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Veröffentlicht am 04.07.2019

Liebe, Doppelspiel und Verrat im Zweiten Weltkrieg

Die Frau aus Oslo
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Eines vorneweg: Ein Agentenkrimi im Sinne von James Bond ist Kjell Ola Dahls “Die Frau aus Oslo” nicht. Statt rasanter Verfolgungen und viel Dramatik geht vieles hier subtiler, bedächtiger und ruhiger ...

Eines vorneweg: Ein Agentenkrimi im Sinne von James Bond ist Kjell Ola Dahls “Die Frau aus Oslo” nicht. Statt rasanter Verfolgungen und viel Dramatik geht vieles hier subtiler, bedächtiger und ruhiger zu. Um Agenten und doppeltes Spiel, um Liebe und Verrat auf mehreren Ebenen geht es gleichwohl, ebenso um die Frage, wie Kriegs- und Gewalterfahrungen Menschen verändern.

Statt eines Überagenten gibt es in dem norwegischen Kriminalroman gleich mehrere Zeit- und Handlungsebenen, die von der Gegenwart bis in die Zeit der deutschen Besatzung Norwegens im Zweiten Weltkrieg führen. Nicht immer ist die Verbindung zwischen den Punkten allerdings geglückt.

Anfang und Ende – und hier wirkt die Handlung ein wenig konstruiert ist ein Armband, das die Norwegerin Turid in einem Zeitungsartikel über eine Auktion sieht und als das ihrer ermordeten biologischen Mutter erkennt. Turid will die Versteigerung stoppen, läuft dabei jedoch gegen Wände. Und schon findet sich der Leser im Oslo der deutschen Besatzungszeit, wo die Jüdin Ester in der Widerstandsbewegung aktiv ist. Als ihr Vater verhaftet wird, flüchtet sie zunächst zu ihrer besten Freundin, der jungen Mutter Ase. Auch Ases Geliebter Gerhard ist im Widerstand aktiv.

Von Turid und dem Armband ist dann erst mal wenig die Rede – statt dessen springt die Handlung munter zwischen 40-er und späten 60-er Jahren vor und zurück. Ase wird nach einer Liebesnacht mit dem Mann, der später ihre Tochter Turid adoptiert, ermordet, die Gestapo und die mit ihr zuammenarbeitende norwegische Polizei gibt den früheren Spanienkämpfer Gerhard schnell als Tatverdächtigen aus. Doch wer hat Ase getötet? Wer war das Leck in der Widerstandsgruppe, das fast zu einer Festnahme Esters führte? Welche Verbindungen unterhält Gerhard, ist er Opfer oder Täter?

Das sind die Fragen, mit denen sich der Leser herumschlagen muss und zu denen Dahl mehr Mutmaßungen als Antworten bereithält. Denn als die Beteiligten von damals im Jahr 1967 wieder aufeinander treffen, herrscht zwischen den einstigen Kampfgenossen vor allem Misstrauen. Von altem Verrat ist die die Rede, von Abrechnungen wird gemutmaßt, jeder belauert jeden und nimmt erst einmal nur das Schlimmste an.

Das hat ein paar Längen, doch wer sich auf das Buch einlässt, wird von der düsteren und paranoiden Stimmung durchaus gefesselt. Einige Fragen bleiben unbeantwortet, wenn die Puzzlestücke spät zusammenfallen und es dann doch noch recht dramatisch wird. Wenn auch auf eine unterkühlte, unaufgeregte nordische Weise. Am Ende hat auch Turid ein paar Antworten, auf die sie ein Leben lang gewartet hat – womöglich mit ein paar neuen Fragen.

Mitunter ist an diesem Roman unbefriedigend, dass sich Dahl nicht so recht zwischen Kriegsroman und Krimi zu entscheiden scheint. Letztlich ist “Die Frau aus Oslo” beides, und wer sich auf das zurückhaltende Tempo einlässt, wird nicht enttäuscht sein. Vieles erschließt sich hier eben erst auf den zweiten oder dritten Blick, muss hinterfragt und beobachtet werden. Gerade mit Ester hat “Die Frau aus Oslo” eine interessante und vielschichtige Protagonistin. Die mitunter spröde Art der Erzählweise hat durchaus ihren Reiz. Es muss halt nicht immer James Bond sein.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Spannung
  • Geschichte
  • Erzählstil
Veröffentlicht am 04.06.2019

deutsch-dänisches Ermittlerduo -Familiendramen und falsche Idylle

Nordlicht - Die Tote am Strand
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Mit "Nordlicht. Die Tote am Strand" überschreited Anette Hinrichs Grenzen - ihr Krimi spielt nämlich zu beiden Seiten der deutsch-dänischen Grenze und bringt ein Ermittlerteam aus beiden Ländern zusammen. ...

Mit "Nordlicht. Die Tote am Strand" überschreited Anette Hinrichs Grenzen - ihr Krimi spielt nämlich zu beiden Seiten der deutsch-dänischen Grenze und bringt ein Ermittlerteam aus beiden Ländern zusammen. Denn als eine junge Frau tot an einem dänischen Strand gefunden wird, wird auch die neue Flensburger Kripochefin Vibeke Boisen hinzugezogen. Die Überraschung ist groß, als sich herausstellt, dass die Frau die bereits jahrelang vermisste Tochter eines dänischen Spediteurs war, die als das Opfer eines Serienmörders galt. Doch nun zeigt sich, dass sie jahrelang unter falschem Namen in Deutschland lebte und sich als schwedische Studentin ausgab.

Wovor floh Liva damals, und warum nahm sie keinen Kontakt zu ihter Familie auf? Warum wurde in ihrer WG eingebrochen, etwa zu dem Zeitpunkt ihrer Reise nach Dänemark? Steht ihr Tod im Zusammenhang mit ihrem damaligen Verschwinden? Hatte ihr ehemaliger Freund die Hand im Spiel oder hat ihr mehrfach vorbestrafter Halbbbruder etwas zu verbergen?

Vibeke und ihr dänischer Kollege Rasmus Nyborg stoßen auf mehr Fragen als Antworten. An Verdächtigen herrscht kein Mangel, fast jeder Gesprächspartner scheint entweder etwas zu verbergen oder auf neue Täterkandidaten hinzuweisen. Nicht nur die Ermittler, auch die Leser müssen frustrierend viele Fährten abarbeiten. In diesem Fall darf lange gerätselt werden.

Hinzu kommt, dass das Ermittlerteam überhaupt erst einmal zusammenfinden muss und gerade Vibeke und Rasmus einander erst mal mit einigem Misstrauen begegnen. Vibeke, energisch und überkorrekt, hat Probleme mit dem impulsiven Vorpreschen ihres dänischen Kollegen, der wenig Wert auf Absprachen zu legen scheint. Rasmus wiederum ist ein Bauchmensch und lässt sich ungern in seine Ermittlungen hineinreden, schon gar nicht von Frauen.

Dabei kann Vibeke noch einen Macho überhaupt nicht gebrauchen - sie ist gerade erst von Hamburg nach Flensburg gezogen und ihr Stellvertreter hat offensichtlich ein Problem, eine noch relativ junge Frau als Chefin vorgesetzt zu bekommen. Hinzu kommen private Sorgen. Damit hat die deutsche Polizisten wider Erwarten etwas mit ihrem dänischen Kollegen gemeinsam - denn nach einer Familientragödie und der Scheidung von seiner Frau strauchelt Rasmus regelrecht durchs Leben. Um Fortschritte zu erzielen, müssen Vibeke und Rasmus einander menschlich wie auch beruflich kennen und akzeptieren lernen.

Besonders viel dänische "hygge" ist angesichts des vielfachen privaten Leids der Hauptfiguren des Buches nicht zu spüren, statt dessen gibt die Autorin dem Leser viel Zeit und Gelegenheit, Vibeke und Rasmus nicht nur als Ermittler, sondern vor allem als Menschen kennen zu lernen. Der Spannung tut das keinen Abbruch. Ein besonderer Reiz von "Nordlicht" ist, dass auf beiden Seiten der Grenze ermittelt und die Stränge bei den Teamtreffen zusammengeführt werden, dass daneben das deutsche beziehugsweise dänische Leben der Ermittler weiterläuft. Dabei hat Hinrichs auch viele Kleinigkeiten und Details recherchiert und verliert trotz zahlreicher Handlungsstränge nicht den roten Faden.

Viele Geheimnisse müssen aufgedeckt werden, ehe in einem dramatischen Showdown eine letztlich überraschende Aufklärung präsentiert wird. "Nordlicht" wird im Klappentext als der erste Fall des Ermittlerteams Boisen und Nyborg angekündigt - ich bin nach diesem Einstieg jetzt schon gespannt auf den nächsten Band!

Veröffentlicht am 22.12.2018

Recherche zwischen Rockerkrieg und Neonazis

In den besten Kreisen
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Mit “In den besten Kreisen” hat Mats Olsson einen Schwedenkrimi in der besten Tradition von Kriminalliteratur mit aktuellen gesellschaftspolitischen Bezügen geschrieben. Merke: Es gibt nicht nur Stieg ...

Mit “In den besten Kreisen” hat Mats Olsson einen Schwedenkrimi in der besten Tradition von Kriminalliteratur mit aktuellen gesellschaftspolitischen Bezügen geschrieben. Merke: Es gibt nicht nur Stieg Larssen und die “Millenium” Reihe. Auch Olsson ist Journalist, und auch sein Erzähler Harry Svensson hat lange als investigativer Journalist gearbeitet. Den Jagdinstinkt nach einer guten Story verspürt er immer noch, auch wenn er mittlerweile eine Kneipe besitzt und dem stressigen Medienalltag den Rücken gekehrt hat.

So völlig stressfrei läuft es dann aber doch nicht, als erst ein verschrecktes, traumatisch verstummtes Mädchen mitten in der Nacht vor Harrys Tür steht, offenbar verfolgt von zwei Männern. Die Kleine will nicht reden, und Svensson weiß keinen anderen Rat, als das Mädchen bei seinem alten Kumpel Arne unterzubringen und erst einmal zu recherchieren.

Auch wenn der Ex-Reporter lange Zeit nicht durchblickt, stößt er in der schwedischen Provinz auf ein paar Merkwürdigkeiten. Was wollen die Motorradrocker, die in letzter Zeit gehäuft in der Gegend auftauchen? Warum hat das Mädchen panische Angst vor einem SUV mit russischem Kennzeichen, der einem Geschäftsmann aus einflussreicher Familie gehört? Und in welche schmutzigen Geschäfte und politischen Kreise ist diese Familie verflochten?

Die schöne, aber offenbar nicht besonders glückliche Unternehmersgattin Agneta könnte mehr wissen, doch bald ist nicht mehr klar, wer hier wen auszunutzen versucht und für Informationen nutzt. Je weiter Harry in die Verstrickungen der besten Kreise vordringt, zwischen Drogengeschäften, Geldwäsche und Neonazi-Aktivitäten, desto brenzliger wird es. Wie gut, dass er ein Netzwerk inoffizieller Helfer hat, angefangen mit dem litauischen Kleinunternehmer Andrius, der befreundeten Polizistin Eva, einem ehemaligen Nachrichtenchef und einer lesbischen Fischerin.

Eingewoben in die Handlung sind kleine Insidersticheleien und -betrachtungen zur Lage der Medien, die auch in Schweden unter dem Druck möglichst kostenloser Online-Angebote stehen, wo die Ansprüche sinken und sich mancher resigniert zurückzieht. Wenn Olsson an einer Stelle über Harrys Unbehagen in einer verlassenen, kalten und trostlosen Halle schreibt. “Es könnte eine Zeitungsredaktion sein”, dann sagt dieser Satz viel über das Zeitzungssterben und den Schwanengesang auf eine Branche, die nicht zuletzt in Schweden lange aufklärerische Ansprüche hatte und nun auf verlorenem Posten gegen Platitüden und schlecht recherchierten Journalismus kämpfen muss. Insofern ist es nicht die schlechteste Alternative, Romanschriftsteller zu werden.

Veröffentlicht am 09.10.2018

Grundton: Melancholie

Rilke Projekt - Wunderweiße Nächte
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Es ist dunkel, die Kerze flackert, auf dem Lieblingssessel liegt die Kuscheldecke, daneben duftet ein aromatischer Tee oder wartet ein Glas Wein - bestes Setting, "Wunderweiße Nächte" in den CD-Player ...

Es ist dunkel, die Kerze flackert, auf dem Lieblingssessel liegt die Kuscheldecke, daneben duftet ein aromatischer Tee oder wartet ein Glas Wein - bestes Setting, "Wunderweiße Nächte" in den CD-Player zu schieben. Und dann - Augen zu und genießen....

In diesem Beitrag zum Rilke Projekt von Schönherz und Fleer geht es ganz um Herbst und Winter. Kein Wunder, dass der Grundton eher melancholisch, dunkel und ruhig ist.

Die Texte folgen dem Jahreszeitenverlauf - erst gibt sich der Herbst noch golden, dann kommen die Herbststürme, Advent und Weihnachten. Eine poetische Reise durch die dunkle Jahreszeit, ganz überwiegend diskret untermalt von der Musik, so dass die Worte wirken könen.

Sehr angenehm sind auch die Stimmen der Interpreten, die Ruhe ausstrahlen und gut zu der Stimmung der Gedichte und Textauszüge passen. Besonders gut gefiel mir dabei die Stimme von Matthias Koeberlin, dessen Stimmlage das dunkel-herbstliche gut rüberbrachte. Auch der Wechsel von Männer- und Frauenstimmen verhinderte, dass es womöglich eintönig werden könnte.


Hinzu kommt, dass in einigen Beiträgen die Musik die Führungsrolle übernahm und der Text gesungen wurde. Bei "So singt die Welt" kam es aber für mich zum Stimmungsbruch - es sollte wohl eine leichtere Note in die Grundmelancholie hineingebracht werden, für mich klang das Ergebnis aber ein bißchen zu sehr wie Fahrstuhlmusik im Kaufhaus. Das war aber auch schon der einzige Misston. Mein Fazit: Hörenswert!

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Veröffentlicht am 05.04.2024

Frauenfreundschaft vor Toskana-Kulisse

Keine Spaghetti sind auch keine Lösung
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Pasta zur Krisenbewältigung in allen Lebenslagen - das kann ich irgendwie ganz gut nachvollziehen. Der Buchtitel "Keine Spaghetti sind auch keine Lösung" von Silke Neumayer hat mich also gleich gereizt. ...

Pasta zur Krisenbewältigung in allen Lebenslagen - das kann ich irgendwie ganz gut nachvollziehen. Der Buchtitel "Keine Spaghetti sind auch keine Lösung" von Silke Neumayer hat mich also gleich gereizt. Die Buchbeschreibung ließ einen der typischen feelgood-Frauenromane erwarten, diesmal mit bella Italia-Kulisse und der obligatorischen Pasta.

Wobei im Fall von Helikopter-Mutti Pia, der herben Karrierefrau Schröder und der emotional-chaotischen Wuchtbrumme Poppy erst mal ein Todesfall für den Ernst des Lebens sorgt. Die vierte im Bunde der Jugendfreundinnen, Amelie, ist ganz plötzlich verstorben, mit Anfang 50. Und hat den anderen dreien ihr "Castello" in der Toskana vererbt, in das sie vor mehr als einem Jahr gezogen ist. Damals wurde der Kontakt eher sporadisch, aber auch das übrige Terzett sah sich nicht mehr so häufig wie in der Jugend.

Kommen die verbliebenen drei nun wieder zusammen, oder stellen sie fest, dass sie sich nichts mehr zu sagen haben? Schließlich, wie viele Jugendfreundschaften halten tatsächlich ein Leben lang, wenn sich nach der Schule Lebenswege und -vorstellungen ganz unterschiedlich entwickeln!

Hinzu kommt - die toskanische Immobilie ist eine arg renovierungsbedürftige Bruchbude. Doch der letzte Freundschaftsdienst verpflichtet, auch wenn die Freundschaft der Frauen selbst renovierungsbedürftig ist und jede von ihnen ihre Geheimnisse hat.

Bis zum - bei diesem Genre unausweichlichem und vorausschaubarem - happy end müssen sie sich erst mal wieder zusammenraufen, auch unangenehme Wahrheiten ins Gesicht schleudern und Selbsterkenntnis üben. Mit toskanischer Kulisse macht das eine nette Urlaubslektüre, bei der auch amore nicht ganz zu kurz kommt. Nett für zwischendurch.

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