Cover-Bild Mittagsstunde
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22,00
inkl. MwSt
  • Verlag: Penguin
  • Themenbereich: Belletristik - Belletristik: zeitgenössisch
  • Genre: Romane & Erzählungen / Erzählende Literatur
  • Seitenzahl: 320
  • Ersterscheinung: 15.10.2018
  • ISBN: 9783328600039
Dörte Hansen

Mittagsstunde

Roman
Der bewegende Bestseller von Dörte Hansen

Die Wolken hängen schwer über der Geest, als Ingwer Feddersen, 47, in sein Heimatdorf zurückkehrt. Er hat hier noch etwas gutzumachen. Großmutter Ella ist dabei, ihren Verstand zu verlieren, Großvater Sönke hält in seinem alten Dorfkrug stur die Stellung. Er hat die besten Zeiten hinter sich, genau wie das ganze Dorf. Wann hat dieser Niedergang begonnen? In den 1970ern, als nach der Flurbereinigung erst die Hecken und dann die Vögel verschwanden? Als die großen Höfe wuchsen und die kleinen starben? Als Ingwer zum Studium nach Kiel ging und den Alten mit dem Gasthof sitzen ließ? Mit großer Wärme erzählt Dörte Hansen vom Verschwinden einer bäuerlichen Welt, von Verlust, Abschied und von einem Neubeginn.

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 12.12.2018

Einmal Dörpsminsch, immer Dörpsminsch

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Zweite Romane gelten als besonders schwierig, vor allem, wenn das Debüt, in diesem Falle „Altes Land“ ein spektakulärer Bestseller war. Auch ich gehe dann mit einem gewissen Bauchgrummeln an diese Nachfolger, ...

Zweite Romane gelten als besonders schwierig, vor allem, wenn das Debüt, in diesem Falle „Altes Land“ ein spektakulärer Bestseller war. Auch ich gehe dann mit einem gewissen Bauchgrummeln an diese Nachfolger, doch hat es sich bei Dörte Hansens „Mittagsstunde“ glücklicherweise als absolut unnötig erwiesen.

Schon nach wenigen Sätzen ist klar: Es ist eindeutig Dörte Hansens Stimme, die hier so unverwechselbar erzählt, im Grundton melancholisch, aber trotzdem mit viel Humor, mit vielen plattdeutschen und damit sehr direkten, derben Dialogen, die durchaus auch in Süddeutschland zu verstehen sind. Von den 1960er-Jahren bis heute verfolgt sie das Schicksal des fiktiven nordfriesischen Dorfs Brinkebüll und seiner urigen Bewohner. Wendepunkt für das Dorf und die Menschen war die Flurbereinigung Mitte der 1960er-Jahre, als drei junge Ingenieure vom Katasteramt die Gegend neu vermaßen und das von Gletschern geschliffene und verschrammte Altmoränenland begradigt, geteert, von Findlingen befreit und neu verteilt wurde, so dass die Feldmark nicht wiederzuerkennen war. Von nun an musste weichen, wer nicht wachsen wollte. Nach und nach verschwanden alte Höfe, der Tante-Emma-Laden, die Schule, die Dorfkastanie, die Mühle und die alte Chaussee. Der Dorfkrug von Sönke und Ella Feddersen, ehemals Mittelpunkt des Dorflebens, verlor an Bedeutung. Die Zeit der „Mittagsstunde“, einst Ruhepunkt im Dorfleben und Schutzraum für Heimlichkeiten, war vorbei, nicht nur, weil nun jeden zweiten Donnerstag der Bücherbus lautstark sein Kommen verkündete. Aber es wuchs auch Neues: Städter zogen aufs Land, Künstler übernahmen verlassene Häuser.

Ingwer Feddersen, Enkel von Sönke und Ella und unehelicher Sohn der „verdreihten“ Marret, hat einst 15 Hektar Land und einen Gasthof „liegenlassen“, um in Kiel Archäologie und Frühgeschichte zu studieren. Beruflich hat er es geschafft, ist Hochschullehrer geworden, aber sein Privatleben gleicht mit 47 Jahren einem Desaster. Er hat es nie aus der Studenten-WG herausgeschafft und führt ein Leben, das er selbst als „unsortiert“, „wage“, „schwebend“ und „schief“ empfindet. Nun möchte er sich während eines Sabbaticals um seine über neunzigjähren Großeltern kümmern, um Sönke, der noch immer hinter dem Tresen steht und vom Fest zu seiner bevorstehenden Gnadenhochzeit träumt, und um Ella mit ihrer zunehmenden Demenz. Er möchte eine Schuld begleichen und vielleicht für sich selbst einen Weg zu einem Neuanfang finden.

Es ist eine Lust, die vielen von Dörte Hansen ersonnenen Charaktere kennenzulernen, sei es der Dorflehrer Steensen, durch dessen Schule über dreieinhalb Jahrzehnte alle Brinkebüller Kinder gehen, sei es die energische Dorfladenbesitzerin Dora Koopmann, die Schokoladeneis erst nachbestellt, wenn das Erdbeereis verkauft ist, oder der Pfarrer, der fast an seinen dickschädeligen Schäfchen verzweifelt. Doch so liebevoll Dörte Hansens Blick auf das Dorfleben und den Zusammenhalt auch ist, verschweigt sie doch auch die Schattenseiten nicht: das Wegschauen, wenn Väter ihre Kinder prügeln, die soziale Kontrolle und das Unverständnis für Andersartige(s).

Ich habe eine solch souveräne, unsentimentale Darstellung der Veränderungen des Dorflebens schon einmal gelesen in einem 2016 erschienenen, leider wenig beachteten Roman von Heinrich Maurer mit dem Titel „Die vier von der Schusterstaffel“, im Schwäbischen spielend, nicht ganz so literarisch, aber trotzdem sehr empfehlenswert. Beide Bücher liegen mir sehr am Herzen.

Veröffentlicht am 24.11.2018

Ein Buch, das mit authentischen Charakteren und einer starken Sprache begeistert

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„De Welt geiht ünner“ – davon ist Marret Feddersen schon lange überzeugt. Überall im kleinen Dorf Brinkebüll sieht die die Anzeichen: Ein Sommer ohne Störche, tote Bäume, Felder ohne Hasen, tote Rehe, ...

„De Welt geiht ünner“ – davon ist Marret Feddersen schon lange überzeugt. Überall im kleinen Dorf Brinkebüll sieht die die Anzeichen: Ein Sommer ohne Störche, tote Bäume, Felder ohne Hasen, tote Rehe, tote Kinder. Marret Ünnergang, wie sie bald nur noch genannt wird, ist im kleinen Dorf Brinkebüll aufgewachsen, ihren Eltern gehört die Gastwirtschaft. Doch mit ihren Gedanken war sie immer schon ganz woanders. Mit siebzehn wird sie schwanger, danach noch sonderlicher. Jahrzehnte später kehrt ihr Sohn Ingwer ins Dorf zurück. Er ist promovierter Archäologe, steckt mit seinem Leben jedoch irgendwie fest und hat ein Sabbatjahr beantragt, um seine Großeltern zu pflegen. Nach vielen Jahren wird er wieder ein Teil der Dorfgemeinschaft und blickt mit einer frischen Perspektive auf deren Sitten und unausgesprochene Regeln. Doch wo ist sein Platz?

Der erste Roman der Autorin, „Altes Land“, hat mir sehr gut gefallen, weshalb ich mich auf diesen zweiten Roman gefreut habe. Auch „Mittagsstunde“ spielt in einem dörflichen Umfeld in Nordfriesland. Dort hat sich im Laufe der letzten fünf Jahrzehnte einiges verändert. Zuerst begegnet der Leser der sonderlichen Marret Feddersen. Diese verkündet jahrelang den Weltuntergang und sieht in jedem einschneidenden Ereignis ein Zeichen dafür. Auf Klapperlatschen läuft sie durchs Dorf und erzählt jedem davon, eine alte Zeitschrift des Wachtturms ist ihr Beweis.

In der Gegenwart kehrt Marrets Sohn Ingwer ins Dorf zurück, dem er vor langer Zeit den Rücken gekehrt hat. Das Dorfleben hat sich inzwischen stark geändert: Der Dorfladen ist zu, die Schule auch, die meisten Bewohner haben das Vieh abgeschafft und die verlassenen Gebäude wurden von Stadtflüchtigen renoviert. Nur für Ingwers Großmutter Ella ist das alles noch lebendig, sie leidet an Demenz. Dafür ist die körperlich noch deutlich fitter als ihr Mann Sönke, der mit seiner zunehmenden Gebrechlichkeit hadert.

Die Geschichte springt zwischen den 60er Jahren und der Gegenwart hin und her, sodass für den Leser deutlich wird, was sich verändert hat und welche Entwicklung die Charaktere in dieser langen Zeitspanne gemacht haben. Dabei begegnen dem Leser viele Charaktere, die etwas schrullig und verschroben, aber irgendwie liebenswert sind. Der Leser erhält Einblick ins alltägliche Dorfleben, rauschende Feste, viel Getratsche und das starke Gemeinschaftsgefühl, dass die langjährigen Einwohner verbindet.

Es gibt viele unterhaltsame Szenen, zum Beispiel wenn Ingwers alter schmächtiger Schulkamerad plötzlich in Cowboykluft auftaucht, einen künstlichen Büffelschädel neben die Jagdtrophäen hängt und Zugezogenen Line Dance beibringt. Genauso oft gab es Momente, die mich berühren konnten. Denn wenn die Charaktere auf die letzten rund fünfzig Jahre zurückblicken und Bilanz ziehen, erinnern sie sich nicht nur an die schönen Momente, sondern auch an all das, was sie bereuen. Und da gibt es so einiges, vieles davon ist seit Jahrzehnten unausgesprochen.

Der Autorin gelingt es, den Verlust des Ursprünglichen und den Aufbruch in eine neue Zeit mit all seinen Konsequenzen deutlich zu machen. Dabei findet sie genau die richtigen Worte. Viele Stellen habe ich markiert, weil die Sätze nur allzu wahr und treffend sind. Die Charaktere schließt man schnell ins Herz, sie haben Tiefe und ich konnte mit ihnen mitfühlen. Der Fokus liegt darauf, Momente und Gefühle einzufangen. Für Ingwer steht schließlich eine wichtige Entscheidung an, die ich gut nachvollziehen konnte. Mich konnte das Buch mit seinen authentischen Charakteren und einer starken Sprache begeistern, sodass ich es gern weiterempfehle!

Veröffentlicht am 19.11.2018

Alles hat ein Ende...

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Brinkebüll. Ein kleines verschlafenes Dorf in der Geest. Ingwer Feddersen kehrt zurück in sein Heimatdorf. Hier ist er aufgewachsen als Sohn von Marret Feddersen. Besser bekannt als Marret „Ünnergang“. ...

Brinkebüll. Ein kleines verschlafenes Dorf in der Geest. Ingwer Feddersen kehrt zurück in sein Heimatdorf. Hier ist er aufgewachsen als Sohn von Marret Feddersen. Besser bekannt als Marret „Ünnergang“. Die Frau die nicht ganz fit im Kopf ist, die, die mit den Klapperlatschen durchs Dorf läuft und die Menschen mit ihrem Gequassel unterhält. Sie hat den Ruf weg, weil sie immer und überall in allem ein Zeichen des Untergangs sieht...sagt man zumindest. Nicht ganz einfach aber egal. Ingwer hat hier noch etwas gutzumachen. Großvater Sönke versucht immer noch in seinem alten Gasthof die Stellung zu halten, aber das Alter macht im gehörig einen Strich durch Rechnung. Und da ist dann noch Großmutter Ella die so langsam den Verstand verliert. Demenz ist nun mal eine der schlimmsten Krankheiten überhaupt. In Brinkebüll schläft schon lange alles und jeder. Nur wann begann dieser Schlaf, dieser Untergang? In den 1970ern als nach der Flurbereinigung neben den Hecken auch die Vögel verschwanden oder als Ingwer nach Kiel zum studieren ging und er das Dorf im Stich gelassen hat?

Dörte Hansen hat nach ihrem Erfolgsroman „Altes Land“, in meinen Augen, einen neuen Bestseller gelandet. Ihr neuer Roman „Mittagsstunde“ übertrifft alles bisher Geschriebene von ihr. Sie erzählt mit extrem viel Feingefühl und Dynamik, mit einer präzisen und detailreichen Art und Weise die Geschichte eines fiktiven Dorfes das Genauer nicht sein könnte. Ihre Charaktere strotzen nur so vor Leben und vor allem vor Genauigkeit, vor Realität. Sie hat es geschafft, eine ganz simple Analyse, eine Dorfchronik, so zum Leben zu erwecken, dass man das Gefühl hat, sie nimmt einen, geführt durch die Figur Ingwer Feddersen, an die Hand und zeigt dem Leser durch einen „Dorfspaziergang“ „sein“ Brinkebüll. Die einzelnen Charaktere wie eben Sönke Feddersen, der mit dem Kukuckskind was aber keiner laut ausspricht oder „Cowboy“ Ketelsen, der nicht so ganz richtig im Kopf ist laut den Dorfbewohnern oder Lehrer Christian Steensen...alle wachsen sie einem ans Herz. Sind alle irgendwie arme Seelen. Man lernt jeden einzelnen sehr behutsam aber intim kennen und weiß nach kurzer Zeit wie ein „Tratschweib“ was im Dorf alles geschieht. Erzählt wird, wie bereits erwähnt, aus der Sicht von Ingwer. Er lässt den Leser unverblümt an seinem Leben und Denken teilhaben. Die Geschichte handelt schlussendlich über seine letzten 47 Lebensjahre. Von seiner Geburt bis jetzt... . Hansen‘s einfacher aber bewusster Schreibstil, besonders hervorzuheben ist hier die Plattdeutsche Sprache die sie perfekt eingesetzt hat, lässt einen abtauchen und man folgt jedem Geschehen sehr gern. In regelmäßigen Abständen blickt der Leser zum Teil in die Vergangenheit aber landet auch zum richtigen Zeitpunkt im hier und jetzt. Diese Art der Erzählungen fand ich sehr gelungen. Hansen legt in ihrer Geschichte sehr viel Wahrheit. Wer glaubt das sie sich das alles aus den Fingern gezogen hat, der irrt auf ganzer Linie. Da ich selbst auf dem platten norddeutschen Land lebe und da auch der nächste Nachbar zum Teil 1 km entfernt wohnt, kann ich nur bestätigen, das was Hansen schreibt, ist definitiv alles real. Egal wie das Dorf heißt oder die Menschen die darin leben. Hier, auf dem Land gibt es solche Leute wie Marret die den Weltuntergang vorhersagen, oder Heiko „Cowboy“ Ketelsen, der noch so jeden derben Schlag aushält und eben nicht jault, oder solche Fälle wie um Marten, oder eine Frau wie Dora Koopmann, die den letzten Tante-Emma-Laden im Dorf hält....überall in den Dörfern gibt es solche Geschichten, Menschen, Erlebnisse. Das Dörte Hansen das so gut niedergeschrieben hat, zeugt davon das sie ein unheimliches Gespür und eine sehr intensive Wahrnehmung von ihrer Umgebung und Umwelt hat. Das was sie schreibt ist täuschend echt. Ihr gelegentlicher Sarkasmus untermalt diese Geschichte perfekt. Anders kann man dieses Leben auf dem Land auch nicht ertragen. Und genau diese besonderen Stellen haben es geschafft das ich mit den Brinkebüllern gelacht aber auch geweint und getrauert habe. Die Frage nach dem eigentlich Untergang wird auch irgendwie beantwortet...schuld ist die Zeit. Es heißt immer, die Zeit heilt alle Wunden aber nicht so in eben solche Dörfern. Sie macht auch kaputt. Der stetige Zeitenwandel verändert nunmal und oft auch nicht zum Positiven. Da hatte Hansens „Marret >Ünnergang< Feddersen“ recht - de Welt geit ünner. So eben auch das Leben im Dorf - egal wo. So eine simple aber eindringliche Geschichte vom Kommen und Gehen eines Dorfes niederzuschreiben, ist eigentlich ganz einfach, aber keiner kann es so gut Dörte Hansen. Sie ist eine von denen, die das Leben auf dem Land liebt und schätzt. Ein „Dörpminsch“ eben... vielleicht trauert Hansen genau diesem Leben auch mit ihrem Buch „Mittagsstunde“ hinterher...wir werden es nicht erfahren, aber ich kann sie sehr gut verstehen wenn es so sei.
Und eines steht fest: dieses Buch hallt nach! Für jeden auf seine Weise.
Dieses Buch gehört definitiv gelesen und ist eines meiner Jahreshighlights 2018!

Ich danke dem Penguin-Verlag für das kostenfreie Rezensionsexemplar!

Veröffentlicht am 30.10.2018

Dorfleben im Wandel der Zeit

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In Brinkebüll, einem Geestdorf, ticken die Uhren wie in allen Dörfern. Der Alltag der Bauern wird durch die Viehhaltung bestimmt. In den 1970ern sorgte die Flurbereinigung für eine entscheidende Veränderung, ...

In Brinkebüll, einem Geestdorf, ticken die Uhren wie in allen Dörfern. Der Alltag der Bauern wird durch die Viehhaltung bestimmt. In den 1970ern sorgte die Flurbereinigung für eine entscheidende Veränderung, die auch das Höfesterben nach sich zog und die Jugend in die Städte abwandern lässt. Nur die großen Höfe überleben. Ingwer Feddersen kehrt für ein Sabbatical ins Heimatdorf zur Pflege seiner alten Großeltern zurück.

"Es war ein großes Missverständnis. Die Leute aus der Großstadt suchten die Natur und das Ursprüngliche, und in den Dörfern wurde es gerade abgeschafft." Zitat Seite 268


In diesem Roman entwickelt sich die Geschichte eines alten Bauerndorfs im Wandel der Zeit über sechzig Jahre. Von kleinen Bauernhöfen bis hin zur Flurbereinigung und ihren ökologisch fragwürdigen Veränderungen der Landwirtschaft. Wir lernen die Dorfbewohner näher kennen, "Dörpsminschen", die Feste feiern und hart anpacken können und von der Natur und den Jahreszeiten abhängig sind. Die ihre eigenen Geheimnisse hüten, die besondere Angewohnheiten haben oder zu solchen Unikaten zählen, wie man sie früher in jedem Dorf finden konnte.

"Marret war verdreiht, schon vor der Klapperlatschenzeit und vor den Untergängen, sie war noch nie normal gewesen. ... Ein Knäuel Mensch, verfilzt, schief aufgerollt. 'Es gab die Sorte überall, in jedem Dorf. ...Halfbackte, wunderliche Menschen." Zitat Seite 35


Marret ist so ein schrulliger Charakter, der mich berührt, verwundert, weil sie in ihrer ganz eigenen Welt lebt. Als sie 17-jährig ein Kind erwartet, weiß sie nichts damit anzufangen. Ihre Eltern, die Gastwirte Sönke und Ella Feddersen, nehmen ihr diese Aufgabe ab und ziehen Ingwer groß. Er geht zum Studium nach Kiel, promoviert in Archäologie und lebt in einer Dreier WG. Lange führt er dieses Leben zu dritt, doch es füllt ihn nicht aus und mit 47 macht er ein Sabbatical, um in Brinkebüll seine demente Großmutter und seinen betagten Großvater zu pflegen.

Ingwer lässt das Dorfleben Revue passieren, zieht eine Bilanz seines Lebens und die Autorin fügt als Erzählerin einige Vorkommnisse hinzu.

Das Buch liest sich fantastisch. Dörte Hansen zeichnet ihre Figuren mit viel Einfühlungsvermögen und ihr eingestreutes Platt sorgt für authentische Figuren. Dank der perfekt beschriebenen, knorrigen Charaktere taucht man mit ins Dorfleben ein und erlebt einen Wandel der Zeiten, der den Dörflern seine Spuren aufdrückte.


Ein wunderbarer Roman mit besonderen Charakteren, deren Geschichte man gern verfolgt. Figuren und Unikate, die sich dem Leser ins Herz graben, als wären es alte Bekannte. Ein Dorfleben im Wandel der Zeit und ein ganz besonderer Heimatroman, den man unbedingt lesen sollte.

Veröffentlicht am 24.10.2018

Ein Roman mit starken und sehr ungewöhnlichen Charakteren, die man lieb gewinnt und die man nicht vergessen kann, wenn man das Buch nach einem wahren Lesemarathon wieder aus der Hand gelegt hat. Romane wie „Altes Land“ und „Mittagsstunde“ von Dörte Hanse

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Dörte Hansen, Mittagsstunde, Penguin 2018, ISBN 978-3-328-60003-9

Dörte Hansens Debüt „Altes Land“ war 2015 ein Riesenerfolg, hielt sich monatelang auf allen Bestsellerlisten und wird bis heute gut verkauft. ...

Dörte Hansen, Mittagsstunde, Penguin 2018, ISBN 978-3-328-60003-9

Dörte Hansens Debüt „Altes Land“ war 2015 ein Riesenerfolg, hielt sich monatelang auf allen Bestsellerlisten und wird bis heute gut verkauft. Nun, drei Jahre später, schon lange erwartet, legt sie einen Nachfolgeroman vor, der das Debüt, das schon sensationell gut war, noch einmal sprachlich und inhaltlich übertrifft.

Das Buch erzählt die Geschichte des in der Gegenwartsebene 47- jährigen Ingwer Feddersen, der nach Abitur, Studium der Archäologie und Promotion seit 25 Jahren an der Universität in Kiel als Hochschullehrer arbeitet. Genauso lang schon lebt er in einer Dreier WG zusammen mit Ragnhild und Claudius und schafft es diese ganze Zeit nicht, erwachsen zu werden: „Zwei Männer, eine Frau, nichts Halbes und nichts Ganzes.“
Eigentlich fühlt sich Ingwer in seinem bequemen und einfachen Leben wohl, doch ganz tief innen spürt er, wie unzufrieden und frustriert er ist. Da kommt ihm die Möglichkeit eines Sabbatjahres an der Uni sehr gelegen. Obwohl er nicht damit gerechnet hat, wird es genehmigt und er kehrt in sein Heimatdorf in Nordfriesland zurück, nach Brinkebüll, einem Geestdorf. Er glaubt, er hat dort etwas gutzumachen.
Seine Großeltern leben noch dort und betreiben mehr schlecht als recht noch den alten Dorfkrug. Ingwers Großmutter Ella ist schon hochgradig dement und Sönke, der Großvater hält tapfer die Stellung. Beide haben, genauso wie das gesamte Dorf ihre Hochzeiten hinter sich. Wann, so fragen sich Dörte Hansen und ihre Hauptfigur, wann hat der Wandel des Dorfes begonnen?

Und mitten während der Gegenwartshandlung, in der sich Ingwer um seine beiden Großeltern kümmert, wird die Geschichte des Dorfes erzählt. Dörte Hansen macht die Veränderung fest an der Flurbereinigung in den 1970 er Jahren. In dieser Zeit hat sich Merret, Ellas und Sönkes Tochter, in einen Feldvermesser, der im Gasthof untergebracht war, verliebt und wird von ihm schwanger. Ella und Sönke ziehen Ingwer, Merrets Sohn, mit dem sie selbst nichts anfangen kann groß. Ziemlich verwirrt in ihrem Geist, wird sie ihr Leben lang immer wieder verschwinden und vom drohenden Weltuntergang warnen.

Doch auch Ingwer wird nicht in die Fußstapfen seines Großvaters treten. Gefördert vom Dorflehrer Steensen, der über die Jahrzehnte alle Kinder des Dorfes unter seinen Fittichen hat, wird Ingwer ins Gymnasium gehen und dann studieren. Zurück kommt er zu Beginn nur an den Wochenenden, dann aber immer seltener.

Nun, zum Sabbatical zu seinen Ursprüngen zurückgekehrt, beginnt er für sein Leben und seine Familie eine Bilanz zu ziehen. An vieles erinnert er sich selbst, bei manchem hilft die Autorin als auktoriale Erzählerin nach.

Und so entfaltet sich eine Geschichte eines alten Bauerndorfs im Wandel der letzten sechs Jahrzehnte. Eine Unzahl von Menschen werden dem Leser vorgestellt, Dorfbewohner und ihre unverwechselbaren und sympathischen Charaktere. Menschen mit Sehnsüchten und noch mehr Geheimnissen, von denen Ella ein großes und lebenslanges besitzt. Im Gegensatz zu den Geheimnissen vieler anderer, die sie als Wirtin über die Jahrzehnte mitbekommen hat, wird ihres niemand anderes jemals erfahren.

Dörte Hansen wechselt ständig die Zeitebenen und lässt während des Jahres, in dem Ingwer, die Großeltern pflegend, sein eigenes Leben reflektiert und seine große Sehnsucht nach einer echten Partnerin entdeckt, die Geschichte des Dorfes und seiner vielen Bewohner vorbeiziehen. Im Rezensenten, Jahrgang 1954, evozierte der Roman zahllose eigene Erinnerungen und Bilder an sein mittlerweile auch nicht mehr wiederzuerkennendes Heimatdorf und viele schon vergessen geglaubte Menschen, deren Namen aber meist verborgen blieben. Nicht verborgen blieb jedoch ein Gefühl von leiser Trauer und Verlust auf der einen, aber auch Dankbarkeit auf der anderen Seite.

Ingwer Feddersen hat seit Jahrzehnten eine CD in seinem Auto, „Harvest“ von Neill Young, in deren Songs er sich immer wieder verliert. Vielleicht hängt es auch mit dieser auch von mir geliebten LP zusammen, dass dieses Buch und seine Geschichten regelrecht in mich hineingekrochen sind.

Ein Roman mit starken und sehr ungewöhnlichen Charakteren, die man lieb gewinnt und die man nicht vergessen kann, wenn man das Buch nach einem wahren Lesemarathon wieder aus der Hand gelegt hat.
Romane wie „Altes Land“ und „Mittagsstunde“ von Dörte Hansen, oder etwa das so erfolgreiche „Unterleuten“ von Juli Zeh oder das schwer einzuordnende „Das Feld“ von Robert Seethaler reflektieren auf der Ebene der Literatur jenes unklare Verlustgefühl vieler zeitgenössischer Menschen, das in den letzten Jahren meist unbefriedigend unter dem Stichwort „Heimat“ verhandelt wird.