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Veröffentlicht am 21.05.2019

Nicht immer ist alles so, wie es zu sein scheint

Die Entführung
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Die beiden Freundinnen Leni und Ronja verbringen einen Teil der Sommerferien mit Ronjas Vater in einem Haus am Chiemsee. An ihrem letzten Ferientag möchten die Beiden nochmal mit dem Rad zum See. Ihre ...

Die beiden Freundinnen Leni und Ronja verbringen einen Teil der Sommerferien mit Ronjas Vater in einem Haus am Chiemsee. An ihrem letzten Ferientag möchten die Beiden nochmal mit dem Rad zum See. Ihre übliche Abkürzung durch den Wald wird jedoch von einem Kleinlaster blockiert und beim Versuch diesen Kleinlaster zu umgehen, springen maskierte Männer aus dem Auto und kidnappen die beiden 15jährigen Mädchen. Schnell stellt sich heraus, dass die Erpressung dem millionenschweren Unternehmer Karl Festing gilt, Lenas‘ Vater.

Die Lösegeldforderung beläuft sich auf 3 Millionen DM und wird von einer Person eingefordert, die sich „Der Vollstrecker“ nennt. Die erste Kontaktaufnahme zwischen Festing und dem Entführer entwickelt sich zur Machtprobe, denn Festing möchte zum einen einen Betrag in dieser Höhe nicht zahlen und zum anderen glaubt er, dass der Vollstrecker nach seiner Pfeife zu tanzen hat und nicht anders herum. Nur der Einwirkung eines nahestehenden Mitarbeiters hat Leni es zu verdanken, dass ihr Vater dann doch bereit ist, die volle Summe für sie zu zahlen und die Bedingungen der Entführer zu akzeptieren. Trotzdem verlieren im Zusammenhang mit dieser Entführung mehrere Menschen ihr Leben.

Mit diesem nicht so ganz einfachen Fall (oder aber auch mit den nicht so ganz einfachen Menschen) setzen sich dieses Mal die Kriminalhauptkommissare Eva Schaller und Jakob Schuster auseinander.

Die Handlung im Buch ist in 2 Teile gegliedert.

Die Entführung selbst spielt im Jahr 2000 und aus diesem Grund fordern die Entführer ihr Lösegeld auch noch in DM und nicht in Euro. Am Ende dieses Abschnittes ist eine Person tot, die Entführung ist vorbei, es wurde jemand für diese Tat verurteilt und der Fall ist abgeschlossen. Aber ist er das auch wirklich?

Auch wenn man Traumata irgendwie verarbeiten kann und die Entführung schon 17 Jahre zurück liegt, so wird man als Betroffener wahrscheinlich niemals ganz mit dem Erlebten abschließen können. So ist es dann auch nicht verwunderlich, dass eine plötzlich aufgetauchte Leiche, ein achtlos hingeworfener Satz, eine unbedacht gemachte Aussage in einem Gespräch oder ein Mann, der auf einmal regelmäßig in einem Café auftaucht aber niemals etwas verzehrt, alles in Frage stellt, was vor 17 Jahren passiert ist. Nach und nach kommt die Wahrheit ans Licht – und diese Wahrheit ist eine andere als die im Jahr 2000.

Mit „Die Entführung“ habe ich nunmehr den 4. Krimi aus der Feder von Petra Johann gelesen. Sie gehört zu den wenigen Autorinnen, bei denen ich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sagen kann, dass das Buch mich begeistern wird. So auch hier wieder.
Die Produktbeschreibung des Verlags sagt: „Petra Johann wird Sie in die Irre führen – bis zur letzten Seite“. Und genau das tut sie. Neben ihrem sehr angenehmen und lockeren Schreibstil verfügt sie über die Fähigkeit, winzige Details in ihren Sätzen unterzubringen, die man als Leser tunlichst nicht überlesen sollte. Manche dieser Details sind wichtig um die Geschichte der einzelnen Personen verstehen zu können, manche Details führen den Leser näher zum Täter, aber einige Details führen einen auch ganz einfach eine Zeit lang in die falsche Richtung.

Wie in jedem Krimi gibt es „die Guten“ und „die Bösen“ und die, die sich später dann als etwas anderes herausstellen, als sie zuerst zu sein scheinen. Die von der Autorin erschaffenen Charaktere mit ihren Hintergrundgeschichten sind lebensecht und man kann sich durchaus mit ihnen identifizieren (wenn auch nicht immer mit ihren Handlungen).

Leni – lebt bei ihrem wohlhabenden Vater, der sich mehr um seine Geschäfte kümmert als um seine Tochter. Sie ist eher zurückhaltend und unsicher, im Falle der Entführung entwickelt sie jedoch ihre ganz eigene Stärke.

Ronja – lebt auch bei ihrem Vater, der sich als Journalist seinen Lebensunterhalt verdient. Sie ist selbstbewusst, zielstrebig und an einigen Stellen zu forsch in ihrem Auftreten.

Karl Festing – Vater von Leni, ehemaliger Boxer, millionenschwerer Unternehmer und im ersten Anlauf nicht bereit das Lösegeld für seine Tochter zu zahlen. Was für ein Vater !?

Corinna Festing – Mutter von Leni und liebt wahrscheinlich nur sich selbst

Stefan und Birgit Aurich – Eltern von Ronja, getrennt lebend, lieben ihre Tochter über alles und würden alles tun, damit ihrer Ronja nichts passiert.

Gloria Bauer und Nathan Müller: Haushälterin und Buchhalter von Karl Festing und die engsten Bezugspersonen von Leni

Weiterhin noch ein paar Mitarbeiter von Karl Festing, die mehr oder weniger oft durch die Szenen laufen.

Auch die beiden Kriminalbeamten Eva Schaller und Jakob Schuster bringen ihre eigenen Geschichten/Schicksale mit und die Beziehung zwischen den Beiden wird thematisiert, während sie sich mit den mehr oder weniger anstrengenden Angehörigen der Entführungsopfer auseinandersetzen müssen. Während Jakob mir von Anfang an sympathisch ist, braucht Eva da ein bisschen länger um mich zu überzeugen. Letzten Endes schafft aber auch sie es, dass ich sie mag. Die Beiden machen einen guten Job und sind auch bei der Aufklärung 17 Jahre nach der Entführung aktiv bei der Aufklärung dabei.

Das Buch ist von Anfang bis Ende unterhaltsam. Die Aufklärung des Falles kommt ganz anders als gedacht daher und das macht die Geschichte so spannend. Immer wieder hat man jemand anderen als Täter im Visier und ist dann in der Regel doch auf der falschen Fährte.

Petra Johann zeigt, dass man auch ohne großes Blutvergießen einen spannenden Kriminalroman schreiben kann.

Veröffentlicht am 09.05.2019

Das entbehrungsreiche Leben auf der Alb

Die Fotografin - Die Zeit der Entscheidung
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Laichingen 1911: Mimi Reventlow lebt auf der Schwäbischen Alb, im kleinen Weberdorf Laichingen, wo sie auf ihrem Weg als Wanderfotografin Station bei ihrem Onkel gemacht hat, der an Tuberkulose erkrankt ...

Laichingen 1911: Mimi Reventlow lebt auf der Schwäbischen Alb, im kleinen Weberdorf Laichingen, wo sie auf ihrem Weg als Wanderfotografin Station bei ihrem Onkel gemacht hat, der an Tuberkulose erkrankt ist. Seine Erkrankung schreitet unaufhörlich voran, so dass Mimi nun auch noch in die Pflege eingebunden ist, statt nur – wie bisher – den Haushalt am Laufen zu halten. Um den Lebensunterhalt für sich und ihren Onkel zu bestreiten, hat sie Josefs Fotoatelier wieder eröffnet, die Kundschaft bleibt jedoch weitestgehend aus. Zum einen liegt das daran, dass nicht viel Geld für „Schnickschnack“ übrig ist, zum anderen sind die Tage der Laichinger voll mit Arbeit und es bleibt keine Zeit für einen Besuch beim Fotografen. Mimi begegnet diesem Umstand damit, dass sie ihr Atelier auch am Sonntag öffnet – das bringt ihr tatsächlich mehr Kunden und somit mehr Einnahmen, ruft aber auch den Webereibesitzer Gehringer auf den Plan, dem Mimi durch ihre offene Art sowieso von Anfang an ein Dorn im Auge ist. Lässt Mimi sich von Gehringer einschüchtern?

Der 2. Teil „Die Zeit der Entscheidung“ der Fotografinnen-Saga schließt unmittelbar an Band 1 „Am Anfang des Weges“ an und somit verpasst man keinen Moment im Leben der Fotografin Mimi Reventlow.
Die handelnden Personen sind identisch mit den Charakteren, die die Autorin in Band 1 dem Leser liebevoll und realistisch nahegebracht hat, weswegen es sich empfiehlt, die Bücher in Reihenfolge zu lesen.

Mimi fasst langsam Fuß in Laichingen. Durch ihre Arbeit als Fotografin, aber auch durch ihre offene und unkomplizierte Art, öffnen sich ihr nach und nach die Menschen und es entwickeln sich Bekanntschaften, die durchaus das Potential haben, zu Freundschaften zu werden. Vor allem bei der Dorfjugend steht Mimi hoch im Kurs, bestärkt sie diese doch darin, ihren Träumen zu folgen und die eingefahrenen Traditionen zu durchbrechen. Um ihre Ziele zu erreichen, schmieden Alexander, Anton und auch Christel Pläne – ob sie jedoch auch zum Erfolg führen ..... ??

Pünktlich zum Pfingstmarkt kehrt Johann Merkle nach Laichingen zurück. Eigentlich wollte er nie mehr wieder in seinen Heimatort zurückkehren, tut es aber dennoch und arbeitet in der Weberei Gehringer. Als Gewerkschafter möchte er natürlich gegen die dort herrschenden, unzumutbaren Arbeitsbedingungen angehen, es wird aber wahrscheinlich noch eine Zeit lang dauern, bis sich die Weber gegen ihren Arbeitgeber auflehnen.

Mimi hatte Johann in Ulm als „Hannes“ kennengelernt und sie hegt ihm gegenüber mehr als freundschaftliche Gefühle, er lässt sie jedoch so ein klein wenig am ausgestreckten Arm verhungern. Gibt es da noch eine andere Frau in seinem Leben?

An Eveline und ihrem Mann Klaus beschreibt Petra Durst-Benning sehr eindrucksvoll das tägliche Leben der Familien in Laichingen. Klaus arbeitet 10 Stunden und mehr am Tag in der Weberei, Eveline kümmert sich um den Haushalt und die Kinder, den Acker, der mehr als 1 Stunde Fußmarsch von Laichingen entfernt ist, und abends stickt sie für Gehringer Motive auf Kissenbezüge, trotzdem reicht das Geld hinten und vorne nicht. Das Leben ist hart, mühsam und entbehrungsreich und es wundert nicht, dass Klaus immer schwermütiger wird.

Um Mimi unter Kontrolle zu haben, lässt Gehringer sich einiges einfallen. In einer Sache hat sie nur die Wahl zwischen Pest und Cholera, das bedeutet aber nicht, dass sie sie sich einreiht in die Schlange derer, die vor Gehringer aus Angst um ihren Arbeitsplatz kuschen. Mimi ist eben Mimi.

Der Schreibstil der Autorin ist, wie gewohnt, angenehm und flüssig. Neben den Beschreibungen der Lebens- und Arbeitsbedingungen auf der Alb, bekommt man auch einen kleinen Einblick in die Arbeit der Fotografen und die damals schon vorhandene Möglichkeit der Retusche. Die Charaktere sind alle sehr gut ausgearbeitet, handeln entsprechend der Zeit, in der der Roman angesiedelt ist und entwickeln sich (mehr oder weniger) weiter. Dass auch Erwachsene nicht immer alles richtig machen, verleiht der ganzen Geschichte in meinen Augen etwas ehrliches.

Das Ende dieses Buches ist anders als erwartet, ist aber zur Weiterentwicklung der Protagonisten wahrscheinlich die einzige Möglichkeit und nun bleibt es nur noch, die Zeit bis zum 3. Band der Reihe „Die Fotografin“ zu überbrücken, der im Frühjahr 2020 erscheint.

Veröffentlicht am 14.04.2019

Mehr Smartphone – weniger Empathie

Die Smartphone-Epidemie
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Ich habe dieses Buch nicht gelesen, um mich über die Gefahren zu informieren, die von Smartphone & Co ausgehen, sondern ich habe dieses Buch gelesen um herauszufinden, ob ich mit meiner Meinung bezüglich ...

Ich habe dieses Buch nicht gelesen, um mich über die Gefahren zu informieren, die von Smartphone & Co ausgehen, sondern ich habe dieses Buch gelesen um herauszufinden, ob ich mit meiner Meinung bezüglich der heutigen exzessiven Nutzung von Smartphone & Co. alleine stehe. Leider bestätigt der Autor Manfred Spitzer meine Befürchtungen und übertrifft sie bei weitem noch.

„Die Smartphone-Epidemie: Gefahren für Gesundheit, Bildung und Gesellschaft“ beschäftigt sich mit den Auswirkungen durch zunehmende und sucht-artige Nutzung von Internet & Co. durch die „Generation Smartphone“.

Es gibt mehr Smartphones als Menschen auf der Erde und dieses Gerät verändert seit 10 Jahren unser Leben stetig und grundlegend. Leider nicht im positiven Sinne, sondern zunehmend auf negative Art und Weise. Natürlich geht es nicht um das Smartphone selbst, sondern um die damit verbundene Nutzung von Social Media wie WhatsApp, Facebook, YouTube, Instagram & Co. und allen nur erdenklichen Apps, die dem Nutzer das Leben erleichtern sollen.

Smartphone: Es mag Dich näher an die Leute bringen, die weit weg von Dir sind. Aber es bringt Dich auch weiter von den Menschen weg, die neben Dir sitzen.
Vor ca. 25 Jahren schauten die Menschen durchschnittlich nur 2 – 3 Stunden TV. Schon damals wurde durch Langzeitstudien ermittelt, dass dieses Verhalten negative Auswirkungen nach sich zieht: Je mehr Stunden Kinder/Jugendliche vor dem TV verbrachten, desto eher litten sie später an Übergewicht, hatten einen niedrigeren Bildungsstand und je niedriger der Bildungsstand, desto höher die Bereitschaft zur Aggression. Im Vergleich dazu schaut heute die Hälfte aller Smartphone-Benutzer mehr als 5 Stunden am Tag auf den Bildschirm. Wer denkt da jetzt ernsthaft, dass das keinerlei negative Auswirkungen haben kann?

Als Beispiel: In Verbindung mit dem Smartphone haben sich auf dem psychologischen Sektor neue Ängste entwickelt: Die Fomo-Phobie und die Nomo-Phobie.

Fomo: Fear of missing out (die Angst davor, etwas zu verpassen)
Nomo: No more Phone phobia (die Angst davor, nicht erreichbar zu sein)

Ebenso nehmen Aufmerksamkeitsstörungen, Angst, Sucht, Depressionen und Demenz rapide zu, wohingegen Bildung, Empathie und Sozialverhalten rapide abnehmen. Je größer die Smartphone-Sucht (5 oder mehr Online-Stunden pro Tag), desto weniger Kontakt zu realen Personen wie Freunden und Familie.

Der Autor hat sein Buch in 15 Kapitel aufgeteilt und in jedem Kapitel finden sich erschreckende Wahrheiten darüber, wie sich mit zunehmender Smartphone-Nutzung unsere Gesellschaft verändert hat und noch verändern wird, was Phantom-Vibrationen sind und warum online-sein junge Menschen in Wirklichkeit einsam und depressiv macht (bis hin zum Suizid) und sich eben nicht alle 11 Minuten ein Single verliebt.

Die Kapitel lassen sich unabhängig voneinander und in beliebiger Reihenfolge lesen, das Buch enthält aber auch einiges an wissenschaftlichen Aussagen, weswegen man es nicht wie einen Roman einfach so runterlesen kann.

Ich empfinde es zunehmend als erschreckend, in welchem Alter heutzutage Kinder ein Smartphone/Tablet zur Berieselung vorgehalten bekommen und manche von ihnen weit besser auf einem Bildschirm wischen als sprechen können. Ebenso erschreckend finde ich, wie einfach es für Kinder/Jugendliche ist, Zugang zu jugendgefährdenden Seiten zu erhalten - auf manchen Seiten mit fragwürdigem Inhalt muss man einfach einen „Ja, ich bin über 18-Jahre alt“-Button wegklicken um sich durch Seiten voller pornografischer Inhalte klicken zu können und auch Online-Spielcasinos geben sich oftmals mit der Angabe von Geburtsdaten zufrieden, die man ja durchaus auch manipulieren kann. Online-Sucht wird, meiner Meinung nach, vollkommen unterschätzt und ist auf dem Vormarsch. Ein nicht zu verachtender Aspekt von rund-um-die-Uhr-Internet schon für Schulkinder, die ohne Smartphone natürlich das elterliche Haus nicht verlassen.

Hoffentlich finden wir in Deutschland noch einen Weg unserer Jugend den richtigen Weg zu weisen, bevor wir – wie in Tel Aviv – Lichtampeln für „Smombies“ (Smartphone-Zombies) an Kreuzungen auf dem Boden installieren, damit sie nicht auf-ihr-Smartphone-starrend vor ein Auto laufen.

Hier sind – meiner Meinung nach – am meisten die Eltern gefragt, ihren Kindern den dosierten und sachgemäßgen Umgang mit diesem Medium beizubringen. Leider (be)nutzen viele Eltern dieses Medium gleichsam als Babysitter.

Manfred Spitzer beleuchtet die immer weiter fortschreitende Digitalisierung und die damit in Zusammenhang stehenden negativen Seiten sehr eingehend und bringt erschreckende Wahrheiten ans Licht – leider wird das Buch wahrscheinlich nur diejenigen erreichen, die noch nicht allzu sehr in diesem Sumpf stecken. Welcher Süchtige möchte denn schon hören/lesen, dass er süchtig ist?

Auch ich (53) benutze ein Smartphone und habe einen Facebook- und Instagram-Account. Aber wie sagte schon Paracelsus (1493 – 1541): „Die Dosis macht das Gift“.

Veröffentlicht am 05.03.2019

Berlin/Wien 1936 – 1945 / 2018

Die Fliedertochter
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Die 75jährige Antonia Ostermann, Toni genannt, erhält einen Brief in dem sie von einer Lena Brunner darum gebeten wird, sie in Wien zu besuchen. Es ginge um das Vermächtnis Peter Matusek. Zum einen hat ...

Die 75jährige Antonia Ostermann, Toni genannt, erhält einen Brief in dem sie von einer Lena Brunner darum gebeten wird, sie in Wien zu besuchen. Es ginge um das Vermächtnis Peter Matusek. Zum einen hat Toni keine Ahnung, welche Verbindung es zwischen ihr und diesem Peter Matusek geben könnte, zum anderen ist sie gesundheitlich nicht in der Lage, diese Reise anzutreten, so dass sie Paulina Wilke darum bittet, sich dieser Angelegenheit anzunehmen. Obwohl Toni und Paulina nicht miteinander verwandt sind, stehen sie sich doch seit vielen Jahren sehr nahe. Paulina reist also nach Wien, im Gepäck eine Schneekugel, die sie schon ihr ganzes Leben lang als Talismann begleitet. Bei den Brunners in Wien wird sie freundlich aufgenommen und man überreicht ihr das Vermächtnis von Peter Matusek: Ein blaues Tagebuch, geschrieben von Luzie Kühn, die von 1936 bis 1944 in Wien lebte.

Paulina versinkt in der Geschichte von Luzie und nimmt den Leser mit in die schwärzeste Zeit der Deutschen Geschichte – in die Zeit des aufkommenden Nationalsozialismus.

Warum befindet sich das Tagebuch der Luzie Kühn im Besitz von Peter Matusek und was wiederum hat das mit Antonia Ostermann zu tun? Welche Rolle spielt die Schneekugel, die im Besitz von Paulina Wilke ist?

Mit „Die Fliedertochter“ hat die Autorin Teresa Simon ihren 4. Roman veröffentlicht, für mich ist es der 2. Roman, den ich von ihr lese. Die Autorin hat ihren Roman in einer geschichtlichen Epoche angesiedelt, die nicht fiktiv sondern leider bittere Realität ist. Ihre Hintergrundrecherchen zu dieser Zeit und den Geschehnissen sind hervorragend und neben seinem Unterhaltungswert hat dieser Roman auch einen hohen informativen Wert.

Im Prolog trifft der Leser auf die kleine Paulina, die in der Schublade ihrer Mutter einen Brief findet, mit dessen Inhalt die damals 11jährige nichts anfangen kann. Ihr Mutter verspricht ihr, dass sie sie über den Sachverhalt aufklärt – wenn sie alt genug dazu ist.

Dann springt die Geschichte einige Jahr weiter, Paulina ist erwachsen und Toni bittet sie, sich um diese Nachlassgeschichte zu kümmern, für die sie selbst nicht mehr gesund genug ist.

Die Handlung spaltet sich nun in 3 Stränge – Paulina, die sich in Wien bei Familie Brunner (Lena, Ferdinand und Sohn Max, sowie Max‘ Freund Tamás) aufhält, Paulinas Mutter Simone, liebevoll Mamasi genannt, die mit ihrer Freundin Heike auf Pilgerreise geht und Toni, die zu Hause auf die Informationen von Paulina wartet und der letzte Handlungsstrang ist die Geschichte von Luzie Kühn zu Zeiten des Nationalsozialismus.

Luzie arbeitet 1936 in einem Varieté in Berlin, träumt aber von einer Karriere beim Film. Aus diesem Grund begleitet sie ihren früheren Chef zu einer Veranstaltung, bei der sie den Reichspropagandaminister Dr. Joseph Goebbels kennenlernt, der sich über alle Maßen für Luzie interessiert und ihr nachstellt. Sein Spitzname „Der Bock von Babelsberg“ kommt nicht von Ungefähr und ohne einen Besuch in seinem „Besatzungsbett“ wären die Karrieren einiger Stars und Sternchen der damaligen Zeit wahrscheinlich schneller zu Ende gewesen als sie begonnen hätten. Noch ist Luzie nicht in Gefahr, da ihre „Abstammungslegende“ wasserdicht ist. Sollte sich jedoch jemand die Mühe machen genauer zu hinterfragen wer sie ist, wären sie und ihre Großeltern in großer Gefahr, denn Luzie ist Halbjüdin. Zu diesem Zeitpunkt besteht schon ein Berufsverbot gegen jüdische Anwälte und Mediziner und generell werden Menschen mit jüdischer oder halbjüdischer Abstammung schikaniert. Um sich und ihre Großeltern zu schützen, verlässt Luzie Berlin und geht nach Wien zu ihrer Tante. Aber auch in Wien war man nach der Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich nicht vor Judenverfolgung sicher und der Leser wird Zeuge, wie sich die reale Geschichte des Deutschen Reiches damals zugetragen und wie geschickt die Autorin dies mit der fiktiven Geschichte von Luzie Kühn verknüpft hat. Beim Lesen habe ich mich mehr als 1 Mal gefragt, wie grausam Menschen sein können. Wer gestern noch Freund war, war heute dann Feind – nur, weil er einer anderen Ethnie zugehörig ist. Dieser Handlungsstrang ist sehr interessant, fesselnd aber auch sehr beklemmend.

Man darf gar nicht darüber nachdenken, dass es eine „Arbeitsanstalt für asoziale Frauen“ gab. Eine Anstalt der „Vernichtung lebensunwerten Lebens“, in der als erbkrank eingestufte Frauen zwangssterilisiert wurden und eine Kinderfachabteilung in der geistig und körperlich behinderte Kinder euthanasiert wurden.

Im Strang der Gegenwart besucht Paulina mit Max und Tamás einige Orte und Denkmäler, die noch heute von den Grausamkeiten des 2. Weltkrieges erzählen. Aufgrund der Erzählung aus dem Tagebuch, drehen die 3 eine Dokumentation, die das Leben der Luzie Kühn von damals mit den Gedenkstätten von heute verbindet.

Simone (Mamasie) und ihre Freundin Heike befinden sich auf einer Pilgerreise in Italien. Unterwegs erzählt Simone die Geschichte von Lille; ihrer besten Freundin, die vor einigen Jahren an Brustkrebs gestorben ist und das Leben ihres noch ungeborenen Kindes über ihr eigenes gestellt hat. Damit ihr Kind leben kann, musste Lille auf jegliche Behandlung verzichten. Bevor sie starb, hat sie ihr Kind in liebevolle Hände gegeben.

Toni hält sich unterdessen in einem Krankenhaus auf, sie musste sich einer Radiologischen Therapie unterziehen und wird von Paulina per Telefon auf dem Laufenden gehalten. Von Toni selbst erfährt man nur sehr wenige Einzelheiten, wer genau sie ist, erfährt man eigentlich erst ganz am Schluss.

Dass die Schicksale aller beteiligten Protagonisten irgendwie zusammenhängen, das kann man sich als Leser denken. Die Auflösung aller familiären Zusammenhänge erfolgt erst kurz vor Ende des Buches. Wenn man diese Verknüpfungen betrachtet, dann erschließt sich einem auch, warum es Personen gibt, deren Suchmeldungen seit Kriegsende bis heute nicht zum Erfolg geführt haben.

Wer, wie ich, ein Problem damit hat, wenn in den verschiedenen Handlungssträngen gleichzeitig viele Personen auftreten, dem kann ich nur empfehlen, sich auf einem Zettel eine Art Stammbaum aufzuzeichnen, damit man den Überblick nicht verliert.

Am Ende des Buches finden sich einige landestypische Rezepte, von denen ich ganz sicher das Eine oder Andere ausprobieren werde.

Alles in allem hat Teresa Simon hier eine Geschichte erschaffen, die schön und doch traurig ist und die den Leser nachdenklich zurücklassen sollte in Anbetracht der derzeitigen politischen Entwicklung in unserem Lande. Wer sich heutzutage diese Zeit zurückwünscht, der hat unsere Geschichte nicht verstanden.

Veröffentlicht am 13.12.2018

Die Fotografin

Die Fotografin - Am Anfang des Weges
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Die Fotografin

Wir befinden uns im Jahr 1905. Eine Zeit, in der das Frauenbild noch in einem ziemlich engen Korsett steckt; die gutbürgerliche Frau ist von Beruf Gattin, sie darf ohne Erlaubnis ihres ...

Die Fotografin

Wir befinden uns im Jahr 1905. Eine Zeit, in der das Frauenbild noch in einem ziemlich engen Korsett steckt; die gutbürgerliche Frau ist von Beruf Gattin, sie darf ohne Erlaubnis ihres Mannes weder einem Broterwerb nachgehen noch über eigenes Geld verfügen, sie hat keinen Anspruch auf ihre eigenen Kinder - einzig die Gewalt über den Schlüssel der Speisekammer obliegt ihr.

In dieser Zeit lebt Minna – Mimi – Reventlow. Als eine der wenigen Frauen hat Mimi Abitur und eine abgeschlossene Berufsausbildung. Als sie an ihrem 26. Geburtstag einen Heiratsantrag von Heinrich Grohe bekommt, tut sie etwas schier unglaubliches: Sie lehnt diesen Antrag ab und entschließt sich dazu, in die Fußstapfen ihres Onkels zu treten. Sie möchte Wanderfotografin werden und das langweilige Feld der eingefahrenen Studio-Portrait-Fotografie verlassen. Ihr Kopf steckt voller neuer Ideen.

Mimi muss viele Klinken putzen bis ihr ein Zufall dazu verhilft, Bekanntschaft als Fotografin zu erlangen und sie reist eine Zeit lang durchs ganze Land. Als ihr großes Vorbild, Onkel Josef, erkrankt, reist sie zu ihm nach Laichingen. Schnell wird ersichtlich, dass es hier mit „Kurzzeitpflege“ nicht getan ist und Mimi beschließt, bei Josef zu bleiben und ihn zu pflegen. Um ihren Unterhalt zu verdienen eröffnet sie das seit Jahren geschlossene Foto-Atelier ihres Onkels aber mit ihrer offenen und modernen Art und ihrem zielgerichteten Auftreten trifft sie bei den konservativen Laichingern jedoch nicht überall auf Wohlwollen – schon gar nicht bei Herrn Gehringer, dem größten Arbeitgeber Laichingens.


Petra Durst-Benning hat es wieder einmal geschafft – sie hat es geschafft, mich einzufangen mit ihrer Geschichte. Ich liebe ihre Bücher; egal ob die zeitgenössische Maierhofen-Reihe oder die historischen Romane. Zum einen erschafft sie immer starke Protagonistinnen, die ihrer Zeit meist weit voraus sind, zum anderen sind ihre Themen/Schauplätze immer hervorragend recherchiert und gekonnt in einer wunderbaren Geschichte in Szene gesetzt.

„Ich möchte den Menschen Schönheit schenken! Sie in der freien Natur fotografieren, von mir aus auch mit Requisiten. Aber um Himmels willen nicht mit Kopf- und Körperstützen und immer in denselben Posen! Ich möchte mit Licht und Schatten spielen, ich möchte die Menschen mithilfe meiner Fotografien verzaubern …..“

Mimi war mir von der 1. Seite an sympathisch. Wenn es diese starken Charaktere nicht wirklich gegeben hätte (und heute nicht auch noch geben würde), dann wären wir Frauen wahrscheinlich noch immer brave Heimchen am Herd, die sich um nichts anderes als die 3 K (Küche, Kinder, Kirche) kümmern würden.

Petra Durst-Benning hat den Schauplatz ihres neuesten historischen Romans auf die schwäbische Alb gelegt, genauer gesagt nach Laichingen. Dort lebten die Menschen lange Zeit nach festgefahrenen Traditionen: Ganze Generationen von Männern arbeiteten als Weber in den Fabriken der Tuchindustrie, die Frauen fertigten Stickereien in Hausarbeit; es gab nichts anderes und über den Tellerrand zu schauen war damals nicht üblich oder man konnte es sich schlichtweg nicht leisten. Trotz harter Arbeit lebten die meisten Familien in Armut und ihr Hauptnahrungsmittel war „schwarzer Brei“, ein Brei aus Musmehl, den es heute noch in einer deftigen und einer süßen Variante gibt. Die Autorin schafft es mit ihren Beschreibungen, dass man sich als Leser ganz in die damalige Zeit zurückversetzt fühlt.

Mimi lernt in Laichingen das karge und harte Leben der Leinenweber kennen aber sie versteht es nicht, dass niemand der Alteingesessenen aus diesem Joch ausbrechen möchte oder, wenn schon die Eltern es nicht tun, sie nicht wenigstens ihren Kindern die Möglichkeit geben etwas anderes zu tun als Generationen vor ihnen. Mimi erkennt zum Beispiel, dass einer der Jugendlichen ein großes Talent zum Zeichen hat und sie möchte ihm gerne helfen, dass er die Zeichenschule in Stuttgart besuchen darf. Leider stößt diese Idee bei seinen Eltern auf Widerstand. Aber Mimi wäre nicht Mimi, wenn sie sofort aufgeben würde.

Neben dem Erzählstrang von Mimi, die dem Leser die Geschehnisse aus ihrer Sicht zeigt, erfahren wir von Anton und Alexander, wie das eingefahrene Leben in Laichingen sich für die Jugendlichen anfühlt und mit Eveline hat Petra Durst-Benning eine Protagonistin erschaffen, die aus „gutem Hause“ stammt und die Ehe mit einem Leinenweber eingegangen ist.

Alle Protagonisten sind sehr liebevoll und realistisch angelegt worden und es macht Spaß, ihnen als Leser über die Schulter zu schauen und an ihrem Leben teilzuhaben. Natürlich kommen auch die Gefühle nicht zu kurz, denn Mimi lernt auf ihrer Reise durch Deutschland einen Wander-Gewerkschafter kennen, zu dem sie sich gleich hingezogen fühlt. Leider trennen sich ihre Wege und niemand weiß, ob sie sich jemals wiedersehen werden. Vielleicht verhilft das Schicksal ihnen ja zu einem Treffen zu einer anderen Zeit, an einem anderen Ort, wer weiß?

Als 1. Teil einer Serie endet das Buch natürlich mit einem Cliffhanger (zumindest finde ich das natürlich, dass das Buch nicht in sich abgeschlossen ist). Die Wartezeit bis zu Band 2 wird schmerzlich, das weiß ich, aber umso schöner wird es im April dann sein, die Fortsetzung lesen zu können.

Zu einem Buch, auf dem Petra Durst-Benning drauf steht, greife ich bedenkenlos – weil ich weiß, dass ich für ein paar Lesestunden wirklich gut unterhalten werde.