Profilbild von evaczyk

evaczyk

Lesejury Star
offline

evaczyk ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit evaczyk über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 22.12.2018

Recherche zwischen Rockerkrieg und Neonazis

In den besten Kreisen
0

Mit “In den besten Kreisen” hat Mats Olsson einen Schwedenkrimi in der besten Tradition von Kriminalliteratur mit aktuellen gesellschaftspolitischen Bezügen geschrieben. Merke: Es gibt nicht nur Stieg ...

Mit “In den besten Kreisen” hat Mats Olsson einen Schwedenkrimi in der besten Tradition von Kriminalliteratur mit aktuellen gesellschaftspolitischen Bezügen geschrieben. Merke: Es gibt nicht nur Stieg Larssen und die “Millenium” Reihe. Auch Olsson ist Journalist, und auch sein Erzähler Harry Svensson hat lange als investigativer Journalist gearbeitet. Den Jagdinstinkt nach einer guten Story verspürt er immer noch, auch wenn er mittlerweile eine Kneipe besitzt und dem stressigen Medienalltag den Rücken gekehrt hat.

So völlig stressfrei läuft es dann aber doch nicht, als erst ein verschrecktes, traumatisch verstummtes Mädchen mitten in der Nacht vor Harrys Tür steht, offenbar verfolgt von zwei Männern. Die Kleine will nicht reden, und Svensson weiß keinen anderen Rat, als das Mädchen bei seinem alten Kumpel Arne unterzubringen und erst einmal zu recherchieren.

Auch wenn der Ex-Reporter lange Zeit nicht durchblickt, stößt er in der schwedischen Provinz auf ein paar Merkwürdigkeiten. Was wollen die Motorradrocker, die in letzter Zeit gehäuft in der Gegend auftauchen? Warum hat das Mädchen panische Angst vor einem SUV mit russischem Kennzeichen, der einem Geschäftsmann aus einflussreicher Familie gehört? Und in welche schmutzigen Geschäfte und politischen Kreise ist diese Familie verflochten?

Die schöne, aber offenbar nicht besonders glückliche Unternehmersgattin Agneta könnte mehr wissen, doch bald ist nicht mehr klar, wer hier wen auszunutzen versucht und für Informationen nutzt. Je weiter Harry in die Verstrickungen der besten Kreise vordringt, zwischen Drogengeschäften, Geldwäsche und Neonazi-Aktivitäten, desto brenzliger wird es. Wie gut, dass er ein Netzwerk inoffizieller Helfer hat, angefangen mit dem litauischen Kleinunternehmer Andrius, der befreundeten Polizistin Eva, einem ehemaligen Nachrichtenchef und einer lesbischen Fischerin.

Eingewoben in die Handlung sind kleine Insidersticheleien und -betrachtungen zur Lage der Medien, die auch in Schweden unter dem Druck möglichst kostenloser Online-Angebote stehen, wo die Ansprüche sinken und sich mancher resigniert zurückzieht. Wenn Olsson an einer Stelle über Harrys Unbehagen in einer verlassenen, kalten und trostlosen Halle schreibt. “Es könnte eine Zeitungsredaktion sein”, dann sagt dieser Satz viel über das Zeitzungssterben und den Schwanengesang auf eine Branche, die nicht zuletzt in Schweden lange aufklärerische Ansprüche hatte und nun auf verlorenem Posten gegen Platitüden und schlecht recherchierten Journalismus kämpfen muss. Insofern ist es nicht die schlechteste Alternative, Romanschriftsteller zu werden.

Veröffentlicht am 09.10.2018

Grundton: Melancholie

Rilke Projekt - Wunderweiße Nächte
0

Es ist dunkel, die Kerze flackert, auf dem Lieblingssessel liegt die Kuscheldecke, daneben duftet ein aromatischer Tee oder wartet ein Glas Wein - bestes Setting, "Wunderweiße Nächte" in den CD-Player ...

Es ist dunkel, die Kerze flackert, auf dem Lieblingssessel liegt die Kuscheldecke, daneben duftet ein aromatischer Tee oder wartet ein Glas Wein - bestes Setting, "Wunderweiße Nächte" in den CD-Player zu schieben. Und dann - Augen zu und genießen....

In diesem Beitrag zum Rilke Projekt von Schönherz und Fleer geht es ganz um Herbst und Winter. Kein Wunder, dass der Grundton eher melancholisch, dunkel und ruhig ist.

Die Texte folgen dem Jahreszeitenverlauf - erst gibt sich der Herbst noch golden, dann kommen die Herbststürme, Advent und Weihnachten. Eine poetische Reise durch die dunkle Jahreszeit, ganz überwiegend diskret untermalt von der Musik, so dass die Worte wirken könen.

Sehr angenehm sind auch die Stimmen der Interpreten, die Ruhe ausstrahlen und gut zu der Stimmung der Gedichte und Textauszüge passen. Besonders gut gefiel mir dabei die Stimme von Matthias Koeberlin, dessen Stimmlage das dunkel-herbstliche gut rüberbrachte. Auch der Wechsel von Männer- und Frauenstimmen verhinderte, dass es womöglich eintönig werden könnte.


Hinzu kommt, dass in einigen Beiträgen die Musik die Führungsrolle übernahm und der Text gesungen wurde. Bei "So singt die Welt" kam es aber für mich zum Stimmungsbruch - es sollte wohl eine leichtere Note in die Grundmelancholie hineingebracht werden, für mich klang das Ergebnis aber ein bißchen zu sehr wie Fahrstuhlmusik im Kaufhaus. Das war aber auch schon der einzige Misston. Mein Fazit: Hörenswert!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Musik
  • Stimme
  • Umsetzung
  • Atmosphäre
Veröffentlicht am 17.10.2025

Party, Erpressung, Leichen

Die Einladung – Mord nur für geladene Gäste
0

Rosemary MacLaine, 76 Jahre alt, hat einen eher herben Charme. Gefühle ausdrücken, das ist nicht so ihr Ding, dazu ist sie zu sehr eine alte Yankee-Dame. Dafür kann sie mit einem Schneemobil umgehen - ...

Rosemary MacLaine, 76 Jahre alt, hat einen eher herben Charme. Gefühle ausdrücken, das ist nicht so ihr Ding, dazu ist sie zu sehr eine alte Yankee-Dame. Dafür kann sie mit einem Schneemobil umgehen - praktisch, wenn man auf einer Insel in den Großen Seen lebt, wo eisige Winter garantiert sind. Das eher zurückgezogene Rentnerdasein wird jäh gestört, als eine Nachbarin zur Party ins feudale Herrenhaus einlädt - mit dem Hinweis, dass Rosie besser kommt. Andernfalls werde ihr gut gehütetes Geheimnis ans Licht kommen.

Soweit die Ausgangslage von "Die Einladung. Mord nur für geladene Gäste" von Kelly Mullen. Rosemary weiß - vor dieser Einladung kann sie sich nicht drücken. Sie kommt allerdings mit Rückendeckung in Form ihrer Enkelin Addie, als Spieleerfinderin rätselerprobt. Eine wichtige Eigenschaft, wie sich schon bald zeigen wird. Denn die etwas dahindümpelnde Party geht auf die Mitternachtsdrinks zu, als es dramatisch wird: Eine Leiche wurde gefunden - und dabei handelt es sich um die Gastgeberin. Opfer eines anderen, eher gewaltbereiten Erpressungsopfers? Oder Opfer einer tödlichen Intrige?

Rosie und Addie machen es sich zur Aufgabe, den Täter oder die Täterin zu finden. Nicht jeder ist davon begeistert, denn im Rahmen ihrer Ermittlungen stoßen sie bei den teils illustren, teils exzentrischen, immer aber potentiell verdächtigen Gästen auf manche bisher erfolgreich verborgene Peinlichkeit und potenzielle Motive. Die Zahl der Verdächtigen schrumpft, denn es bleibt nicht bei einem Mord. Dann fällt auch noch der Strom aus, die Partygäste sind im Haus eingeschlossen, einem Haus, das selbst so manches Geheimnis besitzt.

Mullens Cozy-Krimi mit ihren mitunter naiv-unbedarften Ermittlerinnen im winterlichen Locked Room-Setting ist ein unterhaltsamer Rätselspaß. Das erinnert ein bißchen an Miss Marple und Agatha Cristie, auch in der manchmal etwas betulichen Erzählweise. Sicher kein Buch für Leser*innen, die knallharte Spannung oder einen Plot im Noir-Stil bevorzugen. Wer einen klassischen Whudunit ohne viel Blutvergießen mag, wird zufrieden sein.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 12.10.2025

Innenansichte auf den Krieg

Israel
0

Der 7. Oktober 2023 war eine Zäsur. Was hat der Terrorangriff der Hamas mit den Israelis gemacht, auch denen, die nicht unmittelbar getroffen? Wie haben sich Werteachsen und Einstellungen verschoben? ...

Der 7. Oktober 2023 war eine Zäsur. Was hat der Terrorangriff der Hamas mit den Israelis gemacht, auch denen, die nicht unmittelbar getroffen? Wie haben sich Werteachsen und Einstellungen verschoben? In ihrem Buch "Israel" geht Sabine Adler diesen Fragen anhand einer Familie nach. Die älteren tragen die Erfahrung des Holocausts beziehungsweise der Belastungen der zweiten Generation mit sich, die jüngeren sind mit dem Nahostkonflikt aufgewachsen, haben ihren Armeedienst teilweise im Westjordanland oder im Libanon geleistet.

Die weitverzweigte Familie, die die Autorin seit Jahren kennt, ist überwiegend religiös-zionistisch, es gibt einen streng orthodoxen Bruder, aber auch einen säkularen. Die meisten leben in Jerusalem, mehrere in Siedlungen im Westjordanland, einige haben Kindheitserinnerungen an die aufgegebenen Siedlungen in Gaza. Es sind eher nicht die Israelis, die sich jede Woche auf dem Geiselplatz im Stadtzentrum von Tel Aviv versammeln, auch wenn längst nicht alle Benjamin Netanjahu und seine umstrittene Justizreform unterstützen.

Adler zeigt das Politische im Persönlichen, in der Erfahrung etwa der kinderreichen Mutter, die den Haushalt alleine stemmen muss, weil ihr Mann als Reservist in Gaza ist. Der Terrorangriff hat Traumata ausgelöst und wieder wachgerufen - die Gespräche mit einer Psychoanalytikerin von Amcha, einer Organisation, die sich eigentlich vor allem um Holocaus-Überlebende kümmert und nun vor neuen Herausforderungen steht, gehören für mich zu den besonders spannenden Eindrücken des Buches.

Die Autorin spricht mit ihren Gesprächspartnern in Cafés in Tel Aviv und Jerusalem, aber auch in den Siedlungen in den besetzten Gebieten. Die Kontraste zwischen dem Leben der Siedler und den in der Region ansässigen palästinensischen Menschen werden aufgezeigt, die Gewalt radikaler Siedler und der berüchtigten Hügeljugend gestreift, aber in den Gesprächen nicht so kritisch hinterfragt, wie es meiner Meinung nach wünschenswert gewesen wäre. Aber vielleicht führt gerade das dazu, dass sich Menschen der Autorin öffnen, die sonst eher feindselig auf Journalisten reagieren, zumal Adler ja als Freundin der Familie kommt.

Es ist eine private Innensicht auf den Konflikt, die auch deutlich macht, wie schwierig die Diskussion allein innerhalb Israels ist und wie sehr der Krieg die Gesellschaft gespalten hat. Adler hört zu, beobachtet, analysiert, lässt aber ihren Gesprächspartnern Freiraum, ihre jeweilige Position und ihren Blick auf das Land zu erläutern. Und der ist so vielschichtig wie das ganze Land.

Veröffentlicht am 12.10.2025

Miss Merkel und der tote Weihnachtsmann

Miss Merkel: Mord unterm Weihnachtsbaum
0

Noch verfärben sich die Blätter, doch bei Altkanzlerin Miss Merkel in der Uckermark weihnachtet es sehr. Und natürlich gibt es, wenn David Safier die Ex-Kanzlerin samt Entourage ermitteln lässt, schon ...

Noch verfärben sich die Blätter, doch bei Altkanzlerin Miss Merkel in der Uckermark weihnachtet es sehr. Und natürlich gibt es, wenn David Safier die Ex-Kanzlerin samt Entourage ermitteln lässt, schon bald die erste Leiche: Ein toter Weihnachtsmann steckt im Kamin der Merkels fest. Was diese erst im neuen Jahr bemerkt hätten, wenn sie ihren Weihnachtsurlaub bei den Obamas auf Hawaii nicht vorzeitig abgebrochen hätten. Dass die beiden weder im Whirlpool noch in der Strandvilla so gar nicht die Hände voneinander lassen können, hat die Gäste ebenso genervt wie makrobiotische Gemüseshakes. Bodyguard Mike wiederum litt unter der Häme der Secret Service Beamten, die über seinen Bauchansatz lästerten. Nein, dann doch lieber die Gemütlichkeit der Uckermark mit Weihnachtsplätzchen ohne Schuldgefühlen!

Auch in besinnlicher Weihnachtsatmosphäre lässt sich Hobby-Ermittlerin Merkel nicht vom wesentlichen Ablenken, nämlich der Frage: Wer hat einen mörderischen Hass auf Weihnachtsmänner entwickelt? Oder ist es Konkurrenzdenken? Denn es gibt, wie sich schnell zeigt, vier konkurrierenden Weihnachtsmänner und -frauen, deren Zahl aber noch weiter hinuntergeht.

In der Hörbuchversion ist es einmal mehr Nana Spier, die ironisch-leicht den Romanfiguren ihre Stimme leiht. Allerdings: Kommt es nur mir so vor, oder "merkelt" sie diesmal deutlich weniger als in den vorangegangenen Hörbüchern der Serie? Liegt es daran, dass Angela Merkel heutzutage nicht mehr so präsent in der Öffentlichkeit ist, dass Spier ihr Merkel-Timbre verliert?

Safier hat seinen ersten Weihnachtskrimi "Mord unterm Weihnachtsbaum" in einer Länge von knapp 200 Seiten beziehungsweise knapp viereinhalb Stunden Hördauer geschrieben - mit gewohnt lockerer Hand, auch wenn manche Scherze allmählich etwas alt werden. Dabei fallen auch ein paar Seitenhiebe auf die Welt der großen Politik eher harmlos denn bissig aus. Und natürlich herrscht trotz aller Leichen am Ende die erhoffte weihnachtliche Harmonie, das ist den Leser*innen der Serie klar. Fans von Miss Merkel werden sich dennoch über die Bescherung freuen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere