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Veröffentlicht am 10.02.2019

Klischeehaft

Agathe
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Anne Catherine Bomanns Erstling „Agathe“ ist ein schmales Buch, in dem sie eine Geschichte über Freundschaft, neue Wege und Aufbruch erzählt.

Ein Psychiater kurz vor dem Ruhestand, desillusioniert, gefangen ...

Anne Catherine Bomanns Erstling „Agathe“ ist ein schmales Buch, in dem sie eine Geschichte über Freundschaft, neue Wege und Aufbruch erzählt.

Ein Psychiater kurz vor dem Ruhestand, desillusioniert, gefangen in einem langweiligen, äußerst einsamen und komplett durchorganisierten Leben ohne Herausforderungen und eine junge psychisch kranke Frau, die sich unbedingt von ihm behandeln lassen will sind die Zutaten, aus denen die Autorin mit eleganter und klarer fast spröder Sprache ihre kurze Geschichte abspult.
Namenlos, langweilig, schrullig und sozial inkompetent ist der Psychiater, dem Agathe jung und quirlig und aus jahrelanger psychiatrischer Behandlung vorbelastet gegenübergestellt wird. Sie bewirkt einen Wandel in seinem Leben während der Sitzungen, der ihn aus seiner Lethargie löst.

Es ist letztlich ein Wohlfühl-Buch, in dem aus Abwarten, Eintönigkeit und einem unaufgeregtem Leben in Richtung Ruhestand neue Wege geöffnet werden, Freundschaft und Nähe entsteht und das Leben eines alternden Psychiaters wieder Schwung bekommt.

Und genau das ist es, was mich unter anderm an dem Roman stört. Ein für mich absolut grandioser erster Teil, in dem die Langeweile des Psychiateralltags aus den Seiten zu tröpfeln scheint, in dem Agathe und andere Patienten fast störend wirken und man beim Lesen ein ausgezeichnetes Gespür für den schrulligen alten Mann bekommt wandelt sich im zweiten Teil des Buches in ein klischeebelastetes Alles-wird-gut-Buch. Es ist schade um die wirklich hervorragende Art der Autorin, Gefühle für die Charaktere zu wecken, um den stilistisch und erzählerisch gekonnten Ansatz und um die Geschichte selbst.
Verblassen der Figuren, Abgleiten in Positivismus, der für mich nicht nachvollziehbar und glaubhaft wirkt wird dadurch aus einem kleinen feinen und eleganten Gespinst ein Buch, das wie so viele andere Bücher auch eine heile Welt heraufbeschwört, unglaubwürdig und zu schön um wahr zu sein.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Figuren
  • Geschichte
  • Gefühl
  • Atmosphäre
Veröffentlicht am 12.01.2019

Dystopisch?

Vox
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Was passieren kann, wenn aufgeklärte unabhängige Frauen sich lieber ihrer kleinen heilen Welt und Karrierebasteleien zuwenden anstatt aufzustehen und für ihre Rechte zu kämpfen zeigt dystopisch angelegte ...

Was passieren kann, wenn aufgeklärte unabhängige Frauen sich lieber ihrer kleinen heilen Welt und Karrierebasteleien zuwenden anstatt aufzustehen und für ihre Rechte zu kämpfen zeigt dystopisch angelegte Roman „Vox“ von Christina Dalcher. Gar nicht so weit in der Zukunft liegend greift sie die Dinglichkeit der #metoo-Bewegung in den USA nach der Machtergreifung Donald Trumps auf und spinnt einfach ein kleines Stückchen weiter, mit schrecklichen Aussichten.

Hundert Wörter haben Frauen in der Bibel-basierten schönen neuen Welt in der nicht allzu fernen Zukunft in den USA täglich zur Verfügung. Bei Mehrverbrauch wird körperlich gezüchtigt mit Armbändern, die Stromschläge verteilen. Jean McClellan, bis vor knapp zwei Jahren emanzipierte und anerkannte Linguistin, musste wie alle anderen Frauen auch ihren Job in der Hirnforschung beenden um als ihrem Mann untergebene und der Familie ergebene Hausfrau den Alltag im Haus zu fristen, eingeschränkt und reglementiert mit Überwachung und irrwitzigen Vorschriften, einzig gefordert und abgelenkt mit zensierten langweiligen Fernsehsendungen. Sie hatte nicht gekämpft, als es höchste Zeit dafür war, hatte lieber an ihrer nunmehr beendeten Karriere gebastelt und ihre kämpferische Mitbewohnerin bei Demonstrationen gegen das aufstrebende bibeltreue extremistische Regime sprichwörtlich allein im Regen stehen gelassen. Fassungslos und ohne Stimme muss sie nun mit ansehen, wie ihre kleine Tochter Sonja an der Schulen zur guten wortkargen Hausfrauen ausgebildet wird. Sprache, Schrift, Bücher und Entscheidungsmöglichkeiten stehen nur den Jungen und Männern zur Verfügung, sofern sie Regime-treu denken und handeln.
Doch das ist nicht das Ende, und Jean bekommt sie Chance, die Gesellschaft zu ändern und ergreift sie.

Es ist ein äußerst spannendes und aufrüttelndes Thema, das die Autorin mit vielen interessanten Aspekten aufgreift. Umso wichtiger, da die Anfänge der Geschichte in unserer heutigen Zeit liegen könnten, in der viele Menschen dummerweise eben nicht rechtzeitig aufstehen und Nein sagen, sondern gefangen in ihren Karrierebasteleien versuchen, vorwärts zu kommen, Leistung zu erbringen und äußerst bedrohliche Zeichen von Veränderungen bewusst oder unbewusst ignorieren.
Reglementierung, Intersektionalität, schleichende Beeinflussung von Kindern an Schulen, falsche Moral und falscher Idealismus auf Kosten eines Teiles der Gesellschaft, Unterordnung und Duldung und Ja-Sagen und nicht zuletzt Extremismus wird hier weitergedacht und in all ihren Blüten im Großen und im Kleinen auf äußerst erschreckende Weise gezeigt. Die Autorin gestaltet die Geschichte dabei auf sehr persönlicher Ebene für Jean und ihr Umfeld, was dem ganzen mehr Eindringlichkeit als eine gesellschaftliche Kritik im Allgemeinen verleiht.

So weit so gut, doch leider gleitet das Buch im letzten Drittel zur unglaubwürdigen und für mich wirklich äußerst konstruierten Schmonzette ab, als Jean versucht, das Land zu retten. An den Haaren herbeigezogene Verwicklungen und Zufälle und ein übertriebenes Liebesgeplänkel machen aus einem glaubwürdigem, guten und aufrüttelnden Buch leider eine flache und wenig glaubwürdige Geschichte, die eine kämpferisch-positive Friede-Freude-Eierkuchen-Stimmung verbreiten will, die so gar nicht zu den ersten Teil passt. Wenn die guten Cowboys alles richtig machen, wird am Ende alles wieder gut. Für alle.

Schade für das Buch, dem ich ein runderes und realistischeres Ende gewünscht hätte.
Das große Potenzial des Anfangs, in dem äußerst eindringlich vermittelt wird, dass man nie die Hände in den Schoß legen darf, sich nie das Ruder aus der Hand nehmen lassen sollte, sondern aufstehen und kämpfen muss, und das mit leisen Tönen und sehr persönlich betrachtet, verliert sich damit, leider.

Veröffentlicht am 12.01.2019

Tragisch Stilvolle Inselgeschichte

Eine Nacht, ein Leben
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Tragisch und stilistisch gewollt angestaubt und altertümlich erzählt die preisgekrönte französische Autorin Sophie Van der Linden eine Liebesgeschichte zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts. Ihr Roman ...

Tragisch und stilistisch gewollt angestaubt und altertümlich erzählt die preisgekrönte französische Autorin Sophie Van der Linden eine Liebesgeschichte zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts. Ihr Roman „Eine Nacht, ein Leben“ konzentriert die Handlung auf eine Nacht und auf eine Insel.

Der Maler Henri liebt Youna und reist ihr auf die französische Insel B. nach, auf die sie sich vor über einem Jahr von Henri unverstanden zurückzog und seither nichts mehr von sich hören ließ. Henri hofft, durch seinen überraschenden Besuch das Geschehen zu verstehen und die einstmalige Beziehung wieder zu beleben. Er verbringt einen Tag und eine Nacht auf der Insel, nachdem er keine Antwort von der nunmehr unabhängigen Youna bekommen hat, bis der Beginn der Ersten Weltkrieges ihn aus der träumerischen und malerischen Landschaft der Insel, aus erstaunlichen und interessanten Begegnungen mit Inselbewohnern und aus seinem Lebenstraum reißt.

Äußerst bildhaft und poetisch ist der Sprachstil der Autorin, ein bisschen klassisch und (wahrscheinlich gewollt) altertümlich, gespickt von stilvollen Landschaftsbildern, genauen Porträts vieler Randfiguren und Begegnungen von Henri mit den Inselbewohnern.
Das Stück Lebensweg, auf dem man Henri beim Lesen begleitet, ist zwar wesentlich aber äußerst kurz mit den anberaumten 24 Stunden, und es gibt wenige Rückblicke auf sein und Younas bisheriges Leben. Mäandernd weicht die Autorin immer wieder ab, um die vielen Nebenfiguren, die Henri nur aus der Ferne betrachten, unter die Lupe zu nehmen. Das schafft für mich wenig Nähe zur Geschichte selbst sondern eher Abstand, wie durch ein Fernglas betrachtet. Der Blick auf Henri und Youna verliert sich dabei.

Ein schmales Büchlein, das mich leider nicht wirklich packen und überzeugen konnte, trotz des atmosphärischen, schönen und eleganten Stils entglitt mir die Geschichte beim Lesen.

Veröffentlicht am 08.10.2018

Zeitreise

Ida
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Wenn ein Buch schon alleine wegen des Namens der Autorin und dem der Romanheldin so viele Vorschusslorbeeren erntet, ist es schwer, dieses ohne hohe Erwartungshaltung zu lesen. Thematisch höchst interessant, ...

Wenn ein Buch schon alleine wegen des Namens der Autorin und dem der Romanheldin so viele Vorschusslorbeeren erntet, ist es schwer, dieses ohne hohe Erwartungshaltung zu lesen. Thematisch höchst interessant, bereits mit Preisen ausgezeichnet und von der Kritik viel gelobt kommt der Roman „Ida“ als Debüt der Autorin Katharina Adler daher.

Die Geschichte der Ida Adler, erzählt von ihrer Urenkelin Katharina Adler, beginnt, wenn auch nicht chronologisch berichtet, am Ende des 19.Jahrhunderts und endet 1945. Die Krankheitsgeschichte der berühmten Patientin Sigmund Freuds, als Hysterikerin eingestuft und durch sich selbst aus dessen Behandlung entlassen, ist geschickt verknüpft mit Idas Familiengeschichte. Höchst interessant mit wenigen eingestreuten Notizen Freuds, löst sich der Roman jedoch weit von Der Hysteriegeschichte und verleiht Ida Adler mit ihrem unglaublichen Überlebenswillen trotz der zeitgeschichtlichen Widrigkeiten und Wirrnisse eine starke Stimme. Nicht minder interessant ist der Werdegang des Österreichischen Sozialdemokraten Otto Bauer, Idas Bruders, und seines Umfeldes, wozu zum Beispiel Friedrich Adler, der den kaiserlichen Ministerpräsidenten Stürgkh erschoss, gehört.
Entspannt, mit Liebe zu Details des Wiener Lebens ist die Familiengeschichte erzählt, und obwohl manche Passagen bemüht und angestrengt wirken ergibt sich ein rundes Bild vom Leben der Jüdin, die bei Kriegsausbruch gezwungen war, ihre Heimat zu verlassen und mit Hilfe der Sozialdemokraten eine wahre Odyssee bis zur Ankunft in den USA hinter sich bringen musste.

Halb fiktional als Romanbiografie erzählt ist das Buch eine Mischung aus wenigen hinterlassenen Materialien der Ida Adler, viel zeitgeschichtlicher Recherche und mit Fantasie der Autorin gefüllten Lücken.
Stilistisch wirkt auf mich sehr störend, dass man diese Übergänge ziemlich deutlich mitbekommt. Das Buch hätte sehr gut funktionieren können, aber vielleicht fehlt der Autorin die Schreiberfahrung, und so entstehen trotz der durchaus gewollten zeitlichen und inhaltlichen Sprünge und der Unterschiedlichkeit der Geschichte zu viele Versatzstücke, die für mich einfach nicht gut zusammenpassen wollen. Sprachlich holprig und etwas mühsam zu lesen wird der Roman dadurch.
Es ist dennoch ein lesenswertes und interessantes Buch, wenn man darüber hinwegsehen kann und sich vordergründig faktisch auf Ida Adlers Geschichte einlässt.

Veröffentlicht am 20.07.2018

Kunstvolles Geflecht

Die Unruhigen
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Der Roman „Die Unruhigen“ von Linn Ullmann, auf den ersten Blick sowohl fiktiv als auch autobiografisch, lässt sich nicht gleich und leicht in ein Genre einordnen. Es ist ein Buch über das Erwachsenwerden ...

Der Roman „Die Unruhigen“ von Linn Ullmann, auf den ersten Blick sowohl fiktiv als auch autobiografisch, lässt sich nicht gleich und leicht in ein Genre einordnen. Es ist ein Buch über das Erwachsenwerden einer ungeduldigen Tochter, über das Kindseinwollen ihrer berühmten Eltern, über das Vergessen und das Erinnern.

Linn Ullmann schreibt ihre unvollständige Lebensgeschichte über das Aufwachsen, über ihr berühmten und getrennt lebenden Eltern, die Schauspielerin Liv Ullmann und den Filmregisseur Ingmar Bergmann. Nicht gemeinsam erlebend und erzählend, sondern immer mit Erzählerblick von außen auf zwei Personen des getrennten Dreiergespanns: Vater-Tochter, Mutter-Tochter, Mutter-Vater. Jeweils einer führt Regie, hält die Linse auf das Geschehen, erzählt. Im Mittelpunkt des Buches stehen Gespräche, was dem ursprünglichen Plan der Autorin entspricht, nämlich das Altern ihres Vaters zu dokumentieren und ein gemeinsames Buch darüber zu schreiben. Umsetzen konnte Linn Ullmann dieses Projekt so nicht, das Alter ihres Vaters machen ihr einen Strich durch die Rechnung, und so kam dieser genreüberschreitende Roman heraus, bei dem die transkribierten Gespräche mit ihrem Vater zwar den roten Faden bilden, aber durch Momentaufnahmen, Detailreichtum und unruhige Suche verliert sich diese Linie wieder in fast cineastisch anmutenden Einzelszenen.

Wenn man sich darauf einlassen kann fällt es nicht zuletzt durch den entspannten Erzählstil leicht, in diese Welt einzutauchen, und auch wenn etwas Unruhe im Buch entsteht durch immer wieder eingeschobene Briefe, Tagebuchauszüge, Momente mit Dialogauszügen, was hohe Aufmerksamkeit beim Lesen erfordert, wirkt die Atmosphäre insgesamt ruhig und gemütlich.

Auch wenn ich die Idee zum Buch und die Umsetzung sehr gut finde, modern und ein bisschen gewagt, interessant und spannend, ist es einfach nicht wirklich die Art des Lesens für mich, und ich habe mich etwas schwer damit getan. Die Geschichten und Erinnerungen selbst sind aufschlussreich und fesselnd, aber das wirklich kunstvolle literarische Geflecht war mir stellenweise einfach zu viel.