genau solche Rückwärts-Evolutionen (Rückmutationen) untersuchen. Er hat anscheinend den wissenschaftlichen Gedanken für diesen Thriller Das Steinzeit-Virus nur etwas weitergesponnen …

Das Ende, besonders den Epilog, finde ich zu abrupt. Wie die losen Fäden der Handlung aufgerollt werden, die Geschichte zu ihrem Ende geführt wird, das wirkt zu erzwungen. Ich hatte beim Lesen den Eindruck, dass eine maximale Seitenzahl oder eine Deadline beim Schreiben nicht überschritten werden durfte, sodass der Stoff für 3 Kapitel in ein halbes gequetscht werden musste. Das ist sehr schade, denn diese spannende und unterhaltsame Story verdient meiner Meinung nach auch ein würdiges Ende.

Angenehmer spannender Schreibstil

Das Steinzeit-Virus lebt von Perspektivwechseln: wir schauen aus unterschiedlichen Blickwinkeln auf die Geschichte, verfolgen die Handlung an verschiedenen Orten durch verschiedene Augen. Umso spannender wird es, weil diese Wechsel nicht klar markiert werden. Man kennt es aus anderen Büchern, wenn beispielsweise Kapitel als Überschrift den Namen einer Figur tragen oder es sonst irgendwie markiert ist. Darauf wird hier verzichtet, sodass oft erst nach 1-2 Seiten klar wird, wo und in wessen Kopf wir uns gerade befinden. Manchmal ist das kurz verwirrend, aber insgesamt finde ich es sehr gut gemacht und passend zur Geschichte: wir Leser*innen rätseln sogar über den Handlungsrahmen der Geschichte hinaus.

Mit Ausnahme weniger Szenen gab es auch kaum Längen oder Durchhänger. Xavier Müller beweist mit Das Steinzeit-Virus einen fesselnden Schreibstil und hat mich durchgehend bei Laune gehalten. Besonders die moralischen Grundsatzfragen, die den ganzen Roman durchziehen, sind faszinierend.

Aber leider: überflüssiger, schlecht geschriebener Sex

Leider wird eine sehr typische männliche Autorenperspektive an mehreren Stellen deutlich: beispielsweise wird schon die erste weibliche Protagonistin, die im Buch Erwähnung findet, die später handlungstreibend wirkt und sogar als einzige Figur namentlich im Klappentext steht, als verführerisch beschrieben, als “eine Art Lara Croft der Paläntologie” (S. 43) und ihre Brustgröße bleibt natürlich auch nicht unerwähnt! Diese ganze Beurteilung erfolgt natürlich allein auf Basis eines Fotos mit wenig Wissen über die Persönlichkeit und Eigenschaften besagter Frau, ist ja klar:

Er klickte auf eins ihrer Fotos und war innerlich erschüttert, als er sie sah. […] Ihr Haar wurde gleich einer braunen Flamme vom Wind verweht. […] Ihre Augen waren von einem ungewöhnlichen Grün, und sie kniff sie vor dem Licht zusammen. Ihr erdverkrustetes T-Shirt ließ eine üppige Brust erahnen. […] Diese Frau mit den Katzenaugen war von unerhörter Schönheit. […] Eigentlich hatte er eine weniger junge Frau erwartet, auch eine weniger verführerische. […] Er musste gar nicht mehr über sie wissen. Anna Meunier gefiel ihm schon jetzt.
(Xavier Müller: Das Steinzeit-Virus, S. 44)

Es ist so unnötig und hat mir ganze Kapitel aus der Sicht von zwei unterschiedlichen Männern mehr oder weniger vermiest, von der verzögernden Auswirkung auf den Plot ganz zu schweigen. Leider schreibt der Autor auch besagter Protagonistin solche Gedanken und Handlungen zu: lange räumliche Trennung vom Partner, Seitensprünge mit schlechtem Gewissen, aber hey, lass uns trotzdem zusammen ins Bett hüpfen, geht ja nur ums Körperliche … Keine Ahnung, wie ihr das seht, aber trotz der stressigen Ausnahmesituation durch das Steinzeit-Virus, in der selbst rational denkende Menschen an ihre Grenzen stoßen, hätte man den Sex entweder weglassen oder zumindest weniger abstoßend gestalten können.

Solche Momente sind absolut überflüssig für die Handlung und haben mich mehr gestört als alles andere. Diese Szenen habe ich irgendwann nur noch überflogen. Das betrifft nicht nur explizit Sexszenen – die wirklich furchtbar oberflächlich und eindeutig aus heteronormativer männlicher Perspektive geschrieben sind -, sondern, wie am Zitat oben erkennbar ist, auch innere Monologe, in denen eine Figur über eine andere nachdenkt. Es ist für die Entscheidungsfindung mancher Figuren nicht gänzlich irrelevant, wie das Beziehungsgeflecht aussieht. Aber an diesen Stellen hätte der Autor wirklich mehr Fingerspitzengefühl zeigen können. Glücklicherweise gibt es nicht zu viele davon.

Fazit

Das Steinzeit-Virus liest sich nach den Erfahrungen der letzten Jahre nochmal ganz anders, jetzt, da wir die Auswirkungen einer Pandemie selbst erlebt haben. Die fesselnde Handlung hat mich immer mehr mitgerissen, sodass ich die überflüssigen Momente, in denen die heteronormative männliche Autorenperspektive zu extrem wurde, verzeihen kann. Ich habe das Buch gern gelesen, es bietet gute Unterhaltung für zwischendurch.

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