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Veröffentlicht am 30.12.2019

4,5*: Kinder bedeuten Verzicht – aber nur für Frauen! Ehrlich, beklemmend – und leider (!) sehr nah an der Realität!

Jesolo
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Achtung: Die Rezension enthält Spoiler!

Inhalt

Georg und Andrea sind seit ihrer Jugend ein Paar. Ihr alljährlicher Urlaub im immer gleichen Hotel in Jesolo, Italien, steht für ihre Beziehung, die sich ...

Achtung: Die Rezension enthält Spoiler!

Inhalt

Georg und Andrea sind seit ihrer Jugend ein Paar. Ihr alljährlicher Urlaub im immer gleichen Hotel in Jesolo, Italien, steht für ihre Beziehung, die sich seit Jahren nicht wirklich verändert hat. Andrea ist zwar nicht glücklich, aber sie findet ihr Leben, ihren Freund, ihren Job okay. Jedoch gibt es eine Sache, die immer mehr zum Problem wird: Andrea will ihre Freiheit, sich nicht festlegen, reisen, sich alles offen halten – ihr Freund hingegen möchte die Wohnung im ersten Stock des Elternhauses ausbauen, sesshaft werden und sehnt sich nach Kindern und Familie. Seit Jahren versucht er Andrea zu überreden, endlich bei ihm einzuziehen, doch sie weigert sich – bis sie ungeplant schwanger wird. Für Andrea beginnt eine Zeit voller Kompromisse, voller gut gemeinter Ratschläge und Übergriffe von allen Seiten…

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Verlag: Blessing
Seitenzahl: 224
Erzählweise: Ich-Erzähler, Präsens
Perspektive: weibliche Perspektive
Kapitellänge: kurz bis lang
Tiere im Buch: + Es werden keine Tiere im Buch verletzt, getötet oder gequält (es kommen keine vor). Fleisch wird allerdings von den Figuren gegessen.

Warum dieses Buch?

„Jesolo“ war für den Österreichischen Buchpreis 2019 in der Kategorie „Debüt“ nominiert. Doch nicht nur diese Tatsache, sondern auch die Empfehlung der feministischen Autorin Angela Lehner (ihr Buch „Vater unser“ war eines meiner absoluten Lesehighlights dieses Jahr!) und der Klappentext weckten in mir sofort den Wunsch, dieses Buch zu lesen!

Meine Meinung

Einstieg (+)

Ich hatte keine Probleme, in die Geschichte zu finden. Der einfache Schreibstil und die treffenden, ehrlichen Beschreibungen des Urlaubs haben mir den Einstieg leicht gemacht und mich sofort überzeugt.

Schreibstil (+)

Tanja Raich hat schreibt sehr klar, parataktisch, schnörkellos und einfach. Ihre gnadenlose Ehrlichkeit und nüchterne, beobachtende Erzählweise, die oft ohne Wertungen auskommt, fand ich großartig, weil dadurch die Beklemmung beim Lesen nur stärker wird und die Ungerechtigkeiten noch deutlicher hervortreten. Obwohl nur wenige Adjektive verwendet werden, haben mir diese niemals gefehlt, da das Buch trotzdem sehr anschaulich ist. Trotz der einfachen Sprache ist die Erzählweise nicht oberflächlich, sondern geht in die Tiefe, präsentiert zahlreiche Weisheiten und Wahrheiten, wunderbare, poetische Beschreibungen, und unzählige einprägsame Zitate, die den Nagel auf den Kopf treffen.

Obwohl die meist kurzen und einfachen Hauptsätze die innerliche Ruhelosigkeit, die durcheinandergeratenden Emotionen und die innere Zerrissenheit der Protagonistin sehr eindrucksvoll veranschaulichen, war die Lektüre durch den oft abgehackt wirkenden Stil, durch den teilweise kein richtiger Lesefluss aufkommen konnte, dennoch nicht immer leicht und ein Genuss. Doch je weiter die Lektüre hinter mir liegt, desto mehr schätze ich das Buch und seine Langzeitwirkung!

„Dieser erwachsene Mann, der gefallen will, der alles richtig machen will, der Verantwortung übernehmen will, hat sich über dich gelegt und nach und nach deine Persönlichkeit aufgefressen. Selbst mir ist es nicht aufgefallen, weil er langsam vorgegangen ist und sich an deinem Körper entlanggearbeitet hat, Stück für Stück.“ E-Book, Position 377

Inhalt, Themen, Botschaften & Ende (♥)

„Das, was du vorher warst, zählt nicht mehr. Wie es dir geht, zählt nicht mehr. Das, was zählt, ist dein Kind. […] Für dich ändert sich alles, aber für deinen Mann ändert sich wenig. Er arbeitet und schläft genauso wie vorher, und abends kommt er nach Hause und fragt: Was hast du den ganzen Tag gemacht?“ E-Book, Position 1385

„Jesolo“ ist ein wichtiges Buch, das zur richtigen Zeit erschienen ist und all jene, die behaupten, dass wir den Feminismus doch gar nicht mehr brauchen, weil wir die Gleichstellung von Mann und Frau ja schon längst erreicht haben, Lügen straft. Was im Roman beschrieben wird, ist beklemmend, frustrierend, macht wütend. Vor allem, weil es die Realität wiederspiegelt. Noch immer sind es (hauptsächlich, es gibt natürlich auch Ausnahmen) die Frauen, deren Leben sich nicht nur während, sondern auch nach der Schwangerschaft grundlegend verändert. Noch immer sind sie es, von denen wie selbstverständlich angenommen wird, dass sie zu Hause bleiben oder Teilzeit arbeiten, Karriereknicks und Altersarmut in Kauf nehmen, ihr Leben komplett umstellen. Ich nenne das „ungerecht“, aber viele Leute und die Gesellschaft nennen das leider immer noch „normal“.

Eine schwangere Frau scheint ihre Freiheit und Selbstbestimmung bis zu einem gewissen Grad aufgeben zu müssen: Alle reden auf sie ein, mischen sich ein, geben unerwünscht Ratschläge bezüglich Geburtsart, Stillen, Erziehung. Am Beginn verspricht Andis Freund noch, dass die im gleichen Haus wohnenden Schwiegereltern sich nicht einmischen werden, am Schluss des Buches betritt die Mutter schon mit ihrem Schlüssel die Wohnung und putzt dort unaufgefordert, will bei der Einrichtung mitbestimmen, drängt Andi in Richtung Hausfrau und Teilzeitkraft. Je weiter Andis Bauch wächst, desto mehr schrumpfen ihre Welt, Freiheit und Selbstbestimmung. Sie hat Angst (wie so viele) zu einer Frau ohne Namen zu werden, einer Frau, die von allen nur noch „Mama“ genannt wird, sogar vom eigenen Ehemann.

Eine andere Anekdote aus dem Buch: Bei Andis Arbeitsplatz kommt eine Kollegin aus der Karenz zurück. Ihre ehemalige Stelle als Teamleiterin wurde aber neu besetzt. Kein Problem, meint der Chef, sie kann ja weit unter ihren Qualifikationen im Sekretariat aushelfen, was ist schon dabei? Ja, was ist schon dabei, dass Frauen noch immer diejenigen sind, die die negativen Konsequenzen der Familienplanung tragen müssen? Solange sich nichts an der gegenwärtigen Situation ändert, solange Frauen weiterhin nur offiziell gleichgestellt sind, solange die Gesellschaft ihren Platz als Mütter zu Hause vor dem Herd sieht, braucht sich niemand zu wundern, wenn die Geburtenrate weiter sinkt! Warum sollen ständig nur wir verzichten und „zurückstecken“, während der Partner Stufe um Stufe die Karriereleiter hinaufklettert und sich selbst verwirklicht?

Trotzdem wird man als Frau immer noch zu Kindern gedrängt und sogar angefeindet, wenn man (wie ich) nicht vorhat, Kinder in die Welt zu setzen und Mutter zu werden. Mir wurde gesagt, dass das nicht normal sei, dass mein Leben keinen Sinn hätte. Männer haben mir mitgeteilt, dass sie finden, dass Frauen Kinder bekommen müssen, weil sie sonst im Alter „bitter“ werden (was immer das heißen soll). Mir wurde erklärt, dass diese „faulen“ und „wehleidigen“ Schwangeren, die sich einen Kaiserschnitt wünschen, weil sie z. B. Gewalt bei der Geburt (ein Thema, die immer noch schöngeredet und totgeschwiegen wird) vermeiden wollen, sich diesen Luxus doch bitte selbst bezahlen sollen. Freundinnen haben mir erzählt, dass ihnen Schmerzmittel während oder nach der Geburt verweigert wurden, dass es sofort vorbei war mit der gerechten Aufteilung der Hausarbeit und Pflegearbeit, dass sie sofort in traditionelle Rollenbilder gerutscht sind, als Kinder da waren. Es läuft beim Thema Familie immer noch so unglaublich viel falsch! Dieses Buch und auch persönliche Erfahrungen machen deutlich: Bis zur wahren Gleichstellung von Mann und Frau ist es noch ein weiter Weg!

„Jesolo“ ist ein ruhiger Roman ohne viel Handlung, das mich beim Lesen runtergezogen und Beklemmung in mir ausgelöst hat. Wer vielleicht sowieso gerade psychisch labil ist, sollte sich diesem Büchlein mit Vorsicht nähern, allen anderen (besonders Frauen und Männern, die über die Familienplanung nachdenken) sei es aber absolut ans Herz gelegt! Themen wie persönliche Freiheit, gesellschaftliche Erwartungen und Zwänge, veraltete Rollenbilder, scheinbare Gleichstellung, Selbstbestimmung und die Engstirnigkeit auf dem Land werden tiefgründig, ehrlich und eindrucksvoll behandelt. Es ist ein Buch, das beim Lesen wehtut und wütend macht, das einen aber auch zum Nachdenken anregt und lange in Erinnerung bleibt. Die Geschichte endet mit einem absolut passenden, poetischen Finale voller Ungewissheit, mit der sowohl die LeserInnen als auch Andi alleine gelassen werden.

Kleinere Kritikpunkte: Gestört haben mich die vielen Anzeigeprobleme des E-Books auf dem Kindle (manchmal endeten Sätze irgendwo und ihr Anfang war erst zwei Seiten später auffindbar etc.). Auch sehr negativ aufgefallen ist mir, dass aus irgendeinem Grund auf Anführungszeichen verzichtet wurde. Von diesem Stilmittel halte ich nichts, weil dadurch die Lektüre künstlich erschwert wird. Meiner Meinung nach will der Text dadurch anspruchsvoller wirken, als er ist. Teilweise war nicht einmal sofort erkennbar, ob jemand etwas sagt oder denkt oder wer was sagt, was ich unheimlich mühsam und nervig fand.

Protagonistin & Figuren (♥)

„Mein Leben liegt in Trümmern. Und ich wandle dazwischen umher wie eine Schiffbrüchige.“ E-Book, Position 543

Auf den ersten Seiten stand ich der Protagonistin noch etwas zwiespältig gegenüber. Teilweise wirkt sie etwas undankbar, launenhaft. Man fragt sich unweigerlich, warum sie nicht glücklich ist. Immerhin hat sie doch einen Freund, der zu ihr steht, der es ernst meint und bereit für den nächsten Schritt ist – etwas, das sich in Andreas Alter viele Frauen vermutlich sehr wünschen. Doch schnell nähert man sich dieser innerlich zerrissenen, unentschlossenen und zunehmend unglücklichen Figur mit Hang zur Melancholie an, deren Freiheit ihr mit jedem Kompromiss weiter genommen wird und die immer weiter in eine Rolle rutscht, die sie niemals haben wollte. Am Ende des Buches hatte ich einfach nur Mitleid mit ihr – sie war mir schon längst ans Herz gewachsen. Ich fühlte Solidarität mit ihr und wollte sie von den übergriffigen Menschen in ihrem Umfeld schützen. Eine bessere Protagonistin als die passive Andi hätte dieses Buch meiner Meinung nach nicht haben können.

Auch die anderen Figuren wirken sehr authentisch, dreidimensional und liebevoll ausgearbeitet. Besonders gut gelungen sind meiner Meinung nach die übergriffige Schwiegermutter und Andis Freund Georg.

Spannung & Atmosphäre (♥)

Meiner Meinung nach waren die unheimlichen, abtraumhaften, oftmals gewalttätigen (Tag-)Träume von Andi (die vermutlich ihr Ventil sind, um mit dem Druck und der „Enge“ ihres neuen Lebens umzugehen) und die kafkaesken Beschreibungen im Buch eine seiner größten Stärken. Ich fand die beklemmende, deprimierende und düstere Atmosphäre sehr intensiv und gut gelungen!

Was die Spannung betrifft, war ich zwar immer neugierig, wie es weitergeht, jedoch gab es im Mittelteil einen Durchhänger, der sich für mich beim Lesen etwas zäh angefühlt hat. Gegen Ende stieg die Spannung aber noch einmal an.

Feministischer Blickwinkel (♥)

Das Wichtigste habe ich schon beim Unterpunkt „Inhalt“ gesagt. Abschließend möchte ich nur noch hervorheben, dass das Buch den Bechdel-Test besteht und dass Tanja Raich ein sehr wichtiges Werk geschaffen hat, das manchen Menschen sicherlich die Augen öffnen wird! Schön, dass der Roman für den Buchpreis nominiert wurde und dadurch viel Aufmerksamkeit erhalten hat!

Mein Fazit

„Jesolo“ bietet einen schonungslos ehrlichen Blick auf unsere Gesellschaft und die nur scheinbare Gleichstellung, die wir bisher erreicht haben. Tanja Raichs Schreibstil ist klar, einfach und schnörkellos. Durch ihre nüchterne, beobachtende Erzählweise treten die Ungerechtigkeiten nur noch deutlicher hervor. Obwohl durch den etwas abgehackten Stil bei mir teilweise kein richtiger Lesefluss entstehen konnte, mochte ich die Sprache, die poetischen Beschreibungen und die treffenden Zitate sehr! Und obwohl ich der passiven Protagonistin am Beginn noch etwas zwiespältig gegenüberstand, wuchs mir die innerlich zerrissene und melancholische Figur mit jeder Seite mehr ans Herz. Auch die anderen Personen wirken sehr authentisch und liebevoll ausgearbeitet. Meiner Meinung nach stellen die abtraumhaften (Tag-)Träume von Andi und die kafkaesken, beklemmenden und düsteren Beschreibungen eine der größten Stärken des Buches dar. Was die Spannung betrifft, gab es lediglich im Mittelteil einen Durchhänger, der sich für mich beim Lesen etwas zäh angefühlt hat. „Jesolo“ ist ein wichtiges und tiefgründiges Buch voller Ungerechtigkeiten und Übergriffe, das zur richtigen Zeit erschienen ist und all jene, die behaupten, dass wir den Feminismus doch gar nicht mehr brauchen, weil wir die Gleichstellung von Mann und Frau ja schon längst erreicht haben, Lügen straft. Noch immer sind es die Frauen, deren Leben sich nach der Schwangerschaft grundlegend verändert. Noch immer sind sie es, von denen wie selbstverständlich angenommen wird, dass sie zu Hause bleiben oder Teilzeit arbeiten, verzichten und zurückstecken, Karriereknicks und Altersarmut in Kauf nehmen, ihr Leben komplett umstellen. Es läuft beim Thema Familie immer noch so unglaublich viel falsch! Dieses Buch macht deutlich: Bis zur wahren Gleichstellung von Mann und Frau ist es noch ein weiter Weg! Mit „Jesolo“ hat Tanaj Raich einen Roman geschaffen, der beim Lesen wehtut, deprimiert und wütend macht, der einen aber auch zum Nachdenken anregt und lange in Erinnerung bleibt. Manchen Menschen wird er hoffentlich die Augen öffnen. Schön, dass er für den Buchpreis nominiert wurde und dadurch viel Aufmerksamkeit erhalten hat! Auch von mir gibt es eine uneingeschränkte Leseempfehlung.

Bewertung

Idee: 5 Sterne ♥
Inhalt, Themen, Botschaft: 5 Sterne ♥
Umsetzung: 4,5 Sterne
Worldbuilding: 4 Sterne
Einstieg: 4 Sterne
Schreibstil: 4 Sterne
Protagonistin: 5 Sterne ♥
Nebenfiguren: 5 Sterne ♥
Spannung: 3,5 Sterne
Atmosphäre: 5 Sterne ♥
Ende / Auflösung: 5 Sterne ♥
Emotionale Involviertheit: 5 Sterne ♥
Feministischer Blickwinkel: ♥

Insgesamt:

❀❀❀❀,5 Lilien

Dieses Buch bekommt von mir viereinhalb überzeugte Lilien und eine uneingeschränkte Leseempfehlung!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 05.06.2019

4,5 Sterne: Absurder, faszinierender, detailverliebter Augenschmaus, der einen zum Schmunzeln bringt

Frank Kunert
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Inhalt

Der Fotograf erweckt in seinem dritten Bildband erneut Miniaturwelten zum Leben, und lädt die LeserInnen ein, in diese Welten einzutauchen und diese zu entdecken.

Übersicht

Genre: Bildband, Kunst, ...

Inhalt

Der Fotograf erweckt in seinem dritten Bildband erneut Miniaturwelten zum Leben, und lädt die LeserInnen ein, in diese Welten einzutauchen und diese zu entdecken.

Übersicht

Genre: Bildband, Kunst, Fotografie
Verlag: Hatje Cantz
Seitenzahl: 72

Warum dieses Buch?

Das Cover machte mich sofort neugierig, wodurch ich dann auch erstmals auf den Verlag aufmerksam wurde. Auch wenn ich keine Kunstexpertin bin, interessiere ich mich dennoch sehr für ästhetisch ansprechende oder schlichte interessante Fotografien oder Kunstwerke. Aus diesem Grund – und auch weil ich schon lange keinen Bildband mehr „gelesen“ habe, wollte ich mir dieses Werk unbedingt genauer ansehen.

Meine Meinung

Struktur (+)

Der Aufbau dieses Bildbandes ist meiner Meinung nach sehr gut gelungen. Zuerst gibt es einen kurzen Essay von Jörg Restorff zu lesen, der sich mit dem Kontext dieses Bildbandes beschäftigt. Alle Texte sind schlauerweise sowohl in deutscher als auch in englischer Sprache abgedruckt, wodurch deutlich wird, dass sich das Buch an ein internationales Publikum richtet. Im Anschluss daran folgen die Fotografien selbst – das Kernstück dieses Bildbandes – und eine sehr kurze Biographie des Künstlers.

Essay & Schreibstil (+)

In diesem eher kurzen Text erhalten die LeserInnen interessante Informationen zum Künstler (auch dieser selbst kommt immer wieder zu Wort) und Einblicke in seinen Schaffungsprozess. Schwarz-weiße Bilder, die Frank Kunert bei der Arbeit zeigen, ermöglichen einen überraschend unaufgeregten Blick hinter die Kulissen und zeigen, wie viel Arbeit in den kleinen Kunstwerken steckt. Auch Kommentare und kurze Interpretationen zu den verschiedenen Fotografien sind im Essay enthalten, sodass die Vorfreude auf die nachfolgenden Bilder immer größer wird. Der Schreibstil selbst ist angenehm zu lesen und unauffällig – es scheint, als würde sich der Autor hier zurücknehmen, weil die Fotografien im Mittelpunkt stehen sollen.

Fotografien (♥)

„‘Ich hatte immer das Bedürfnis, ungestört und in Ruhe arbeiten zu können; was mir am besten gelingt, wenn ich mir mit meinen Händen sozusagen im ‚stillen Kämmerlein‘ meine eigene Welt schaffen und damit Geschichten erzählen kann.‘“ Seite 13

Es ist mein erstes Buch aus dem Kunstverlag „Hantje Cantz“, und obwohl ich keine Kunstexpertin bin, war ich sofort fasziniert von Frank Kunerts Werken und fühlte mich davon wie magisch angezogen. In seinen menschenleeren, detailverliebten Miniaturkulissen werden durchaus auch ernste Themen wie z. B. der Tod angesprochen, im Zentrum dieses Bildbandes steht jedoch immer das Absurde. Der Künstler spielt mit unseren Erwartungen und Vorstellungen von Normalität und Alltag (die wir normalerweise nicht hinterfragen) und bricht sie – teilweise radikal. Es macht Spaß, in die kleinen Welten einzutauchen, weil es dort einiges zu entdecken gibt – wenn man sich die Zeit nimmt und die Bilder ganz genau betrachtet. Das hat eine angenehm entschleunigende Wirkung. Die oft feine Ironie und der manchmal auch etwas schwarze Humor entgehen einem sonst – und dabei sind gerade sie es, die diesen Bildband zu einem locker-leichten Augenschmaus und Lesegenuss machen und einem das eine oder andere Schmunzeln entlocken.

Wunderschön sind vor allem jene Bilder, die etwas mit Wasser zu tun haben – die unter Wasser stehenden Wohnzimmer und Dörfer haben mich teilweise auf charmante Art an den Film „Shape of Water“ erinnert. Nur ganz selten fand ich die Gegenstände und Farben nicht präzise genug gefertigt / aufgetragen – dann war mir nur allzu bewusst, dass es sich hier um Miniaturen handelt. In anderen Momenten hingegen konnte ich das vollkommen vergessen. Nicht alle, aber einige Bilder werden mir mit Sicherheit lange in Erinnerung bleiben, wie zum Beispiel die Fotografie mit dem Namen „Kletterurlaub“, die ein Hotel abbildet, dessen Zimmer man nur erreichen kann, wenn man zuerst einen äußerst schwierigen Kletterparcours meistert. Aber auch der „Bestattungsdiscounter“ konnte mich überzeugen und zum Lachen bringen. Dort gibt es nämlich endlich das Angebot, auf das wir alle so lange gewartet haben: Endlich bekommt man 15 Beerdigungen zum Preis von 10!

Mein Fazit

Mit „Lifestyle“ entführt uns Frank Kunert in faszinierende, detailverliebte kleine Welten, in denen es viel zu entdecken gibt, wenn man sich die Zeit nimmt, ganz in diese Kunstwerke einzutauchen. Ein kurzer Essay von Jörg Restorff, der sich mit dem Kontext dieses Bildbandes beschäftigt, und schwarz-weiße Bilder, die Frank Kunert bei der aufwändigen Arbeit zeigen und einen überraschend unaufgeregten Blick hinter die Kulissen ermöglichen, runden dieses Werk gelungen ab. Im Zentrum dieses Bildbandes steht das Absurde. Der Künstler spielt mit unseren Erwartungen und Vorstellungen von Normalität und Alltag (die wir normalerweise nicht hinterfragen) und bricht sie – teilweise radikal. Die oft feine Ironie und der manchmal auch schwarze Humor machen diesen Bildband zu einem locker-leichten Augenschmaus und wunderschönen Lesegenuss, der auch euch das eine oder andere Schmunzeln entlocken wird.

Bewertung

Aufbau: 5 Sterne
Essay & Schreibstil: 4 Sterne
Fotografien: 4-5 Sterne

Insgesamt:

❀❀❀❀,5 Lilien

Dieses Buch erhält von mir viereinhalb faszinierte Lilien!

Veröffentlicht am 12.03.2019

4,5 Sterne: Hoch spannender, wendungsreicher Thriller mit starker weiblicher Hauptfigur

Todeskäfig (Ein Sayer-Altair-Thriller 1)
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Spoilerfreie Rezension!


Inhalt

Special Agent Sayer Altair wird zu einem Mordfall gerufen: Ein Mädchen wurde in einem Käfig tot aufgefunden, sie ist verdurstet. Ungewöhnlich ist, dass sie nicht alleine ...

Spoilerfreie Rezension!


Inhalt

Special Agent Sayer Altair wird zu einem Mordfall gerufen: Ein Mädchen wurde in einem Käfig tot aufgefunden, sie ist verdurstet. Ungewöhnlich ist, dass sie nicht alleine war: Ein kleiner Welpe leistete ihr Gesellschaft und kann lebend geborgen werden. Auf Sayer, die zur leitenden Ermittlerin gemacht wird, lastet großer Druck. Dann taucht ein Hinweis auf, dass ein weiteres Opfer gerade ebenfalls in einem Käfig um Leben und Tod kämpft. Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt…

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Band 1 der Reihe um Agent Sayer Altair, Band 2 wird auf Englisch voraussichtlich im Juli erscheinen
Verlag: Ullstein Taschenbuch Verlag
Seitenzahl: 496
Erzählweise: Figuraler Erzähler, Präteritum
Perspektive: aus weiblicher Sicht geschrieben (Sayer), einzelne Kapitel aus der Sicht der Opfer oder anderer Ermittler
Kapitellänge: angenehm kurz
Tiere im Buch: +/- Hundewelpen und Kätzchen werden in diesem Buch gequält und in einem Fall sogar getötet. Gleichzeitig werden die Tiere von anderen Personen aber sehr liebevoll umsorgt und behandelt. Einmal nimmt eine Person einen Welpen ungesichert im Beiwagen eines Motorrades mit – vollkommen unverantwortlich und lächerlich gefährlich meiner Meinung nach. Da konnte ich nur den Kopf schütteln!

Warum dieses Buch?

Im Vorfeld habe ich sehr viel Gutes über dieses Buch gehört, daher wollte ich es unbedingt lesen. Auch der Klappentext und die Leseprobe konnten mich sofort überzeugen.

Meine Meinung

Einstieg (♥)

Der Einstieg ist mir sehr leicht gefallen, sofort war ich in der Geschichte angekommen. Wir begleiten zwei Polizisten zu einem Einsatz, der gänzlich anders abläuft, als diese ihn sich vorgestellt haben. Ein Cliffhanger schürt schon am Beginn die Neugier. Hier gibt es keine lange, langweilige Einleitung, sondern einen direkten, interessanten Einstieg – so muss das sein!

Schreibstil (+)

Den Schreibstil empfand ich als sehr angenehm und flüssig. Für einen Thriller ist er optimal geeignet, weil er gleichzeitig sehr anschaulich und atmosphärisch ist und genauso gut Emotionen vermitteln wie Spannung erzeugen kann. Auch Humor blitzt immer wieder durch, was mir sehr gut gefallen hat. Bei alledem ist die Sprache angemessen komplex und wirkt niemals zu einfach oder gar lieblos – ich war absolut glücklich mit dem Schreibstil und bin bestimmt auch deshalb so schnell mit dem Buch vorangekommen.

„Hinter dem Absperrband hatte sich bereits eine kleine Schar von Schaulustigen zusammengefunden, deren neugierige Gesichter in der Abenddämmerung im Licht der Einsatzfahrzeuge abwechselnd rot und blau aufleuchteten.“ E-Book, Position 237

Inhalt, Themen, Botschaften & Ende (+)

Mit „Todeskäfig“ erfindet die Autorin das Rad nicht neu, aber sie macht vieles richtig. Ellison Cooper hat sich einen kreativen, wendungsreichen und unterhaltsamen Plot ausgedacht, durch den sich ihr Thriller von anderen abhebt. Ich habe mich immer sehr darauf gefreut, abends wieder in Sayers Welt einzutauchen und mit ihr auf Mörderjagd zu gehen. Besonders gut gelungen sind die Beschreibungen der polizeilichen Ermittlungen. Man ist bei jeder Entdeckung ganz nah dran am Geschehen und kann den Ermittelnden über die Schulter schauen. Dabei sind die Erkenntnisse häufig wirklich absolut überraschend und unerwartet – es handelt sich hier glücklicherweise nicht wie bei Chris Carters „Blutrausch“ um Dinge, die man sich als Leserin schon vor zwanzig Seiten zusammengereimt hat. Ich habe gelesen, dass manche die detaillierte Ermittlungsarbeit langweilig fanden – ich hingegen war fasziniert davon und sehr interessiert daran. Themen wie Trauer, Einsamkeit und Freundschaft werden mit für einen Thriller angemessener Tiefe behandelt – dennoch ist hier natürlich noch Luft nach oben. Kleinere Widersprüche und Ungereimtheiten kann ich problemlos verzeihen.

Zwischendurch werden immer wieder interessante Studien und Informationen über Serienkiller eingestreut. Laut Autorin handelt es sich hierbei um echte, wissenschaftliche Fakten. Ich war daher ziemlich begeistert von den neuen Erkenntnissen, die ich hier gewinnen konnte. Das Ende und den Showdown fand ich ebenfalls gelungen, auch wenn es nicht besonders innovativ, sondern eher thrillertypisch ausfällt.

„Wissenschaftliche Studien belegen, dass Menschen, die etwas Warmes zu trinken in der Hand haben, automatisch entspannter sind und daher auch eher bereit zu reden.“ E-Book, Position 2265

Protagonistin und Figuren (+/-)

Die Hauptfigur hat mir sehr gut gefallen. Sie ist eine starke, unabhängige Frau, die Motorrad fährt und beruflich sehr erfolgreich ist. Sayer ist intelligent, sehr sympathisch und hat glaubwürdige Stärken und Schwächen. Ich konnte mich sehr gut in sie hineinversetzen, ihr Verhalten fast immer nachvollziehen und habe ihr sehr gerne über die Schulter geschaut. Sehr geschätzt habe ich an ihr auch, dass sie sehr empathisch ist und sich oft nichts sagen lässt, sondern selbstbewusst eigene Entscheidungen trifft und zu diesen steht. Nur selten konnte ich ihr Verhalten oder das anderer Figuren nicht nachvollziehen und fand es unrealistisch oder sehr unklug. Ein Beispiel: An einer Stelle fand ich, dass die schlimmen Verletzungen einer Figur extrem verharmlost werden, weil getan wird, als hätte sich junge Person nur wenige Tage später ihr schweres Schicksal akzeptiert. Das finde ich absolut unglaubwürdig, hier hätte man mehr in die Tiefe gehen müssen.

Auch bei den Nebenfiguren merkt man, dass die Autorin sich bemüht hat, sie dreidimensional zu zeichnen und verschiedene Facetten von ihnen zu zeigen. Jedoch ist das leider oft nicht gelungen – einige Figuren wirken austauschbar und blass, statt einzigartig, lebendig und unvergesslich. Sie hätten in jedem „typischen“ Thriller vorkommen können. Leider konnten sie mich nicht so berühren und sich in mein Herz schleichen, wie ich mir das gewünscht hätte. Ein Beispiel für einen Thriller mit ganz wunderbaren Charakteren ist Daniel Coles „Hangman“ – ich kann euch die Reihe nur wärmstens ans Herz legen.

„Wenn der Partner angeschossen wurde, drückten einem alle ihr Beileid aus, aber unter dem Mitgefühl schwang auch noch etwas anderes mit. Eine unausgesprochene Frage. ‚Warum hast du ihm keine Deckung gegeben? Warum warst du nicht für ihn da?‘“ E-Book, Position 1836

Spannung & Atmosphäre (♥)

„Todeskäfig“ – kaum zu glauben, dass es sich hier um ein Debüt handelt! – macht vieles richtig, auch was den Spannungsaspekt betrifft. Durch die kurzen Kapitel und die atmosphärische Spannung, die die Autorin von Beginn an aufbaut und das ganze Buch über halten kann, entsteht ein hohes Tempo. Ich bin nur so durch das Buch geflogen, die relativ hohe Seitenzahl (fast 500) habe ich dabei kaum bemerkt. Die Autorin legt gekonnt viele falsche Fährten (nicht nur einmal bin ich einer solchen gefolgt) und verwöhnt uns mit vielen unerwarteten Wendungen und gelungenen Cliffhangern, die nicht zu dramatisch und konstruiert wirken. An den richtigen Stellen wurde gekürzt und der Inhalt kurz zusammengefasst – auch das fand ich beim Lesen sehr angenehm. Die Atmosphäre ist oft von Unruhe geprägt, voller Neugier rätselt man mit und versucht die Bösen zu entlarven. Die Stimmung im Buch hat mich sehr an „Blutrausch“ von Chris Carter erinnert – nur ohne die Schwächen des genannten Thrillers.

Feministischer Blickwinkel (♥)

In dieser Kategorie muss ich ein Herz vergeben: Zum einen wird auf Vielfältigkeit geachtet, da die Hauptfigur dunkelhäutig ist, zum anderen hat sich die Autorin nicht nur für eine starke, intelligente Protagonistin entschieden, sondern generell viele Frauen in Führungspositionen eingesetzt. In vielen (vor allem von männlichen Autoren geschriebenen) Thrillern ist das Geschlechterverhältnis oft sehr unausgewogen – nicht jedoch hier: Frauen leiten die Ermittlungsarbeiten, sind leitende Rechtsmedizinerinnen, Direktorinnen des FBI oder schlicht stark und mutig. Anti-feministische Männer und Chauvinisten wie der Profiler wirken in solch einem Umfeld ungefährlich und lächerlich. Für das Aufbrechen von Geschlechterstereotypen hat die Autorin ein großes Lob verdient. Alleine schon deswegen werde ich das Buch weiterempfehlen!

Mein Fazit

Mit „Todeskäfig“ hat Ellison Cooper das Rad nicht neu erfunden, aber sie hat einen unterhaltsamen, gelungenen Thriller geschrieben, der mit seinem flüssigen, anschaulichen Schreibstil, seiner starken, intelligenten Hauptfigur und seinem wendungsreichen, gelungenen Plot glänzen kann. Der Autorin gelingt es das ganze Buch über, das Tempo und die Spannung auf einem hohen Niveau zu halten, wodurch sich die Geschichte zu einem Pageturner voller falscher Fährten entwickelt. Das Miträtseln macht großen Spaß! Lediglich manchen Nebenfiguren hätte mehr Individualität gut getan, ihnen fehlt das gewisse Etwas, eine einzigartige, besondere Persönlichkeit. So bleiben einige leider blass und austauschbar. Ein großes Lob hat die Autorin dafür verdient, dass sie viele leitende Positionen mit starken Frauenfiguren besetzt und so in ihrem Thriller gegen die gläserne Decke anschreibt. Insgesamt kann ich euch „Todeskäfig“ also nur empfehlen: Taucht ein in Sayers Welt und geht mit ihr auf Mörderjagd – ihr werdet es nicht bereuen!

Den Folgeband werde ich auf jeden Fall auch lesen.

Empfehlung: Ellison Cooper schreibt wie Chris Carter – nur besser! Seinen Fans sei dieses Buch also wärmstens ans Herz gelegt.

Bewertung

Idee, Themen, Botschaft: 5 Sterne
Worldbuilding: 5 Sterne ♥
Einstieg: 5 Sterne ♥
Schreibstil: 5 Sterne
Protagonistin: 5 Sterne
(Neben)Figuren: 3,5 Sterne
Atmosphäre: 4 Sterne
Spannung: 5 Sterne ♥
Ende: 4 Sterne
Emotionale Involviertheit: 3,5 Sterne
Feministischer Blickwinkel: ♥

Insgesamt:

❀❀❀❀,5 Lilien

Dieses Buch bekommt von mir zufriedene viereinhalb Lilien!

Veröffentlicht am 15.09.2018

4,5 Sterne: Informativ, interessant, verständlich, humorvoll - so muss ein Sachbuch sein!

Ein Keim kommt selten allein
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Inhalt

Wir alle kennen sie, die Leute, die überallhin ihr Desinfektionsmittel mitnehmen, die einen leidenschaftlichen Krieg gegen Mikroben aller Art führen. Sollen wir sie uns alle zum Vorbild nehmen? ...

Inhalt

Wir alle kennen sie, die Leute, die überallhin ihr Desinfektionsmittel mitnehmen, die einen leidenschaftlichen Krieg gegen Mikroben aller Art führen. Sollen wir sie uns alle zum Vorbild nehmen? Müssen wir bei jedem Atemzug Angst haben, uns etwas Schlimmes einzufangen? Warum viele Keime sogar unsere Freunde sind, warum die Kirche, was Mikroben betrifft, kein gesegneter Ort ist, wo die wirklich wilden Keime wohnen, warum Händewaschen so wichtig und wer diese Margot ist – das alles und noch viel mehr verrät Prof. Dr. Markus Egert, ein führender Forscher auf dem Gebiet der Haushaltshygiene, in diesem Buch mit viel Witz und Charme.

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband, Sachbuch
Verlag: Ullstein Extra
Seitenzahl: 256
Tiere im Buch: - Es werden Tierversuche ohne kritischen Kommentar zitiert. Hier auch wieder meine Empfehlung: Wenn ihr ebenfalls gegen sinnlose, oft grausame Tierversuche seid, schaut bitte beim Verein „Ärzte gegen Tierversuche“ vorbei, der schon jahrelang engagiert und teilweise sogar schon erfolgreich für Alternativen und für eine tierversuchsfreie Forschung kämpft.

Warum dieses Buch?

Ganz einfach: Ich bin ein Mensch, der sich ziemlich schnell ekelt. Natürlich musste ich dieses Buch lesen, denn: Ich war bereit, endlich herauszufinden, wo unsere wahren, unsere größten kleinsten Feinde lauern und wie man sich vor ihnen schützen kann.

Meine Meinung

Einstieg (+/-)

Der Einstieg fiel mir nicht ganz so leicht, da die ersten Seiten etwas allgemeiner gehalten sind und ich nicht ganz so schnell vorankam. Doch schon nach den ersten kurzen Kapiteln lernte ich den angenehmen Schreibstil des Buches sehr zu schätzen und habe es dann auch innerhalb von wenigen Tagen ausgelesen.

"Vorträge zur Haushaltshygiene beginne ich gern mit: 'Hallo, mein Name ist Markus Egert und ich untersuche Sachen, von denen die meisten Leute sagen: Das will ich eigentlich alles gar nicht so genau wissen!'" Seite 13

Inhalt & Verständlichkeit (♥)

Auf jeder Seite merkt man Prof. Dr. Markus Egert seine Begeisterung und Leidenschaft für die im Buch ziemlich süß abgebildeten Mikroben an – eine Begeisterung, die beim Lesen schnell überspringt. Jedes Kapitel bietet viele lehrreiche Informationen, immer wieder wird auf die neuesten Studien und Theorien verwiesen – jedoch ist das Buch dabei niemals trocken, sondern, im Gegenteil, sehr unterhaltsam und interessant zu lesen. Hin und wieder gibt es auch Rückblicke in die Vergangenheit oder Ausblicke in eine futuristische Zukunft, in der den Ärzten und Ärztinnen eventuell – wer weiß – nicht mehr unser Bluttest, sondern ein Abstrich unseres Mikrobioms Auskunft über unseren Gesundheitszustand geben könnte. Man merkt, dass der Autor ein absoluter Experte auf seinem Gebiet ist, er kann aus erster Hand über den Alltag in Kosmetiklaboren und seine durchgeführten Forschungen erzählen. Besonders gut hat mir dabei gefallen, dass Markus Egert immer wieder auch ungewöhnliche Wege geht. So wagte er es, einen Ort zu untersuchen, der bis jetzt unerforscht geblieben war: die Weihwasserbecken in der Kirche. Welche Ergebnisse und „dunklen Geheimnisse“ da ans Licht gekommen sind, findet ihr am besten selbst heraus. In „Ein Keim kommt selten allein“ wird jedoch nicht nur über die verschiedensten gefährlichen und uns freundlich gesinnten Mikroben aufgeklärt, sondern es wird auch mit vielen Mythen aufgeräumt. Die LeserInnen erfahren, wo die wirklich gefährlichen Keime lauern und welche Grundregeln bei der Haushaltshygiene sogar Leben retten können. Dabei ist die Bandbreite der besprochenen Aspekte beeindruckend umfangreich und breit gefächert, und das Sachbuch beantwortet mit Sicherheit nicht nur Fragen, die man sich immer schon stellte, sondern führt einem mitunter auch überraschende Aspekte vor Augen, an die man wohl noch nie zuvor gedacht hat.

Kritikpunkte gibt es nur wenige, und diese fallen nicht wirklich ins Gewicht: So fand ich manche Ansichten des Autors etwas antiquiert, beispielsweise gehört für ihn zu einer ausgewogenen, gesunden Ernährung Fleisch, was allerdings nicht stimmt, da auch eine vegetarische oder vegane Ernährung sehr gesund oder sogar gesünder als eine omnivore Kost sein kann (von den Umweltaspekten einmal abgesehen). Hier hätte ich mir von einem Wissenschaftler schon erwartet, dass das erwähnt wird und neueste wissenschaftliche Erkenntnisse berücksichtigt werden. Zudem hätte ich mir manches Mal mehr Tiefgang gewünscht (z. B. beim Thema Toxoplasmose). Obwohl ich verstehe, dass es sich hier um Einführungswerk handelt und obwohl natürlich bei einem Buch gewisse Seitengrenzen existieren, hätte ich bei manchen Aspekten gerne noch viel mehr erfahren (aber das zeigt ja auch, wie gut das Buch geschrieben ist und wie es den Wissensdurst weckt). Ich denke daher, dass das Buch wirklich nur etwas für Laien ist, Menschen, die sich mit dem Thema schon einmal beschäftigt haben, sollten besser zu einem spezifischerer Fachliteratur greifen, auch wenn auch sie mit Sicherheit vom einen oder anderen Fakt noch überrascht werden können. Die comicartigen Illustrationen fand ich charmant und sehr süß, sie lockern das Buch gekonnt auf, allerdings wäre es oft auch interessant gewesen, zu sehen, wie die einzelnen Keime unter dem Mikroskop tatsächlich aussehen.

„Wenn Mikrobiologen den wahren Unterschied zwischen Mikroorganismen, also Einzellern, und höheren, einzelligen Lebewesen erklären wollen, haben sie ein ganz einfaches Unterscheidungskriterium zur Hand: Alles, was man in einen Mixer stecken kann, ohne es zu töten, sind Mikroorganismen. Der Hintergrund: In Mehrzellern haben sich die einzelnen Zellen so spezialisiert, dass sie alleine unter natürlichen Lebensbedingungen nicht mehr lebensfähig sind.“ Seite 16

Schreibstil (♥)

An den Schreibstil musste ich mich erst einmal gewöhnen, vor allem, weil er so informativ und wissenschaftlich in dem Sinne ist, dass er viele Studien und Theorien zitiert (so soll das aber natürlich in Sachbüchern sein!). Nach einigen Seiten jedoch lernte ich die Sprache sehr zu schätzen. Der Autor lockert den Text immer wieder mit interessanten oder kuriosen Anekdoten aus seinem Alltag und mit ganz viel Charme und Humor auf. Ich bin nur so durch das Buch geflogen, und das lag sicher auch am angenehmen, leicht verständlichen, flüssig lesbaren Schreibstil. So müssen Sachbücher geschrieben sein! Die seltenen inhaltlichen Wiederholungen, die manche LeserInnen gestört haben, fand ich sehr praktisch: Vor allem, wenn man das Buch nicht am Stück liest, ist es angenehm, wenn wichtiges Vorwissen in einem späteren Kapitel (wo es gebraucht wird, um den Sachverhalt zu verstehen) wiederholt wird. Kurze Info-Kästen fassen das Wichtigste noch einmal zusammen, so wird auf einen Blick deutlich, worauf es, z. B. im Umgang mit Schwämmen, wirklich ankommt.

„Preisfrage: Um wie viel attraktiver ist die Vorstellung, unter Krätze zu leiden, wenn man weiß, dass auch Napoleon Bonaparte unter der parasitären Hautkrankheit litt?“ Seite 68

Geschlechtergerechte Sprache (+/-)

Im Buch wird zwar häufig auf geschlechtsneutrale Begriffe wie „Menschen“ ausgewichen, jedoch wird an vielen Stellen nicht gegendert. Das finde ich schade, da ich mir in einem modernen Sachbuch schon erwarte, dass Frauen durchgehend nicht nur mitgemeint, sondern auch sichtbar sind. Gestört hat mich auch, dass der Autor immer wieder betont, dass er nicht oft den Putzlappen schwingt. Auf mich wirkte das etwas machohaft. Einmal wird auch geschrieben, dass seine Ehefrau behauptet, Frauen würden öfter das Klo putzen als Männer. Das war mit Sicherheit lustig gemeint, jedoch fördern solche Aussagen nur Geschlechterstereotypen und sind deshalb dringend zu vermeiden!

Mein Fazit

So muss ein Sachbuch sein! „Ein Keim kommt selten allein“ hat mich auf ganzer Linie überzeugt. Der Schreibstil sehr informativ, zahlreiche Studien und Theorien werden zitiert. Dabei bleibt die Sprache aber stets angenehm und flüssig lesbar, sodass das Lernen hier wirklich Spaß macht. Auch inhaltlich bietet Prof. Dr. Markus Egert eine breite Brandbreite an interessanten Fakten, gibt wertvolle Hygienetipps, räumt mit überholten Mythen auf und zeigt uns, wo die wirklich wilden Keime wohnen. Hierbei kann das Buch immer wieder überraschen und faszinieren, denn die auf jeder Seite spürbare Leidenschaft und Begeisterung des Autors für Mikroben springt beim Lesen schnell über. Zwischendurch wird der Text auf gelungene Weise immer wieder durch kuriose Anekdoten, comicartige Illustrationen und mit viel Humor und Charme aufgelockert. Die Kritikpunkte sind klein und fallen kaum ins Gewicht: Manchmal hätte ich mir bei manchen Aspekten mehr Tiefgang gewünscht, reale Bilder der Keime hätten das Buch noch informativer gemacht und stellenweise hätte ich mir eine geschlechtersensiblere Sprache gewünscht. Insgesamt kann ich euch „Ein Keim kommt selten allein“ jedoch nur wärmstens ans Herz legen – es ist Horrorroman (besonders für Menschen, die sich schnell ekeln), Geschichtsstunde, Biologieunterricht, Hygieneanleitung und Liebesgeschichte in einem. Warum Liebesgeschichte? Ganz einfach, es gibt nämlich zwei, die gehören untrennbar zusammen, können ohne einander nicht leben: Mensch und Mikrobe.

Bewertung

Einstieg: 3 Sterne
Inhalt: 4,5 Sterne
Verständlichkeit: 5 Sterne ♥
Schreibstil: 5 Sterne ♥
Gendergerechte Sprache: +/-

Insgesamt:

❀❀❀❀,5 Lilien

Dieses Buch erhält von mir viereinhalb überzeugte Lilien!

Veröffentlicht am 28.07.2018

4,5 Sterne: Wundervolles, einzigartiges, berührendes Jugendbuch

Die Wahrheit über Dinge, die einfach passieren
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Spoilerfreie Rezension


Inhalt

Suzy kann es nicht glauben: Ihre ehemals beste Freundin soll ertrunken sein? Obwohl sie eine der besten Schwimmerinnen war, die sie kannte? Nein, so etwas kann doch ...

Spoilerfreie Rezension


Inhalt

Suzy kann es nicht glauben: Ihre ehemals beste Freundin soll ertrunken sein? Obwohl sie eine der besten Schwimmerinnen war, die sie kannte? Nein, so etwas kann doch nicht einfach so passieren! Wo ist der Sinn dahinter, das Muster? Suzy setzt es sich zum Ziel, herauszufinden, woran Franny wirklich gestorben ist. Und sie hat auch schon eine Vermutung: Die Irukandij, die gefährlichste Qualle der Welt, muss es gewesen sein…

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Verlag: Hanser
Seitenzahl: 240
Altersempfehlung: 12-15 Jahre
Erzählweise: Ich-Erzähler, Präsens und Präteritum
Perspektive: aus weiblicher Perspektive (Suzy)
Kapitellänge: kurz bis sehr kurz (teilweise nur eine Seite)
Tiere im Buch: +/- Es wird ein Frosch gequält und getötet, jedoch wird dies von der Hauptfigur aufs Schärfste verurteilt. Auch tierquälerische Tierversuche werden erwähnt und kritisiert. Außerdem werden immer noch in Schulklassen Tiere seziert. Dieses ganz und gar sinnlose Töten muss endlich aufhören! In einem Film, den ich einmal gesehen habe, war die Freundin schockiert, als sie sah, wie ihr Freund, ein Wissenschaftler, forschte. Sie nannte sein Tun „Tierquälerei“, er korrigierte sie unangenehm berührt mit dem Satz: „Ich forsche!“ Was er nicht verstanden hat, Suzy aber schon, ist, dass beides dasselbe ist. Der Zweck heiligt nicht die Mittel, wenn die Mittel dazu führen, dass ein Lebewesen leiden muss. An dieser Stelle wieder mein Verweis – für alle Menschen, denen Tierversuche ein Dorn im Auge sind – zum Verein „Ärzte gegen Tierversuche“, der teilweise schon recht erfolgreich gegen Tierversuche (die aus verschiedenen Gründen sinnlos sind) und für tierversuchsfreie Forschungsalternativen kämpft.

Warum dieses Buch?

Dieses Buch klang gleich von Anfang an so vielversprechend: Es hat ein traumhaftes Cover, lockt mit einer emotionalen Geschichte und Lobreden auf der Rückseite und wird von Reese Witherspoon Produktionsfirma verfilmt werden (das verspricht auf jeden Fall starke, weibliche Figuren). Für mich führte an diesem Buch daher kein Weg vorbei!

Meine Meinung

Einstieg (♥)

Bevor das Buch überhaupt beginnt, verzaubert die Autorin schon mit ihrer ermutigenden Widmung. „Für alle Neugierigen überall“, schreibt sie. Dann geht es auch direkt los, und zwar mit einem beinahe magischen Besuch in einem Unterwassermuseum, der die ganze Geschichte in Gang setzt. Bereits der Prolog ist derart rührend und intensiv geschrieben, dass man beim Lesen zugleich begeistert und traurig ist. Ich befand mich sofort mitten in der Geschichte und fand Suzys Erzählstimme sehr sympathisch und mitreißend.

„Und die ganze Zeit über schlägt dein Herz. Es tut, was es tun muss, es vollbringt einen Schlag nach dem anderen, bis sein Auftrag erledigt ist und es innehält. Das mag bereits in ein paar Minuten der Fall sein, und du weißt es noch nicht einmal.
Denn manche Herzen schlagen nur ungefähr 412 Millionen Mal.
Das hört sich viel an. Aber tatsächlich reicht es nur gerade so aus, um zwölf Jahre alt zu werden." Seite 8

Schreibstil (♥)

Der Schreibstil ist ein Traum. Er ist angemessen komplex, flüssig und sehr angenehm (auch für Jugendliche) zu lesen, gleichzeitig aber unglaublich intensiv, eindringlich und emotional. Mich hat er von der ersten Seite an gleich erreicht und berührt. Es gibt viele wunderschöne Zitate, die ich mir markiert habe. Die Sprache enthält teilweise gezielte Wiederholungen und ebenso interessante, treffende Beobachtungen menschlicher Verhaltensweisen. Richtig begeistert hat mich jedoch, wie viele interessante, erstaunliche Informationen über Quallen und generelle die Naturwissenschaften die Autorin eingebaut hat. Jugendliche (und auch Erwachsene) können hier so viel dazulernen, die Faszination für die Natur um uns herum wird ganz nebenbei geweckt! Googeln lohnt sich hier übrigens oft: Schaut euch zum Beispiel mal Bildern von der Atolla Qualle an – ihr werdet es nicht bereuen!

„Lange Sonnenstrahlen drangen durchs Fenster herein wie Geister, die durch Wände gehen. Sie legten sich auf den Teppich und hielten still.“ Seite 17

Inhalt, Themen, Botschaften & Ende (♥)

Abwechselnd folgen wir Suzy in der Gegenwart, in der sie verzweifelt versucht, mit dem Tod ihrer ehemals besten Freundin zurechtzukommen, und in der Vergangenheit. Die Rückblenden (in denen der Schreibstil kindlicher wird) lassen die LeserInnen einen nostalgischen Blick auf die Kindheit der Hauptfigur werfen und begreifen, wie nahe sich Suzy und Franny lange Zeit waren. Obwohl ich eigentlich kein Fan von Rückblenden bin (da sie schnell ausufern), fand ich die Struktur sehr organisch, fließend und angenehm.

Die Autorin hat ihre tolle Idee wunderbar umgesetzt: Sie verbindet das schwierige Leben der Hauptfigur geschickt mit wissenschaftlichen Informationen und dem im Naturwissenschaftsunterricht geforderten Laborbericht. Hier erkannte ich eine Parallele zu einem meiner absoluten Lieblingsjugendbücher, „So wüst und schön sah ich noch keinen Tag“ von Elizabeth LaBan. Oft steckt ganz viel zwischen den Zeilen und Suzys Nachforschungen lassen Rückschlüsse auf ihre Psyche ziehen. Es ist ein Buch der leisen Töne und großen Emotionen (manchmal musste ich echt schlucken), angenehm zurückhaltend, und es wird trotz eher wenig Handlung niemals langweilig. Die Autorin hat die im Buch prominenten Themen wie Trauer(verarbeitung), Schule, Mobbing, Anderssein, Erwachsenwerden, Freundschaft, Veränderungen und Einsamkeit tiefgehend und gelungen behandelt, jedoch fand ich, dass die ersten 60 Seiten die stärksten waren. Besonders in der zweiten Hälfte hatte ich das Gefühl, dass mir manche Dinge zu schnell zu einem Ende geführt und zu wenig ausgebaut wurden. Hier hätten meiner Meinung nach dem Buch noch einige Seiten mehr gutgetan, um alle Aspekte so auszugestalten, wie sie es verdient hätten. Zum Ende: Ich fand es sehr plausibel und hoffnungsvoll, aber das Kind in mir war ziemlich enttäuscht.

Wer allerdings auf beruhigende Antworten, erleuchtende Wahrheiten oder Tipps hofft, wie man mit dem Leben und Sterben generell umgehen kann, der wird leider enttäuscht werden. Weswegen ich mir durchaus vorstellen könnte, dass das Buch so manchen Teenager auf der Suche nach dem Sinn des Lebens in eine kleine Krise stürzen könnte (auch wenn das Buch durchaus nicht deprimierend ist).

Protagonistin (♥)

Suzy ist eine starke, komplexe aber stille Protagonistin. Sie hat ein sehr gutes Herz, macht interessante Beobachtungen, aber auch schwerwiegende Fehler und ist sehr intelligent. „Leider“ (finden zumindest ihre Kolleginnen) macht sich Suzy nichts aus Mode, Make-up und oberflächlichem Small-Talk, daher wird sie von ihren MitschülerInnen ausgeschlossen und auch immer wieder gemobbt. Sie beginnt, sich in den Tod von Franny und das Finden ihrer Todesursache hineinzusteigern und versucht verzweifelt einen Sinn und ein Muster zu erkennen in den schrecklichen Dingen, die immer wieder auf der Welt geschehen. Diese Suche nach der Wahrheit wurde sehr intensiv und emotional beschrieben, so dass manche bestimmt Taschentücher benötigen werden, wenn das Mitleid mit Suzy zu groß wird. Mich hat die Protagonistin so stark an June von „Sag den Wölfen, ich bin zu Hause“ von Carol Rifka Brunt erinnert, dass die beiden beim Lesen für mich fast zu einer Person verschmolzen sind. Also hier mein Tipp: Lest UNBEDINGT beide Bücher, aber lieber nicht parallel oder direkt hintereinander!

„Das heißt, es hat eine Zeit gegeben, in der du schon nicht mehr bei uns warst und niemand auf der Welt wusste davon. Nur du ganz allein. Du bist im Wasser verschwunden, und keiner hat es bemerkt.
Was für ein unglaublich einsamer Moment muss das gewesen sein.“ Seite 20

Figuren (+)

Die Nebenfiguren spielen eigentlich nur eine kleine Rolle (hauptsächlich geht es um Suzys Gefühls- und Gedankenwelt und Beobachtungen), dennoch hat sich die Autorin auch hier Mühe gegeben, sie gut auszuarbeiten. Die meisten sind auch sehr gelungen, aber manches Mal hätte ich hier und da noch ein bisschen mehr über einzelne Figuren erfahren.

Spannung & Atmosphäre (♥)

Obwohl das Buch nicht wirklich viel Handlung hat, wird es niemals langweilig. Ich wollte immer wissen, wie es mit Suzy und ihrem Plan weitergeht und konnte voll und ganz ins Buch abtauchen. Es gibt in der Geschichte sowohl ernste und traurige als auch glückliche und fröhliche Momente, und es fällt leicht, mit Suzy mitzufühlen. Die kurzen Kapitel sorgen dafür, dass man schnell durch die Geschichte fliegt und verschaffen einem gleichzeitig Pausen zum Durchschnaufen nach emotionalen Abschnitten.

Geschlechterrollen (♥)

Auch hier gibt es nichts auszusetzen: Mit Suzy hat die Autorin eine starke, liebenswürdige Protagonistin mit einem großen Herzen geschaffen, die Rollenstereotypen bricht, und nichts auf gesellschaftliche Erwartungen gibt. Die Eltern von Suzy sind geschieden, ihre Mutter arbeitet, viele Nebenfiguren sind weiblich und haben wichtige Berufe (Psychologin, Wissenschafterin, Lehrerin). Besonders gefallen hat mir auch der normale, offene Umgang mit Suzys Bruder, der schwul ist. Hier wird den Jugendlichen gezeigt, wie es sein soll. Hoffentlich führt das zu mehr Toleranz.

Mein Fazit

„Die Wahrheit über Dinge, die einfach passieren“ ist ein Jugendbuch der leisen Töne und großen Emotionen, das trotz wenig Handlung niemals langweilig wird. Vielmehr taucht man vollkommen ab in Suzys Innenwelt und ihre Versuche, mit dem Verlust ihrer ehemals besten Freundin umzugehen. Der Schreibstil ist angenehm komplex, flüssig und leicht verständlich, dabei aber auch sehr eindringlich und berührend. Ein richtiges Highlight sind die vielen interessanten Informationen über Quallen und die Natur, die Autorin geschickt einwebt. Suzys Faszination springt hierbei sehr schnell auf die LeserInnen über. Die Figuren sind liebevoll ausgearbeitet und die behandelten Themen wie Erwachsenwerden, Trauer, Verlust, Anderssein und Einsamkeit werden angemessen behandelt. Dennoch hätte ich mir vor allem in der letzten Hälfte des Buches gewünscht, dass die Autorin noch etwas mehr in die Tiefe geht und sich mehr Zeit lässt, um die Geschichte zu einem Ende zu führen. Aber auch so hat sich Ali Benjamin mit ihrer Geschichte um Dinge, die einfach passieren, in mein Herz geschrieben und sich zu einer meiner neuen LieblingsjugendbuchautorInnen gemausert.

Die Verfilmung ist für mich ein Muss! Ich freue mich schon sehr darauf!

Leseempfehlung: Uneingeschränkte Leseempfehlung (besonders für Jugendliche)!

Bewertung

Idee, Themen, Botschaft: 5 Sterne ♥
Worldbuilding: 4 Sterne
Ausführung: 4,5 Sterne
Einstieg: 5 Sterne (was für ein erstes Kapitel!) ♥
Schreibstil: 5 Sterne ♥
Protagonistin: 5 Sterne ♥
Nebenfiguren: 4 Sterne
Atmosphäre: 5 Sterne ♥
Spannung: 4 Sterne
Ende: 4 Sterne
Emotionale Involviertheit: 5 Sterne ♥
Geschlechterrollen: + (Vorbildwirkung für Mädchen!)

Insgesamt:

❀❀❀❀,5 Lilien und trotzdem ein ♥ dazu und somit den Lieblingsbuchstatus!

Dieses Buch bekommt von mir 4,5 begeisterte Lilien!