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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 15.09.2016

Meinen Humor trifft’s – für den nächsten mag es Altherren-Witz-Niveau sein…

Lepra-Gruppe hat sich aufgelöst
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…so ähnlich lautete die Diskussion daheim, als ich dieses Buch aus dem lovelybooks-Goodie-Bag zog und aber so etwas von begeistert war. Vorher hatte es bereits auf meiner Wunschliste gestanden = ich kann ...

…so ähnlich lautete die Diskussion daheim, als ich dieses Buch aus dem lovelybooks-Goodie-Bag zog und aber so etwas von begeistert war. Vorher hatte es bereits auf meiner Wunschliste gestanden = ich kann mich über dieses Buch schieflachen.
Wie die Autoren, sammele ich solche Zeitungsartikel, bei denen ich mich wundere, ob beim Schreiben irgendjemand über die Wirkung seiner Worte nachgedacht hat (so ähnliche Dinge wie damals, als Brüderle Schäuble zuwarf, er könne ja wenigstens sitzen, während Brüderle selbst leider ?! stehen müsse) http://www.google.de/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&cd=4&cad=rja&uact=8&sqi=2&ved=0ahUKEwiIiqiIr-rMAhWVF8AKHc5CBjAQFgg1MAM&url=http%3A%2F%2Fwww.augsburger-allgemeine.de%2Fpolitik%2FBruederle-beleidigt-Schaeuble-wegen-Rollstuhl-id6890516.html&usg=AFQjCNE-MHWOwWEdBZNTZLYODITOEzumxA&bvm=bv.122676328,d.ZGg
Mit im Buch finden sich Artikel, bei denen der Witz aus einer reichlich unglücklichen Wortwahl besteht
- „Kondomautomat mit Ständer geklaut“ (S. 56)
oder solche vom Niveau „Reissack in China“
- Klebehaken in Imbiss gestohlen: Im Text folgt dann, der Gesamtverlust betrage doch tatsächlich € 1,50 (S. 38)
und schließlich Dinge, die man einfach nur kurios finden kann
- ein Wetterbericht vermeldet „Nachts scheint nur selten die Sonne“ (S. 65)
Die Autoren sammeln hier http://www.perlen-des-lokaljournalismus.de/kontakt/
Natürlich gewinnt das Werk keinen Literaturpreis, perfekt finde ich es als Coffeetable-Buch (so etwas liegt bei mir auf dem Tisch neben Bildbänden wie Ursus Wehrlis „Die Kunst aufzuräumen“ und so Geduldspielen wie Tangram oder diesen verbogenen Nägeln, die man auseinander und wieder zusammenbasteln soll – allesamt erprobte und bewährte tolle „Retter“, wenn Gesprächsrunden bei Feiern stocken) oder dort, wo man nur episodisch lesen möchte (Nachttisch, Gästeschlafsofa – nein, im Bad steht bei mir unter anderem „Vom kleinen Maulwurf, der wissen wollte, wer ihm auf den Kopf gemacht hat“ von Werner Holzwarth und Wolf Erlbruch). Und ja, „Aus die Maus“ besitze ich auch (mir gefällt: „Hier ruhen meine Gebeine. Ich wollte, es wären deine“) und aus Berlin gibt es einen genialen Blog mit Buch dazu, wo gesammelt wird, was dort die Menschen so an Wände oder auf aufgehängte Zettel schreiben. http://www.notesofberlin.com/

Veröffentlicht am 15.09.2016

Ich habe mich leider ein bisschen verliebt...

Ostfriesenschwur
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„Die Formalitäten waren friesisch kurz, mit fünf Worten erledigt:
‚Wann?‘
‚Jetzt.‘
‚Ihr zwei?‘
‚Jo.‘ “ S. 20
So beschreibt Autor Klaus-Peter Wolf eine Ostfriesland-typische Anreise zum Tatort. Der frühere ...

„Die Formalitäten waren friesisch kurz, mit fünf Worten erledigt:
‚Wann?‘
‚Jetzt.‘
‚Ihr zwei?‘
‚Jo.‘ “ S. 20
So beschreibt Autor Klaus-Peter Wolf eine Ostfriesland-typische Anreise zum Tatort. Der frühere Chef der Abteilung, Ubbo Heide, hat per Post einen abgetrennten Kopf auf den Frühstückstisch gesendet bekommen.
Ubbo. Solche Namen gibt es nur dort http://www.vorname.com/friesische,vornamen,1.html


Für mich ist dieser bereits zehnte Band der Reihe komplettes Neuland.
Im Wechsel wird aus der Sicht der Ermittler und eines namenlosen Täters berichtet, der stets seinen Flow sucht, während er aktiv ist. Oder beobachten wir hier noch etwas weiteres?


Ich konnte mich schnell in das Ostfriesland-Universum einfinden – der Autor erklärt nicht zu viel und nicht zu wenig. Ann Kathrin Klassen ist die „heimliche Chefin“ der Abteilung, sie sieht mehr als andere, analysiert messerscharf und es wird schnell klar, dass das anscheinend immer so war – sie ist so zwischen Sherlock Holmes und Patrick Jane in „The Mentalist“. Ihr früherer Chef sitzt noch nicht lange im Rollstuhl – nur wenig mehr wird zwischendurch erzählt und eigentlich braucht es das auch nicht. Ich gehe also davon aus, dass der Autor auch die Leser, die mehr aus der Reihe lesen, nicht mit Wiederholungen zu langweilen gedenkt: Wenn wir selbst neue Menschen kennenlernen, bekommen wir ja auch nicht gleich eine komplette Vita präsentiert.


Mein Herz gewonnen hatten Autor und Kommissarin Ann Kathrin Klassen, als er sie ihren neuen Chef Büscher korrigieren ließ, der sich in dem Beziehungsgeflecht vor Ort fremd fühlt und seine neue Mitarbeiterin zum Essen einlädt: Er bestellt sich dasselbe. Ann Kathrin bittet die Kellnerin: „Bring ihm lieber das Gleiche, nicht dasselbe.“ S. 95 Ich liebe es, wenn jemand, der Sprache nutzt, das auch wirklich entsprechend tun möchte – und die Art ist charmant genug.
Die Ermittler haben angenehm normale Macken, aber keine größeren „Beschädigungen“:
Ubbo Heide und Ann Kathrin Klassen haben Gewissensbisse, weil sie oft die Familie hintanstellen zugunsten der Gerechtigkeit für die Opfer, Klassens Lebensgefährte Weller eifersüchtelt ein wenig, Kollege Rupert hat so seine Probleme mit Frauen oder eher dem Feminismus oder doch nur mit sich,… Keine gebrochenen Ermittler, keine Super-Action, kein Eitel-Sonnenschein, keine Freaks – einfach so richtig normale Leute. Dabei gibt es einige „Running Gags“, wie den Tee mit Pfefferminze oder den Verhörgang der Kommissarin. Dazu kann Wolf Szenen auch wirklich witzig schreiben, ein etwas trockener Humor, er trifft es einfach gut:
„Sie dachte an Weller, als sie ihm von ihrer neuen Diät erzählt hatte und ihn zum Mitmachen motivieren wollte, hatte er sie grinsend gefragt: Woher wissen denn die Kohlenhydrate, wie spät es ist?“ S. 339


Um es ganz klar zu sagen: das Buch ist kein Thriller, es ist ein ganz grundsolider Krimi. Man ermittelt und grübelt im Hinterkopf immer mit. Es gibt hier nicht DEN einen neuen bahnbrechenden Krimischachzug, das Buch ist einfach nur so richtig schön geschrieben und die Charaktere sind klasse. Einfach nur!
Ich gebe zu, ich habe mich da neu verliebt. Das war nicht so geplant. Wie erkläre ich das jetzt daheim, gegenüber meinem etwas vollen Regal?

Veröffentlicht am 15.09.2016

Die kleinen grauen Zellen…(AC3, Poirot + Hastings 2)

Mord auf dem Golfplatz
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Das Original heißt „Murder On The Links“ und erschien im Original 1923, allerdings zuerst in den USA bei Dodd, Mead and Company, dann im Mai The Bodley Head im selben Jahr auch in Großbritannen (falls ...

Das Original heißt „Murder On The Links“ und erschien im Original 1923, allerdings zuerst in den USA bei Dodd, Mead and Company, dann im Mai The Bodley Head im selben Jahr auch in Großbritannen (falls jemand weiß, warum – ich bin Fan genug, dass es mich interessieren würde). 1927 kam die deutsche Erstausgabe in der Übersetzung für den Georg Müller Verlag in München von Irene Kafka auf den Markt, 1937 die mir vorliegende Bearbeitung durch Friedrich Pütsch im Goldmannverlag (Leipzig) – meine Ausgabe ist von 1986, ISBN 3442000092 (für DM 6,80!!!), Scan hängt an, alle Zitate daher in alter Rechtschreibung - 1999 folgte noch die Neuausgabe in der Übersetzung von Gabriele Haefs im Scherz Verlag. Mit diesem Buch durften deutsche Leser Agatha Christie zum ersten Male in ihrer eigenen Sprache kennenlernen [Fakten aus Wikipedia].

Ich bin mit vielleicht elf/zwölf Jahren Fan geworden – und stelle nach langem Agatha-Christie – „Teilfasten“ gegenwärtig fest, dass die Bücher mitnichten an Reiz für mich verloren haben, ganz im Gegenteil. Gerade der Zugriff auf weitere Informationen zum Hintergrund würzt im Moment für mich die Lektüre und natürlich ändert sich mit den Jahren auch die Sicht. Dieses ist meine erste chronologische Lesereise zu „AC“ und ich lege in meinen Rezensionen stärkeres Augenmerk auf bestimmte Anekdoten und Charakteristika als auf die Handlung – von der verrate ich ja ohnehin bei spannender Lektüre möglichst wenig!

Der Krimi ist der dritte Roman der Autorin, dabei der zweite jeweils mit Hercule Poirot und seinem Helfer und Freund Arthur Hastings. Und wieder sehe ich Anleihen an Sherlock Holmes – Hastings erzählt wie im Debüt als Ich-Erzähler. Im ersten Buch war er ja wegen einer Kriegsverwundung auf Heimaturlaub und arbeitete zuletzt für das Kriegsministerium (vgl. S. 154 „Das fehlende Glied in der Kette“). Inzwischen wohnt er mit Poirot zusammen in London (sic!) und erwähnt, dass er nach der Schlacht an der Somme als invalid ausgemustert wurde und als eine Art Privatsekretär für einen Parlamentarier arbeite (S. 7).

Anfang Juni, im Zug von Paris nach Calais zur Überfahrt lernt Hastings eine junge Frau kennen – noch ahnt er nicht, dass er alsbald zurückkehren wird nach Frankreich, diesmal mit Poirot und in einem neuen Fall, in dem auch besagte Reisebekanntschaft eine Rolle spielen wird. Er betrachtet sich im Moment als wenig angetan von ihr, erzählt ihr aber doch einiges über seinen besonderen Mitbewohner und dessen Beschäftigung: „Ich habe Hercule Poirot schon an anderer Stelle beschrieben. Ein ganz außergewöhnlich kleiner Mann! Fünfeinhalb Fuß hoch, den eiförmigen Kopf ein wenig zur Seite geneigt, mit Augen, die in der Erregung grünlich schillerten, einem martialisch steif gedrehten Schnurrbart und mit unendlich würdevollem Aussehen! Seine äußere Erscheinung war peinlich, beinahe übertrieben elegant. Überhaupt war bei ihm jede Form von Ordnungsliebe zur Leidenschaft gesteigert. Sah er irgendwo etwas, was schief stand, lag irgendwo ein Körnchen Staub, gab es irgendwo die geringste Unordnung, so litt der kleine Mann Folterqualen, bis er sein Herz durch Abschaffung des Übels erleichtert hatte. „Ordnung“ und „Methode“ hießen seine Götter. Er verachtete gewissermaßen greifbare Beweise wie Fußstapfen und Zigarettenasche und behauptete, daß sie allein noch niemals einem Detektiv die Lösung seiner Aufgabe ermöglicht hätten. Darauf schlug er sich mit lächerlichem Behagen auf den eiförmigen Kopf und bemerkte selbstgefällig: „Die wahre Arbeit muß von innen heraus getan werden. Die kleinen grauen Zellen – gedenke immer nur der kleinen grauen Zellen, mein Freund.“ (S. 10) Dieser Begriff mit den kleinen grauen Zellen wird erst ab diesem Band von der Autorin eingeführt und später verwendet, ebenso erinnere ich mich an spätere Erwähnung von Poirots spezieller Phobie bezüglich der Seekrankheit, die hier Erwähnung findet: An Bord nun auf der Reise zum neuen Fall wendet Poirot die Methode Laverguiers an – „man wiegt sich hin und her, wendet den Kopf von links nach rechts, atmet ein und aus und zählt nach jedem Atemzug bis sechs“ (S. 15)

Als Poirot und Hastings bei ihrem neuen Auftraggeber Mr. Renauld eintreffen, wurde er bereits ermordet. Seine Frau wurde geknebelt und gefesselt im Schlafzimmer aufgefunden – ein Affront für den belgischen Meisterdetektiv.
Im Laufe der Ermittlungen ergeben sich einige Besonderheiten: Abends hatte Mr. Renauld häufig Besuch von seiner Nachbarin, Madame Daubreuil. Eines der Dienstmädchen weiß zu berichten, am Vorabend des Mordes sei eine weitere, jüngere Dame zu Besuch gewesen, eine Engländerin. Und warum hatte der Chauffeur freibekommen, wenn doch Poirot abzuholen gewesen wäre? Im Mantel, den der Tote trägt, findet sich ein Liebesbrief von einer Bella. Vor vierzehn Tagen schrieb Renauld ein neues Testament, in dem alles der Witwe vermacht wird, nicht mehr zur Hälfte seinem Sohn. Im Arbeitszimmer liegt das Eckchen eines Schecks an jemanden namens Duveen. Warum ging die Armbanduhr im Schlafzimmer um zwei Stunden voraus gegenüber der anderen Uhr?

Poirot: "Oh, mon ami, ich wünschte, eines Tages einem wirklich großen Verbrecher zu begegnen - einem, der sein Verbrechen verübt und dann - nichts tut! Sogar mir, Hercule Poirot, könnte es dann geschehen, daß er mir entschlüpfte." (S. 88) Es sind einfach zu viele Spuren - dabei sagt Poirot zu Fingerabdrücken, Fußspuren, Zigarettenasche: „Der geübte Beobachter, der Sachverständige, ist zweifellos sehr brauchbar. Aber die anderen, die ‚Hercule Poirots‘, stehen höher“. Er fragt Hastings: „Du warst doch sicher auch bei Fuchsjagden, nicht?‘
‚Ja, ab und zu‘, sagte ich [Hastings] etwas verblüfft über diesen plötzlichen Gesprächswechsel. ‚Warum?‘
‚Gut, um den Fuchs zu jagen, sind Hunde nötig, nicht wahr?‘

‚Ja, aber du steigst doch nicht vom Pferd, um mitzulaufen, den Boden mit der Nase zu beschnüffeln und laut Wau-Wau zu rufen?‘ “ (S. 16).

Dann taucht eine weitere Leiche auf, erstochen mit demselben, vom Tatort entwendeten Dolch wie Mr. Renauld – und der Todeszeitpunkt wirft Fragen auf.

Poirot und Hastings bieten dem Leser quasi zwei Seiten der Münze zur Identifikation – natürlich möchte jeder Poirot sein, der Detektiv, der alle Fälle zu lösen vermag, fürchtet aber gleichzeitig, genau das nicht zu vermögen. Hastings leichte Entflammbarkeit gegenüber der Damenwelt, seine steife Ehrbarkeit, seine Gutgläubigkeit im Widerstreit mit seinen felsenfesten Überzeugungen und Vorurteilen bieten das Gegenbild – er spielt den gutmütigen Trottel, der allenfalls durch eine zufällige Bemerkung, deren Bedeutung er typischerweise nicht im geringsten erahnt, an der Aufklärung beteiligt ist. Jedem ist dabei bewusst, eine bessere Figur zu machen als letzterer, auch wenn der Leser vielleicht optisch und vom Lebensstil her lieber weniger wie der stets etwas stutzerhafte Poirot wirken möchte.

Zeitgeist:
Poirot zu Hastings‘ schnell entflammbarem Herzen, als er nacheinander für zwei verschiedene Damen schwärmt: „Du hast entschieden das weite Herz eines Türken, Hastings! Du solltest dir einen Harem zulegen!“ (S. 89)
Werden Frauen verhört, lässt man zu dieser Zeit besondere Rücksicht walten, wenn es sich um Damen handelt: Da wird taktvoll verschwiegen, falls man vermutet, dass der Ehemann eine Ehebrecher war, um die Dame nicht zu beunruhigen. Auch ein allzu forsches Verhör ist nicht „comme il faut“. Allerdings wird auch den Herren zugestanden, in weiblicher Gegenwart nicht ganz Herr ihrer Sinne zu sein – so „darf“ Hastings unter weiblichem Einfluss für den Verlust des Mordwerkzeugs verantwortlich sein – ohne jegliche Konsequenzen.
Eine Formulierung für eine zu damaliger Zeit nicht als korrekt erachtete Beziehung zu einer verheirateten Frau lautet „Seine Verehrung war offenkundig, wenn auch streng innerhalb der erlaubten Grenzen.“ (S. 108)

Trivia (Quelle Wikipedia):
„Christie widmete ihr drittes Buch wie folgt: "Für meinen Ehemann. Ein großer Liebhaber von Detektivgeschichten und vor allem von meinen, für große Hilfe und Kritik".
Christie bezieht sich hier auf ihren ersten Ehemann, Archibald Christie (1890 - 1962), von dem sie im Jahr 1928 geschieden wurde. Die Widmung wurde in vielen Editionen danach nicht mehr gedruckt.“
„Das Thema "Golf" spielt nicht nur in diesem Roman Christies eine Rolle. Der Rasenballsport kommt auch in „Ein Schritt ins Leere“, in „16 Uhr 50 ab Paddington“ sowie in „Kurz vor Mitternacht“ vor. Golf sollte in Christies Leben eine traumatisierende Rolle spielen. Ihr erster Ehemann wurde laut ihrer eigenen Aussage nach dem Umzug des Paares nach London süchtig nach Golf und verbrachte auf dem Golfplatz mehr Zeit als mit seiner Ehefrau. Sie selber bezeichnete sich in dieser Phase ihres Lebens als "Golf-Witwe". Insofern sind Titel und Widmung als ironischer Wink mit dem Zaunpfahl an den Gatten zu verstehen. Letztendlich verlor Christie den Konkurrenzkampf mit dem Golfplatz: Archibald Christie trennte sich von seiner Frau wegen seiner neuen Golfpartnerin, die er nach der Scheidung heiratete und die bis zu seinem Tod seine Gattin blieb. Agatha Christie gab nach der Trennung das nie geliebte Golfspiel, das sie nur des Ehemannes zuliebe gelernt hatte, auf.“

„Der Theateragent Joseph Aarons spielt sowohl in dem Roman Der blaue Express als auch in der Kurzgeschichte Die Doppelsünde mit.“

„Eigentlich wollte AC mit diesem Roman Hastings loswerden, da sie den Charakter nicht mochte……
Hastings, von Poirot stets auf Französisch als "mon cher ami Hastings" (mein lieber Freund Hastings) bezeichnet und angeredet, verschwindet nicht sofort, wie von Christie geplant, aus den Poirot-Romanen, sondern taucht noch in zahlreichen weiteren auf. Erst 1937 in Der ballspielende Hund verschwindet er bis auf weiteres von der Bildfläche. Seinen letzten Auftritt hat er in dem 1940 geschriebenen Roman Vorhang, der allerdings erst mehr als 30 Jahre später veröffentlicht wurde. In diesem Roman … ist auch vom Tod von Hastings Ehefrau Dulcie die Rede, mit der er eine glückliche Ehe samt Tochter geführt hatte und die in Argentinien begraben ist.“

Veröffentlicht am 15.09.2016

"Die Phantasie ist ein guter Diener, aber ein schlechter Herr." (S. 77) (Christie+Poirot 1, 1920)

Das fehlende Glied in der Kette
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O: The Mysterious Affair At Styles. Das erste Buch von Agatha Christie, 1920 in Großbritannien erschienen, das erste mit Poirot, mit Kriminalinspektor James Japp von Scotland Yard, und Hastings, seinem ...

O: The Mysterious Affair At Styles. Das erste Buch von Agatha Christie, 1920 in Großbritannien erschienen, das erste mit Poirot, mit Kriminalinspektor James Japp von Scotland Yard, und Hastings, seinem “Watson”. Wie bei Sherlock Holmes ähnlich, beginnt dieser Krimi damit, dass die Handlung schriftlich von Hastings in der Ich-Perspektive niedergelegt wird, was er mit einer entsprechenden Bitte von Poirot und der betroffenen Familie begründet. Ebenso wie Watson, ist auch Hastings Soldat, er wurde wegen einer Verwundung im Ersten Weltkrieg von der Front in die Heimat geschickt und hat jetzt noch Heimaturlaub.

Styles ist das Landgut der (Stief-) Mutter von John Cavendish, einem alten Bekannten, in Essex. Er ist mindestens 15 Jahre älter als Watson und 45, also ist Watson höchstens 30.
Das Testament von John Cavendishs verstorbenem Vater begünstigte seine letzte Frau zuungunsten der beiden Söhne John, einem Rechtsanwalt, der allerdings mit seiner Frau Mary nur vom „Monatswechsel“ seiner Stiefmutter lebt, und Lawrence, einem Dichter, der im Medizinstudium gescheitert war. Alle wohnen in Styles.

Die verwitwete Mrs. Emily Cavendish hat sich nun wieder verheiratet mit ihrem früheren Privatsekretär Alfred Inglethorp, einem zwanzig Jahre jüngeren Mann. „Er ist ein ganz unmöglicher Mensch – er hat einen großen schwarzen Vollbart und trägt bei Wind und Wetter Lackstiefel!“ S. 7 Zum Haushalt gehören außerdem noch Cynthia Murdoch, die Nichte einer Schulkameradin von Mrs. Cavendish, Dienstmädchen Dorkas, Annie und Baily, drei Gärtner,… und Haushälterin Evie Howard. Weitere Personen wohnen im Ort: Toxikologe Dr. Bauerstein ist mit der jungen Mary Cavendish befreundet (zum Leidweisen Hastings und ihres Mannes), Mrs Raikes ist die Frau des Pächters und findet in Alfred Inglethorp einen Anhänger.

Hastings berichtet, vor dem Krieg Versicherungsagent gewesen zu sein, aber heimlich von einer Karriere als Detektiv geträumt zu haben: „Ich lernte einmal in Belgien einen berühmten Detektiv kennen, der mich sehr beeindruckte. Er war ein ganz famoser Kerl und erklärte mir, daß es nur darauf ankäme, planmäßig und durchdacht zu arbeiten. Mein System beruht auf seiner Methode; natürlich habe ich es inzwischen vervollkommnet.“ S. 11f. Natürlich. Hastings hält durchaus große Stücke auf sich selbst. Bei Frauen hingegen neigt er zu Schwärmerei. Im Dorf nun begegnet Hasting ebendiesem Poirot wieder, der dort als Flüchtling lebt. „Poirot sah recht sonderbar aus. Er war nur etwa einen Meter fünfzig groß, aber seine Haltung war sehr merkwürdig. Er hatte einen Eierkopf, den er stets ein wenig zu Seite geneigt hielt, und einen kleinen, sehr steifen und militärischen Schnurrbart. Er war unglaublich korrekt gekleidet, ich glaube, daß ihm der kleinste Schmutzfleck unangenehmer gewesen wäre als eine Schußwunde. Und doch war dieser überelegante kleine Mann, der, wie ich zu meinem Bedauern feststellte, jetzt stark hinkte, seinerzeit einer der gefeiertsten Angehörigen der belgischen Kriminalpolizei gewesen.“ S. 22

Eines Nachts nun eilen fast alle Mitglieder des Haushalts zu Mrs. Inglethorps Schlafzimmer – sie ist darin eingeschlossen, hat schwere Krämpfe und stirbt schließlich. Hausarzt wie Giftspezialist Bauerstein veranlassen beide eine Untersuchung aufgrund des Verdachts eines Giftmordes – Hastings geht indessen zu Poirot und berichtet, leider konfus. Poirot erklärt ihm „Die erste Tatsache führt zur zweiten, und paßt die dritte dazu? Ja – merveilleux! Also weiter! Nun folgt eine ganz unscheinbare Kleinigkeit – aber nein – sonderbar – hier fehlt etwas. Ein Glied in der Kette fehlt.“ S. 36

Agatha Christie spielt nun munter Katz und Maus mit dem Leser:
„ ‚Wundervoll, ganz wundervoll‘, murmelte er [Poirot]. ‚Diese Symmetrie! Sehen Sie sich das halbmondförmige Beet an, und dieses Rechteck – ein wahrhaft erfreulicher Anblick. Auch die Pflanzen sind bewunderungswürdig angeordnet, sie sind wohl erst kürzlich gepflanzt worden?‘
[Hastings:]‘Ja, ich glaube gestern Nachmittag. Bitte kommen Sie ins Zimmer, Poirot, Dorkas [das Hausmädchen] ist hier.‘
‚Eh bien, eh bien. Gönnen Sie mir diese Augenweide für einen kleinen Moment.‘
‚Natürlich, aber diese Angelegenheit ist wichtiger.‘
‚Und woher wissen Sie, daß die schönen Begonien nicht ebenso wichtig sind?‘ “ S. 45

Im Laufe der Ermittlungen, zu denen bald Inspektor Japp von Scotland Yard dazustößt, wird klar: „Emily war eine egoistische alte Frau; sie war zwar großzügig, aber sie erwartete, daß ihre Großzügigkeit belohnt wurde. Sie sorgte dafür, daß niemand ihre Wohltaten vergaß – und deshalb wurde sie von niemandem geliebt.“ S. 70 Poirot jedoch lässt sich nicht beirren:
Hastings: "Aber die Beweise sind so überzeugend."
...
Poirot: "Ja, ja, zu überzeugend. .... Die wirklichen Beweise sind meistens unbestimmt und nicht sehr zufriedenstellend." S. 98

Ab hier möge bitte jeder selbst weiter seine Schlüsse ziehen:
Lawrence spricht vor Gericht von der Möglichkeit eines natürlichen Todes seiner Mutter, obwohl ihm als ehemaligem Medizinstudenten die Unmöglichkeit dieser Option klar sein müsste.
Alfred Inglethorp weigert sich erkennbar, ein Alibi anzugeben.
Mary Cavendish will nichts von einem Streit ihrer Schwiegermutter wiedergeben können.
Warum war Dr. Bauerstein so früh am Morgen vor Ort?
Haushälterin Elsie trauert als einzige um ihre Herrin.
Warum hörte Cyntha Murdoch nicht, wie der Tisch umfiel?
Lügt John Cavendish?

Es folgt die bei Agatha Christie fast obligatorische Versammlung aller Verdächtigen im Wohnzimmer. Ich muss gestehen, dass ich diese in moderneren Krimis gelegentlich vermisse. Im Prinzip habe ich meine „Krimi-Ausbildung“ von Poirot und Miss Marple erhalten,
die Autorin war mein Übergang von Enid Blyton zu Büchern, die für Erwachsene geschrieben wurden. Prinzipiell hat hier der Leser immer die gleichen Spuren präsentiert bekommen, die auch dem Ermittler zu Verfügung stehen. Und zur Not steht Hastings immer als Stichwortgeber parat. Halali!

Das Milieu Agatha Christies ist hier wie immer das der Mittelschicht, meist der gehobenen Mittelschicht - „man“ hat Personal, mindestens ein „Mädchen“ oder einen „Burschen“ (bei den ehemaligen Soldaten), lebt auf dem Land und von seinem Vermögen (oder dem eines anderen). Dazu gehört oft obligatorisch ein Adliger, aber eher als Randfigur, ein Oberst meist im Ruhestand, häufig taucht jemand auf, dessen Verhalten oder Herkunft sich so „einfach nicht gehören“, z.B. ein Künstler oder ähnliches. Ausländern gegenüber ist man misstrauisch. Diese Welt ist bereits zum Zeitpunkt des Erscheinens der Bücher untergehend und man kann ihrer Auflösung häufig in den Büchern beiwohnen, indem beispielsweise die Beschwerde kommt, dass heutiges Personal zu viele eigene Ideen hat. Der Zeitgeist spiegelt sich auch in heutigen Un-Wörtern wider wie „Zigeunergesicht“ S. 83 oder der Darstellung einer Verkleidung als „Neger“ S. 117. Ja, in einem Werk in der Jetzt-Zeit bitte nicht; nein, in einem Buch von 1920 bereitet mir das kein Kopfzerbrechen, und nochmals nein, ich fände eine Sprachüberarbeitung nicht sinnvoll. Zu anderen Themen ist Agatha Christie wohl etwas moderner: Ein deutscher Spion wird von Poirot als Patriot empfunden – vom wackeren Hastings natürlich als Schuft. Frauen dürfen durchaus Männer verlassen, die nicht ausreichend Liebe für sie zeigen.

Meine Auflage ist von 1984 und hat noch den älteren Scherz-Umschlag mit Spielkarten mit einem der Hercule-Poirot-Darsteller auf dreien davon (ich meine, es ist David Suchet), s. Scan, ISBN 3502509883.

Übersetzerin Dorothea Gotfurt (1959), in Wikipedia wird ferner Anna Drawe für die Erstübersetzung genannt (1929) und Nina Schindler für die aktuelle (2003).

Auch der letzte Poirot-Roman wird auf Styles spielen. Alle Poirots chronologisch:
1.(1920) Das fehlende Glied in der Kette (gleichzeitig erstes AC überhaupt)
2.Mord auf dem Goldplatz
3.(1924) Poirot rechnet ab (Kurzgeschichten)
4.(1926) Alibi
5.(1927) Die großen Vier
6.(1928) Der blaue Express
7.Das Haus an der Düne
8.Dreizehn bei Tisch
9.Mord im Orient-Express / Die Frau im Kimono / Der rote Kimono
10.Nikotin
11.Tod in den Wolken
12.Die Morde des Herrn ABC

Veröffentlicht am 15.09.2016

Absolute Kaufempfehlung! Fesselt bis übers Ende, top Sprache, Stil, Charaktere

Endgültig
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10 Gründe, warum man dieses Buch lesen sollte (für – auch zukünftige - Eingeweihte)
1. Aaron
2. Marlowe, die Katze
3. Windungen, Gründe und Ursachen, an die ich nie gedacht hätte
4. Nur das Ende des ...

10 Gründe, warum man dieses Buch lesen sollte (für – auch zukünftige - Eingeweihte)
1. Aaron
2. Marlowe, die Katze
3. Windungen, Gründe und Ursachen, an die ich nie gedacht hätte
4. Nur das Ende des Buches zu lesen nützt (leider) gar nichts, um die Spannung besser auszuhalten
5. Aarons Sichtweise
6. Den Beschreibungen von komplexen Bewegungsabläufen kann ich oft nicht einmal folgen, gerade dadurch sind so passend
7. Jeder von uns will solche Freunde, solche Kollegen haben.
8. Niemand von uns will wirklich solche Freunde, solche Kollegen haben
9. Andreas Pflüger „kann“ nicht nur spannend, er kann auch verschachtelte Handlung, knapper Sprachstil, ausführliche Beschreibung, Stilwechsel je nach Person, Ort, Handlung, zart, drastisch,…
10. Ich kann mit den Listen nicht mehr aufhören – und scheitere daran kläglich im Vergleich zu Aaron

Ich durfte dieses Buch als Vorab-Rezensionsexemplar lesen und kannte vorher den Autor Andreas Pflüger noch nicht, ich kannte nur eine Leseprobe, die mich in den Bann zog. Mir gefiel der Sprachstil, die Grundidee der erblindeten Ermittlerin, die Erzählweise: ich hatte die Selbstreflexion in „Fräulein Smillas Gespür für Schnee“ vor langer Zeit zufällig in einer Vorstellung mit Lesung im Autoradio kennengelernt und der Rezensent meinte damals, er höre nach eine Weile nur noch ihre (Smillas) Stimme. Aaron geht ähnlich ins Ohr, und das beim Lesen! Ich mag sonst Hörbücher, wenn es KEINE Krimis/Thriller sind – ich kann das Tempo des Fortschritts nicht beeinflussen. Hier werde ich wohl noch das Hörbuch haben müssen.

Für Bücher habe ich zwei bevorzugte Genres, Krimis/Thriller und anspruchsvolle Literatur – in unterschiedlichen Situationen, mit wechselnden Anteilen an meiner Gesamt-Lektüre und mit je unterschiedlicher Erwartungshaltung.
Bereits die Leseprobe deutete an, dass „Endgültig“ aus dem Spannungs-Genre insofern heraus sticht, als dass es sprachlich und stilistisch deutlich am oberen Ende angesiedelt ist. Viele Krimi/Thriller-Autoren beherrschen Spannungsaufbau, Handlung – Andreas Pflüger beherrscht auch ganz klassisch literarische Stilmittel (ohne dass das lästig wird, wohlgemerkt!).
Außerdem bedient die Handlung zwar das Klischee des „beschädigten Ermittlers“ durch die Hauptfigur einer aufgrund eines Einsatzes erblindeten Ermittlerin – aber diese will so gar nicht der Opferrolle entsprechen. Die Protagonistin wirkt gleichzeitig anziehend als auch auf Distanz haltend – ich musste mich sogar über fast die ersten 100 Seiten immer wieder anstupsen, dass mit „Aaron“ eine Frau gemeint ist, wenn sich im Team fast alle nur mit den Nachnamen anreden und auch der Autor in dieser Sichtweise schreibt. Nicht, dass das hier wichtig wäre – und auch das ist eine Besonderheit dieses Buches. Höchstens Aarons neue Chefin bringt einmal das Thema der Männerseilschaften zur Sprache; für Aaron ist das wohl irrelevant, wiewohl sie in der Lage ist, darüber zu reflektieren. Die Distanz zu Aaron – und auch Aarons eigene Distanziertheit – werden im Laufe der Handlung aufgeweicht, ja aufgebrochen, wenn sie denn je wirklich eine Chance hatten, zu existieren. Und auch das ist eine Stärke des Romans: die Handlung wirkt über das Ende hinaus. Bei Sebastian Fitzek oder Arno Strobel oder Stephen King geschieht das häufig über einen Handlungsfaden, der noch offen bleibt, eine Option, die noch nicht ausgeschlossen wurde, einen Täter, der es eventuell doch nicht oder eventuell zusätzlich zum Festgenommenen war. Am Ende dieses Buches ist alles gesagt, aber damit ist es genau das, „Endgültig“. Für jeden – inklusive des Lesers - der danach übrig bleibt.



Das Buch für "danach" (erklärt sich teils nur aus der Lektüre selbst):
•Max Frisch: Mein Name sei Gantenbein
•Sabriye Tenberken: Mein Weg führ nach Tibet
•Bushido (= Der Weg des Kriegers)