Profilbild von Seitenseglerin

Seitenseglerin

Lesejury Star
offline

Seitenseglerin ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Seitenseglerin über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 22.07.2018

4,5 Sterne: Erfrischende, spannende Dystopie mit starker Protagonistin

Cat & Cole 1: Die letzte Generation
0

Spoilerfreie Rezension


Inhalt

Die Zukunft: Menschen, Tiere und Pflanzen lassen sich mit Apps spielend leicht genetisch modifizieren. Mit einem Panel im Arm, dessen Ausläufer den ganzen Körper durchziehen, ...

Spoilerfreie Rezension


Inhalt

Die Zukunft: Menschen, Tiere und Pflanzen lassen sich mit Apps spielend leicht genetisch modifizieren. Mit einem Panel im Arm, dessen Ausläufer den ganzen Körper durchziehen, kann man sich Vampirzähne wachsen lassen, die Haarfarbe ändern, übermenschlich gut sehen und unmenschlich schnell heilen. Die großartigen technischen Errungenschaften werden jedoch von einer gefährlichen Seuche getrübt, die einen Großteil der Menschheit ausgelöscht hat. Die infizierten Körper bersten nach ein paar Tagen und setzen eine hochinfektiöse Staubwolke frei. Die Welt hofft atemlos auf einen Impfstoff – bis dahin gibt es nur einen Weg immun zu werden: indem man das Fleisch eines Infizierten zu sich nimmt. Nach dem unerwarteten Tod ihres Vaters, liegt es in den Händen von Cat, einer talentierten Hackerin, den Impfstoff zu entschlüsseln und die Menschheit zu retten…

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Band #1 einer Reihe
Verlag: Thienemann-Esslinger
Seitenzahl: 480
Altersempfehlung: 14-17 Jahre
Erzählweise: Ich-Erzähler, hauptsächlich Präsens (& Präteritum)
Perspektive: aus weiblicher Perspektive (Cat)
Kapitellänge: mittel
Tiere im Buch: - Es werden Versuche an Ratten, Affen und vielen weiteren Tierarten besprochen und für akzeptabel und notwendig gehalten, Vögel werden getötet, um mehr über sie herauszufinden. Einmal geht jemand auf die Jagd, um „Druck abzulassen“, er tötet also aus Spaß, was absolut nicht in Ordnung ist! An dieser Stelle wieder mein Verweis – für alle Menschen, denen Tierversuche ein Dorn im Auge sind – zum Verein „Ärzte gegen Tierversuche“, die teilweise schon recht erfolgreich gegen Tierversuche (die aus verschiedenen Gründen sinnlos sind) und für tierversuchsfreie Forschungsalternativen kämpfen.

Warum dieses Buch?

Der Titel klang ehrlich gesagt nach einer 0815-Dystopie (er wird dem Buch gar nicht gerecht), aber der Klappentext konnte mich schlussendlich überzeugen. Diese Geschichte klang sehr frisch und spannend, da konnte ich natürlich nicht widerstehen.

Meine Meinung

Einstieg (+/-)

Es dauerte ein paar Seiten, bis ich vollkommen in der Geschichte angekommen war. Aber spätestens nach dem zweiten Kapitel fieberte ich sehr mit Cat mit.

„Ein Atemzug ist alles, was nötig ist: ein Moment, in dem sich die Lunge mit den unsichtbar schwebenden Viruspartikeln füllt, die sich danach in jeder Zelle meines Körpers ausbreiten werden. Man bekommt Fieber; das Virus vervielfältigt sich; und zwei Wochen später explodiert man wie eine Granate, um jeden in einem Umkreis von einer Meile zu infizieren.“ E-Book, Position 103

Schreibstil (+/-)

Emily Suvada hat einen sehr angenehmen Schreibstil: Er ist flüssig, angenehm lesbar und für ein Jugendbuch im genau richtigen Maße komplex (viele Satzgefüge). Zudem gelingt es der Autorin spielend leicht, Emotionen und Spannung zu erzeugen, so dass man schon recht früh emotional sehr involviert ist. Beeindruckt hat mich auch, auf wie viele verschiedene Arten und wie intensiv die Autorin Schmerz und Angst beschreiben kann.

Obwohl sich der Schreibstil also eigentlich perfekt für die junge Zielgruppe eignet, hatte ich mit einem Aspekt große Probleme: Man merkt, dass sich Emily Suvada, die selbst Mathematik studiert hat, sehr gut mit den Themen Coding, Gentech und genetische Programmierung auskennt und auf viel Hintergrundwissen zugreifen kann. Teilweise sind ihre Erklärungen (die einen großen Teil des Buches ausmachen, aber niemals langweilig waren) jedoch für Anfänger viel zu ungenau. Ich kann es leider überhaupt nicht ausstehen, wenn ich etwas nur halb und nicht im Detail verstehe, weshalb mich die schwammigen Beschreibungen das ganze Buch über wahnsinnig gemacht haben. Und: Wissen Sie zufällig, was Wörter wie „geodätisch“ heißen? Das wurde nämlich beispielsweise nicht näher erklärt. Ich kann mir vorstellen, dass Jugendliche (wenn sie sich nicht gerade in diesem Bereich selbst viel Wissen angeeignet haben) hiermit noch viel größere Probleme haben werden. Hier hätte sich die Autorin besser in die Zielgruppe und generell in LeserInnen, die sich mit dem Thema nicht auskennen, einfühlen müssen.

Inhalt, Themen, Botschaften & Ende (♥)

Emily Suvada hat in ihrer Dystopie eine faszinierende, aber auch erschreckende Zukunft erschaffen. Die Autorin hat hier ohne Zweifel eine gruselige, brutale Welt kreiert, die mich vor allem auf den ersten Seiten positiv an das tolle Videospiel „The Last of Us“ erinnert hat. Die Brutalität und Gewalt im Buch könnten für sensible Jugendliche zu viel sein, hier sollte individuell entschieden werden, ob die Geschichte geeignet ist. Jedoch ist sehr positiv anzumerken, dass die Konsequenzen von Gewalt und dem ständigen Überlebenskampf in diesem Buch (im Gegensatz beispielsweise zu „Children of Blood and Bone“ von Tomi Adeyemi) schmerzhaft deutlich aufgezeigt werden. Moralisch richtiges Handeln wird immer wieder thematisiert und steht im Fokus der Geschichte. Dieser Aspekt ist wirklich sehr gut gelungen!

Das Buch beschäftigt sich mit unzähligen verschiedenen, vor allem ernsten Themen: Es geht um Selbstfindung in einer zerstörten Welt, darum, was Familie ausmacht, um zwiespältige Gefühle, um Altruismus, Vertrauen, Überleben, das Bringen von Opfern, moralisch schwierige Entscheidungen, Schuld und noch viel mehr. Eines kann man nach dem Lesen dieses Jugendbuches mit Sicherheit nicht behaupten: dass es sich die Autorin leicht gemacht hätte oder auf Klischees zurückgegriffen hätte. Im Gegenteil – „Cat & Cole: Die letzte Generation“ ist ein Buch, das vielschichtig ist, Tiefe besitzt, und Jugendlichen einiges zutraut. Das ist schön.

Das Ende wartet noch einmal mit einer gänzlich unerwarteten Wendung auf, und obwohl ich irgendwie finde, dass dieses Buch besser als Einteiler konzipiert worden wäre, bin ich dennoch sehr neugierig und freue mich auf den Folgeband.

Protagonistin (♥)

Die starke, komplexe Protagonistin fand ich von Anfang an großartig – sie ist selbstbewusst, intelligent und wild, lässt sich nicht einschüchtern und nichts gefallen. Gleichzeitig ist sie jedoch eine mitfühlende Person mit einem Gewissen, die sich immer wieder die Frage stellt, was die richtige Entscheidung ist. Stellenweise hat mich die mutige Cat, die auch gerne mal stur ist und in ihrem Eifer übers Ziel hinausschießt, an Katniss aus den „Tributen von Panem“ erinnert (großes Lob!). Man merkt, dass die Autorin viele Liebe und Zeit in die Figurenentwicklung gesteckt hat – und das lohnt sich. Die technisch versierte Heldin hat ohne Zweifel Vorbildwirkung für Mädchen, weswegen ich dieses Buch Jugendlichen ohne ein Zögern empfehlen würde. Müsste ich Cat in fünf Worten beschreiben, würde ich sagen: „badass“, mit einem großen Herzen. Und das sind mir die liebsten Protagonistinnen.

„‘Wenn ich dich anweise, in Deckung zu bleiben, musst du mir gehorchen.‘
‚Ich nehme keine Befehle von dir entgegen‘, sage ich, als ich das Gaspedal bis auf den Boden durchdrücke.“ E-Book, Position 1955

Figuren (♥)

Die Figuren sind bis in die Nebenfiguren sehr liebevoll gezeichnet, viele davon sind wirklich sympathisch und wachsen einem schneller ans Herz, als man schauen kann. Vor allem Cole hat etwas in mir berührt, ich fand ihn mit all seinen Macken, Stärken, seiner schlimmen Vergangenheit und seinem Humor einfach wundervoll.

Spannung & Atmosphäre (+)

Auch hier hat die Autorin alles richtig gemacht: Sie hat sich einen interessanten Plot überlegt, der wirklich voller absolut (und ich meine absolut!) unvorhersehbarer Twists und Wendungen steckt, die mich vollkommen überrascht haben und oft sogar richtig baff zurückließen. Geschickt platzierte Cliffhanger ziehen zusätzlich das Tempo an und helfen, die Spannung bis zum Schluss aufrecht zu halten. Trotz dieser Spannung bin ich nicht immer so leicht und schnell im Buch vorangekommen, wie ich mir das gewünscht hätte. Woran das genau lag, kann ich nicht sagen, denn man hätte eigentlich kaum kürzen können, weil ziemlich viel im Buch passiert.

Die Atmosphäre ist immer wieder sehr dicht und schlägt in Sekunden von hoffnungsvoll, romantisch oder glücklich zu actionreich, traurig oder ernst um. Auch dieses Kunstwerk gelingt hervorragend.

Humor (♥)

Es gibt nicht viele lustige Stellen, aber der Humor, der immer wieder (manchmal auch unerwartet) durchblitzt, hat mir sehr gefallen.

Love is in the Air (♥)

Ja, dieses Mal tatsächlich. Zwischen Cole und Cat entwickelt sich eine der authentischsten Liebesgeschichten, von denen ich seit Langem in einem Jugendbuch gelesen habe. Auch wenn mir das Wort Liebe am Ende zu hastig in den Mund genommen wurde, so war ich dennoch sehr angetan – das Knistern, die Chemie und die langsam wachsende Zuneigung zwischen Cat und Cole drang durch die Seiten direkt bis in mein Leserherz. Ich würde mir wünschen, dass sich manche Autorin an Emily Suvada diesbezüglich zum Vorbild nehmen.

Geschlechterrollen (♥)

Man merkt, dass die Autorin eine moderne, feministische Frau ist, denn ihre Hauptfigur ist alles andere als stereotyp: Sie bricht Klischees, indem sie wild, mutig, stark, technisch hochbegabt und ziemlich „badass“ ist. Immer wieder gibt sie den Ton an, durchschaut Dinge schnell und gibt den Männern in ihrem Leben ordentlich Kontra. Doch auch Männer werden nicht in Schubladen gepresst: Sie dürfen stark sein, aber auch weinen, verletzlich, sanft und verliebt sein, können teilweise sehr gut kochen und machen den Abwasch. Emily Suvada ist definitiv eine Bereicherung für das Jugendbuchgenre, weil sie sehr sensibel mit dem Thema umgeht und so mithilft, unsere Zukunft zu einer besseren zu machen, in der sich jedes Geschlecht so entfalten darf, wie es will. Dafür ein Herz!

Mein Fazit

„Cat & Cole: Die letzte Generation“ ist ein innovatives, erfrischendes Jugendbuch, das mit faszinierendem Worldbuilding, einem angenehmen Schreibstil und liebevoll ausgearbeiteten Figuren überzeugt. Die Atmosphäre im Buch ist dicht, die Protagonistin (die mich vage an Katniss erinnerte) ist mutig, stark und hochintelligent (und hat so Vorbildwirkung für Mädchen/junge Frauen). Zahlreiche geschickt platzierte Cliffhanger und vollkommen unerwartete Wendungen kreieren atemlose Spannung. Emily Suvada beschäftigt sich in ihrem Debüt mit ernsten Themen und scheut sich nicht davor, in die Tiefe zu gehen. Geschlechterklischees werden zudem gezielt gebrochen, und die emotionale Geschichte wartet mit einer Lovestory auf, bei der es beim Lesen kribbelt und warm ums Herz wird. Lediglich mehr, anschaulichere, verständlichere und detailliertere Erklärungen zu den Innovationen hätte die Autorin ihrer Leserschaft bieten müssen, dann wäre dieses Buch perfekt gewesen. Aber auch so ist eine wirklich gelungene Jugend-Dystopie daraus geworden!

Den zweiten Band werde ich sehr wahrscheinlich auch lesen.

Leseempfehlung: Uneingeschränkte Leseempfehlung für Dystopie-Fans!

Bewertung

Idee, Themen, Botschaft: 5 Sterne ♥
Worldbuilding: 5 Sterne
Ausführung: 4,5 Sterne
Einstieg: 4,5 Sterne
Schreibstil: 4 Sterne
Protagonistin: 5 Sterne ♥
Nebenfiguren: 5 Sterne ♥
Atmosphäre: 5 Sterne ♥
Spannung: 5 Sterne
Ende: 5 Sterne
Emotionale Involviertheit: 5 Sterne ♥
Geschlechterrollen: ♥ (Vorbildwirkung für Mädchen!)

Insgesamt:

❀❀❀❀,5 Lilien

Dieses Buch bekommt von mir 4,5 sehr gute Lilien!

Veröffentlicht am 10.03.2024

Als Einstieg in das Thema perfekt, Fortgeschrittenen bietet das Buch kaum Neues

Es kann nur eine geben
0

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Kapitellänge: kurz bis mittel

Lieblingszitate

„Der weibliche Körper ist immer und überall zum Abschuss freigegeben. Jeder darf ihn immer und überall kommentieren ...

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Kapitellänge: kurz bis mittel

Lieblingszitate

„Der weibliche Körper ist immer und überall zum Abschuss freigegeben. Jeder darf ihn immer und überall kommentieren und Optimierungsvorschläge einreichen.“ E-Book, Position 1168

„Warum ist es denn bitte so vermessen, dass ich alles will vom Leben? […] Ich will Karriere UND Kinder UND zudem ‘ne gerechte Bezahlung UND faire Rente. Ja, eat this.“ E-Book, Position 1516

„[…] weil ich schon mit so vielen Frauen gesprochen habe, die in einer ähnlichen Situation waren. Dass jemand sie kleingehalten hat. Sei es der Chef, der Geschäftspartner oder, nicht selten, der Lebenspartner.“ E-Book, Position 2363

„Aber lasst uns auf jeden Fall dranbleiben. Wir sind auf einem guten Weg. Versprochen.“ E-Book, Position 4067

Meine Rezension

Als Feministin war mir Carolin Kebekus natürlich immer schon sympathisch. Sie ist witzig, traut sich was und nutzt ihre Bühne dafür, Bewusstsein für Ungerechtigkeiten zu schaffen. Deshalb war mir sofort klar, dass ich ihr feministisches Sachbuch lesen würde. Ich erhoffe mir davon neue Erkenntnisse und eine Auffrischung meines Wissens.

Nun wollt ihr sicher wissen, ob ich das Buch uneingeschränkt weiterempfehlen kann… Meine Antwort darauf ist: Kommt drauf an! Wer frisch ins Thema einsteigt bzw. sich noch nie näher damit beschäftigt hat (und auch auf Social Media keinen feministischen Accounts folgt), der:dem bietet dieses Werk eine schöne, locker-leicht präsentierte, breit gefächerte Einführung. Viele verschiedene Aspekte werden angerissen, sodass für jeden Geschmack und alle Interessen etwas dabei sein sollte, und am Ende hat mensch das Grundproblem (Patriarchat, Ungerechtigkeiten, Notwendigkeit des Feminismus, Rivalität unter Frauen als etwas Schädliches, mögliche Lösungsansätze) sicher verstanden und ist sicher deutlich informierter – und wütender – als vorher.

Wer Kebekus‘ Humor bei ihren Bühnenshows mochte, wird ihren einfachen, oft ironischen, sarkastischen, etwas flapsigen, mit Anglizismen gespickten Schreibststil auch hier zu schätzen wissen. Besonders gut gefallen hat mir übrigens das Gaming-Kapitel. Mir war ja vorher schon klar, dass Carolin eine echt coole Frau ist – aber nicht, dass sie SO cool ist. Ich fand es erfrischend und toll, wie unapologetisch sie von ihren Lieblingsgames schwärmt (wir haben die gleichen, nämlich „The Last of Us – Part 2“ und „Horizon Zero Dawn“ ♥) und dass sie ebenso als Kunst ansieht wie ich! Als begeisterte GamerIN, die sich immer wieder für ihr Hobby rechtfertigen muss, habe ich mich da echt gesehen und verstanden gefühlt.

Wer sich allerdings schon relativ tief in die Materie eingelesen und dazu noch feministischen Accounts auf Instagram und anderen sozialen Medien folgt, dem:der bietet das Buch kaum Neues (außer vielleicht beim Thema „Religion/Bibel/Kirche“, das ich jetzt NOCH negativer wahrnehme). Es wird zwar eine Fülle an verschiedenen Problemen angesprochen (von der Frau in der Bibel/im TV/in der Kirche/im Märchen über Rivalität unter Frauen und Bodyshaming bis hin zum Gender Gap und zu Abtreibung), dabei bleibt das Werk aber extrem oberflächlich und legt den Fokus eher auf Biographisches und Anekdoten, statt auf Informationsdichte. Dazu enthält „Es kann nur eine geben“ (großartiger Titel übrigens!) nur wenige Studien und seriöse Quellen (fast nur zusammenfassende Zeitungsartikel und Wikipedia, statt wissenschaftlicher Bücher/Papers) – auch hier erwarte ich von einem Sachbuch mehr. Vielleicht bin ich auch einfach mit falschen Erwartungen an diese Veröffentlichung herangegangen. Kebekus‘ Humor, ihre sprachlichen Wiederholungen, ihr Abschweifen, das bei ihren Bühnenshows und im mündlichen Bereich sehr gut funktioniert, empfand ich im Schriftlichen hingegen stellenweise als anstrengend, unnötig und etwas nervig.

Ich habe beim Lesen übrigens immer wieder an „Unsichtbare Frauen“ von Caroline Criado-Perez denken müssen (große Leseempfehlung an dieser Stelle! ♥) – aber nur, weil mir „Es kann nur eine geben“ wie das komplette Gegenteil davon vorkam (unwissenschaftlicher, weniger sachlich, weniger Informationsdichte, dafür flüssiger/angenehmer lesbar). Ich glaube, beide Bücher haben ihre Berechtigung, beide werden ihr Publikum finden und für beide bin ich dankbar, weil sie aufklären, sensibilisieren, Bewusstsein schaffen – es kommt eben darauf an, wonach man sucht. Gestolpert bin ich übrigens (das noch am Rande) hin und wieder über Bodyshaming/Fatshaming/generell Shaming DURCH Kebekus (z. B. wird Paris Hilton als dumm dargestellt, dicke Menschen indirekt als hässlich). Hier merkt man, dass sie sich selbst an manchen Stellen noch mehr reflektieren muss – und genau das würde ich mir auch von ihr wünschen. Perfekt sind wir allerdings alle nicht, wir lernen alle (im Optimalfall) jeden Tag dazu – also werfe ich hier sicher nicht den ersten Stein.

„Sie ist überhaupt nicht fett, sondern wunderschön. Okay, sie hatte zu dem Zeitpunkt damals
‘ne Glatze. Das hatte mich direkt etwas erleichtert.“ E-Book, Position 966

Mein Fazit

„Es kann nur eine gaben“ ist das perfekte Feminismus-Sachbuch für Einsteiger:innen und Fans von Carolin Kebekus, die sich einen ersten Überblick verschaffen möchten. Wer sich sich mit dem Thema allerdings schon etwas besser auskennt, dem bietet das Werk kaum Neues und nur wenig Tiefe – hier werden andere Lektüren sicher lohnenswerter sein. Von mir gibt es also nur eine bedingte Leseempfehlung!

Bewertung

Einstieg: 5 Sterne ♥
Inhalt: 4 Sterne
Feminismus: 5 Sterne ♥
Verständlichkeit: 5 Sterne
Schreibstil: 3 Sterne

Insgesamt:

☆★☆★ Sterne

Dieses Buch bekommt von mir vier Sterne!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 11.02.2024

Gelungene Kombination aus unheilvoller, bedrohlicher Grundstimmung & Tiefgang

Enemy
0

Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

Hen und Junior leben ein beschauliches Leben auf einer abgelegenen Farm. Eines Tages bekommen sie allerdings unerwarteten Besuch. Ein Mann im Anzug erklärt den beiden, ...

Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

Hen und Junior leben ein beschauliches Leben auf einer abgelegenen Farm. Eines Tages bekommen sie allerdings unerwarteten Besuch. Ein Mann im Anzug erklärt den beiden, dass Junior angeblich für eine mehrjährige Weltraummission ausgewählt wurde und schon bald seine Frau verlassen muss. Diese soll die Zeit aber nicht alleine verbringen müssen, denn es werde für Ersatz gesorgt…

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Erzählweise: Ich-Erzählweise, Präsens
Perspektive: männliche Perspektive
Kapitellänge: kurz

Inhaltswarnung: Feuer, Gewalt, veraltete Rollenbilder
Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): NICHT bestanden!
Frauenfeindliche / gegenderte Beleidigungen: --- ♥

Diese Geschichte solltest du lesen, wenn dir folgende Themen/Dinge in Büchern gut gefallen:

- unheilvolle Grundstimmung
- schnörkellose Sprache
- Geschichten, die zum Nachdenken anregen
- wenig Handlung
- Slow-Burn-Geschichten
- Ehe/Beziehung/Alltag im Mittelpunkt
- Setting: abgelegene Farm, Landleben

Meine Rezension

“’But do any of us really have the freedom we think we have?’ she asks. […] Think about all the different forces and pressures that play a role in shaping what we do, how we act, how we dress, what we think. It’s hard, maybe impossible, not to be influenced by that.” Seite 192

Nach längerer Zeit (zum Glück: Jahren) hat mich im Jänner zum blödesten Zeitpunkt überhaupt (nämlich während 2 Buddyreads) wieder eine erwischt: eine böse Leseflaute – die Erzfeindin aller Bookstagrammer:innen. Weder das gehypte „Lied der Krähen“ noch das vielfach angepriesene „Fourth Wing“ konnten mich fesseln und aus dem Lese-Motivationsloch herausholen. Doch da sah ich in den Storys einer lieben Blog-Kollegin (@what.lilly.reads) ein Buch, das sofort mein Interesse weckte (nicht zuletzt, weil sie es schafft, einem eine Geschichte in nur wenigen Worten unglaublich schmackhaft zu machen, es ist eine Gabe!). Schließlich hatte mich „The Ending“ von Iain Reid schon damals aus meiner letzten Leseflaute geholt…

Ist das auch „Foe“ wieder gelungen? Jein, es hat mich zwar nicht nachhaltig von meiner Leseflaute befreit (sie dauert leider noch immer an), aber irgendwie hat es der Autor doch wieder geschafft, dass ich zumindest SEIN Buch innerhalb weniger Tage beendet habe. Das lag sicher auch an der einfachen, schnörkellosen, ja, fast schon reduzierten Sprache, die sehr gut zur Geschichte passt und eine:n auch auf Englisch nur so durch die Seiten fliegen lässt. Das war übrigens auch Iain Reids Ziel: Er wollte nach eigenen Angaben ein Buch schreiben, das mensch – wenn er:sie möchte – an einem einzigen Abend durchlesen kann. Eine Sache hat auch dieser Sci-Fi-Thriller (mit Horrorelementen) wieder geschafft: Er hat mich zum Nachdenken und ins Grübeln gebracht. Und zwar so intensiv, dass ich nach der Lektüre sofort andere Rezensionen und Theorien lesen musste, weil ich das Buch noch besser verstehen wollte. Das passiert mir selten und zeigt, dass es mich nicht kaltgelassen hat! Deshalb erhöhe ich meine Wertung im Nachhinein (= mit etwas Abstand zur Lektüre) nun von 3,5 auf 4 Sterne.

„Change is one of the only certainties in life. Human beings progress. We have to. We evolve. Wie move. We expand. What seems far-fetched and extreme becomes normal and then outdated pretty quickly.” Seite 14

Auch die Grundidee fand ich wieder sehr interessant, auch dieses Mal zahlt es sich aus, als Leser:in auf Details zu achten (zum Beispiel auf die Anführungszeichen), dann wird mensch nämlich am Ende belohnt. Worum es genau geht, werde ich hier nicht verraten, weil „Foe“ genau von dieser Ungewissheit, diesen Leerstellen, diesen vielen Fragen lebt, aber ich kann zumindest erwähnen, dass auch dieses Mal wieder diese für den Autor typische unheilvolle, beklemmende Stimmung das Buch durchzieht – wenn auch weniger intensiv als bei „The Ending“. Wer das also mag, ist hier definitiv an der richtigen Adresse! Die Figurenzeichnung hat mir ebenfalls wieder gefallen, erneut wirkten für mich die Charaktere sehr „echt“, auch wenn sie eine:n eigentlich nicht besonders nah an sich heranlassen.

“Habitual, comfortable activity is the worst kind of prison, because the bars are concealed.” Seite 39

Eine feministische Analyse lässt mich hier hingegen sehr zwiegespalten zurück: Einerseits besteht das Buch den Bechdel-Test leider NICHT und folgen Hen und Junior einer sehr klischeehaften Rollenverteilung (sie arbeitet im Haus, putzt und kocht, er repariert und erledigt körperlich anstrengende Arbeiten im Freien), andererseits wird diese zwischen den Zeilen durchaus auch in Frage gestellt bzw. kritisiert bzw. als negativ und einengend dargestellt. Außerdem lebt Hen als Ehefrau eine sehr selbstbestimmte, aktive Sexualität, was mir ebenfalls gefallen hat.

“There’s no way we could function if we didn’t forget the vast majority of new information we acquire throughout the day. In other words, Junior, we sleep so we can forget.” Seite 128

Punkteabzug gibt es von mir hingegen für die inhaltlichen Wiederholungen und Spannungseinbrüche im Mittelteil, wo die Geschichte längere Zeit auf der Stelle tritt und nicht vom Fleck kommt. Über das Zukunftssetting und die Weltraummission hätte ich jedoch gerne noch mehr erfahren (= Worldbuilding). Wichtig zu wissen ist, dass auch „Foe“ generell wieder eine eher handlungsarme Geschichte ist: Viele Gespräche (= Dialoge), der Alltag auf einer Farm (ein wiederkehrendes Motiv in Iain Reids Büchern, vermutlich weil er selbst auf einer aufgewachsen ist) und die Beziehung von Hen und Junior stehen im Mittelpunkt. Wer also viel Action, atemlose Spannung und Drama erwartet, sollte definitiv nicht zu diesem Werk greifen! Auch „Foe“ stellt wieder ein paar tiefgründige und philosophische Fragen, ist insgesamt jedoch deutlich oberflächlicher als das großartige „The Ending“. Das Ende fand ich zudem weniger überraschend, es hat mich nicht so eiskalt getroffen, weswegen es etwas hinter meinen Erwartungen zurückblieb.

Mein Fazit

Obwohl „Foe“ nicht ganz mit „The Ending“, einem meiner absoluten Lieblingsthriller, mithalten kann (nicht so düster, nicht so tiefgründig, nicht so spannend), war es dennoch das richtige Buch zur richtigen Zeit, weil es mich trotz meiner Leseflaute zum Nachdenken gebracht, gefesselt und mich motiviert hat, es in wenigen Tagen durchzulesen. Das ist eine beachtliche Leistung! Fans von Iain Reid können hier meiner Meinung nach bedenkenlos zugreifen (auch für mich wird es nicht das letzte Buch des Autors bleiben), alle anderen sollten lieber mit dem genialen „The Ending“ beginnen, denn das wird euch garantiert überzeugen!

Bewertung

Cover / Aufmachung: 4 Sterne
Idee: 5 Sterne ♥
Inhalt, Themen, Botschaft: 4 Sterne ♥
Umsetzung: 3,75 Sterne
Worldbuilding: 3 Sterne
Einstieg: 4 Sterne
Ende: 5 Sterne ♥
Schreibstil: 4 Sterne
Protagonist: 4 Sterne
Figuren: 4 Sterne
Spannung: 3 Sterne
Pacing/Tempo: 2 Sterne
Wendungen: 4 Sterne
Atmosphäre: 4 Sterne
Emotionale Involviertheit: 5 Sterne ♥
Feministischer Blickwinkel: 3 Sterne
Einzigartigkeit: 5 Sterne ♥

Insgesamt:

☆★☆★ Sterne

Dieses Buch bekommt von mir vier Sterne!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 30.09.2023

Gut durchdachter, wendungsreicher Thriller, der allerdings am Anfang nur langsam ins Rollen kommt…

Das siebte Mädchen
0

Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

In den 90er-Jahren hat die 12-jährige Chloe ihren Vater – einen Serienmörder, der 6 Mädchen das Leben genommen hat – durch Zufall überführt, woraufhin er zu einer lebenslangen ...

Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

In den 90er-Jahren hat die 12-jährige Chloe ihren Vater – einen Serienmörder, der 6 Mädchen das Leben genommen hat – durch Zufall überführt, woraufhin er zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt wurde. 20 Jahre später ist Chloe eine promovierte Psychotherapeutin, erfolgreich, glücklich verlobt. Doch dann verschwinden plötzlich wieder Mädchen und sie wird von ihrer Vergangenheit, die sie so lange verdrängt hat, wieder eingeholt… Treibt ein Nachahmungstäter sein Unwesen oder wurde damals der falsche Mann gefasst?

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Erzählweise: Ich-Erzählweise, Präsens und Präteritum
Perspektive: weibliche Perspektive
Kapitellänge: kurz bis mittel

Inhaltswarnung: Femizid, Gewalt gegen Frauen und Kinder, häusliche Gewalt, Medikamentenmissbrauch, Vernachlässigung von Tieren, Tod von Tieren, Tierquälerei, Blut, psychische Krankheiten, Suizid, selbstverletzendes Verhalten, Gaslighting, Manipulation
Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): bestanden!
Frauenfeindliche / gegenderte Beleidigungen: --- ♥

Diese Geschichte solltest du lesen, wenn dir folgende Themen/Dinge in Büchern gut gefallen:

- Slow-Burn-Thriller
- unerwartete Wendungen
- ausgeklügelter Plot
- Trauma
- Hauptfigur, die an ihrer Wahrnehmung zweifelt
- verwandt mit einem Serienkiller
- Geschwisterliebe

Meine Rezension

„Der Mensch ist ein Gewohnheitstier, habe ich gelernt, und der Akt, mit dem jemand einem anderen das Leben nimmt, kann viel über diese Person aussagen. Jede Tötungsmethode ist einzigartig, wie ein Fingerabdruck.“ Seite 169

„Das siebte Mädchen“ war dieses Jahr erst mein 4. Thriller (!) – eigentlich ganz untypisch für mich. Jedenfalls haben wir jetzt aber September und mit dem Herbst bricht auch die beste Zeit zum Thriller-Lesen an. Über „Das siebte Mädchen“ hatte ich aus dem englischsprachigen Raum fast nur Gutes gehört. Neugierig hat mich hier nicht nur die Ankündigung gemacht, es verfilmt werden soll, sondern auch die besondere Ausgangssituation: die Tochter eines verurteilten Serienmörders als Protagonistin. Das ist mal eine neue Perspektive, die ich erfrischend fand.

„Was ist, wenn das Zuhause der Ort ist, an dem alles begann? Das Epizentrum des Erdbebens, das die Stadt bis ins Mark erschütterte? Das Auge des Hurrikans, der Familien, Menschenleben, dich zerriss? Alles, was du gekannt hattest?“ Seite 33

Aber ist „Das siebte Mädchen“ wirklich ein Must-read? Meiner Meinung nach nicht. Trotzdem ergeben die immerhin mittelmäßige erste Hälfte und das sehr gelungene, spannende letzte Viertel insgesamt einen soliden Thriller, der mich zufrieden zurücklässt.

Der Einstieg ist mir allerdings nicht wirklich leichtgefallen, da es relativ lange dauert, bis die Geschichte ins Rollen kommt. Wer also auf der Suche nach einem Thriller ist, der von Seite 1 an atemlos spannend ist und abliefert, ist hier definitiv an der falschen Adresse. Erst ab Seite 138 (ich habe es mir genau aufgeschrieben) fängt der Spannungsbogen langsam an, sich aufzubauen.

Gut gefallen hat mir der einfache, aber doch anschauliche und nicht oberflächliche Schreibstil, durch den sich die Geschichte sehr schnell weglesen lässt. Besonders schön und interessant fand ich hierbei die unheilvollen Vergleiche und Beschreibungen, die oft eigentlich gar nicht zu den idyllischen Momenten passen, die die Protagonistin gerade erlebt – wie zum Beispiel der Geruch nach Verwesung, der ihr in die Nase steigt, als sie sich mit ihrem Verlobten die wunderschöne Hochzeitslocation mitten in der Natur ansieht.

Man merkt schnell, mit Chloe stimmt etwas nicht – egal wie sehr sie sich bemüht, die Fassade der glücklichen Verlobten und erfolgreichen Psychotherapeutin aufrechtzuerhalten. Ihre Vergangenheit, ihr Trauma, lauert immer in den dunklen Ecken, findet immer wieder einen Weg in ihr Leben, einen Weg, sie aus dem Gleichgewicht zu bringen. Sie nimmt heimlich Beruhigungsmittel, leidet unter Ängsten (auch vor der Dunkelheit), Flashbacks (= viele Rückblenden für uns Leser:innen) reißen sie immer wieder aus der Gegenwart, wodurch eine interessante Zeitstruktur entsteht. Chloe ist eine Frau mit einem Problem – und genau das macht sie so interessant.

„Es ist die Erkenntnis, dass überall jederzeit Leichen unter meinen Füßen begraben liegen könnten, von denen die Welt da draußen nichts ahnt.“ Seite 86

Neben der angespannten Grundstimmung hat mir auch der gut durchdachte Plot gefallen, bei dem am Ende alle Puzzle-Teilchen an ihren Platz fallen und einen Sinn ergeben. Themen wie Trauma, Schuldgefühle, psychische Krankheiten und der schwierige Umgang damit, wenn sich ein geliebter Mensch als „Ungeheuer“ entpuppt, werden angemessen tiefgründig behandelt. Dabei erwarten einen als Leser:in gerade im letzten Viertel viele überraschende Wendungen, mit denen man nicht rechnet. Ähnlich wie Chloe fängt man auch an, so gut wie allen Leuten in ihrem Leben zu misstrauen, sie zu verdächtigen, Kleinigkeiten zu viel Bedeutung zuzumessen. Man weiß nicht mehr, ob man Chloes und seiner eigenen Wahrnehmung noch trauen kann. Übrigens habe ich das Hörbuch parallel gehört und fand die Sprecherin, Julia Nachtmann (der Name passt hier perfekt), mit ihrer eher tieferen Stimmfarbe richtig angenehm und überzeugend. Mir hat gefallen, dass sie jeder Figur ihre eigene Stimme und Persönlichkeit gegeben und die Dialoge sehr emotional und ausdrucksstark vorgetragen hat.

Kritisieren kann man neben dem langsamen Tempo in der ersten Hälfte sicher, dass der Thriller stellenweise trotzdem ein bisschen vorhersehbar ist (vor allem für erfahrene Leser:innen des Genres) und dass die Protagonistin thrillertypisch gegen Ende ein paar absolut unnötige, nicht nachvollziehbare Risiken eingeht, weil der Plot das verlangt. Da das in Krimis und Thrillern so häufig vorkommt, kann es mittlerweile verschmerzen.

Aus feministischer Sicht bin ich allerdings zwiegespalten: Einerseits enthält das Buch eine gebildete, beruflich erfolgreiche weibliche Hauptfigur und kritische Kommentare zu Gewalt gegen Frauen und ihren berechtigten Ängsten und Schutzstrategien, andererseits werden jugendliche Mädchen von der Autorin mit einem derartigen gruseligen Male Gaze (dt. männlichen, objektifizierenden, sexualisierenden Blick) beschrieben, wie man ihn eigentlich nur einem Mann zutrauen würde. Auch das oder andere Rollenklischee wird leider reproduziert. Zudem gibt es auch eine problematische Liebesszene, in der ein Mann eine Frau ohne Absprache plötzlich würgt, in der SIE sich aber dann bei ihm entschuldigt und sich schuldig fühlt, dass sie die „Stimmung ruiniert“ habe – statt ihm ordentlich die Meinung zu sagen, was sie eigentlich hätte tun sollen.

Mit dem extrem passenden, stimmungsvollen englischen Titel „A Flicker in the Dark“ kann der deutsche – „Das siebte Mädchen“ (ziemlich nichtssagend) – leider auch überhaupt nicht mithalten. Als düstere Verfilmung im Stil von „Gone Girl“ sehe ich bei diesem Buch allerdings trotzdem viel Potential – das könnte richtig gut werden und ich werde sicher einen Blick riskieren. Das neue Buch der Autorin („Was verborgen ist“) wartet übrigens auch schon auf meinem SUB (= Stapel ungelesener Bücher) und wird bestimmt bald seine Chance bekommen.

Mein Fazit

„Das siebte Mädchen“ ist ein Slow-Burn-Thriller, der mich durch seine Langsamkeit lange Zeit nicht so richtig gefesselt, später aber dann doch noch überzeugt hat. Das lag am flüssigen Schreibstil, der unheilvollen Grundstimmung, dem Fokus auf Trauma und psychische Krankheiten, dem gut durchdachten Plot, den unerwarteten Twists und dem starken Ende. Von mir gibt eine Leseempfehlung – allerdings nur für geduldige Thriller-Fans.

Bewertung

Cover / Aufmachung: 5 Sterne ♥
Idee: 4 Sterne
Inhalt, Themen, Botschaft: 4 Sterne
Umsetzung: 4 Sterne
Worldbuilding: 4 Sterne
Einstieg: 3 Sterne
Ende: 5 Sterne ♥
Schreibstil: 4 Sterne
Protagonistin: 4 Sterne
Figuren: 4 Sterne
Spannung: 4 Sterne
Tempo: 2 Sterne
Wendungen: 5 Sterne ♥
Atmosphäre: 4 Sterne
Emotionale Involviertheit: 4 Sterne
Feministischer Blickwinkel: 3 Sterne
Einzigartigkeit: 3 Sterne

Insgesamt:

☆★☆★ Sterne

Dieses Buch bekommt von mir vier Sterne!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 08.09.2023

Sprachlich überzeugende, eindringliche Einblicke in Obsession und Depression

Idol in Flammen
0

Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

Für die psychisch kranke Schülerin Akari ist ihr J-Pop-Idol Masaki ihr einziger Lebensinhalt – alles, was zählt. In über 20 Ordnern hat sie feinsäuberlich alles transkribiert, ...

Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

Für die psychisch kranke Schülerin Akari ist ihr J-Pop-Idol Masaki ihr einziger Lebensinhalt – alles, was zählt. In über 20 Ordnern hat sie feinsäuberlich alles transkribiert, was der Sänger je gesagt hat – der Rest ihres Zimmers versinkt im Chaos. Als plötzlich berichtet wird, dass Masaki einen Fan geschlagen haben soll, bricht für sie eine Welt zusammmen…

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Erzählweise: Ich-Erzählweise, Präsens
Perspektive: weibliche Perspektive
Kapitellänge: keine Kapitel, durchgehender Text

Inhaltswarnung: Gewalt gegen Kinder, psychische Krankheiten, Depression, Suizidgedanken, Obsession, Messie-Syndrom, toxische Eltern-Kind-Beziehung, Essstörung, sich übergehen, Leistungsdruck
Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): bestanden!
Frauenfeindliche / gegenderte Beleidigungen: --- ♥

Diese Geschichte solltest du lesen, wenn dir folgende Themen/Dinge in Büchern gut gefallen (dieser Abschnitt ist inspiriert von @sassthxtic auf Lovelybooks):

- psychische Erkrankungen im Fokus
- Schulsetting
- ruhige Bücher
- deprimierende Grundstimmung
- Fankultur
- J-Pop
- soziale Medien
- Leistungsdruck
- toxische Eltern-Kind-Beziehung

Meine Rezension

„Mein Idol steht in Flammen. Er soll einen Fan geschlagen haben. Noch ist kein einziges Detail bekannt.“ E-Book, Position 22

Bei „Idol in Flammen“ hat mich vor allem das erfrischend andere Thema interessiert, über das ich noch nie zuvor ein Buch gelesen hatte. Als Jugendliche war ich selbst ein großer Fan von Bands wie „Mumford & Sons“ und „Panic! at the Disco“ – die obsessive Fanliebe vieler K-Pop-Fans konnte ich trotzdem nie richtig nachvollziehen. Von Rin Usami erhoffte ich mir daher einen Einblick in eine fremde Welt.

Doch konnte mich dieser Roman in Novellenlänge (unter 130 Seiten) denn überzeugen? Hier kann ich euch versichern: Ja, das konnte er – auch wenn er stellenweise ganz anders war als erwartet. Denn: Es gibt sie zwar, diese Einblicke in die obsessive Fankultur – Akaris J-Pop-Idol ist der Mittelpunkt ihres Lebens (oder „ihre Wirbelsäule“, wie sie es ausdrückt). Das zeigt sich folgendermaßen: In über 20 Ordnern hat sie feinsäuberlich alles transkribiert, was ihr großes Vorbild je gesagt hat. Auf einem Blog analysiert sie jeden seiner Auftritte im Detail. Sie überlegt sogar, aus seiner Handschrift eine neue Schriftart zu kreieren. Jede DVD von ihm kauft sie sich dreimal, ihr ganzes Geld, das sie mit ihrem Nebenjob verdient, investiert sie in Fanartikel und CDs – und in der Zeitung liest sie nicht einmal ihr eigenes Horoskop, sondern das von Masaki. Ihre ganze Existenz ist auf ihr Idol ausgerichtet, beruht praktisch darauf.

„Ich finde es nicht richtig, nur verheiratet zu sein, wenn es gerade gut läuft, und so halte ich es auch mit meinem Dasein als Fan, also tippe ich: “ E-Book, Position 61

Doch das alles ist eben nur die eine Hälfte des Buches, denn Akari ist auch: psychisch krank. Was genau sie hat, wird nicht näher thematisiert, nur dass es zwei Diagnosen gibt, dass sie ihre Medikamente abgesetzt hat und Termine mit Psychotherapeut:innen schwänzt, weiß man. Ihr Zimmer versinkt im Chaos, ihre schulischen Leistungen sind im Keller, ihre Mutter gibt ihr ständig das Gefühl, dass sie eine Belastung und Versagerin ist und nie genug sein wird. Masaki ist demnach das Einzige in ihrem Leben, das Akari Sinn, Kraft und Antrieb gibt. Deshalb bricht auch ihre Welt zusammen, als ein Shitstorm über ihm niedergeht und berichtet wird, dass er angeblich einen Fan geschlagen haben soll. Obwohl ich nur 2 Tage an diesem Roman gelesen habe, hat er mich nicht kaltgelassen, sondern mich richtig runtergezogen und deprimiert. Man fiebert mit Akari mit, wenn es zum Beispiel um die Beliebtheitswahl geht, aber man durchlebt mit ihr eben auch diese Abwärtspirale, in der sie sich befindet. Wer sich psychisch gerade nicht stabil fühlt, sollte dieses Buch auf einen späteren Zeitpunkt verschieben. Auch als Lektüre für den Urlaub kann ich es nicht empfehlen, weil es das Potential und die Macht hat, euch nachhaltig die Stimmung zu ruinieren. Für mich selbst war es jedenfalls eine Erleichterung, als ich die letzte Seite umgeblättert hatte und mich wieder anderen, fröhlicheren Lektüren zuwenden konnte.

„Sie wechselt ihre Gesichtsausdrücke wie Emojis und spricht nur in knappen Sätzen. Bei ihr wirkt das nicht falsch oder aufgesetzt, vermutlich will sie sich selbst bloß so stark wie möglich vereinfachen.“ E-Book, Position 38

Ansonsten hat mir „Idol in Flammen“ von Rin Usami, die 2020 mit nur 21 Jahren in Japan den rennomierten Akutagawa-Literaturpreis als jüngste Preisträgerin der Geschichte (!) gewann, aber wirklich gut gefallen. Ich mochte den einfachen Schreibstil mit den kreativen Metaphern (ich habe mir viele schöne Stellen rausgeschrieben!) und den seltsamen Beobachtungen, ich mochte es, dass ernste Themen wie Leistungsdruck, Depression, das Leben in einer toxischen Familie, Fankultur und Obsession relativ tiefgründig behandelt werden, und auch die beklemmende, lähmende Atmosphäre, die beim Lesen durch Akaris von Passivität geprägtes Leben aufkommt, hat mich überzeugt. Zudem war mir die Protagonistin sympathisch, ich konnte mich gut in sie hineinversetzen und mit ihr mitfühlen, ihr Verhalten war für mich nachvollziehbar. Aus feministischer Sicht gibt es ebenfalls nur Kleinigkeiten auszusetzen (wie z. B., dass man ausschließlich Männer in Führungspositionen antrifft), ansonsten überzeugt das Buch mit seinem „Female Gaze“ (dt. weiblichem Blick) und den vielfältigen, starken Frauenfiguren.

„Beim Schwimmen ist mir das nie aufgefallen, aber vom Rand aus wirkt das Wasser, das über dem gefliesten Wasser Wellen schlägt, irgendwie schleimig. Nicht Schmutz oder Sonnencreme, sondern etwas Abstrakteres, Fleischähnliches scheint sich darin aufzulösen.“ E-Book, Position 59

Doch warum ist „Idol in Flammen“ trotzdem kein Lieblingsbuch geworden? Das liegt vor allem daran, dass sich der Mittelteil streckenweise etwas gezogen hat. Es passiert einfach zu wenig, es gibt dort einen gewissen handlungstechnischen und das Tempo betreffenden Stillstand. Fans ruhiger Bücher wird das nicht stören, aber mir war das nicht genug Spannung. Dass viele Dinge auch offen bleiben und man als Leser:in genauso wenige Antworten wie Akari auf drängende Fragen bekommt, ist zwar realistisch, aber ließ mich auch unbefriedigt zurück. Bei den Nebencharakteren hätte ich mir zudem eine etwas tiefergehende Figurenzeichnung und mehr Farbe gewünscht. Das Ende wird polarisieren – ich selbst fand es etwas inkonsequent, aber ich kann damit leben.

Mein Fazit

„Idol in Flammen“ ist ein Roman, der interessante und tiefgründige Einblicke in obsessive Fankulturen und den Alltag mit einer unbehandelten psychischen Krankheit gibt. Sprachlich und thematisch hat er mir wirklich gut gefallen. Nicht unterschätzen sollte man hier allerdings, wie negativ sich diese Geschichte aufs Gemüt schlagen kann. Durch den Mangel an Spannung und Tempo im Mittelteil ist das Buch hauptsächlich etwas für Liebhaber:innen ruhiger Geschichten mit einem Fokus auf das Innenleben der Figuren. Für mich ist „Idol in Flammen“ ein Roman, den man durchaus lesen kann, den man aber nicht unbedingt gelesen haben muss.

Bewertung

Cover / Aufmachung: 4 Sterne
Idee: 5 Sterne ♥
Inhalt, Themen, Botschaft: 4 Sterne
Umsetzung: 4 Sterne
Worldbuilding: 4 Sterne
Einstieg: 4 Sterne
Ende: 4 Sterne
Schreibstil: 5 Sterne ♥
Protagonistin: 4 Sterne
Figuren: 3 Sterne
Spannung: 3 Sterne
Tempo: 3 Sterne
Wendungen: 3 Sterne
Atmosphäre: 5 Sterne ♥
Emotionale Involviertheit: 5 Sterne ♥
Feministischer Blickwinkel: 4 Sterne
Einzigartigkeit: 4 Sterne

Insgesamt:

☆★☆★ Sterne

Dieses Buch bekommt von mir vier Sterne!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere