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Veröffentlicht am 22.01.2019

Eine für Alle, Alle für Eine

Alligatoren
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Von wem ist hier eigentlich die Rede, wenn Deb Spera mit dem Titel ihres Romans „Alligatoren“ ankündigt? So unverwüstlich wie die Haut und auch so zäh wie das Fleisch der Alligatoren, die im benachbarten ...

Von wem ist hier eigentlich die Rede, wenn Deb Spera mit dem Titel ihres Romans „Alligatoren“ ankündigt? So unverwüstlich wie die Haut und auch so zäh wie das Fleisch der Alligatoren, die im benachbarten Sumpf leben, müssen auch die Frauen zur Zeit kurz vor der Weltwirtschaftskrise sein, die in den Südstaaten der USA um ihr Überleben kämpfen müssen. Der Baumwollkäfer hat bereits drei Ernten infolge vernichtet. Das Umsatteln auf Tabakanbau wirft nicht genug Gewinn ab.

Zu dieser unwirtlichen Zeit kreuzen sich die Wege von Anni Coles, Retta Bootles und Gertrude Pardee.
Die Farbige, Retta, arbeitet im Haushalt der Familie Coles, so wie es schon ihre Mutter und ihre Großmutter getan haben, nur mit dem Unterschied, dass sie in Freiheit geboren wurde. Retta, die eigentlich Oretta heißt, ist sehr spirituell unterwegs, sie hat ein unendlich großes Herz, sie verehrt Gott und die Kirche. Die größte Zuneigung und Liebe empfindet sie jedoch für ihren Ehemann, Odell. So wie sie von ihm spricht, denkt man an eine junge Liebe und dementsprechend an eine junge Frau. Nur ihre Gebrechen verraten sie. Oretta und Odell haben alle Widrigkeiten des Lebens gemeinsam überstanden. So hält die beiden auch im Alter ein festes Band zusammen, auch wenn sie Meilen von einander entfernt sind.

Gertrude ist die gepeinigte Frau eines alkoholkranken Taugenichts. Sie haben vier Mädchen, von denen zwei bei Verwandten wohnen müssen, weil sie nicht mal genug haben, um alle satt zu bekommen. Als sie schließlich bei Anni Coles in der Näherei anfängt, könnte das Leben für sie besser werden. Doch überall lauern Gefahren wie zum Beispiel das Sumpffieber.

Anni scheint es als Frau eines Plantagenbesitzers und Besitzerin einer Näherei am besten zu haben. Doch der Schein trügt, auch sie hat ihr, wenn nicht gar das schwerste, Päckchen zu tragen. Es kommt nicht von ungefähr, dass ihre Töchter den Kontakt zu den Eltern abgebrochen haben. Zudem setzen die Missernten auch den reichen Weißen zu.

Auf für diese Zeit unkonventionelle Art und Weise helfen sich die drei Frauen. Retta nimmt Gertrudes neunjährige, kranke Tochter bei sich auf und pflegt sie gesund. Anni gibt ihr Obdach und eine Anstellung. Auch wenn die Beziehung manchmal weniger herzlich als geschäftlich wirkt, zieht jede der drei Frauen einen sehr persönlichen Nutzen daraus.

Der in fünf Teile gegliederte Roman wird abwechselnd aus der Sicht von Gertrude, Retta und Anni jeweils in der Ich-Perspektive erzählt. So kann man allen Dreien nahe kommen. Am sympathischsten war mir Retta. Sie hat am meisten gegeben, strahlte trotz der Misere eine gewisse Zufriedenheit aus. Für mich war Retta zudem die heimliche Chefin der Gruppe, weil sie im Hintergrund sämtliche Fäden gezogen hat.

Mir hat „Alligatoren“ gefallen, ich empfehle es gern weiter.

Veröffentlicht am 22.01.2019

Dermaßen abgedreht, dass es schon wieder gut ist

Ed ist tot
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Das in eine für mein Empfinden hässliche Brochure gebundene Buch von Russel D McLean hält, was der Einband verspricht. Qualitativ gibt es daran gar nichts zu meckern. Das Cover hat eine schöne samtige ...

Das in eine für mein Empfinden hässliche Brochure gebundene Buch von Russel D McLean hält, was der Einband verspricht. Qualitativ gibt es daran gar nichts zu meckern. Das Cover hat eine schöne samtige Oberfläche. Auch die inneren Werte des Buches stimmen, deutliche Abschnittseinteilung, gut lesbares Schriftbild. Was ich mit hässlich meine, ist diese hölzerne, wie Wandtäfelung wirkende Figur mit dem steinzeitlichen Modegeschmack und dem Anti-Talent für Farbkombinationen, die offensichtlich unsere Protagonistin, Jennifer (Jen) Carter, darstellt. Wenn man sich jedoch die Brochure während des Lesens immer wieder von wirklich allen Seiten, anschaut, entdeckt man nach und nach witzige, sehr passende Details.

Normalerweise wird ein Krimi aus der Sicht von Ermittlern oder auch teilweise aus Sicht der Opfer erzählt. Hier dachte ich eine ganze Weile, es wäre eine Story aus Sicht der Täterin. Aber weit gefehlt, auch Jen ist ein Opfer, ein bisschen verursacht durch die kriminellen Machenschaften ihres (Ex)Freundes, Ed, aber hauptsächlich durch ihre eigenen Unzulänglichkeiten. Wie oft habe ich beim Lesen gedacht: „Jen wird doch nicht, sie wird doch wohl nicht, doch sie wird ...“. Dabei hat Jen ganz oft überlegt, wie sie weiter vorgehen soll, hat sich nach meinem Ermessen jedes Mal für die schlechteste Alternative entschieden.

So stolpert Jen durch eine rasante, sehr skurrile Verfolgungsjagd, bei der sowohl der Glasgower Drogenboss als auch die Polizei hinter ihr her sind. Sie trifft dabei auf diverse Gangster in Ballonseide, mäht vor lauter Unsicherheit, was jeweils richtig oder falsch ist, alle und jeden um, die ihr oder ihren Lieben etwas Böses wollen. So entstand im Verlauf die Schlagzeile „Leichen pflastern ihren Weg“. Die Story hat auch was von: Auge um Auge, Zahn um Zahn. Gefühlt im Wechsel gehen mal Gangster und mal Jen‘s Leute drauf. Am Ende wird dann alles mehr oder weniger gut, als Leser kann man kopfschüttelnd das Buch schließen und ein letztes Mal schmunzeln.

Ich mochte Jen als Antiheldin, die in jeder Lebenslage gezeigt hat, wie man es nicht macht, sehr gerne. Sie wirkte zeitweise echt unsicher, aber immer wenn sie eine unkluge Entscheidung getroffen hatte, war ihr Tatendrang unumstößlich und kraftvoll. Ein schlechtes Gewissen oder Empathie für die Opfer konnte ich bei Jen nicht feststellen. War sie total irre? Oder hatte sie zwei Persönlichkeiten? Das Buch hat es geschafft, dass diese Tatsachen für mich nicht so richtig von Bedeutung waren, ich wollte nur die ganze Zeit gern wissen, was sie als nächstes wieder anstellt.

Fazit:
Man sollte dieses Buch nicht unbedingt lesen, wenn man Bücher über Bücher, Buchhändler und Bibliothekarinnen liebt, es sei den man versteht ganz viel Spaß. Man darf diesen Krimi so oder so nicht ernst nehmen, um ihm etwas abgewinnen zu können. Mir hat er gut gefallen, makabere, witzige Entspannungslektüre als kleine Abwechslung zwischen „normalen“ Büchern. Ich werde mir auf jeden Fall den Verlag merken, der sich auf Bücher wie „Ed ist tot“ spezialisiert hat.

Veröffentlicht am 22.01.2019

Poetische Bruchstücke

Der Sprengmeister
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Das Cover zeigt den erfüllten Lebenstraum von Oskar Johansson, ein einsames Kleinod auf einer Schäre, ein winziges, spärlich eingerichtetes Saunahäuschen, losgelöst von der kapitalistischen Welt. Es bietet ...

Das Cover zeigt den erfüllten Lebenstraum von Oskar Johansson, ein einsames Kleinod auf einer Schäre, ein winziges, spärlich eingerichtetes Saunahäuschen, losgelöst von der kapitalistischen Welt. Es bietet ein einfaches Leben, aber auch die Weite des Meeres und des Himmels. Hier verbringt der im Ruhestand befindliche Oskar seine Sommer.

Als junger Mann überlebt Oskar nur knapp und mit bleibenden Schäden eine Fehlzündung bei Sprengarbeiten. Nachdem seine erste Freundin ihn aufgrund seines „unerträglichen“ Anblicks verlässt, lernt er während einer Demonstration deren Schwester Elvira kennen. Sie heiraten, bekommen drei Kinder, sie führen ein entbehrungsreiches Leben innerhalb der unteren sozialen Schicht. Als Sozialisten sind sie politisch engagiert, hoffen ihr ganzes Leben auf einen Wandel, sie glauben an die Revolution.

Da man Oskar als gealterten Menschen kennenlernt, wirkt er oft schon ein wenig senil und starrköpfig. Er hat keine richtige Lust, sein Leben zu offenbaren. Manches hat er auch einfach verdrängt. Erstaunlich war für mich nach seinem Unfall die Rückkehr in seinen alten Beruf als Sprengmeister. Trotz seiner schweren Verletzung und der daraus resultierenden Eingeschränktheit hat Oskar nie aufgegeben, sich durchgebissen und sein ganzes Leben für seine Familie so viel wie möglich gearbeitet. Das hat mir stark imponiert.

Der Schreibstil von Mankell ist hier sehr schön poetisch, trotzdem etwas gewöhnungsbedürftig, da Oskar’s Geschichte bruchstückhaft in Einzelteilen mit vielen, nicht chronologischen Rückblicken erzählt wird. Wie beim Kitten einer zerbrochenen Vase muss der Leser für die Einzelteile eine Ordnung finden, damit das große Ganze entsteht. Dadurch ist das Lesen recht anspruchsvoll. Aus meiner Sicht ist es eine kleine lohnenswerte Mühe.

Veröffentlicht am 22.01.2019

Unterschätzte starke Persönlichkeit

Ida
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Katharina Adler rekapituliert mit ihrem Roman ein Stück österreichische und europäische Zeitgeschichte. Mit Hilfe des verwendeten Vokabulars gelingt das Eintauchen in die Orte des Geschehens jeweils sehr ...

Katharina Adler rekapituliert mit ihrem Roman ein Stück österreichische und europäische Zeitgeschichte. Mit Hilfe des verwendeten Vokabulars gelingt das Eintauchen in die Orte des Geschehens jeweils sehr schnell. Katharina Adler beschreibt mit Liebe zum Detail die Familienverhältnisse und diverse gesellschaftliche Anlässe, aber auch wirtschaftliche und politische Wendepunkte zwischen Jahrhundertwende und dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Dabei erzählt sie die Geschichte nicht kontinuierlich von Anfang bis Ende, sondern bedient sich der Technik von Zeitsprüngen und Perspektivwechseln. Dadurch bleibt der Leser zunächst recht lange im Dunklen und versteht nicht wirklich, warum Ida teilweise so komisch tickt. Vielleicht waren es auch ein paar Sprünge zu viel. Insgesamt verkörpert dieses viele Hin und Her in Ida‘s Geschichte aus meiner persönlichen Wahrnehmung ihre innere Zerrissenheit.

Als zweites Kind von Philipp und Katharina Bauer entwickelt sich Ida zu einer streitbaren Persönlichkeit, die mir nur zeitweise nahe gekommen ist. Ganz oft kam mir ihr Verhalten auch irrational und befremdlich vor. Dies begründet sich wohl auf den Gepflogenheiten der Zeit, in der sie zu einer jungen Dame reift. Von Beginn an ist Ida’s Verhältnis zu ihrem Vater, Textilfabrikant und Lebemann, ausgeprägter und liebevoller als zur Mutter, die oftmals recht kühl ihrer Tochter gegenüber auftritt. Deshalb lastet jede Kritik des Vaters, z. B. als sie den Komponisten Ernst Adler heiratet, doppelt so schwer auf Ida. Als Mädchen wird sie in ihrer Entwicklung ganz bewusst ausgebremst, umfänglichen Zugang zu Bildung erhält nur der Bruder Otto. Die fast schon offen ausgelebte Liebelei des Vaters und dessen häufige Krankheiten bereiten Ida ständig Kummer. Die Aufdringlichkeit von Hans Zellenka bringt Ida‘s Weltbild dann vollends durcheinander.

Schon als Kind bildet Ida in diesem Umfeld einen chronisch wirkenden Husten sowie eine schlimme Migräne aus. Als diese Symptome auch nach teilweise schrecklichen Behandlungsstrategien diverser Mediziner nicht schwinden, soll sich Ida in die Behandlung von Sigmund Freud begeben. Wie besessen unterstellt Freud ihr sexuelle Phantasien und sie müsse nur davon ablassen, um ihre Beschwerden zu lindern. Meinem Empfinden nach hatte sie wohl eher mit ihrem geliebten Vater mitgekränkelt, da es immer zeitliche Zusammenhänge gab.

Sympathischer wird mir Ida erst als ihr Überlebenskampf beginnt. Zunächst ist dieser mit dem Tod ihres Ehemannes, Ernst Adler, nur von wirtschaftlicher Natur. Später als sie, Jüdin und Schwester von Otto Bauer, dem stellvertretenden Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei, in Wien und bald darauf in ganz Europa nicht mehr sicher ist und flüchten muss, geht es dann richtig ums Überleben. Monatelang dauert die von Entbehrung, Ausgrenzung und Hunger gekennzeichnete Flucht. Ida‘s Beharrlichkeit und Geduld, ihr Weiterstreben trotz des ungnädigen Schmerzes und der Verluste haben mich durchaus beeindruckt. Erst in dieser Phase lässt sich feststellen, dass hinter der oft verwirrt und labil dargestellten Persönlichkeit, Ida, in Wirklichkeit eine starke Frau steckt, die fast durch ihr Umfeld gebrochen worden wäre.

Katharina Adler‘s Roman ist kein einfaches Buch, das man mal eben zwischendurch liest. Es ist anspruchsvoll, zum einen durch den geschichtlichen Hintergrund und zum anderen durch die Notwendigkeit, die bisher bekannte Wahrheit über Ida ins richtige Licht zu rücken. Gelegentliches Innehalten lässt Gelesenes wirken.

Mir hat Ida bis auf ein paar kosmetische Schwächen sehr gut gefallen.

Veröffentlicht am 22.01.2019

Hommage an das Lesen

Das Mädchen, das in der Metro las
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In jeder Zeile dieses Romans schwingt die Liebe zu Büchern, zu Geschichten, zu gedanklichen Ausflügen in eine Phantasiewelt mit.

Das Bild, das im Roman von Buchliebhabern gezeichnet wird, ist schon von ...

In jeder Zeile dieses Romans schwingt die Liebe zu Büchern, zu Geschichten, zu gedanklichen Ausflügen in eine Phantasiewelt mit.

Das Bild, das im Roman von Buchliebhabern gezeichnet wird, ist schon von außen auf dem künstlerisch gestalteten Cover zu sehen. Überall sind chaotisch wirkende Stapel von Büchern positioniert. Die so entstandenen Gebilde drohen bei der geringsten Erschütterung einzustürzen. So ähnlich sieht es wohl bei vielen von uns aus, zumindest überquellende Regale dürfte der ein oder andere kennen. Wichtige Gegenstände der Geschichte wie Kaffeetasse, Schal und Stifte sind ebenfalls präsent.

Juliette wirkt zu Beginn der Geschichte irgendwie ausgebremst vom Leben, langweiliger Job in einer Immobilienagentur, trostlose kleine Wohnung in der Nähe. Dabei hätte sie eigentlich Potential gehabt, aber eine zu ängstliche Mutter und demotivierende Lehrer haben das wohl verhindert. Das einzig Positive in Juliettes Dasein ist das allumfassende Leseerlebnis. Dazu gehört neben dem Lesen an sich die Wahrnehmung, was das Lesen in Gleichgesinnten auslöst. Irgendwie scheinen ihre Bücher Juliette zu dem schrulligen Soliman zu führen, der ihr die Augen für Ihre eigentliche Berufung öffnet.

Ich hatte den Eindruck, dass Christine Féret-Fleury unbedingt all ihre Lieblingsbücher hier wenigstens einmal nennen wollte. Das war für mein Empfinden etwas zu viel. Abgesehen von diesem Schönheitsfehler war ich ziemlich begeistert von ihrem Roman. Es war die schönste denkbare Reise mit der Pariser Metro, die ich mir vorstellen kann, sehr poetisch mit malerisch formulierten Bildern.