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Veröffentlicht am 18.11.2018

1. Besuch auf Gut Greifenau

Gut Greifenau - Abendglanz
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1913 – Kurz vor Ausbruch des 1. Weltkrieges. Nachdem der alte Patriarch von Gut Greifenau gestorben ist, muss sein Sohn Adolphis von Auwitz-Aarhayn die Führung des Anwesens wohl oder übel übernehmen, ...

1913 – Kurz vor Ausbruch des 1. Weltkrieges. Nachdem der alte Patriarch von Gut Greifenau gestorben ist, muss sein Sohn Adolphis von Auwitz-Aarhayn die Führung des Anwesens wohl oder übel übernehmen, wobei ihm sein ältester Sohn Konstantin, der viele Innovationen zur Modernisierung des Gutes im Kopf hat, eine große Hilfe ist. Als Konstantin sich allerdings nicht standesgemäß in die örtliche Dorflehrerin Rebecca Kurscheidt verliebt, muss er dies geheim halten, denn sonst würde der Haussegen schief hängen, denn seine Liebe zu einer nicht Adligen und dazu noch Sozialdemokratin würde nicht geduldet. Konstantins jüngere Schwester Katharina hat ebenfalls eigene Vorstellungen von ihrem Liebesglück und fährt ihrer Mutter Feodora gehörig in die Parade, die ihre Tochter mit einem Neffen des deutschen Kaisers verheiraten will und keine Absage duldet. Katharina jedoch hat ihr Herz an einen reichen Fabrikantensohn Julius verloren und hält ihre Liebe wie ihr Bruder ebenfalls geheim. Auch beim Hauspersonal ist so einiges los, und langsam zeichnet sich über den Gutsbewohnern das Unglück ab, das über alle hereinzubrechen droht – nicht nur der Krieg…
Hanna Caspian hat mit ihrem historischen Roman „Gut Greifenau – Abendglanz“ den ersten Teil ihrer Trilogie vorgelegt, der den Leser von der ersten Seite an bezaubert und in den Bann schlägt. Der Schreibstil ist flüssig, bildgewaltig und sehr fesselnd, gleichzeitig auch der damaligen Zeit angepasst und transportiert den Leser während der Lektüre schnell ins 20. Jahrhundert, um sich auf dem gräflichen Gut in Hinterpommern unsichtbar unter die Familienmitglieder und die Bediensteten zu mischen und sie neben einem intensiven Kennenlernen bei ihrem Treiben zu beobachten und ihre Gefühle, Gedanken und Träume zu erfahren. Die Autorin gibt einen guten Einblick in die damalige Gesellschaft und die Standesunterschiede. Sie lässt den Leser zum einen teilhaben am Leben der Adligen, aber auch am Leben der Bediensteten und das der Dorfbewohner. Die Zwänge der Gesellschaft und die politische Situation, denen alle unterworfen sind, ob arm ob reich, werden gut herausgehoben. Durch die wechselnden Erzählperspektiven bekommt der Leser einen guten Rundumblick und versucht, die Geheimnisse der verschiedenen Protagonisten zu ergründen, ob in der gräflichen Familie oder im Dienstbotentrakt. Gleichzeitig wird dadurch auch die Spannung immer wieder gesteigert, und durch geschickt eingefügte Wendungen kann die Autorin den Leser immer wieder überraschen. Die Landschaftsbeschreibungen sind farbenfroh und lassen bei der Lektüre davon träumen, direkt auf dem großzügigen Landsitz zu flanieren.
Die liebevolle Ausstattung des Buches mit einem ausführlichen Personenregister und Karten muss ebenfalls erwähnt werden. Mit ihnen findet der Leser sich schnell gut zurecht mit den vielen auftretenden Protagonisten und auf dem Gut.
Die Charaktere sind wunderbar ausgearbeitet und lebendig inszeniert worden. Sie besitzen individuelle Eigenschaften, wirken facettenreich und sehr authentisch für die damalige Zeit. Der Leser kann sich gedanklich unter sie mischen und mit ihnen leiden und hoffen, aber auch vor Verärgerung oder Verwunderung den Kopf schütteln. Konstantin ist ein sympathischer junger Mann mit eigenen Vorstellungen. Die Ideen für das Gut sprudeln ihm regelrecht aus dem Kopf, er ist für seine Zeit sehr modern denkender Zeitgenosse, der sich nichts Neuem verschließt und eine offene Sichtweise auf die Dinge hat. Er kennt keinen Standesdünkel, jedoch macht gerade dieser ihm sehr zu schaffen. Katharina hat ihren eigenen Kopf, will sich ihr Leben nicht diktieren lassen. Sie macht sich wie ihr Bruder keine Gedanken darüber, wem sie ihr Herz schenkt. Gräfin Feodora ist eine kalte und egoistische Frau, die am Standesdünkel festhält und ihren eigenen Kindern ein Korsett aufzwingt. Sie ist rücksichtslos und hartherzig, was oftmals grausam wirkt, wobei sie nur die Ansichten vertritt, die ihr selbst anerzogen wurden. Rebecca ist eine tolle Frau, die aus der normalen Bevölkerung stammt und mit eigenen politischen Ansichten aufwartet. Sie setzt sich über damalige Konventionen hinweg, allein für ihren Mut und ihre Stärke muss man sie einfach lieben. Auch Albert, der Kutcher, ist ein Sympathieträger, den ein Geheimnis umgibt. Auch die weiteren Guts- und Dorfbewohner unterhalten mit ihren eigenen kleinen Geschichten und machen die Handlung zu einem Lesegenuss.
Schon mit dem ersten Band „Gut Greifenau – Abendglanz“ macht Hanna Caspian den Leser süchtig und lässt ihn ungeduldig auf die Fortsetzung warten. Lange war es nicht so unterhaltsam, Teil einer fiktiven historischen Familie mit gut recherchiertem Hintergrund zu lesen und ihren Intrigen, Streitereien, Liebschaften und kleinen Geheimnissen auf die Schliche zu kommen. Bitte ganz schnell mehr davon!! Absolute Leseempfehlung für ein Jahreshighlight!

Veröffentlicht am 17.11.2018

Ein Stück düstere Schweizer Vergangenheit, das bis in die Gegenwart reicht

Die verlorene Schwester
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1968 Schweiz. Als ihr Vater stirbt, werden die Schwestern Marie und Lena vom Berner Jugendamt in ein Kinderheim verbracht, weil die depressive Mutter sich nicht richtig um sie kümmern kann. Doch das Kinderheim ...

1968 Schweiz. Als ihr Vater stirbt, werden die Schwestern Marie und Lena vom Berner Jugendamt in ein Kinderheim verbracht, weil die depressive Mutter sich nicht richtig um sie kümmern kann. Doch das Kinderheim ist nicht die letzte Station der beiden Mädchen. Nach einiger Zeit kommen sie in ein von Nonnen geführtes Erziehungsheim, wo sie Demütigungen und Spott ertragen müssen. Aber ihr Alptraum ist noch lange nicht beendet, denn sie werden plötzlich voneinander getrennt als Pflegekinder in unterschiedliche Schweizer Familien gesteckt als sogenannte Verdingkinder, dort beginnt für sie die wahre Hölle…
2008. Ganz zufällig erfährt die Investmentbankerin Anna, dass ihre Mutter ein Verdingkind war und sie selbst in einem Gefängnis geboren und danach adoptiert wurde. Anna macht sich mit der Unterstützung einer Journalistin auf die Suche nach ihrer leiblichen Mutter und erfährt dabei das düstere Vermächtnis der schweizerischen Verdingkinder…
Linda Winterberg hat mit ihrem Roman „Die verlorene Schwester“ einen sehr fesselnden, bildhaften und gefühlvollen Roman vorgelegt, der den Leser von der ersten Seite an gefangen hält und ihn auf eine sehr emotionale Reise schickt. Der Schreibstil ist flüssig, schnell taucht der Leser in die Handlung ein und sieht sich drei Frauen und ihrem Schicksal gegenüber, das einen mitten ins Herz trifft. Die Geschichte ist über zwei Zeitebenen angelegt, der eine Erzählstrang gibt die Gegenwart um Anna und ihre Recherche wieder, der andere lässt den Leser am Leben von Marie und Lena in der Vergangenheit teilhaben. Durch die wechselnden Perspektiven wird die Spannung der Handlung stetig gesteigert. Die Autorin versteht es dabei geschickt, den Leser durch gut eingebaute Wendungen und die häppchenweise Preisgabe der Vergangenheit zu überraschen. Der gut recherchierte historische Hintergrund wurde sehr schön mit der Handlung verflochten und gibt dem Leser einen guten Eindruck darüber, was es mit den Verdingkindern auf sich hatte. Dies geht bei der Lektüre ziemlich ans Herz und ist fast nicht zu glauben, dass es noch vor 60 Jahren solche Zustände gegeben hat. Man fragt sich die ganze Zeit, wie viele von diesen Kindern heute noch auf der Suche nach ihren Eltern sind und was sie alles ertragen mussten.
Die Charaktere sind sehr individuell ausgearbeitet und in Szene gesetzt. Durch ihre besondere Authentizität kann sich der Leser gut in sie hineinversetzen und mit ihnen fühlen, leiden, hoffen und bangen. Anna ist eine toughe Bankerin, die so schnell nichts umhaut oder beeindruckt. Doch die Nachricht ihrer Adoption gibt ihr ein Gefühl der Wurzellosigkeit. Sie ist hartnäckig und mutig, will unbedingt herausfinden, wer ihre Mutter ist. Marie und Lena sind ihrem Schicksal hilflos ausgeliefert. Sie haben nur sich und klammern sich deshalb auch aneinander, deshalb ist die Trennung für beide wie ein Todesstoß. Ihre Kindheit ist früh beendet, beide müssen hart arbeiten, sich gegen Spott, Misshandlungen und Demütigungen wappnen, was ihren Kinderseelen einiges an Narben beschert. Beide leiden unter der Trennung und wissen nicht, was mit der jeweils anderen ist. Gleichzeitig bewahren sie sich über all die Jahre die Hoffnung, sich doch irgendwann einmal wiederzusehen. Sie stellen sich ihrem Schicksal mutig entgegen, beweisen Stärke und Kraft bei allem, was andere mutlos und verzweifeln lassen würde.
„Die verlorene Schwester“ ist ein hochemotionaler und tiefgründiger Roman über das Schicksal von Schweizer Verdingkindern, der von der ersten bis zur letzten Seite in Atem hält und noch lange nachhallt. Absolut verdiente Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 11.11.2018

Edelweiß-Rettung

Ich küss dich tot
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Die 35-jährige Annabelle Stadlmair ist kurz vor Weihnachten als Hotelmanagerin auf dem Sprung von New York zur nächsten Herausforderung als General Managerin in einem Luxushotel in Singapur, als sie einen ...

Die 35-jährige Annabelle Stadlmair ist kurz vor Weihnachten als Hotelmanagerin auf dem Sprung von New York zur nächsten Herausforderung als General Managerin in einem Luxushotel in Singapur, als sie einen Verzweiflungsanruf von ihrer Mutter Therese bekommt, dass ihr Vater einen Schlaganfall erlitten hat und Annabelle bitte sofort ins oberbayerische Puxdorf kommen solle, um im familieneigenen Hotel Edelweiß zu helfen. Annabelle, völlig verschreckt, schnappt sich die gepackten Taschen und fliegt in die deutsche Heimat, wo sie allerdings schnell bemerkt, dass ihre Mutter nur einen Trick angewandt hat, um sie nach Hause zu lotsen und das Hotel vor dem Untergang zu retten. Vater Alois ist quietschlebendig, auch die 82-jährige Oma Martha ist mit Ausnahme ihrer Hüfte noch ganz gut beieinander, während ihre Mutter eher kraftlos und deprimiert wirkt. Auf dem Weg zum „Edelweiß“ stolpert Annabelle im Schnee über einen Toten. Doch dabei soll es nicht bleiben, denn einige Tage später gibt es bereits den nächsten, dann wird auch noch die Schwester eines Immobilieninteressenten vergiftet, der Annabelle schöne Augen macht, und zu guter Letzt stirbt auch noch der korrupte Bürgermeister. Das mörderische Puxdorf ist in aller Munde, und Annabelle hat mit ihrer alten Jugendclique alle Hände voll zu tun, um das „Edelweiß“ wieder auf Kurs zu bringen und dem Täter auf die Schliche zu kommen. Wird Annabelle Singapur jemals erreichen?
Ellen Berg hat mit ihrem Buch „Ich küss dich tot“ einen sehr unterhaltsamen und urkomischen Roman vorgelegt, der dem Leser einiges an Lachsalven entlockt und für Muskelkater im Bauchraum sorgt. Der Schreibstil ist flüssig und gespickt mit jeder Menge Humor, Missverständnissen und ein etwas Romantik. Durch die ganzen Todesfälle ist der Leser von Beginn an gefordert, Annabelle bei der Suche nach dem Mörder zu unterstützen. Unglücklicherweise kommen jede Menge Verdächtige in Frage, was die Sache sowohl heikel als auch unmöglich erscheinen lässt. Die Autorin versteht es sehr gut, den Leser auf falsche Fährten zu locken und ihn mit überraschenden Wendungen durcheinander zu bringen. Auch der Einblick in ein familiengeführtes Hotel wird dem Leser geboten und mit welchen Sorgen und Kosten dies einhergeht. Interessant ist auch die Einführung in die Welt der Phobien, unter denen man leiden kann; der Leser ist perplex für was es alles eine eigene gibt und wie deren korrekte Bezeichnung lautet. Zudem wird der urige Zustand einer Dorfgemeinschaft gespiegelt, wo der Dorfklatsch die Zeitung ersetzt und man noch an Hexen und Flüche glaubt, was der eine oder andere Bewohner jahrzehntelang zu spüren bekommt. Die Landschaftsbeschreibungen des kleinen Puxdorf am Fuß des oberbayerischen Dachsteins sind idyllisch und malerisch, man kann sich die verschneite Gegend gut vorstellen und möchte dort am liebsten den nächsten Weihnachtsurlaub verbringen, wenn es immer so spannend und verschroben dort zugeht.
Die Charaktere sind sehr differenziert in Szene gesetzt und mit individuellen Eigenschaften versehen worden, die sie lebendig und authentisch wirken lassen. Die Autorin ist bekannt dafür, dass sie einige sehr überspitzt darstellt, was hier besonders gut gelungen ist. Die Gemeinschaft wirkt zusammengewürfelt und setzt sich aus Angebern, Punks, Nerds, Arbeitsbienen, gescheiterten Existenzen, korrupten Politikern sowie Ökofreaks, reichen Snobs und allerlei Skurrilitäten zusammen. Da wundert man sich als Leser, ob man selbst wohl normal ist. Annabelle ist eine nette Frau, die sich ihre Karriere hart erarbeitet hat, dabei ihre Familie aber ein wenig aus den Augen verlor. Ihr ewiger Gefährte ist Herr Huber, ein alter Stoffbär, mit dem sie insgeheim Selbstgespräche führt. Annabelle hat viele Ideen, um das alte Hotel wieder auf Vordermann zu bringen und erhält willkommene Unterstützung durch ihre alte Clique. Was die Liebe betrifft, ist Annabelle etwas naiv und sieht sich gleich drei Kandidaten gegenüber, die in Frage kämen, weil alle ihr Herz zum Schwingen bringen. Oma Martha ist ein stilles liebes Wasser, das es aber faustdick hinter den Ohren hat. Vater Alois ist ein Hansdampf in allen Gassen, während Mutter Therese nur noch wie ein Schatten ihrer selbst herumschleicht, immer mit Trauermiene und leicht depressiv. Auch die weiteren Protagonisten wie die unerträgliche Isabelle Berenson dürfen hier nicht fehlen, machen sie die Handlung doch noch bunter und chaotischer.
„Ich küss dich tot“ ist ein wirklich komischer und gleichsam fesselnder Krimi-Liebes-Familien-Roman, der von der ersten Seite an fesselt und den Leser an einen verschneiten Ort versetzt, voller liebenswerter Chaoten und alter Traditionen. Wunderbare Lektüre für dunkle Tage, um das Gemüt mit Lachsalven aufzuhellen. Absolute Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 11.11.2018

Zu Gast im "Honeybee"

Café Honeybee
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Seit dem Tod ihrer Mutter hat Greta keine ruhige Minute mehr – jedes Familienmitglied zerrt an ihr herum. Nicht nur Oma Pru macht ihr mit ihren Bevormundungen und ihren Forderungen das Leben schwer, auch ...

Seit dem Tod ihrer Mutter hat Greta keine ruhige Minute mehr – jedes Familienmitglied zerrt an ihr herum. Nicht nur Oma Pru macht ihr mit ihren Bevormundungen und ihren Forderungen das Leben schwer, auch Zwillingsschwester Shawna weiß nichts mit sich anzufangen und gammelt den ganzen Tag herum. Die tägliche Arbeit im familieneigenen Café Honeybee bleibt an Greta hängen. Als auch Freund Fin Ansprüche anmeldet, wächst Greta alles über den Kopf. Nach einem Streit mit ihrer Großmutter hat Greta einen Unfall und wird im Krankenhaus wach, allerdings kann sie sich an nichts mehr erinnern. Die optimale Zeit für einen Neuanfang und die Erfüllung der eigenen Träume, aber so einfach ist das gar nicht, wenn man nicht an alles gedacht hat…
Claire Bonnett hat mit ihrem Buch „Café Honeybee“ einen gefühlvollen und anrührenden Roman vorgelegt, der den Leser schnell für sich einnimmt. Der Schreibstil ist flüssig und emotional, der Leser macht sich gedanklich auf die Reise nach Edinburgh, um sich als neuer Stammgast im Café Honeybee ein Plätzchen zu suchen und den Protagonisten von dort aus bei ihrem Leben zuzusehen. Schnell wird dem Beobachter klar, dass hier recht viel im Argen liegt und vor allem innerhalb der Eigentümerfamilie die Positionen merkwürdig verteilt sind und der Ton zwischen den einzelnen Angehörigen nicht gerade liebevoll ist. Doch warum das so ist, findet der Leser nach und nach heraus, denn es geht um Schuldzuweisungen und unbewältigte Trauer. Jeder ist mit sich selbst beschäftigt, da bleibt kein Raum für den anderen. Da auch jeder mit Trauer anders umgeht, entfernen sich die Familienmitglieder immer weiter voneinander und agieren zum Teil wie Fremde miteinander. Der Autorin ist es sehr gut gelungen, all die Konflikte darzustellen und dem Leser näher zu bringen. Oftmals möchte man den einen oder anderen anschreien, Ratschläge geben oder ihn nur trösten, doch muss man sich in Geduld üben in der Hoffnung, dass sie die Kurve allein kriegen.
Die Charaktere sind schön gezeichnet und liebevoll mit Leben erfüllt. Sie sind in ihren Eigenschaften individuell und doch sehr authentisch, so dass der Leser sich mit dem einen oder anderen wunderbar identifizieren kann. Greta ist eine sympathische Frau, die sich für ihre Familie regelrecht aufopfert, sogar ihr Studium hat sie auf Eis gelegt, um für sie da zu sein. Seit dem Tod ihrer Mutter versucht sie, es wirklich allen recht zu machen, was natürlich nicht funktioniert. Dabei gehen sowohl sie selbst als auch ihre eigenen Träume völlig unter. Greta weiß einfach nicht, wie sie die Reißleine ziehen soll. Oma Pru ist eine herrische Person, die jeden herumkommandiert und in die Ecke drängt. Sie ist kalt und gefühllos, drangsaliert alle und will partout ihren Willen durchsetzen. Fin ist Gretas Freund, der auch nur an sich selbst denkt und an Greta herumzerrt, ein Egoist, wie er im Buche steht. Shawna ist lustlos, weiß mit sich selbst nichts anzufangen und hält sich irgendwie aus allem raus, vor allem fern vom Café und der damit verbundenen Arbeit. Auch die übrigen Protagonisten bringen Leben in die Handlung.
„Café Honeybee“ ist ein rundum gelungener Roman über das Schicksal einer Familie mit all ihren Höhen und Tiefen und vor allem mit ihrer Art, Dingen aus dem Weg zu gehen, weil sie einfach zu sehr schmerzen. Die Autorin versteht es sehr gut, den Leser miteinzubeziehen und für die Dauer der Lektüre auf eine sehr emotionale Reise zu schicken. Absolute Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 30.10.2018

Gestatten? Wir sind die Thalheims

Die Schwestern vom Ku'damm: Jahre des Aufbaus
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1932 eröffnet Friedrich Thalheim mit seinem jüdischen Partner Markus Weisgerber ein luxuriöses Kaufhaus in Berlin. Schon bei der Besichtigung kurz vor Eröffnung steht für die 12-jährige und älteste Tochter ...

1932 eröffnet Friedrich Thalheim mit seinem jüdischen Partner Markus Weisgerber ein luxuriöses Kaufhaus in Berlin. Schon bei der Besichtigung kurz vor Eröffnung steht für die 12-jährige und älteste Tochter Rike fest, dass sie dieses einmal führen wird. Doch dann bricht der Krieg aus und nicht nur das Kaufhaus wird dem Erdboden gleich gemacht, sondern auch die Familie muss viele Schicksalsschläge hinnehmen. Während Mutter Alma bei einem Verkehrsunfall schon 1932 ums Leben kam, gerät Friedrich kriegsbedingt 1945 in Gefangenschaft, Sohn Oskar gilt als an der Front vermisst und die Töchter Rike, Silvie und Flori nebst Stiefmutter Claire sind auf sich gestellt, müssen beim Einmarsch der Russen sogar die Familienvilla verlassen und in die verwahrloste Charlottenburger Wohnung ihrer Großmutter einziehen. Doch Rike hält die Familie zusammen, arbeitet als Trümmerfrau, um den Lebensunterhalt zu verdienen und träumt weiter vom Wiederaufbau des Kaufhauses. Mit Freundin Miriam und Schwester Silvie schlägt sie sich tapfer durch die harte Nachkriegszeit und muss manche Durststrecke und Überraschung verdauen, bevor ihr Traum Wirklichkeit werden kann…

Brigitte Riebe hat mit ihrem Buch „Die Schwestern vom Ku’damm: Jahre des Aufbaus“ den ersten Band ihrer Trilogie rund um die Thalheim-Schwestern vorgelegt, dass den Leser schon mit dem Prolog in den Bann zieht und unterschwellig einige Fragen aufwirft, bevor die Geschichte dann ab 1945 im ausgebombten Berlin weitergeht. Der Erzählstil ist flüssig, durchweg spannend und atmosphärisch dicht, die zerstörte Stadt Berlin nimmt vor dem inneren Auge des Lesers ebenso Gestalt an wie die Schutt wegräumenden Trümmerfrauen, die allesamt von der Hand in den Mund leben und durch die schwere Arbeit versuchen, sich und ihre Lieben irgendwie durchzubringen. Der historische Hintergrund wurde von der Autorin wunderbar und präzise recherchiert, so dass der Leser regelrecht bei den Anfängen des Wiederaufbaus hautnah mit dabei ist und gleichzeitig die Entbehrungen und die Sorgen der Menschen miterlebt. Neben der Lebensmittelknappheit fehlten auch warme Kleidung und Heizkohle. Dann kam die Abschottung der Stadt durch die Russen, die nur durch die Rosinenbomber und die Luftbrücke durchdrungen werden konnte und am Ende die Währungsreform einläutete. Die Autorin lässt neben ihrer Familiengeschichte um die Thalheims die Geschichte regelrecht Revue passieren, zauberhaft miteinander verwoben. Der Leser trifft aber nicht nur auf verzweifelte Menschen, sondern vor allem auf jene Hoffnungsvollen, die am Leben sind und jede Minute nutzen, um für eine bessere Zukunft zu kämpfen.

Die Charaktere wurden liebevoll so individuell wie einzigartig ausgearbeitet und mit viel Herzblut zum Leben erweckt worden. Sie wirken authentisch und real, weshalb es dem Leser nicht schwer fällt, sich mit ihnen zu identifizieren und sich als Teil der Familie zu fühlen, um mit ihnen zu leiden, zu hoffen, zu bangen und zu lieben. Rike ist eine patente junge Frau, die schon früh weiß, was sie will. Unbeirrt, voller Energie und über jeden Stolperstein geht sie fokussiert ihren Weg und hält dabei noch die ganze Familie samt Freunden zusammen. Sie ist eine starke Frau, die sich nicht unterkriegen lässt und sich so im Herzen des Lesers einschleicht und dort vor Anker geht. Silvie ist Rikes jüngere Schwester, die sich ihrer Attraktivität sehr wohl bewusst ist und dies auch in vollen Zügen ausnutzt. Sie gewinnt schnell jedes Männerherz und zieht auch einige Vorteile daraus. Mit ihrer rauchigen Stimme macht sie bald Karriere beim Radio, aber auch die englischen Offiziere können sich ihrem emotionalen Gesang nicht entziehen. Silvie tanzt auf vielen Hochzeiten, und obwohl sie oftmals oberflächlich wirkt, in ihren tiefsten Herzen liebt sie ihre Familie sehr. Florentine ist die jüngste Schwester, die ein Talent fürs Zeichnen hat und die Dinge anders sieht als andere. Sie ist rebellisch und sagt offen, was sie denkt, ein Freigeist, der sich erst noch entfalten muss. Vater Friedrich ist ein Kind seiner Zeit und denkt immer noch, Frauen gehörten an den Herd, obwohl er es seinen Töchtern verdankt, dass er überhaupt wieder mit der Familie vereint ist. Er ist ein Opportunist und oftmals auch ein Egoist, der die Wahrheit, dass sich die Zeiten geändert haben, nicht wahrhaben möchte. Miriam ist Rikes Freundin und gleichzeitig Jüdin. Sie hat sich selbst durch das Kriegsgeschehen geschlagen, ihr Talent, mit der Nähmaschine zu zaubern, dabei aber nicht verloren. Miriam träumt von der großen Liebe und ist herrlich emotional, man muss sie einfach lieben. Aber auch die anderen Charaktere wie z.B. Onkel Carl, Tante Lydia oder Ben verleihen der Handlung ihren Zauber und dürfen einfach nicht fehlen.

„Die Schwestern vom Ku’damm: Jahre des Aufbaus“ ist ein großartiger, fesselnder und gefühlvoller Roman, der den Leser schon mit dem ersten Band verzaubert und Sehnsucht auf mehr macht! Wunderbar gelungen – Chapeau! Absolute Leseempfehlung für das Highlight 2018!