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Veröffentlicht am 24.02.2019

"Durch Zustimmung Gleichklang zu erzeugen fühlte sich richtig an."

Die Liebe im Ernstfall
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Daniela Krien erzählt in „Die Liebe im Ernstfall“ die Geschichten von 5 Frauen, deren Alltag und Beziehungen. Zu jeder Figur gibt es ein eigenes Kapitel, die Handlungsstränge überschneiden sich aber immer ...

Daniela Krien erzählt in „Die Liebe im Ernstfall“ die Geschichten von 5 Frauen, deren Alltag und Beziehungen. Zu jeder Figur gibt es ein eigenes Kapitel, die Handlungsstränge überschneiden sich aber immer wieder. Grundsätzlich geht es um deren Beziehungen, sowohl zu Männern, als auch ihren Kindern, Eltern und Freunden. Liebe, Affären, Kränkungen, Ängste, Glück, Selbstbestimmung, Elternschaft, Eifersucht, Verlust – alles findet Platz auf diesen ca. 280 Seiten. Zu kurz um alles genau auszuschmücken, zu sehr in die Tiefe zu gehen – mir erscheint das aber auch nicht notwendig.

Da es im Klappentext explizit erwähnt wurde, habe ich mich von Anfang bis Ende gefragt, was diese Geschichten mit der Wende zu tun haben. Wieso es so wichtig war, diesen Umstand überhaupt zu erwähnen. Nur in den letzten beiden Geschichten wurde dieses Thema zwar zweitrangig, aber zumindest direkt aufgegriffen.

Der Groschen fiel bei mir tatsächlich erst mit der letzten Geschichte: was wirklich alle gemeinsam haben, ist die fehlende Orientierung. Ich selbst bin kurz vor der Wende und somit genau in diese Orientierungslosigkeit hineingeboren, die die Figuren umtreibt. Mit der Wende wurde alles auf den Kopf gestellt. Keine bis dahin bestehende Ordnung galt mehr. Und genau das ist, was fehlt.

Was stattdessen eintritt, ist die Gewissheit, dass nichts verlässlich und nichts stetig ist.
Den Figuren fehlt das Vertrauen und die Idee davon, nach eigenem Willen für sich selbst richtige Entscheidungen treffen zu können. Dadurch entsteht ein Strudel, der die eine in Wankelmütigkeit und die andere in Schockstarre verfallen lässt. Zudem das Gefühl, aushalten zu müssen und selbst nur wenig Einfluss nehmen zu können.

Vielleicht ist das der Ernstfall, den der Titel benennt. Denn dass es „lediglich“ um Liebesgeschichten geht, kann ich eigentlich nicht glauben. Dafür ist die Autorin zu klar. Zu bestimmt in ihrer Negativität und Aussichtslosigkeit.

Diese Schwere drängt sich beim Lesen auf; ist teilweise kaum erträglich. Ich kann nachvollziehen, dass Leserinnen sich davon nicht angesprochen fühlen, mehr Leichtigkeit haben wollen. Aber genau darum geht es ja. Dass diese Schwere einfach nicht verschwinden will. Dass sie sozusagen mit der Muttermilch aufgenommen wurde und ein stetiges Strampeln erfordert, um sich von ihr zu befreien. Und es gibt mir große Hoffnung, dass die Protagonistinnen es am Ende doch immer wieder versuchen.

Wenn es der Autorin wirklich um das geht, was ich darin lese, dann wird von Leser
innen eine ziemlich hohe Transferleistung abverlangt, die vielleicht zu hoch ist wenn man die Nachwendestimmung nicht selbst miterlebt hat.

Woran es mir fehlt, ist ein mutigerer Schritt raus aus der Normativität. Und ein bisschen auch aus den Klischees. Die Frauen trauen sich zwar, über die klassische Frau-Mann-Rollenverteilung hinaus zu denken aber der wirkliche Ausbruch bleibt aus. Das ist aber Jammern auf sehr hohem Niveau.

Meiner Meinung nach ist Daniela Krien ein wunderbares Stück Literatur gelungen, das eine Zeit und einen Alltag in den Fokus nimmt, die nicht leicht in Worte zu fassen sind. Und das ist ihr meines Erachtens wirklich hervorragend gelungen.