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Veröffentlicht am 24.08.2018

Wie ein Indiefilm

Das Jahr, in dem Dad ein Steak bügelte
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Ruth, 30, zieht nach der Trennung von ihrem Ex-Freund für ein Jahr wieder bei ihren Eltern ein um ihrer Mutter zu helfen auf ihren demenzkranken Vater aufzupassen. Dabei kommen alte Konflikte wieder hoch, ...

Ruth, 30, zieht nach der Trennung von ihrem Ex-Freund für ein Jahr wieder bei ihren Eltern ein um ihrer Mutter zu helfen auf ihren demenzkranken Vater aufzupassen. Dabei kommen alte Konflikte wieder hoch, Ruth muss die Krankheit ihres Vaters und das Ende ihrer Beziehung verarbeiten.

Der Roman wird im Präsens erzählt, über weite Strecken auf den Tag genau datiert. Dies verschwimmt im Laufe des Buchs mit zunehmender Schwere der Demenz des Vaters aber und die zweite Hälfte des Jahres wird nur noch in Monate unterteilt. Vieles bleibt unausgesprochen, nur angedeutet oder wird einfach beschrieben ohne Erklärung oder Wertung.
Der Stil ist modern, die Sprache wunderschön zu lesen, sehr atmosphärisch und hallt auch nach dem Ende der Lektüre lange nach. Die Stimmung ist melancholisch, aber nicht traurig, eher wehmütig, sie gleicht der eines Indiefilms mit bunten Farben, sanftem, melodischem Soundtrack und kurzen Momentaufnahmen des Glücks und des Unglücks.

Das Thema des Romans sind Abschiede. Ruths Vater führt ein Notizbuch, in dem er Momente aus ihrer Kindheit festgehalten hat und diese zeigt er ihr ab und zu fast nebenbei . Dabei wird die Beziehung der beiden immer deutlicher, wie sie sich im Laufe ihres Lebens verändert hat und wie beide fast unmerklich von einander Abschied nehmen. Neben der Krankheit ihres Vaters muss Ruth auch die Trennung von ihrem Ex-Freund bewältigen und rekapituliert in der manchmal verwirrenden Zeitachse diese und andere Beziehungen.

Ein rundes Buch. Die Sprache unterstreicht die Art und Weise auf die die Geschichte erzählt wird, die Charaktere sind liebenswert, sehr nah am Leben und Humor und Melancholie wechseln sich hier, wie auch im echten Leben ab.

Veröffentlicht am 05.08.2018

Geschichte eines unabhängigen und starken Mädchens

Weit weg von Verona
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Jane Gardam erzählt von Jessica Vye, einem 9-13 jährigen Mädchen, das wegen seiner unkonventionellen Art ständig auf Hindernisse stößt. Ihre Eltern sind zu sehr mit sich selbst beschäftigt um sich um sie ...

Jane Gardam erzählt von Jessica Vye, einem 9-13 jährigen Mädchen, das wegen seiner unkonventionellen Art ständig auf Hindernisse stößt. Ihre Eltern sind zu sehr mit sich selbst beschäftigt um sich um sie zu kümmern. Ihre Lehrerinnen kommen mit ihrem vorlauten Wesen nicht klar und bei ihren Mitschülerinnen wähnt sie sich unbeliebt.

Der Roman spielt während des 2. Weltkriegs und ist untergliedert in 3 Teile: Der Verrückte, Der Junge und Das Gedicht. Der erste Teil ist dabei der stärkste, Der Junge fällt ein bisschen ab und Das Gedicht sammelt die losen Fäden auf und führt sie zusammen.
Die Geschichte wird aus Jessicas Sicht erzählt, wir folgen ihren Gedanken über ihr Umfeld und die Umstände unter denen sie lebt. So ist zum Beispiel die Gasmaske immer wie selbstverständlich im Gepäck dabei.

Jessica ist ein starkes, unabhängiges Mädchen, die auf dem besten Weg ist, Schriftstellerin zu werden. Weil sie sich von niemandem vorschreiben lässt, was sie zu sagen, denken, tun hat. Sie lässt sich weder von Selbstzweifeln noch von den größtenteils inkompetenten Erwachsenen beeinflussen. Sie erklärt sich, wie schon Pippi Langstrumpf, ihre Welt, auf eine sehr eigene witzige Art und Weise.
Ihr Tonfall ist wunderbar zu lesen und perfekt getroffen. Jane Gardam hat ihrer Hauptfigur Jessica eine klare, starke Stimme verliehen, die ihre Beobachtungen und (Selbst-)Erkenntnisse treffend und mit einer großen Portion englischen Humors formuliert.
Besonders hervorzuheben ist die englische Übersetzung von Isabel Bogdan, die durch die Beibehaltung von z.B. Tea oder Housemaster dem Ganzen zusätzlich englischen Charme verleiht.

Veröffentlicht am 08.07.2018

Magic!

Hyde
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Nachdem ich das Buch zwei Wochen lang vor mir her geschoben hatte, weil meine Erwartungshaltung sehr hoch war und ich auch ein bisschen Angst hatte, enttäuscht zu werden, habe ich es schließlich angefangen ...

Nachdem ich das Buch zwei Wochen lang vor mir her geschoben hatte, weil meine Erwartungshaltung sehr hoch war und ich auch ein bisschen Angst hatte, enttäuscht zu werden, habe ich es schließlich angefangen und dann innerhalb eines Tages zu Ende gelesen.
Es geht um Katrina, eine junge Frau, die auf der Flucht vor etwas zu sein scheint, bis sie zu einem Haus kommt und dort anfängt als Verwalterin zu arbeiten. Die Geschichte besteht aus sehr vielen Handlungssträngen, die jeder aber selbst entdecken sollte, weil es viel zu einfach wäre, etwas zu verraten und das würde dem Leseerlebnis vermutlich sehr schaden.

Es herrscht eine konstante Atmosphäre der Bedrohung und der Ungewissheit, die sich durch alle Erzählstränge zieht. Das Tempo ist am Anfang sehr hoch, die ersten 200 Seiten fühlte ich mich wie gehetzt lesend, und weil es so viele Andeutungen auf Vergangenes gibt und ich unbedingt wenigstens einige wenige Details erfahren wollte, habe ich immer weiter gelesen. Das ständige Unterwegssein der Hauptfigur hat dazu auch seinen Teil beigetragen.
Erst als sie anfängt das Haus zu renovieren, wird das Erzähltempo ruhiger, aber das Rätselhafte hält die Spannung kontinuierlich auf hohem Niveau. Die Erzählstränge steigern sich gleichwertig und sind, was ungewöhnlich ist, gleichermaßen spannend zu lesen.
Die Hauptfigur Katrina war mir sofort sympathisch, sie ist unglaublich stark und unabhängig und lässt sich nie unterkriegen. Ihr Einfallsreichtum und ihre Selbstsicherheit lassen sie älter wirken, als sie ist.
Manche Dinge lassen sich erahnen und die Leserin antizipiert einige Kleinigkeiten, was aber dazu führt, dass der größte plot twist sehr überraschend kommt!

Ohne zu viel verraten zu wollen, das Ende ist wahnsinnig gut und lässt keine Wünsche offen!

Ich finde 'Hyde' schreit geradezu danach als Serie verfilmt zu werden und gegen eine Fortsetzung hätte ich auch nicht einzuwenden. Ich bin eigentlich noch nicht bereit Katrina gehenzulassen und würde das Buch am liebsten gleich nochmal lesen! Deshalb meine Empfehlung:

Lesen! Lesen! Lesen!

Veröffentlicht am 10.12.2018

Witzig, charmant und unterhaltsam!

Mythos
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Stephen Fry erzählt in seiner üblichen witzigen, charmanten Art die Sagen des klassischen Altertums. So erfährt man warum es keine grünen, blauen oder violetten Menschen gibt, warum es Bienen gibt und ...

Stephen Fry erzählt in seiner üblichen witzigen, charmanten Art die Sagen des klassischen Altertums. So erfährt man warum es keine grünen, blauen oder violetten Menschen gibt, warum es Bienen gibt und warum im Winter keine Pflanzen wachsen.
Er beschreibt das bunte Treiben der griechischen Gottheiten, erzählt die Entstehungsgeschichte der Menschheit, zeigt unglaublich viele Hinweise auf Wörter die sich bis heute auf die Mythen beziehen und wie sehr sie die Literatur bis heute beeinflussen.

Die schiere Menge an Göttern und Göttinnen macht es schwer den Überblick zu behalten, aber Fry gelingt es, durchgängig spannend zu erzählen und durch kurze Einwürfe und Hinweise verliert man auch nicht komplett die Übersicht. Dazu gibt es eine Menge Fußnoten, die zusätzliche Infos und viele Verbindungen zu geläufigen Begriffen, Firmennamen etc zeigen.

Fry gibt einen guten Überblick über die griechischen Mythen und bietet einen guten Einstieg für alle, die schon immer mehr über Artemis, Athene und Hestia erfahren wollten oder über Götter die sich wegen Kleinigkeiten in die Haare kriegen.

Durch seine unterhaltsamen und amüsanten Kommentare wird die manchmal verwirrende Anhäufung von Göttern und deren Abenteuern nie langweilig und macht direkt Lust den Folgeband „Heroes“ - „Helden“ zu lesen!

Veröffentlicht am 02.07.2018

Kein einfaches Buch

Die Unruhigen
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„Die Unruhigen“ ist kein einfaches Buch. Ich musste mich mehrmals während des Lesens bremsen, kurz innehalten und dann weiterlesen, sonst hätte ich zwar die Worte gelesen, aber nichts verstanden. Es ist ...

„Die Unruhigen“ ist kein einfaches Buch. Ich musste mich mehrmals während des Lesens bremsen, kurz innehalten und dann weiterlesen, sonst hätte ich zwar die Worte gelesen, aber nichts verstanden. Es ist die Geschichte einer Familie, die immer nur aus zwei Personen zur gleichen Zeit besteht: Vater + Mutter, Mutter + Tochter, Vater + Tochter, zusammengesetzt aus Gegenwärtigem und Vergangenem. Die Mutter fällt vor allem in ihrer Abwesenheit auf, der Vater mit seinen Regeln und seiner Struktur.

Linn Ullmann beschreibt ihre Beziehung zu ihrem (sterbenden) Vater, später auch zu ihrer Mutter aus wechselnden Perspektiven. Teilweise schreibt sie von sich in der dritten Person, baut Distanz auf und reißt sie im nächsten Moment wieder ein. Die Sprache bleibt dabei aber immer klar und schnörkellos, einfach, aber trotzdem elegant. Der Wechsel zwischen Er/Sie- Perspektive und Ich-Perspektive ist kaum spürbar, erfolgt fließend und stört den Lesefluss überhaupt nicht.

Die Geschichte ist zerstückelt, springt ständig zwischen den Handlungssträngen und -zeiten. Aber durch die gleichbleibende Erzählstimme und die Konstanz des Schreibstils verliert die Leserin den Faden nicht und kann jederzeit wieder in die Geschichte einsteigen.
Gegen Ende bekommt das Buch aber auch Längen, verliert sich in Wiederholungen und teilweise auch unnötigen Details. Die Beschreibung der skandinavischen Landschaft und des Ferienhauses des Vaters ist sehr gut gelungen, sie wirken greifbar und sehr anschaulich.

Ein unruhiges Buch, das aber ruhig und konzentriert erzählt wird, und auch wenn die einzelnen Bestandteile relativ unverbunden nebeneinander stehen, zieht sich das Thema des Romans, nämlich die Beziehung der Tochter zu ihren Eltern, konsequent über 400 Seiten.