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Veröffentlicht am 25.08.2018

Ein Kessel voll Buntes

Eine Tüte buntes Glück
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Frederike hat alles verloren, nicht nur ihren Ehemann. So wird es Zeit für einen Neuanfang, und mit all ihren verbliebenen Habseligkeiten im Auto sucht sie den in dem alten Haus ihres Großvaters auf der ...

Frederike hat alles verloren, nicht nur ihren Ehemann. So wird es Zeit für einen Neuanfang, und mit all ihren verbliebenen Habseligkeiten im Auto sucht sie den in dem alten Haus ihres Großvaters auf der dänischen Insel Fünen, wo sie als Kind jeden Sommer verbracht und mit Oma Henni zusammen Bonbons hergestellt hat. Kaum ist sie auf der Insel angekommen, stolpert sie über ihre alte Jugendliebe Rasmus, den sie nie vergessen und der sie damals so sehr enttäuscht hat. Aber auf Rasmus möchte Frederike keinen Gedanken verschwenden, hat sie doch genug mit der Renovierung des alten Hauses zu tun, dass jetzt ihrer Mutter gehört und verkauft werden soll. Doch während Frederike das Haus in Ordnung bringt, begegnet sie jeden Tag alten Freunden und ihrer Vergangenheit. Schon bald fühlt sie sich auf Fünen wieder zuhause, was auch an Oma Henni und vor allem an Rasmus liegt. Frederike würde ihre Zukunft gern hier aufbauen mit einem kleinen Bonbonparadies, doch sie kennt Rasmus‘ Geheimnis noch nicht und auch ihre alte Freundin Mille spielt ein falsches Spiel. Wird Frederike doch noch einmal das Glück finden?
Kim Henry hat mit ihrem Buch „Eine Tüte buntes Glück“ einen wunderschönen, gefühlvollen und unterhaltsamen Liebesroman vorgelegt. Der Schreibstil ist flüssig, einfühlsam und bildhaft, der Leser wird schnell in die Handlung hineingesogen und darf als unsichtbarer Gast Frederike begleiten, während ihre Gedanken und Gefühle ihm offen liegen wie ein Buch. Die einzelnen Kapitel wechseln sich mit tollen Rezepturen der verschiedenen Bonbons ab, die alle gleichzeitig wie Tagebucheinträge Auszüge aus Frederikes Vergangenheit enthalten und vom Bonbonnamen her wunderbar zum darauf folgenden Kapitel passen. Die Autorin beschreibt einfühlsam, wie einsam Frederikes Weg für lange Zeit war, denn durch kriminelle Machenschaften ihres Ehemanns war sie eine Gebrandmarkte, die Freunde verlor und mit ihnen jegliche seelische Unterstützung, um die schlimme Lage durchzustehen. Auch die Themen Eifersucht, falsche Entscheidungen, Standesdenken und Eltern, die ihre Kinder in eine Karriere pressen wollen, werden hier angesprochen und gut in die Handlung eingewebt. Die Landschaftsbeschreibungen sind bildgewaltig und wunderschön, geben sie dem Leser doch das Gefühl, selbst über die Insel zu streifen und sich den Meereswind um die Nase wehen zu lassen, während man am Strand entlang streift.
Die Charaktere sind ausnahmslos sehr individuell angelegt und detailliert ausgearbeitet. Jedem von ihnen wurde von der Autorin Leben eingehaucht und nach einer Weile fühlt sich der Leser bereits als Teil der alten Clique. Frederike ist eine sympathische Frau, die schon einiges einstecken musste. Von einer lieblosen Mutter in jungen Jahren schon eine musikalische Karriere getrieben, hat sie bei ihren Großeltern ein richtiges Zuhause nur im Sommer erlebt. Frederike ist einfühlsam, fleißig und gleichzeitig einsam, denn sie muss allein wieder auf die Füße kommen, nachdem ihr Mann sich feige aus der Affäre gezogen hat. Sie krempelt mutig die Ärmel hoch und steht ihre Frau. Gleichzeitig sehnt sie sich nach einer starken Schulter zum Anlehnen und nach einem glücklichen Leben. Oma Henni ist die Seele der Geschichte. Sie ist eine liebevolle Frau, die sich um alles und jeden kümmert. Rasmus ist ein intelligenter Mann, der in einer Zwickmühle steckt. Er ist warmherzig und ebenso trägt er ein Geheimnis, das viel Schaden anrichten kann. Julia ist Frederikes einzige verbliebene Freundin. Sie ist Ärztin und eine treue Seele, die auf einmal selbst dem Glück gegenübersteht, das sie gar nicht gesucht hat. Mille ist eine alte Freundin aus Frederikes Jugendtagen. Sie ist unterkühlt, selbstsüchtig und eifersüchtig. Auch die weiteren Protagonisten tragen zur rundum gelungenen Handlung bei.
„Eine Tüte buntes Glück“ ist ein wunderschöner Liebesroman, dessen Hauptthemen Hoffnung, alte Freunde, Träume und ein Neuanfang sind. Tolle Lektüre, die man nicht aus der Hand legen kann und die eine absolute Leseempfehlung verdient hat!

Veröffentlicht am 11.08.2018

"Für jene, die leiden im wilden Meer"

Beim Ruf der Eule
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Die fast 80-jährige Maeve Maloney führt das Sea View Lodge, das sie von ihren Eltern übernommen hat und schon immer ihr Elternhaus war. Ihre Gäste sind von besonderer Art, denn sie sind gehandicapt. Besonders ...

Die fast 80-jährige Maeve Maloney führt das Sea View Lodge, das sie von ihren Eltern übernommen hat und schon immer ihr Elternhaus war. Ihre Gäste sind von besonderer Art, denn sie sind gehandicapt. Besonders Len und Steph gibt sie ein Zuhause und kümmert sich rührend um die beiden. Eines Tages wird Maeve durch den Besuch ihres alten Jugendfreundes Vincent Roper überrascht. Die beiden haben sich sehr lange nicht gesehen, der Kontakt war mehr oder weniger sporadisch, denn Maeve hat Vincent nach einer geplatzten Hochzeit vor über 50 Jahren aus ihrem Leben gejagt. Aber Vincent blieb über all die Jahre hartnäckig und schrieb Briefe und Postkarten. Durch sein Auftauchen wird für Maeve allerdings die Vergangenheit wieder sehr präsent, erinnert er sie doch an ihre Zwillingsschwester Edie, die sie über alles geliebt hat…
Emma Claire Sweeney hat mit ihrem Buch „Beim Ruf der Eule“ einen wunderschönen und gefühlvollen Debütroman vorgelegt. Der Schreibstil ist flüssig und trägt den Leser direkt in die Handlung hinein. Der Leser schaut von Beginn an über Maeves Schulter und erlebt sie beim Führen und Agieren in ihrer Pension und mit ihren Gästen. Dabei erhält er einen sehr guten Einblick in Maeves Gedanken- und Gefühlswelt. Die Handlung beschränkt sich allerdings nicht nur auf die Gegenwart, sondern wird immer wieder durch Einschübe unterbrochen, die entweder Maeves Rückblenden an die Vergangenheit oder Gedanken von Edie beinhalten, dazu gibt es Arztberichte und Briefe von anderen Protagonisten, die Licht in einzelne Situationen der Geschichte bringen und zum besseren Verständnis beitragen. Gerade durch die verschiedenen Blickwinkel wird dem Leser das Gefühl gegeben, alles hautnah mitzuerleben und die Gedanken und Reaktionen der Protagonisten nachvollziehen zu können. Die Autorin beschäftigt sich in ihrem Roman sehr einfühlsam mit einem schwierigen Thema, da sie diesbezüglich eigene Erfahrungen gemacht hat. Das Leben mit einem behinderten Familienmitglied ist für alle Angehörigen anstrengend, kräftezehrend und von Entbehrungen geprägt. Gleichzeitig wird ihr Leben durch viele schöne und außergewöhnliche Momente bereichert und lässt sie sehr viel enger zusammenrücken. Erschütternd zu lesen waren die Ansichten der Ärzte über eine mögliche Sterilisierung aufgrund der jeweiligen Erkrankung, wenn sie auch durchdacht und bis zu einem gewissen Grad verständlich sind.
Die Charaktere sind einzigartig ausgearbeitet und wirken deshalb umso glaubwürdiger und lebendiger. Der Leser hat das Gefühl, als könne er sie leibhaftig vor sich sehen und kommt ihnen während der Lektüre wahnsinnig nah. Dabei bleibt es nicht aus, dass die Achterbahn der Gefühle, die sich durch die Geschichte zieht, auch den Leser erwischt. Maeve ist inzwischen eine alte Dame, die immer noch sehr energisch ihre Pension sowie ihre Angestellten und ihre Gäste im Griff hat. Sie wirkt wie eine selbstbewusste Frau, doch in ihren Gedanken an die Vergangenheit ist sie eher weich und voller Empathie, oftmals ängstlich und mit wenig Selbstbewusstsein ausgestattet. Sie leidet seit Ewigkeiten unter Schuldgefühlen und man hofft als Leser einfach, dass sie endlich mit sich selbst Frieden schließen kann. Len und Steph sind zwei Pensionsbewohner mit Down Syndrom, um die sich Maeve liebevoll kümmert und für die sie die Verantwortung auf sich genommen hat. Die beiden wirken ein wenig chaotisch, aber herrlich normal, während sie die erste Liebe entdecken. Zenka ist die gute Seele der Pension, ein Mädchen für alles, die so liebevoll mit allen umgeht und nie ein böses Wort ihre Lippen verlässt. Vincent ist ein ruhiger und zurückhaltender Mann, der Maeve wohl schon immer sehr geliebt hat und als einziger um Maeves Vergangenheit und ihre Schicksalsschläge weiß. Auch die übrigen Protagonisten wie Lens Mutter Dot, Dave oder auch die Sozialarbeiterin spielen wichtige Rollen in der Handlung und geben zusätzliche Spannung.
„Beim Ruf der Eule“ ist ein rundum gelungener emotionaler und auch nachdenklich stimmender Roman, den man nicht einfach mal eben so liest. Die Autorin nimmt den Leser an die Hand und führt ihn durch verschiedene miteinander verwobenen Lebenläufe, die sich immer wieder in einer Ausnahmesituation befinden, aber gleichzeitig auch so bereichernd und voller Liebe sind. Ein wunderbares und besonderes Buch, dessen Geschichte noch lange bleibt, während die letzte Seite gelesen ist. Absolute Leseempfehlung für eine echte Entdeckung!

Veröffentlicht am 11.08.2018

Dritter Besuch auf Blackberry Island

Meeresrauschen und Inselträume
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Eigentlich wollte Nina selbst einmal Ärztin werden, doch aus falscher Rücksichtnahme auf ihre Familie davon Abstand genommen. Als Arzthelferin arbeitet sie nun in der Praxis ihrer Freundin Andi auf Blackberry ...

Eigentlich wollte Nina selbst einmal Ärztin werden, doch aus falscher Rücksichtnahme auf ihre Familie davon Abstand genommen. Als Arzthelferin arbeitet sie nun in der Praxis ihrer Freundin Andi auf Blackberry Island und hält der Ärztin in allen Belangen den Rücken frei. Sie ist froh, hier untergekommen zu sein, denn den alten Job musste sie kündigen, um nicht ihrem Ex Dylan über den Weg zu laufen, der die Praxis seines Vaters übernehmen wird. Um ihre Mutter Bonnie muss sich Nina ebenfalls kümmern, da passt es überhaupt nicht, dass sich ihre selbstsüchtige Schwester Averil auch ungebeten in dem alten Haus einnistet, um sich von ihrer Ehe zu erholen, denn sie ist keine große Hilfe. Nina hat an allen Ecken und Enden zu tun. Dann ist da auch noch der alte Jugendfreund Kyle, der immer wieder ihren Weg kreuzt. Und auch Dylan steht auf einmal auf der Matte…
Susan Mallery hat mit ihrem Buch „Meeresrauschen und Inselträume“ den dritten Band ihrer Blackberry Island-Serie vorgelegt, der den anderen an Romantik und Verwicklungen in nichts nachsteht. Der Schreibstil ist locker-leicht, bei dem auch der Humor nicht zu kurz kommt. Er nimmt den Leser sofort mit auf die Insel und deren sympathische Bewohner, wo man sich schnell wieder zuhause und unter Freunden fühlt. An der Seite von Nina erlebt der Leser allerhand Probleme, der sich die junge Frau stellen muss. Es geht um Verantwortung annehmen und abgeben, um Entscheidungen, um Liebe und heimliche Träume, die sich erfüllen sollen. Die Autorin verpackt diese Themen auf unterhaltsame gefühlvolle Art und Weise, dass es den Leser ans Herz geht. Dabei lässt sie den Zauber der Insel in wunderbaren farbenfrohen Bildern vor dem inneren Auge des Lesers entstehen, so dass man gar nicht anders kann, als sich angesprochen und mit den Protagonisten zu fühlen.
Die Charaktere sind liebevoll ausgestaltet und mit Ecken und Kanten versehen. Durch ihre individuellen Eigenschaften wirken sie lebendig und authentisch. Der Leser kann sich mit ihnen identifizieren und mit ihnen leiden, hoffen und bangen. Nina ist eine sympathische Frau, die immer wieder zurückgesteckt hat, um es anderen recht zu machen. Sie hat sowohl für ihre Mutter als auch für ihre Schwester Verantwortung übernommen und das nie in Frage gestellt. Dabei sind ihre eigenen Wünsche und Träume auf der Strecke geblieben. Nina muss lernen, sich mal ausschließlich nur um sich selbst zu kümmern und allen anderen ohne ihr Eingreifen ihren eigenen Kram erledigen zu lassen. Mutter Bonnie benimmt sich wie eine willenlose Puppe, die alles anderen überlässt und in den Tag hineinlebt. Averil ist eine selbstsüchtige verzogene Frau, die grundsätzlich andere dafür verantwortlich macht, wenn bei ihr etwas schief läuft. Kyle ist ein netter Mann, der schon seit seiner Jugend in Nina verliebt ist und endlich auf eine Chance hofft. Die anderen Protagonisten wissen ebenfalls zu überzeugen und einiges an Spannung in die Handlung miteinfließen zu lassen.
„Meeresrauschen und Inselträume“ ist ein wunderschöner Liebesroman mit unterschwellig ernsten Tönen, der durchgängig zu fesseln weiß und dem Leser kurzweilige Lesestunden beschert. Absolute Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 06.08.2018

Der Krieg, der alles auseinander reißt

Was wir zu hoffen wagten
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1912 Berlin. Felice, Ille und Willi zu Nieden wachsen wohlbehütet mit ihrer Mutter und ihrem als Vormund eingesetzten Onkel Benno zu Kaiserzeiten in Berlin auf. Ihrer Familie gehört ein Bankhaus, das Willi ...

1912 Berlin. Felice, Ille und Willi zu Nieden wachsen wohlbehütet mit ihrer Mutter und ihrem als Vormund eingesetzten Onkel Benno zu Kaiserzeiten in Berlin auf. Ihrer Familie gehört ein Bankhaus, das Willi eines Tages leiten soll. Doch dieser träumt von etwas ganz anderem, er will lieber Filme machen und seine Werke auf der Leinwand sehen. Felice ist die älteste und studiert Jura wohlwissend, dass sie nur bis zur Vorbereitungsphase zugelassen ist. Auch wenn sie einen der besten Abschlüsse hat, wird ihr der Eintritt in eine Kanzlei als Frau verweigert. Sie kämpft für ihr Recht, als Frau den Männern ebenbürtig zu sein. Nesthäkchen Ille wird für das Familienwohl mit einem betuchten Mann verheiratet, den Felice verschmäht hat und der das Erbe der Familie, die Bank, retten soll. Nur leider ist Bernd ein grober Klotz, der Ille das Leben zur Hölle macht. Dann bricht der Erste Weltkrieg aus, und stellt alle Lebenspläne und Träume auf einmal in Frage…

Michaela Saalfeld hat mit ihrem Buch „Was wir zu hoffen wagten“ einen unterhaltsamen historischen Roman vorgelegt, der dem Leser einen realen Einblick in unterschiedliche Lebensläufe und –träume zur damaligen Zeit gibt. Der Schreibstil ist flüssig und pragmatisch, der Leser wird gleich zu Beginn in die Familie zu Nieden geschleust, um sich abwechselnd an der Seite von Willi und Felice zu heften, während Ille in der Handlung eher eine Randerscheinung bleibt. Doch es reicht aus, um alle drei Geschwister nebst ihren Gefühlen und Gedanken gut kennenzulernen. Auf einer Reise über einen Zeitraum von 7 Jahren findet sich der Leser mal in Berlin, mal an der Ostsee oder in Belgien wieder. Die Autorin vermittelt dem Leser schonungslos, wie das Leben im Schützengraben stattgefunden hat, wie die jungen Männer als Kanonenfutter herhalten und welche Gräueltaten sie erleben mussten. Auf der anderen Seite lässt sie einen Blick hinter die Kulissen der Theater- und Filmwelt zu, die damals in ihren Anfängen steckte und die Menschen von jeher fasziniert. Dass die Fotografie und die Filmerei aber auch als Beweis für die Kriegstaten herhalten kann, weil einige mutige Männer für die Dokumentation sogar ihr Leben aufs Spiel setzten, ist ein weiterer Aspekt, der einem Respekt abverlangt. Auch vor dem Thema Gleichberechtigung der Frau macht die Autorin nicht halt, zeigt sie doch auf, wie hart Frauen kämpfen mussten, ein Studium zu ergreifen und welche Steine ihnen in den Weg gelegt wurden.

Die Charaktere sind sehr detailliert und liebevoll ausgearbeitet und in Szene gesetzt worden. Sie bestechen durch Individualität und lassen sie lebendig und authentisch wirken. Felice ist eine intelligente Frau, wenn sie auch keinen Preis als Sympathieträgerin gewinnen würde. Sie hat eine ganz genaue Vorstellung von ihrem Leben, möchte auf jeden Fall als Juristin arbeiten und kämpft um die Anerkennung, als Frau in einem männerdominierten Beruf arbeiten zu dürfen. Sie wirkt oft kühl, beinahe kalt und emotionslos, ist unwirsch und verletzend ausgerechnet zu denjenigen, die sie lieben. Willi ist ein Träumer, der sich ein Leben als Banker nicht vorstellen kann. Er hat Visionen für Filme im Kopf, die er auf jeden Fall realisieren will. Ille ist eine junge naive Frau, die Zeit ihres Lebens um die Anerkennung ihrer älteren Schwester kämpft. Sie geht sogar so weit, den von Felice verschmähten Mann zu heiraten, damit ihre Schwester sie liebt. Dass sie dabei ihr eigenes Leben riskiert, weil besagter Mann ein brutaler Schläger ist, ist ihr nicht bewusst oder sie verschließt die Augen davor. Quintus Quirin stammt aus einer angesehenen Juristenfamilie, doch er arbeitet nur zum Schein in der Kanzlei, lieber macht er mit Fotos für Zeitungen auf sich aufmerksam. Und an Felice hat er einen Narren gefressen. Er ist humorvoll, hat ständig ein Lied auf den Lippen und stellt die Gleichberechtigung von Frauen nicht in Frage. Auch die weiteren Protagonisten wie z.B. die warmherzige Oma Hertha geben der Geschichte zusätzliche Impulse und lassen die Handlung wohltuend rund und real wirken.

„Was wir zu hoffen wagten“ ist ein wunderbarer historischer Roman über Träume, Schicksale und den Kampf um Gleichberechtigung, doch er lässt auch die damaligen Kriegszeiten lebendig werden. Ein schönes Stück Zeitgeschichte, dass den Leser auch nach der Lektüre nicht loslässt. Absolute Leseempfehlung!

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Veröffentlicht am 05.08.2018

Der Traum vom selbstbestimmten Leben

Alligatoren
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20er Jahre Amerika. Gertrude Pardee lebt mit ihrer Familie in einer Baracke in den Sümpfen von South Carolina. Sie und die vier Kinder leiden nicht nur unter dem tyrannischen und ständig betrunkenen Ehemann, ...

20er Jahre Amerika. Gertrude Pardee lebt mit ihrer Familie in einer Baracke in den Sümpfen von South Carolina. Sie und die vier Kinder leiden nicht nur unter dem tyrannischen und ständig betrunkenen Ehemann, sondern sie haben auch kaum etwas zu essen. Gertrude will diesen Zustand nicht länger ertragen und bringt ihre drei ältesten Töchter bei ihrem Bruder im Nachbardorf unter, wo sie ihm als Helferin auf seinen Baumwollfeldern zur Hand gehen sollen. Ihre 6-jährige Tochter Mary ist krank und kommt bei der Farbigen Oretta unter, die in Heilkünsten versiert ist. Gertrude selbst nimmt eine Stelle als Näherin in der Fabrik von Annie Coles an und kommt sogar in einem kleinen Häuschen unter. Um ihre letzten Besitztümer aus der familieneigenen Hütte zu holen, bewaffnet sich Gertrude mit einem Gewehr und macht sich auf den Weg durch die Sümpfe, wo sie unvermittelt auf einen Alligator trifft. Sie will ihn erschießen, doch dann läuft ihr auch noch ihr besoffener Ehemann über den Weg…
Deb Spera hat mit dem Buch „Alligatoren“ ihren Debütroman vorgelegt, der von der ersten Seite an mit seiner bedrückenden Atmosphäre und leisen Tönen zu fesseln weiß und den Leser regelrecht in die vergangene Zeit hineinzieht. Der Schreibstil ist flüssig und gefühlvoll, lässt den Leser bis zum Ende das Buch nicht aus der Hand legen. Die Geschichte wird aus verschiedenen Perspektiven erzählt, so dass der Leser mal an der Seite von Gertrude, mal an Orettas und mal an Annies Seite steht und das Leben der Frauen hautnah miterlebt und deren Gedanken und Gefühle dabei offen liegen, was ein gutes Kennenlernen der Protagonistinnen aus unterschiedlichen Schichten leicht macht. Gleichzeitig ermöglicht die Autorin dem Leser dadurch, Einblick in die verschiedenen Gesellschaftsschichten der damaligen Zeit zu nehmen und die Stimmung aufzusaugen, die von Rassismus, Gewalt und Unterdrückung geprägt ist. Frauen hatten damals kaum Rechte und hatten ihren Männern zu gehorchen. Taten sie das nicht, so waren Gewalt und Züchtigung an der Tagesordnung. Sie waren von den Launen ihrer Männer abhängig, dabei war es nicht wichtig, ob sie arm oder reich sind. Sowohl Gertrude als auch Oretta und Annie wollen sich von diesen Fesseln befreien und träumen von einem selbstbestimmten und freien Leben.
Die Charaktere sind sehr detailliert ausgestaltet und mit individuellen Eigenschaften versehen. Sie wirken realistisch und authentisch, so dass es dem Leser nicht schwer fällt, mit ihnen zu leiden, zu fühlen und zu hoffen. Gertrude ist nicht gerade eine sympathische Frau, jedoch ist sie eine starke Persönlichkeit. Sie weiß um die Ausweglosigkeit ihrer Situation und will ihre Kinder und sich selbst aus dem sprichwörtlichen Sumpf und weg von dem gewalttätigen Ehemann bringen. Dafür tut sie alles. Annie ist mit einem reichen Mann verheiratet und leitet ihre eigene Fabrik. Aber auch sie musste schon so einige Schicksalsschläge verkraften, ihre Familie ist auseinandergedriftet, einen Sohn hat sie durch Selbstmord verloren. Doch Annie lässt sich nicht unterkriegen, wirkt selbstbewusst und kämpft gegen die Dämonen, die sie runterziehen wollen, allen voran ihr eigener Ehemann. Oretta ist eine freie Farbige, die als Haushälterin bei Annie arbeitet und in der Heilkunst bewandert ist. Sie wird noch immer nicht von der Gesellschaft akzeptiert, obwohl die Sklaverei inzwischen abgeschafft ist. Sie hat einen festen Glauben, das Herz am rechten Fleck und ist immer hilfsbereit. Annies Mann Edwin ist ein Mann, der seine Familie unterdrückt und sie immer wieder spüren lässt, wer das Sagen im Haus hat. Auch die weiteren Protagonisten tragen zur Intensität der Handlung bei und geben ihr zusätzliche Impulse.
„Alligatoren“ ist ein atmosphärisch-dichter Roman über drei unterschiedliche Frauen mit dem gleichen Wunsch nach Freiheit und Selbstbestimmung. Ein absolutes Meisterwerk, das einen auch nach der Lektüre noch lange beschäftigt. Absolute Leseempfehlung!!