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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 02.04.2017

Wenn Zeit und Zeitgeist getrennte Wege gehen...

Bubis Kinnertied. Tüsken Wieken un Wullgras
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Ein Mann findet nach dem Tod seines Vaters in dessen Nachlass Memoiren und Aufzeichnungen über die Kindheit seines alten Herrn in Ostfriesland. Was als harmonische Heimatgeschichte beginnt, entpuppt sich ...

Ein Mann findet nach dem Tod seines Vaters in dessen Nachlass Memoiren und Aufzeichnungen über die Kindheit seines alten Herrn in Ostfriesland. Was als harmonische Heimatgeschichte beginnt, entpuppt sich rasch als Zeitzeugnis über das Alltagsleben im Dritten Reich und über die Erlebnisse im Zweiten Weltkrieg. Der eigene Großvater als Mitarbeiter in einem KZ? Der Vater auf der Reichsführerschule?

So erging es dem Autor Detlef Plaisier, der die Schriften seines Vaters in einem verstaubten Karton fand. Artur Plaisier hatte nie etwas davon erwähnt oder von seiner Vergangenheit gesprochen. Zusammen mit anderen Nachlässen wie dem Kriegstagebuch seines Onkels fügte Detlef die Mosaiksteine zusammen und entwarf dieses Buch, "Bubies Kinnertied". Das Manuskript ist faktisch in drei Abschnitte unterteilt. Der erste Teil schildert Arturs frühe Kindheit und ist einem Heimatbuch aus der Sicht eines Kindes recht ähnlich. Der zweite Teil konzentriert sich auf die NS-Zeit und ist sehr spannend, da authentisch aufgebaut. Der dritte Teil besteht quasi aus den Anhängen, wie beispielsweise dem oben erwähnten Kriegstagebuch. Zahlreiche Fotos runden die Erzählung ab, obgleich bei den düsteren Beschreibungen zum Ende hin ein bitterer Beigeschmack sich nicht bestreiten läßt. Dies ist jedoch keine Kritik, denn die Aufzeichnungen verstehen es einen Einblick in das dunkelste Kapitel deutscher Geschichte zu gewähren.

Der plattdeutsche Titel deutet schon an, dass man hier auch sehr stark mit den lokalen Bräuchen der Ostfriesen und Emsländer konfrontiert wird - jedoch sei Entwarnung gegeben: Die Geschichten im ersten Teil sind allesamt amüsant und interessant erzählt. Einige Leser mögen sich freilich mit der Detailvielfalt erschlagen fühlen, aber hier muss man dem Originaltext von Artur Tribut zollen. Eine zu große Kürzung wäre aus meiner Sicht einer Verfälschung gleichgekommen. Ich konnte mich dagegen sehr gut in den Text einfinden, obwohl ich weder Ohr noch Zunge für Dialekte habe. Alle Mundarten neben dem Hochdeutschen sind für mich wie Fremdsprachen, selbst der Titel des Buches zauberte mir zuerst ein großes Fragezeichen vor die Linse. Schnell ertappte ich mich jedoch dabei, dass ich äußerst geschwind und ohne jegliche Verständigungsprobleme durch den Text gleiten konnte. Plattdeutsche Einschübe werden immer wieder erläutert und auch über die Linguistik hinaus, hat der Autor viel Zeit investiert, um neben dem Text seines Vaters zahlreiche Infos zum Stoff nachzuliefern. Diese finden sich häufig in den ausführlichen Fußnoten, die Arturs Aufzeichnungen reflektieren und viel Wissenswertes eröffnen. Doch alleine durch die familiäre Bindung merkt man, wie viel Herzblut in die Lektüre geflossen ist.

Der einzige Wermutstropfen war das abrupte Ende, welches allerdings eine historische Berechtigung besitzt, denn an jener Stelle endeten auch in Wirklichkeit Arturs Aufzeichnungen, wie im Nachgang erwähnt wird. Dabei deutet er in seinen letzten Sätzen noch eine große Katastrophe an, die ihn und seine Familie in den letzten Kriegstagen heimgesucht hat. Was konkret geschehen sein mag und wie es in der schweren Zeit danach weiterging, wird immer sein Geheimnis bleiben - ebenso, warum er ausgerechnet jene Kapitel seines Lebensabschnittes für sich selbst nicht mehr zu Papier bringen wollte.

Auf der Leipziger Buchmesse 2017 hatte ich die Freude, Detlef Plaisier auf einer Lesung zu treffen und ein paar Fragen zu stellen. So fand ich heraus, dass er zuvor selbst in Leipzig wohnte, davor in Köln und Hannover. Nun lebt er erstmals in Ostfriesland, dem Land seiner Vorväter und scheint seinen Frieden mit Artur gemacht zu haben. Ob ihn die Aufarbeitung für dieses Buch dazu gebracht hat in die norddeutsche Tiefebene zu ziehen? Ein Blick in die Lektüre gibt womöglich Aufschluss darüber.

Veröffentlicht am 30.03.2017

Sprache - auf eine schöne Art nähergebracht

Mein Urgroßvater und ich
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Was muss ein Buch haben, damit man es immer und immer wieder lesen kann? Es muss zeitlos sein. Und das ist dieses Buch. Man kann es immer und immer wieder lesen – egal, wie alt man ist.

Da seine Schwestern ...

Was muss ein Buch haben, damit man es immer und immer wieder lesen kann? Es muss zeitlos sein. Und das ist dieses Buch. Man kann es immer und immer wieder lesen – egal, wie alt man ist.

Da seine Schwestern die Masern haben, muss der kleine Boy ausquartiert werden und geht so für einige Tage zu seinem Urgroßvater und dessen Tochter, der „Obergroßmutter“. Das findet Boy gar nicht mal so übel, denn sein Urgroßvater, ein alter, weiser Hummerfischer, kann sehr gut Geschichten erzählen. Mit ihm war er auch auf dem „Leuchtturm auf den Hummerklippen“, wo es schon mal eine „Geschichtenwoche“ gab.

Doch dieses Mal erwartet der Urgroßvater, dass auch Boy erste Versuche unternimmt, mit der Sprache zu jonglieren – mit Erfolg.

Da die „Obergroßmuttter“ vom dichten und reimen nichts hält, schickt sie die beiden Männer in deren „Sodom und Gomorrha“ auf der anderen Straßenseite.

In der Abgeschiedenheit von Urgroßvaters Hummerbude werden das ABC und die Sprache im Allgemeinen in den Mittelpunkt gestellt. Ob es nun um Gedichte geht oder um Geschichten aus aller Welt (die meist eher an Märchen erinnern) – Urgroßvater zeigt Boy, wie abwechslungsreich und interessant die Sprache sein kann.

Jeden Abschnitt kann man unabhängig voneinander lesen.

Das Buch ist sehr liebevoll geschrieben, wortgewandt und voller Spaß. Auch wenn es sich auf den ersten Blick nicht so interessant anhört – einfach mal reinlesen. Danach kann man es nicht mehr aus del Hand legen.

Das Buch erschien 1959 – was man der Sprache nicht anmerkt. James Krüss hat hierfür den Deutschen Jugendbuchpreis verliehen bekommen – zu Recht.

Veröffentlicht am 16.03.2017

Geht unter die Haut

Eleanor & Park
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Eleanor und Park sind so verschieden und gleich. Sie pummelig und er hochaufgeschossen, sie aus einer zerrütteten Familie mit schwerer Kindheit, er aus gut behütetem Elternhaus. Aber trotzdem sind sie ...

Eleanor und Park sind so verschieden und gleich. Sie pummelig und er hochaufgeschossen, sie aus einer zerrütteten Familie mit schwerer Kindheit, er aus gut behütetem Elternhaus. Aber trotzdem sind sie irgendwie zu Außenseitern geworden. Sie lernen sich kennen, halten Distanz, kommen sich dann aber doch näher. Ein ungewöhnliches Liebespaar. Schwer für sie, das Eleanors Stiefvater sie hasst und ihr nur schlechtes wünscht. Ihre Mutter traut sich nicht, ihrer Tochter den Rücken zu stärken. Parks Vater mag Eleanor gerne, aber seine Mutter verhält sich ablehnend. Im Laufe der Geschichte lernen die Charaktere, entwickeln sich und handeln schlüssig.

Der Aufbau und mit ihm der Schreibstil sind gut gelungen. Mal aus ihrer, mal aus seiner Sicht. Der Autor versteht es, mit wenigen Worten viel zu sagen. Lobenswert! Kein Gesülze und Geschmalze, nur pure Gefühle. Nach den vielen "hin-und-her-Liebesgeschichten" der letzten Zeit, in denen die Protagonisten sich ständig trennen und dann unter viel Aufhebens doch wieder zusammen kommen, weil sie ohne ihre einzig wahre Liebe nicht leben können, ist dies eine exzellente Geschichte. Keine unnötige Nebenhandlung, viele Andeutungen zu Eleanors Vergangenheit, sodass man nur erahnen kann, wie es ihr ergangen ist.

Eine klare Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 09.01.2019

Potenzial zum Jahreshighlight

Wovon du nichts ahnst
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Vorab sei gesagt: der englische Titel „Copycat“ passt viel besser zu diesem Buch als der Deutsche. Denn er deutet schon an, worum es geht. Der Klappentext ist ebenfalls etwas vage und zeigt gar nicht, ...

Vorab sei gesagt: der englische Titel „Copycat“ passt viel besser zu diesem Buch als der Deutsche. Denn er deutet schon an, worum es geht. Der Klappentext ist ebenfalls etwas vage und zeigt gar nicht, um was für ein wichtiges Thema es sich hier handelt.

Sarah Havenant, Ärztin, dreifache Mutter und Ehefrau, lebt im beschaulichen Städtchen Barrow in Maine. Eines Tages entdeckt sie auf facebook ein Profil mit ihrem Namen. Die Fotos dort zeigen ihr Leben: Ausflüge mit den Kindern, Dates mit ihrem Mann Ben. Das Problem: dies ist weder ihr Profil, noch hat sie die Fotos gemacht. Ein paar Tage später ist das Profil verschwunden, und als sie gerade aufatmet, flattert ein Paket ins Haus. Darin Bücher über dissoziative Störungen und eine Nachricht, in der sie sich selbst um Hilfe bittet. Die Bestellung wurde von ihrem Amazon-Konto getätigt, aber Sarah ist überzeugt, sie nicht aufgegeben zu haben. Genauso wie die Emails, die auf einmal in ihrem Namen verschickt werden, oder die Notizen, die Ben hinterlassen werden, in ihrer Handschrift. Sarah verzweifelt,.

„Bisher war ihr gar nicht klar gewesen, wie angreifbar sie und jeder andere tatsächlich waren. Durch facebook, Twitter, Craigslist, E-Mails, Online-Konten mit knackbaren Passwörtern und dem ganzen restlichen digitalen Fingerabdruck katapultierte man sich mitten ins Auge der Öffentlichkeit, und zwar auf eine Weise, die man noch vor zehn Jahren für töricht und sogar unverantwortlich gehalten hätte. […] Social Media war für die ganze Welt verfügbar.“ Pos. 3189

Dies wird Sarah dann langsam bewusst. Wie so viele ihrer Freundinnen nutzt sie facebook schließlich nur, um mit losen Bekannten in Verbindung zu bleiben. Man gibt ein paar Updates über sein Leben, wie sich die Kinder machen, das ist doch harmlos. Wer sollte daraus Kapital schlagen können?
Sarah ist authentisch gezeichnet. Auf der einen Seite versucht sie, ruhig zu bleiben um der Panik nicht die Oberhand zu geben, doch auf der anderen Seite weiß sie, dass sie ihre Kinder schützen muss – aber vor wem? Vor sich selber? Das meint zumindest Ben, ihr Mann. Nach und nach entfaltet Sarah sich für mich als komplexer Charakter, als auch noch die Beziehungsdynamik ins Spiel kommt. Ihre Handlungen sind nachvollziehbar. Langsam beginnt sie, angefangen bei ihren Patienten bis hin zu ihrer Schwiegermutter im fernen England alle zu verdächtigen. Wer würde das nicht?

„Nichts wird sich klären, im Gegenteil. Bald wird sie sich wünschen, dass alles wieder so sein könnte, wie es momentan ist. In ihrer Erinnerung werden das jetzt goldenen Zeiten sein. Und das sind sie irgendwie auch. Denn besser wird es nicht mehr für Sarah Havenant.“ Pos. 2829

Und dann, langsam kann Sarah aufatmen. Sie ist fest davon überzeugt, dass sie einen Weg gefunden hat, die Ereignisse aufzuklären. Doch ihr Leben beginnt wieder zu bröckeln, als sie erkennt, wie fest Ben daran glaubt, dass sie eine Persönlichkeitsstörung hat und alle Ereignisse Hilferufe ihres Unterbewusstseins sind. Sie muss Ben davon überzeugen, dass sie nichts mit alledem zu tun hat, dass sie keine Persönlichkeitsstörung hat. Aber das kann sie nicht, denn sie hat keine Beweise.
Langsam verwandelt sich ihre Welt in einen nicht endenden Alptraum – und die dunkle Spirale zieht sie immer weiter nach unten. Allerdings sind auch Bens Zweifel absolut nachvollziehbar. Auch wenn er seine Frau unterstützen will und ihr den Rücken stärken möchte, er ist sich nicht sicher, was er glauben kann. Und dann sind da noch seine Kinder, die er notfalls vor ihrer Mutter schützen muss.

„Endlich. Denn jetzt, nach all dem Planen und Warten und Beobachten, geht es richtig los. Das dichte Netz wird schon lange gesponnen. Und nun hat sie einen Faden davon in die Hand bekommen und wird daran ziehen. Und wenn sie es tut, wird sich das Netz auf eine Art und Weise auftrennen, die sie sich bisher überhaupt nicht vorstellen kann. Es gibt viele Fäden darin. [….] Durch den Versuch des Entwirrens verwickelt sie sich lediglich. Sie steckt fest. Ist gefangen.“ Pos. 402

Die Geschichte wird in drei Teilen erzählt. Anfangs eine kurze Rückblende, dann überwiegend aus Sarahs Sicht. Zwischendurch kommt der Täter zu Wort. Man erfährt nichts über seine Identität, über seine Beweggründe. Das trägt zur unterschwelligen Spannung bei. Denn so, wie man Sarah kennen lernt, hat man nicht den Eindruck, dass sie jemandem etwas Böses angetan hat. Nachdem ich den dritten Teil begonnen hatte, konnte ich gar nicht schnell genug lesen. Auch der Schreibstil hat viel zur Spannung beigetragen. Klare Sätze, wenig drumherum. Ich habe mit Sarah mitgefiebert, wollte nicht, dass sie selbst hinter all dem steckt, habe ihre Verzweiflung gespürt und wollte ihr helfen.

Fazit: Eine spannende Geschichte, die uns noch einmal ermahnt, nicht zu leichtfertig mit unserem digitalen Fußabdruck umzugehen.

Veröffentlicht am 20.07.2018

Spannend!

The Wife Between Us
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Vanessa macht eine schwere Zeit durch. Sie hat sich von ihrem Mann Richard getrennt und erfährt nun, dass er erneut heiraten wird. Sie hat nur noch ein Ziel: Sie muss „die Neue“ vor Richard warnen!

Nellie ...

Vanessa macht eine schwere Zeit durch. Sie hat sich von ihrem Mann Richard getrennt und erfährt nun, dass er erneut heiraten wird. Sie hat nur noch ein Ziel: Sie muss „die Neue“ vor Richard warnen!

Nellie hingegen genießt ihr Leben momentan in vollen Zügen – bald wird sie den Mann ihrer Träume heiraten. Er ist vermögend, gutaussehend, liebevoll und großzügig.Den beiden steht eine tolle Zukunft bevor.

Doch wie immer, der Schein trügt. Denn dann tritt Emma auf die Bühne.

Was kann man noch schreiben, ohne zu viel zu verraten? Das Buch ist in mehrere Teile aufgeteilt. Im ersten Teil lernen wir Vanessa kennen, die nach der Trennung bei ihrer Tante Charlotte lebt und versucht, ein möglichst geregeltes Leben zu führen. Abwechselnd zu den Kapiteln aus Vanessas Sicht erzählt Nellie ihre Geschichte. Die junge Erziehern wird in wenigen Tagen ihren „Traumprinzen“ Richard heiraten und freut sich auf die gemeinsame Zukunft.

Dann kommt der Break zu Teil zwei und mit ihm eine überraschende Wendung. Leichte Verwirrung machte sich breit, doch dann fand ich die Idee genial. Nun konnte ich das Buch wirklich nicht mehr aus der Hand legen, musste endlich wissen, wie es weitergeht! Der folgende Teil voller hinterhältiger Intrigen, Alkohol und Lügen kann sich wirklich sehen lassen. Kein 08/15-Thriller, sondern einer, bei dem man an machen Stellen mitdenken muss, um den roten Faden nicht zu verlieren. Den Autorinnen ist es gelungen, dass der Leser sich so fühlt, wie Vanessa an manchen Tagen. Man bekommt die Ereignisse nicht richtig zusammen, erst wenn man das Gesamtbild sieht, ist das Puzzle komplett. Man weiß nicht, wer lügt, wem man vertrauen kann.

Der Schreibstil ist wirklich flüssig, man fliegt durch die Seiten. Mit den Charakteren bin ich nicht so richtig warm geworden, aber komischerweise hat dies das Buch nicht zäh gemacht.

Lediglich den Epilog hätte man sich mal wieder sparen können. Ich bin immer wieder erstaunt, wie ein Kapitel, das eigentlich die Fäden noch einmal zusammen ziehen soll, die Story im Nachhinein so kaputt machen kann. Dennoch gebe ich eine Leseempfehlung für Fans von unblutiger Spannung!