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Veröffentlicht am 08.06.2019

Spannend und durchdacht, auch für Nicht-SF-Fans empfehlenswert

Myzel
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Mit „Myzel“ habe ich mich in ein Genre – Science Fiction – gewagt, das normalerweise überhaupt nicht mein Fall ist. Die Buchbeschreibung hatte mich angezogen und ich habe es nicht bereut, hier mal etwas ...

Mit „Myzel“ habe ich mich in ein Genre – Science Fiction – gewagt, das normalerweise überhaupt nicht mein Fall ist. Die Buchbeschreibung hatte mich angezogen und ich habe es nicht bereut, hier mal etwas Neues ausprobiert zu haben!

Es beginnt recht harmlos mit einer Gruppe Studenten, die mit ihrem Professor eine Forschungsexkursion auf die Schwäbische Alb machen. Wie man dem Klappentext schon entnehmen kann, geht es nicht so harmlos weiter. Der Grund für die Exkursion sind unbekannte Kreaturen, die nicht nur die Studenten, sondern bald auch eine brutale Staatsmacht auf den Plan rufen. Wie wir im Buch recht schnell erfahren, befinden wir uns im Jahre 2060 und in Deutschland hat sich eine Menge geändert – es ist ein totalitärer menschenverachtender Staat geworden.

So begeben wir uns eigentlich auf zwei Entdeckungsreisen – die auf der Suche nach Informationen über die Kreaturen und die in eine gar nicht so ferne Zukunft. Beide Reisen sind spannend, vielseitig und machen Spaß. Stefan Lochner benutzt drei verschiedene Erzählperspektiven, so wechseln wir zwischen der Studentengruppe, der ehemaligen Prostituierten Angelique (die mit ihrer direkten Art auch für humorvolle Momente sorgt und mein Lieblingscharakter war) und der polizeilichen Einsatztruppe. Diese Perspektivwechsel sind von Anfang an gut gelungen und verständlich, ermöglichen zudem immer neue Blickwinkel und geben dem Leser – nach und nach – das komplette Bild.

Der Schreibstil ist flüssig, an manchen Stellen allerdings holprig. Es gibt einige Dialoge und Abläufe, die unklar und verwirrend sind, Schliff benötigt hätten. Einige Begriffe werden zu oft verwendet, einige Dinge mehrfach erwähnt/erklärt. Sehr anstrengend fand ich die – für die Geschichte nicht relevante – Eigenschaft aller Charaktere, sich umgehend von allen andersgeschlechtlichen Menschen angezogen zu fühlen. Es gibt so gut wie keine Unterhaltung zwischen einem Mann und einer Frau, ohne flirtende oder zweideutige Bemerkungen, was manchmal etwas Pubertäres hat. Bei den drei Hauptpersonen tritt dies so gehäuft auf, daß es die ansonsten so gute Geschichte leider richtig stört.

Ein erneutes Lektorat wäre nicht nur aus den o.g. stilistischen Gründen, sondern auch zur Fehlerkorrektur nötig, die Fehler sind im höheren zweistelligen Bereich und somit doch sehr oberhalb der Toleranzgrenze.

Das war es aber auch an Kritikpunkten, denen dann viel richtig Gutes gegenübersteht. Der Spannungsbogen ist hervorragend – auf über 370 Seiten durchgehend die Spannung zu halten, ist schon eine bemerkenswerte Leistung. Ich war nie gelangweilt, wollte immer gleich weiterlesen. Dies liegt zum einen an den immer neuen Wendungen und dem guten Erzähltempo. Der andere Grund ist die geschickte Art, in der der Autor Informationen einbaut und vermittelt. Es gibt keine langen erzählerischen Hintergrundabsätze, die die Handlung aufhalten, es kommt nicht zu Info-Dumping und der Autor hat Mut zur Lücke. Manche Dinge sind nicht sofort klar, manches muß man sich aus den Zusammenhängen selbst kombinieren. Das gefällt mir und zeigt Respekt für den Leser, der nicht alles vorgekaut auf einem Tablett serviert haben möchte.

Die Welt von 2060 hat noch genug uns Bekanntes, was gerade für mich als Nicht-SF-Fan sehr angenehm war und dieses Buch auch für Leser zugänglich und empfehlenswert macht, die mit fremden künstlichen Welten nichts anfangen können. Daneben gibt es aber eben auch die gravierenden Änderungen zu heute, die alle plausibel sind und wichtige Themen ansprechen. Überwachung durch den Staat und die Perfektionierung dieser durch Vernetzung und technische Möglichkeiten, die uns heute schon recht bekannt sind. Die Rücksichtslosigkeit einer totalitären Regierung, die ihren Einsatzkräften die Wertlosigkeit des Lebens und den Spaß am Töten einimpft (für die es in der Geschichte und Gegenwart der Menschheit leider nur zu viele Vorbilder gibt). Die Macht des Staates, die so schnell mißbraucht werden und vor der man sich nie komplett sicher wähnen kann. Es ist faszinierend, wie durchdacht dieses 2060-Umfeld entworfen und geschildert wird.

Zu den Kreaturen selbst möchte ich nicht zu viel verraten, das soll man sich im Buch erlesen (und es lohnt sich!). Auch hier stellen sich interessante, auch ethische Fragen und es macht Spaß, immer neue Puzzlestücke zu ihnen zu bekommen.

Das Ende dann hätte besser gar nicht gestaltet sein können. Dieses gut aufgebaute spannende Buch war eine Lesefreude für mich.

Veröffentlicht am 06.06.2019

Unterhaltsam und informativ

Zarah Leander. Das Leben einer Diva
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Ein sehr interessantes Buch, welches sich so flüssig und angenehm liest wie ein Roman. Jutta Jacobi gelingt es, ein lebendiges und facettenreiches Portrait von Zarah Leander zu zeichnen, sowohl von der ...

Ein sehr interessantes Buch, welches sich so flüssig und angenehm liest wie ein Roman. Jutta Jacobi gelingt es, ein lebendiges und facettenreiches Portrait von Zarah Leander zu zeichnen, sowohl von der Künstlerin wie von dem privaten (so weit möglich) Menschen. Sie zitiert hier auch verschiedene Quellen und Interviews, so daß man gleich mehrere Gesichtspunkte und Meinungen erfährt, auch die zeitgenössischen Kritiken zu Zarah Leanders Auftritten und Filmen trugen viel bei. Jutta Jacobi zitiert auch aus Zarah Leanders Autobiographie - welche sich übrigens auch sehr erfreulich liest - und fügt eigene erklärende oder richtigstellende Bemerkungen hinzu, was ich nützlich fand. Sie geht auf die Weggefährten von Zarah Leander ein, gibt uns zu diesen Leuten die notwendigen Hintergrundinformationen, verliert sich aber nicht in weitschweifigen Biographien, was ich ebenfalls gut gelungen finde, denn zu detaillierte Lebensgeschichten von Weggefährten wirken meistens ablenkend und sind nicht immer interessant. Hier wurde ein gutes Maß an Begleitinformationen gefunden.

Für meinen Geschmack wurde allerdings Zarah Leanders Zeit in Deutschland zu kurz abgehandelt, insbesondere im Hinblick auf die sehr detaillierte Beschreibung einiger anderer Lebensepochen. Gerade diese zu so starken Kontroversen und Kritiken geführt habende Zeit hätte eine ausführlichere Betrachtung verdient, und blieb auch ein wenig oberflächlich.

Im Gesamten ist es aber eine gute Biographie, die ich mit Vergnügen gelesen habe. Als kleine Anmerkung: die Schrift im Taschenbuch ist ziemlich klein, bei den eingefügten Interviews noch kleiner. Ich konnte dies gut lesen, kann mir aber vorstellen, daß so mancher mit einer so kleinen Schriftgröße Probleme hat.

Veröffentlicht am 02.04.2019

Anekdotischer Blick

Goethes Ehe
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Wie alle Bände der Insel-Bücherei ist auch dieser ganz herrlich ausgestattet, mit einem ansprechenden Einband und hochwertigem Papier. Die Insel-Bücherei ist eine Serie, die ästhetische Freude bringt.

Das ...

Wie alle Bände der Insel-Bücherei ist auch dieser ganz herrlich ausgestattet, mit einem ansprechenden Einband und hochwertigem Papier. Die Insel-Bücherei ist eine Serie, die ästhetische Freude bringt.

Das kurze Büchlein liest sich rasch und angenehm. Wolfgang Frühwald beleuchtet verschiedene Aspekte der Beziehung von Goethe und Christiane Vulpius, berichtet im angenehmen Plauderton und baut zahlreiche zeitgenössische Zitate in seinen Text ein. Ein ausführliches Literatur- und Quellenverzeichnis runden das Buch ab.

Jedes Kapitel widmet sich einem anderen Aspekt, so behandelt eines Christianes Charakter, ein anderes den Hochzeitstag und seine Hintergründe, wieder ein anderes den Anfang der Beziehung, etc. Dies wirkte auf mich manchmal etwas ungeordnet und sprunghaft. Ohne Kenntnisse von Goethes Leben (die aber wahrscheinlich jeder an diesem Buch Interessierte ohnehin hat) wären manche Passagen schwer verständlich. Auch innerhalb der Kapitel schweift Frühwald manchmal ein wenig ab. Wenn man sich aber erst einmal an diese anekdotische Erzählweise gewöhnt hat, liest es sich alles unterhaltsam. Frühwald webt natürlich auch Goethes Leben und jeweilige Lebenssituation ein, betrachtet die geschichtlichen und gesellschaftlichen Hintergründe, rückt auch manches in den notwendigen Kontext.
An mehreren Stellen fehlte mir ein wenig die Subjektivität, manche Kapitel lasen sich eher wie ein Vulpius-Plädoyer denn wie ein sachlicher Text.

Schön war es, viel Bekanntes gut erzählt zu lesen und auch einiges Neue erfahren zu können. Mehrere Gedichte/Gedichtauszüge lassen Goethe selbst über seine Gefühle für Christiane Vulpius sprechen; sehr passend ist es, daß der Autor ein solches Gedicht an das Ende des Buches stellt und so Goethe das letzte Wort haben läßt.

Aufgrund der Kürze des Buches bleibt es naturgemäß ein wenig an der Oberfläche, aber im Verhältnis zu eben dieser Kürze des Buches ist es doch sehr informationsreich und tiefgehend. Als erster Überblick über diese Beziehung oder als zusammenfassende Lektüre ist es ausgesprochen geeignet. Für die weitergehende Lektüre gibt es viele gute Hinweise.

Veröffentlicht am 01.04.2019

Unterhaltsamer Krimi mit viel Lokalkolorit

Finsteres Kliff
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„Finsteres Kliff“ ist der dritte Teil der Krimireihe um die Ermittlerin Liv Lammers und führt den Leser in einen vielschichtigen, originellen Kriminalfall auf Sylt. Ich kannte die ersten beiden Bände nicht, ...

„Finsteres Kliff“ ist der dritte Teil der Krimireihe um die Ermittlerin Liv Lammers und führt den Leser in einen vielschichtigen, originellen Kriminalfall auf Sylt. Ich kannte die ersten beiden Bände nicht, fühlte mich aber als Neueinsteiger gut aufgehoben, so daß ich das Buch anderen Neueinsteigern empfehlen kann. Es gibt einige private Handlungsstränge, die sich aus den vorherigen Bänden fortsetzen und man versteht vielleicht nicht gleich jedes sich darauf beziehende Detail, aber das stört beim Lesen überhaupt nicht. Das Privatleben der Ermittler spielt, wie in Krimireihen üblich, schon eine Rolle, aber ich kann lobend hervorheben, daß es an keiner Stelle die eigentliche Handlung überlagert oder unangenehm unterbricht. Das hat mir - gerade weil ich zu viel Privatkram in Krimis überhaupt nicht mag - gut gefallen, denn so konnte man sich auf die interessanten Ermittlungen konzentrieren. Einziges - für mich - Manko war, daß es für meinen Geschmack unnötig viele Ermittler gab, von denen manche nur zweimal erwähnt wurden und ich sie nicht wirklich zuordnen konnte. Es gab unter den Ermittlern auch eine etwas ungewöhnliche Häufung von nicht alltäglichen Lebenskrisen (todkranker Ehepartner, Bruch mit der Familie, Hochzeitsvorbereitungen, Kinderwunschbehandlung, potentielle Affaire) und das war mir viel zu viel, in dieser Häufung mE nicht realistisch, und manchmal nur kurz eingesprenkelt, so daß es eher unnötig wirkte. Der letzte Punkt ist aber natürlich auch dem Serienformat geschuldet, in dem sich solche Privatthemen langfristig entwickeln.

Die Hauptperson Liv ist sympathisch und wirkt echt. Ich habe gerne über sie gelesen und Anteil an ihren Erlebnissen genommen. Sie ist handfest, mit schlagfertigem Humor, Menschlichkeit ohne Sentimentalität. Auch ihr dänischer Kollege Bente wirkte sympathisch und ich fand das Zusammenspiel zwischen den beiden erfreulich zu lesen. Ein weiterer Kollege zeigte für mich teilweise nicht nachvollziehbares Verhalten. Die anderen Ermittler blieben zu blaß, um mit ihnen viel zu verbinden, aber Liv und Bente sind ein gutes Gespann.

Der Kriminalfall ist bemerkenswert facettenreich und es ist der Autorin gelungen, eine Vielzahl an aktuellen Themen sowie geschichtliche oder mythische Hintergründe einzubringen. Das geht bis ins kleinste Detail, so wird ein Beweismittel von einem Dumpster Diver gefunden und dieses Thema gelungen eingeflochten. Wie nachher wirklich alle Themen aufgelöst und zusammengeführt werden, ist bemerkenswert und muß eine akribische Arbeitsweise erfordert haben. Es gab zwei Punkte, die mir als ehemaliger Strafrechtlerin leider gar nicht plausibel erschienen und mich beim und nach dem Lesen gestört haben, sowie ein paar Handlungen, die ich nicht nachvollziehen konnte. Ansonsten war aber alles stimmig.

Man merkt, welch sorgfältige Recherche im Buch steckt und es werden viele interessante Informationen in die Geschichte eingebaut. Das geschieht an manchen Stellen mit einer kleinen Tendenz zum Infodumping, was mir nicht so gut gefiel und in einem Fall (der Illustrierung des aufwendigen Lebensstiles einer Familie) etwas zu plakativ und gehäuft für meinen Geschmack. Meistens sind die Informationen aber angenehm eingebaut und richtig interessant. Ich habe einige Orte im Internet nachgeschaut und werde mich zu manchen Themen noch genauer informieren. Es ist schön, wenn ein Buch Interesse an ganz neuen Themen wecken kann. Auch das Sylter Lokalkolorit ist - soweit ich das beurteilen kann - hervorragend und durchgängig getroffen. Man spürt durch das ganze Buch, wo man ist, auch sind einige norddeutsche Begriffe unaufdringlich in den Text eingebaut, so daß die Atmosphäre bis ins kleinste Detail getroffen ist. Die Charaktere sind farbig, die Beziehungen untereinander vielschichtig. Es waren mir, gerade auch in Verbindung mit der hohen Ermittlerzahl, insgesamt etwas zu viele Charaktere, aber sie sind größtenteils sehr schön ausgearbeitet, auch Nebenpersonen. Eine der Personen war mir gar zu exzentrisch und er hatte letztlich auch nicht so viel zur Geschichte beizutragen, daß sich die detaillierten Beschreibungen seiner Persönlichkeit für mich rentiert hätten.

Die Spannungskurve ist ausgezeichnet. Von Anfang an ist das Erzähltempo gut, man ist gleich in der Handlung drin und es gibt keine Längen. Immer wieder baut die Autorin überraschende Wendungen ein; schafft es, durch gezielt-gelungene vage Formulierungen an manchen Stellen wichtige Details des Geschehens noch unklar zu lassen, legt geschickt falsche Fährten. Die Geschichte kommt ohne billige Schockeffekte aus, die Lösung des Falles erfolgt durch sorgfältige Ermittlungsarbeit und bleibt durchweg interessant.

So war „Finsteres Kliff“ ein durchaus lohnenswerter Ausflug nach Sylt und in eine Gruppe von jungen Leuten, die mir bisher ganz unbekannte Gewohnheiten und Glaubenssätze haben.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Spannung
  • Geschichte
  • Figuren
  • Erzählstil
Veröffentlicht am 29.03.2019

Informativ, hält aber nicht ganz, was es verspricht

Liebe Mama, ich lebe noch!
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Ich war mir zuerst nicht sicher, ob ich dieses Buch lesen sollte, denn ich habe schon viele Soldatenbriefe gelesen und oft haben sie mich emotional sehr beschäftigt. Bei diesem Buch kommt noch dazu, daß ...

Ich war mir zuerst nicht sicher, ob ich dieses Buch lesen sollte, denn ich habe schon viele Soldatenbriefe gelesen und oft haben sie mich emotional sehr beschäftigt. Bei diesem Buch kommt noch dazu, daß einige der Briefe von der Ostfront sind, an der die Soldaten Entsetzliches durchgemacht haben. Dann siegte aber die Neugier auf den direkten Blick auf das Kriegsgeschehen und Einbettung der Briefe in die Familiengeschichte des Briefeschreibers Leonhard Wohlschläger. Die Furcht wegen der zu starken emotionalen Berührung hätte ich nicht haben müssen. Es haben mich tatsächlich bisher kaum Soldatenbriefe so ungerührt gelassen wie diese hier. Höchstens Ärger über Leonhard mußte ich manchmal unterdrücken. Dazu später mehr.

Das Buch ist, wie stets bei diesem Verlag, ausgesprochen hochwertig und liebevoll ausgestattet. Es ist eine Freude, es in der Hand zu halten. Die Briefe sind in Schreibmaschinenschrift abgedruckt und setzen sich so sehr angenehm vom restlichen Text ab, es sind auch einige Abbildungen enthalten.

Zu Anfang des Buches erhalten wir Informationen über die Auffindung der Briefe durch den Autor und einige Informationen zur Familie Leonhards. Diese Informationen sind unterhaltsam, denn Leonhards Vater war ein in Wien zu Beginn des letzten Jahrhunderts bekannter Architekt, der später harte Zeiten erlebte. Dies ist lebhaft erzählt und mit einigen geschichtlichen und lokalen Informationen angereichert. Leider ist der Text immer wieder sehr subjektiv gefärbt. So wird die erste Ehefrau des Architekten, die er mit vier Kindern für eine andere Frau verließ und irgendwann finanziell nicht mehr unterstützte, mehrfach als „hasserfüllte Anna“ bezeichnet, was unangemessen und in einem Sachbuch unprofessionell ist. Auch des Autors Abneigung für Leonhard - durchaus nachvollziehbar - kommt immer wieder durch und liest sich in einem Sachbuch unangenehm, abgesehen davon, daß der Autor so dem Leser die Möglichkeit nimmt, sich aufgrund neutraler Fakten selbst ein Bild zu machen. Dieser Mangel an Objektivität scheint auch später immer wieder durch.

Leonhards Briefe waren für mich weniger interessant als der Begleittext. Das liegt daran, daß sie sich im Laufe der Jahre kaum ändern. Leonhard hat sich recht gemütlich hinter der Front eingerichtet, führt den ganzen Krieg über mehr oder weniger die gleichen Aufgaben aus und schreibt deshalb auch immer mehr oder weniger das Gleiche. Im Vergleich zu anderen Briefen von der Ostfront sind Leonhards Briefe ziemlich inhaltsarm und berichten kaum Wissenswertes vom Kriegsgeschehen. Während in Stalingrad unzählige Männer leiden, hungern, die Hölle durchleben und ihre mir aus anderen Büchern/Webseiten bekannten Briefe von unglaublicher Intensität sind, erlebt Leonhard eine Art „Ostfront light“. - An einer Stelle des Begleittextes wird Leonhards Reaktion auf die SS-Verbrechen im Osten erwähnt, aber dieser Brief ist seltsamerweise nicht abgedruckt, dabei wäre das eine interessante Abwechslung zu seinen anderen Briefen und zudem eine wichtige Information gewesen, da es kaum diesbezügliche briefliche Äußerungen von Soldaten zu diesem Thema gibt. Daß er diese Äußerungen in einem Brief gemacht hat, kann der Leser leider ohnehin nicht sicher wissen, ich habe es mir aus den Umständen zusammengereimt. Der Autor verzichtet nämlich durchweg auf Quellenangaben, was ich in einem Sachbuch noch nie erlebt habe und sehr störend fand. Lediglich am Ende des Buches findet sich eine Quellenliste mit mageren sieben Quellen, die einzelnen Aussagen im Buch sind aber nie belegt.

Dieses Ärgernis ist insbesondere deshalb so schade, weil der Begleittext fast durchweg gut geschrieben und informativ ist. Ich habe hier einige neue Fakten erfahren und mir gefiel es, wie diese berichtet, wie Zusammenhänge erklärt wurden. Das liest sich leicht und angenehm. Die Begleitinformationen passen hervorragend zu den Briefen, liefern manchmal wichtige Hintergründe zu den Briefen, stellen manchmal die Gegensätze zu anderen Schicksalen dar. Insgesamt erhalten Leser hier eine facettenreiche kondensierte Darstellung des Krieges an der Front und in der Heimat. Nun sind natürlich auch die Briefe selbst nicht durchweg uninteressant. Zum Organisatorischen, zum Leben direkt hinter der Front, zur Ausbildung und anderen Punkten erfährt man durchaus einige lesenswerte Dinge. Auch Leonhards Gedanken, so unerfreulich sie sind, bieten einen aussagekräftigen Eindruck. So liefert das Buch im Gesamten durchaus gute Lektüre, die nur leider durch die o.g. Mängel häufiger beeinträchtigt wird. Insofern sind die hier vergebenen vier Sterne auch eher knapp erreicht.