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Veröffentlicht am 22.08.2018

Ein Krimihäppchen für zwischendurch!

Graffitimord in Lauf
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Es liegt nicht nur an der Kürze des Krimis mit seinen 111 Seiten. Leni Nathraths Schreibstil ist es viel eher zu verdanken, dass dieser Krimi mir als Leser wie ein "leckeres Häppchen für zwischendurch" ...

Es liegt nicht nur an der Kürze des Krimis mit seinen 111 Seiten. Leni Nathraths Schreibstil ist es viel eher zu verdanken, dass dieser Krimi mir als Leser wie ein "leckeres Häppchen für zwischendurch" erscheint. Klein, aber fein. So ein leckeres Häppchen geht immer.

Ganz im Stile anderer Krimiautoren, wie z. B. Ruby Summer, Bianca Palma, Rainer Kottke, usw., die ich ebenso lese, schätze und beurteile, kann Nathrath auf besonders drastische Gewaltszenen in ihrer Erzählung verzichten, ohne dass dabei das Buch an Spannung verliert. Ich vertrage durchaus gewaltgefüllte Szenen, zwar ziehe ich Harmonie vor, doch ist und bleibt Gewalt ein Teil unseres Lebens. Die Auseinanderzusetzung damit in Form eines Buches finde ich hilfreich. Doch ebenso gefallen mir Bücher die gänzlich oder soweit wie möglich auf Gewaltdarstellungen verzichten.

Schachfreunde werden mit diesem Buch ihre Freude haben. Nathrath ist vernarrt in das Schachspiel, sie ist Vorsitzende eines Schachclubs. In "Graffittimord in Lauf" kommt es zu einer Schachpartie, welche die Autorin detailverliebt beschreibt. Sehr unterhaltsam, es hat mich durchaus angeregt einige Spielverläufe und Spielausdrücke nachzuschlagen und tiefer zu erörtern.

Leni Nathraths hat Lust am Schreiben. Sie mag es Geschichten zu erzählen. Die 1949 in Bad Pyrmont geborene Autorin hat einiges zu erzählen, und dieses hält sie gerne in ihren Geschichten fest. Für mich als Leser wird all dies beim Lesen ihrer Krimis deutlich. Ihre Erzählart wirkt auf mich sehr erfrischend.

Eine Besonderheit sei unbedingt noch erwähnt: Nathraths Krimi wird durch einige Skizzen zusätzlich aufgewertet. Die Zeichnungen halten Momente des Krimis künstlerisch fest. Eine schöne Abwechslung.

Veröffentlicht am 20.07.2018

Ein intelligenter Thriller

Im Dunkel deiner Seele
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Wenn du mit "Im Dunkel deiner Seele" einen klassischen Thriller erwartest, mit der üblichen Täter- oder Opferperspektive, oder dem Schwerpunkt auf den Ermittlungen couragierter Kriminalisten, dann liegst ...

Wenn du mit "Im Dunkel deiner Seele" einen klassischen Thriller erwartest, mit der üblichen Täter- oder Opferperspektive, oder dem Schwerpunkt auf den Ermittlungen couragierter Kriminalisten, dann liegst du mit diesem Buch komplett falsch.

Sehr philosophisch geht es bei diesem Thriller zu. Denn der Hauptprotagonist dieser Geschichte, und gleichzeitig Hauptverdächtige in einem Entführungsfall, ist ein Philosophieprofessor. An seine Gedankengänge muss man sich erst einmal gewöhnen. Nichts ist einfach dahergesagt, jede Feststellung kann in Frage gestellt werden. Was unser Menschenverstand möglicherweise als "logisch" definiert, entspricht nicht unbedingt der Logik des Professors. Wittgenstein, Sokrates, Kant, usw., sind nur einige der in diesem Buch genannten Philosophen.

Trotz der durchaus in Teilen etwas anspruchsvolleren Lektüre, liest sich das Buch sehr flüssig. Selbst wenn man dem einen oder anderen Gedanken noch einen Moment nachhängt, tut es der Handlung keinen Abbruch.

Die Spannung bei diesem Thriller ist nicht einer blutrünstigen Tat oder den kranken Verhaltensweisen eines Täters geschuldet. Es liegt allein an der Auseinandersetzung mit dem Professor als möglichen Täter. Einige Indizien sprechen für ihn als Täter, gleichzeitig mutet man ihm, dem stets korrekten und unbeschadeten Philosophen, eine solche Tat einfach nicht zu.

Sehr gut beschrieben wird ebenso der Umgang der Ehefrau und der Kinder mit dem Vater als möglichen Täter. Auch sie fühlen sich hin- und hergerissen, stellen den Professor in Frage. Bis zum Schluss hätte ich persönlich mich nicht festlegen können. Ist er nur der Täter oder ist er es nicht? Umso überraschter hinterließ mich das Ende.

Mir hat diese Art der Betrachtung, dieser etwas "andere Thriller", durchaus gut gefallen. Diesen intellekt-fordernden Thriller ziehe ich jedem brutal-plumpen Buch vor.

Übrigens: "Im Dunkel deiner Seele" wird derzeit fürs Kino verfilmt, die Hauptrollen spielen Greg Kinnear, Nikolaj Coster-Waldau und Emma Roberts.

Veröffentlicht am 28.06.2018

Gruselig komisch

Die Nacht des Zorns
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Fred Vargas, die Königin des französischen Kriminalromans, Bestsellerautorin, übersetzt in 30 Sprachen. Ihre Werke sind gekrönt mit nationalen und internationalen Literaturpreisen. Für ihr Gesamtwerk wurde ...

Fred Vargas, die Königin des französischen Kriminalromans, Bestsellerautorin, übersetzt in 30 Sprachen. Ihre Werke sind gekrönt mit nationalen und internationalen Literaturpreisen. Für ihr Gesamtwerk wurde sie 2012 mit dem Europäischen Krimipreis geehrt.

Zurecht. Ihre Bücher haben alles, was einen guten Krimi auszeichnet. Ihr literarischer Schreibstil gilt als ganz besonders. Urkomische Dialoge ihrer Protagonisten runden die voll Spannung geladenen Handlungen ab.

In "Der Nacht des Zorns" kämpft Kommissar Adamsberg nicht nur gegen die Zeit, denn der Mörder treibt unentwegt sein Unwesen. Er kämpft ebenso gegen Mythen und Aberglauben. Kein geringerer als der "Signeur Hellequin", mit seinem wütenden Heer aus Toten und Halbtoten, soll für die Morde im kleinen Ort Orbedec verantwortlich sein. Der Legende nach greift Hellequin nach Menschen die sich grausam schuldig gemacht haben und nicht bereuen. Sein Heer ist der ewigen Verdammnis gleichzusetzen.

Adamsberg beeindrucken diese Erzählungen wenig. Er wittert einen spannenden Fall. Damit schenkte er mir als Leser eine aufregende Zeit, denn der Mörder ist gar nicht leicht zu finden, die Verstrickungen, in der ansonsten wortkargen Dorfbevölkerung, sind nebelös. In der aufgeheizten Stimmung bildet Adamsberg eine Art rationalen Ruhepools. Der Süd-Franzose neigt nicht zu emotionalen Ausbrüchen, seine Art ist angenehm geduldig, nachdenklich. Er ist ein raffinierter und gerechter "Bulle". Umgeben von einem unterhaltsamen Team, jeder mit einer ganz bestimmten Macke, die mich beim Lesen immer wieder haben schmunzeln lassen.

"Der Zorn der Nacht" ist gruselig komisch und garantiert spannend, so dass man der wilden Jagd kein Ende wünscht.

Veröffentlicht am 25.06.2018

Dem Leben auf der Spur!

Blanca
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Absolut bewundernswert und erstaunlich, über welche ausgeprägten Ressourcen Blanca verfügt. Das, obwohl sie unter verwahrlosten Bedingungen aufwächst, in ständiger Sorge um ihre psychisch erkrankte Mutter, ...

Absolut bewundernswert und erstaunlich, über welche ausgeprägten Ressourcen Blanca verfügt. Das, obwohl sie unter verwahrlosten Bedingungen aufwächst, in ständiger Sorge um ihre psychisch erkrankte Mutter, eine absolut rastlose Kindheit verlebt, umherziehend, ja, eher fliehend, von einem Ort zum anderen. Völlig unfähig Beziehungen aufzubauen, immer in Überlegung ums eigene und das Überleben der Mutter. Und doch, es gibt auf dieser Welt einen Ort, zu dem sie sich hingezogen fühlt, an dem sie so etwas wie ein "Zuhause" für einen kurzen Moment spüren durfte. Und da möchte Blanca hin, alleine, mit ein paar Euros in der Tasche und allein mit ihren Klamotten die sie am Leib trägt.

Auf Blanca warten Gefahren und Herausforderungen bei ihrem "Roadtrip des Lebens". Allzu oft packte mich beim Lesen die schiere Verzweiflung, über all das Elend mit dem sich Blanca auseinandersetzen muss. Man möchte in die Geschichte einsteigen, das Mädchen an die Hand nehmen, ihr sagen dass alles gut wird. Obwohl man weiß, ihren Weg muss auch sie gehen, begleiten ist okay, abnehmen kann ich es ihr aber nicht. Der Wunsch nach Geborgenheit, Sicherheit, Perspektive und Liebe bleibt einem ihr gegenüber.

Es stellt sich auch die Frage nach Schuld. Blanca kann so vieles und doch auch nicht. Die Mutter hat es sicherlich "gut gemeint", doch schon ihr eigenes Leben ist die reinste Zumutung, wie sehr ist es das dann erst für ein Kind. Trifft also die Mutter die Schuld? Ja und nein. Dem Leser wird irgendwann klar, dass jedes Leben seine Vorgeschichte hat. Wenn es sowas wie "Schuld" gibt, dann werden die Nachforschungen ergeben, dass die Suche endlos weitergeht, sich, wenn überhaupt, Schuld weiter vererbt. Obwohl es ihr völlig widerstrebt, so stellt Blanca gewohntes und abstoßendes Verhalten ihrer Mutter bei sich selber fest. Denn auch sie ist rastlos, auch sie begibt sich sehenden Auges in Gefahren.

Und dennoch, oder gerade deshalb, ist dieses Buch kein Jammerlappen, keine Abkehr vom Guten. Es ist die Einladung sich auf das Leben einzulassen, sich auszuprobieren. Es lohnt sich den Weg des Lebens weiterzugehen, egal in wieviel Seitenstraßen und Sackgassen man zwischendurch abbiegen sollte. Blanca zeigt das es sich lohnt. Danke dafür, starke Blanca.

Veröffentlicht am 15.06.2018

Tränentreibend sentimental

About a Boy
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Tiefrührend. Oft urkomisch. Ehrlich. Mit Gänsehautmomenten.

Ja, Marcus hätte auch in mir Vatergefühle ausgelöst. Vielleicht mit dem Unterschied zu Will, dass ich die Vaterrolle nicht grundsätzlich entschieden ...

Tiefrührend. Oft urkomisch. Ehrlich. Mit Gänsehautmomenten.

Ja, Marcus hätte auch in mir Vatergefühle ausgelöst. Vielleicht mit dem Unterschied zu Will, dass ich die Vaterrolle nicht grundsätzlich entschieden von mir fernhalten möchte. Ich kann Will nur von meinen Erfahrungen berichten. Von den Momenten in denen man alle Masken fallen lässt, weil einen das Lächeln eines Kindes eiskalt erwischt. Fasziniert von diesen kleinen, zerbrechlichen, authentischen und einzigartigen Wesen, entsteht ein Gefühl der "verantwortungsbewussten Zugehörigkeit". So mag ich das Gefühl benennen, denn es ist nicht ein reines an die Hand nehmen, um dem Nachwuchs die Welt zu erklären. Es ist vielmehr ein Gefühl der Zugehörigkeit zu dem Kind, man möchte diesen Weg gemeinsam mit ihm gehen.

Die eigene Freiheit aufgeben, wie man eine solche Rolle vermutlich als junger Wilder eingeschätzt hat, ist plötzlich kein Aspekt mehr. Es ist eine Bereicherung. Von diesem Umbruch, von dieser partnerschaftlichen Begegnung, handelt Nick Hornbys Buch. Besonders genossen bei der Lektüre habe ich die weiten Abschnitte, berichtet aus Sicht des jungen, nach Orientierung suchenden Marcus.

Die Geschichte um Marcus und Will begeistert nicht nur die Leserschaft. Die englische Erstausgabe erschien bereits im Jahre 1998. 2002 wurde, mit Hugh Grant und Nicholas Hoult in den Hauptrollen, das Buch verfilmt. Außerdem diente das Buch als Vorlage zur US-amerikanischen Serie "About a Boy", die seit Februar 2014 bis 2015 in zwei Staffeln ausgestrahlt wird.

Zum Schluss bleibt mir noch der Wunsch übrig, mit Will einen Absacker trinken zu gehen und mit Marcus eine Platte Nirvana zu hören.