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Veröffentlicht am 03.11.2018

Hinter verschlossenen Türen

Kampfsterne
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…lauern die familiären Abgründe. Der schöne Schein trügt, die Vorstadt-Idylle hat Risse. Außen hui und innen pfui. Alexa Hennig von Lange hält mit dem Brennglas unbarmherzig darauf und zeigt das dysfunktionale ...

…lauern die familiären Abgründe. Der schöne Schein trügt, die Vorstadt-Idylle hat Risse. Außen hui und innen pfui. Alexa Hennig von Lange hält mit dem Brennglas unbarmherzig darauf und zeigt das dysfunktionale Familienleben der ach so intakten Keimzelle der Gesellschaft: Der erfolgreiche Architekt, der seine Frau vor den Augen der Kinder verprügelt und in finanzieller Abhängigkeit hält. Die Nachbarin, bei der sie sich nach den Prügelattacken ausheult. Die sich zu ihr hingezogen fühlt. Die ihren eigenen Mann verabscheut und ihre Kinder mit so viel emotionaler Distanz betrachtet, dass es fast schon weh tut. Die sich ihr Leben mit ordentlich Rum schon am Nachmittag schön, oder besser gesagt erträglich trinkt. Kinder, die ihre Eltern verachten, und Eltern, die es längst aufgegeben haben, ihren Kindern eine unbeschwerte Kindheit zu bieten.

„Kampfsterne“ soll/will die Familienverhältnisse Mitte der achtziger Jahre portraitieren, der Generation nach 68, die doch alles besser machen wollte, aber dennoch in den alten Strukturen verharrt. Finanzielle Sicherheit ist gegeben in der Vorstadtsiedlung, aber die Emotionen, das Miteinander sind auf der Strecke geblieben. Alle Protagonisten kreisen nur um sich und ihre Befindlichkeiten, es fehlt ihnen an Empathie und Distanz. An Reflexionsvermögen oder auch an dem Willen dazu. Gefangen in tradierten Rollen. Jeder einzelne ist für sich allein. Die Träume sind geplatzt, bleibt nur zu hoffen, dass es die nachfolgende Generation besser machen wird.

Das schonungslose Portrait einer Generation. Ein Buch, bei dem jede Zeile schmerzt.

Veröffentlicht am 28.10.2018

Ein Blick zurück

Black Hand
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Joseph Petrosino ist ein Pionier. Der erste Polizist, der sich dem organisierten Verbrechen in New York in den Weg stellt. Unter Police Commissioner Theodore Roosevelt, später 26. Präsident der Vereinigten ...

Joseph Petrosino ist ein Pionier. Der erste Polizist, der sich dem organisierten Verbrechen in New York in den Weg stellt. Unter Police Commissioner Theodore Roosevelt, später 26. Präsident der Vereinigten Staaten, kämpft er nicht nur gegen die italienische Mafia sondern auch gegen die Korruption in den eigenen Reihen. Zahlreiche Bücher und Filme widmen sich diesem Ausnahmepolizisten, und "Black Hand", das neueste Werk aus der Feder des Journalisten Stephan Talty erzählt dieses Stück amerikanischer Kriminalgeschichte:

New York, Anfang 20. Jahrhundert. Die erste Welle der italienischen Einwanderer hat sich in ihrem Leben in der Fremde eingerichtet. Die einen arbeiten hart, um sich ihren Traum vom Leben in Freiheit und Wohlstand zu erfüllen, die anderen schließen sich zu kriminellen Vereinigungen zusammen und erpressen von ihren Landsleuten Gelder im großen Stil. Und dabei ist ihnen jedes Mittel recht. Selbst vor Kindern machen sie nicht halt, ein Leben zählt nichts für sie. Die am meisten gefürchtete Organisation der italienischen Mafia ist die "Black Hand".

Talty startet seinen Rückblick mit einem Fall, der den Leser mitten in deren skrupelloses Treiben katapultiert: Willi Labarbera, der fünfjährige Sohn italienischer Einwanderer, verschwindet spurlos. Doch dann kommt eine Lösegeldforderung, 5.000 Dollar wollen die Entführer, alles, was die Familie besitzt. Unterzeichnet ist der Brief mit dem Siegel der "Black Hand", der berüchtigten mafiösen Geheimgesellschaft. Die Labarberas wissen sich nicht zu helfen, kontaktieren die Polizei, und Joseph Petrosino nimmt sich des Falls an.

Petrosino, ebenfalls Kind einer italienischen Einwandererfamilie, will mehr von seinem Leben als seinen Unterhalt mit Schuhputzen zu verdienen. Er muss früh erfahren, dass die Italiener ganz unten auf der Skala stehen, was die gesellschaftliche Akzeptanz angeht. Nicht nur die Amerikaner verachten sie, nein, auch die irischen Immigranten, die sich speziell an der Ostküste und auch in New York bereits gemütlich eingerichtet haben, blicken verächtlich auf sie herab und machen ihnen das Leben schwer. Aber Petrosino lässt sich davon nicht abhalten und versucht das menschenmögliche, um die Lebensbedingungen seiner Landsleute zu verbessern, ihnen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Und dazu gehört es für ihn, die "Black Hand" Mobster unschädlich zu machen. Diesem Ziel widmet er mit einer wahren Besessenheit sein Leben. Und er ist äußerst gut in dem, was er tut. Auch wenn es ihm schlussendlich nicht gelungen ist, den Sumpf trockenzulegen.

Manchmal schreibt dann doch das Leben die spannenderen Geschichten als die Fiktion. Talty schildert sehr anschaulich zum einen die Lebensbedingungen der italienischen Einwanderer, die Widerstände, gegen die sie ankämpfen müssen, zum anderen lässt er seine Leser äußerst präzise an der Polizeiarbeit Petrosinos und dessen Truppe teilhaben.

Amerikanische Kriminalgeschichte gepaart mit True Crime. Äußerst informativ. Spannend erzählt, vollgepackt mit Informationen, ermöglicht der Autor dem Leser den Blick in eine Zeit, in der die Mafia in New York noch in den Kinderschuhen steckt.

Veröffentlicht am 25.10.2018

Salat, Gemüse, Früchte in Hülle und Fülle

6 Jahreszeiten
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Joshua McFadden, Koch und Restaurantbetreiber, ist als „Gemüseflüsterer“ bekannt. Aufgewachsen in Wisconsin, einem landwirtschaftlich geprägten Bundesstaat der USA, gilt sein besonderes Augenmerk den verschiedenen ...

Joshua McFadden, Koch und Restaurantbetreiber, ist als „Gemüseflüsterer“ bekannt. Aufgewachsen in Wisconsin, einem landwirtschaftlich geprägten Bundesstaat der USA, gilt sein besonderes Augenmerk den verschiedenen Gemüsesorten, wobei die italienischen Einflüsse seiner Rezepte unverkennbar sind.

Für sein Kochbuch „6 Jahreszeiten“ hat er dem bekannten „Frühling, Sommer, Herbst und Winter“ noch den Früh- sowie den Spätsommer hinzugefügt. Meiner Meinung nach eine Entscheidung, die jeden Gemüseliebhaber freuen wird, denn gerade das sind die Zeiten, in denen die Natur erntemäßig explodiert und man kaum weiß, was man mit der Vielfältigkeit des Angebots küchentechnisch anstellen soll. Außerdem gewährleistet die Einteilung in sechs Jahreszeiten den optimalen Erntezeitpunkt, der zum einen für eine unglaubliche Geschmacksfülle, zum anderen dafür sorgt, dass wir uns stärker auf die regional verfügbaren Produkte konzentrieren.

Der Aufbau des Kochbuchs orientiert sich logischerweise genau an diesen Jahreszeiten, Frühling, Frühsommer, Hochsommer, Spätsommer, Herbst und Winter und überrascht mit einer Fülle von kreativen Kombinationen, die ich so noch nicht gegessen habe: Kartoffel-Blumenkohl-Salat mit Oliven, Feta und Rucola beispielsweise. Klingt auf den ersten Blick ungewöhnlich, schmeckt aber durch die Kombination verschiedener Aromen absolut genial. Die Zubereitung wird Schritt-für-Schritt anschaulich und gut nachvollziehbar beschrieben, abgerundet wird das Rezept durch ein appetitanregendes Foto.

Abgerundet werden die Rezepte durch einen vorangestellten „Theorieteil“, in dem es Hinweise und Tipps zur Vorratshaltung und Würze gibt.

Die Rezepte sind durch die detaillierten Beschreibungen leicht nachzukochen, die Zutaten durch die Orientierung an den Erntezeiten überall erhältlich – ein großes Plus für alle Hobbyköche, die nicht durch die verschiedensten Delikatessenläden wandern wollen, um Exotisches zu besorgen. Ein absolut empfehlenswertes Kochbuch mit Schwerpunkt auf vegetarischen Rezepten, das in keiner Küche fehlen sollte!

Veröffentlicht am 25.10.2018

Auf der Suche nach dem richtigen Weg

Dunkler Sommer
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Wenn es darum geht, die Qualität der Romane von James Lee Burke zu beurteilen, bedarf es keiner Diskussion. Ob das nun die Werke der Dave Robicheaux-Reihe oder die die Bücher rund um den Holland-Clan sind, ...

Wenn es darum geht, die Qualität der Romane von James Lee Burke zu beurteilen, bedarf es keiner Diskussion. Ob das nun die Werke der Dave Robicheaux-Reihe oder die die Bücher rund um den Holland-Clan sind, Burke schreibt er in einer anderen Liga als die meisten seiner Autorenkollegen. Da sitzt jedes Wort, jeder Satz. Er betrachtet sein Heimatland, thematisiert mit scharfem Blick die Schwachstellen, taucht ein in die Seele Amerikas, in der das Gute und Böse so eng beisammen liegt.

„Dunkler Sommer“ (im Original „The jealous kind“, 2016) komplettiert die Trilogie, die mit „Fremdes Land“ (im Original „Wayfaring Stranger“, 2014) begann und mit „Vater und Sohn“ (im Original „House of the rising sun“, 2015) fortgesetzt wurde.

Es ist eine Geschichte vom Erwachsenwerden im Texas der fünfziger Jahre, die uns Burke aus der Sicht des nunmehr alten Aaron Holland Brussard (Enkelsohn des Texas-Rangers Hackberry Holland) erzählt, und in der er mit dem Mythos des „goldenen“ Zeitalters nach dem Zweiten Weltkrieg aufräumt. Nicht nur in Texas bestimmen Jugendgangs, mafiöse Organisationen, Rassismus und Klassengegensätze den Alltag.

Houston, wir schreiben das Jahr 1952. Aaron, aufgewachsen in einer dysfunktionalen Familie, die Mutter depressiv, der Vater ein Veteran, der seine Kriegserlebnisse im Alkohol ertränkt, verdient sein Geld als Rodeo-Reiter. Er sucht seinen Weg, hat klare Vorstellung von richtig und falsch, Gut und Böse und ist auch, wenn es darauf ankommt, mit den Fäusten schnell bei der Sache. Als er sich in das jüdische Mädchen Valerie verliebt und sie aus den Fängen eines reichen Schnösels befreit, dass das fatale Konsequenzen haben wird.

Wie man aus zahlreichen Interviews weiß, ist Burke ein bekennender Katholik, politisch links verortet, und so ist auch „Dunkler Sommer“ ein zutiefst moralischer Roman, der ganz klar im Kampf der Guten gegen die Bösen, unabhängig von Geschlecht, Hautfarbe oder Herkunft, Position bezieht.

Eine Lektüre, die man einem Donald Trump auf die Leseliste setzen sollte. Ach vergessen, der kann ja nicht lesen sondern nur twittern.

Veröffentlicht am 25.10.2018

Etwas ganz besonderes in der deutschen Krimilandschaft

Mexikoring
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Glattgebügelte Typen sind Simone Buchholz‘ Ding nicht. Die Frauen und Männer rund um das Team der Hamburger Staatsanwältin Chas Riley haben Ecken und Kanten, sind alle auf ihre Weise „beschädigt“, zerfressen ...

Glattgebügelte Typen sind Simone Buchholz‘ Ding nicht. Die Frauen und Männer rund um das Team der Hamburger Staatsanwältin Chas Riley haben Ecken und Kanten, sind alle auf ihre Weise „beschädigt“, zerfressen von Zweifeln, finden keinen Schlaf, trinken zu viel Bier und Wodka, um die Leere zu betäuben, um den ganzen Mist zu vergessen, mit dem sie sich tagtäglich herumschlagen müssen. Sind hart, zart und romantisch. Knien sich aber kopfüber und mit ihrer vorhandenen Restenergie in ihre Fälle hinein, um den Opfern Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.

So auch im Fall des am „Mexikoring“ in seinem Auto verbrannten Nouri Saroukhan, Sohn eines Mhallamiye Clan-Chefs aus Bremen, der sich von seiner Familie losgesagt hat. Um zu verstehen, was ihm angetan wurde, müssen sie ganz tief in dessen Leben und die Strukturen dieser Organisation eintauchen. Helfen könnte ihnen Aliza Anteli, die Freundin Nouris, die ebenfalls aus Bremen nach Hamburg geflüchtet ist, weil sie nicht das typische Schicksal ihrer älteren Schwestern erleiden wollte, die für fünfstellige Summen verkauft wurden. Aber die ist irgendwo im Schanzenviertel verschwunden.

Buchholz‘ Bücher um und mit Chas Riley, mittlerweile mit „Mexikoring“ acht Bücher in der Reihe, sind etwas ganz besonderes in der deutschen Krimilandschaft. Zum einen, was ihrer Personen angeht. Verletzt und verletzlich. Verunsichert, aber knallhart im Handeln. Das Team um die taffe Staatsanwältin ist nicht starr, es verändert sich, wie sich auch die Dynamik innerhalb der Gruppe ständig verändert. Lebensentwürfe passen nicht mehr zusammen oder die Folgen eines Anschlags sind zu verarbeiten. Andere kommen dazu und sind verantwortlich für emotionale Konflikte.

Und zum anderen ist da natürlich die Sprache, die sich grundlegend von der in den üblichen Krimis unterscheidet. Brillant, rotzig, vom Kiez geprägt, meist aus melancholischem Herzen, auch in den klarsten Analysen. Allein das macht für mich schon die Riley-Krimis zu einem Leseerlebnis, das seinesgleichen sucht und Höchstbewertungen verdient hat. Lesen. Unbedingt!