Profilbild von Wordworld_Sophia

Wordworld_Sophia

Lesejury Star
offline

Wordworld_Sophia ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Wordworld_Sophia über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 23.04.2019

Zu gewollt, zu konstruiert und dabei zu wenig authentisch!

Someone New
2

Achtung: Diese Rezension enthält in gekennzeichneten Bereichen Spoiler!

Nach "Berühre mich. Nicht" und "Verliere mich. Nicht" stand es für mich natürlich außer Frage, dass ich früher oder später auch ...

Achtung: Diese Rezension enthält in gekennzeichneten Bereichen Spoiler!

Nach "Berühre mich. Nicht" und "Verliere mich. Nicht" stand es für mich natürlich außer Frage, dass ich früher oder später auch zu ihrer neuen Reihe greifen werde. Dass ich das mit einer Verspätung von drei Monaten tue und deshalb schon von der enormen Kontroverse an Meinungen zu dieser Geschichte Wind bekommen habe, machte das Ganze noch spannender. Die einen lieben sie und betiteln sie als "das wichtigste YA-Buch überhaupt", die anderen hassen sie und sind einfach nur enttäuscht. Meine Erwartungen konnte das Buch leider nicht ganz erfüllen (Stichwort: Überladung), da ich aber trotzdem von dieser berührenden, mitreißenden und intelligenten Geschichte abgeholt wurde, bewege ich mich wohl am ehesten im Mittelfeld der beiden Lager mit Tendenz zur Begeisterung.

Das einzige, was bei dieser Geschichte mit absoluter Sicherheit und ohne jede Frage festgestellt werden kann, ist, dass das Cover ein Traum ist!! Wie auch schon bei ihrer ersten Reihe haben sich die Gestalter des Verlags selbst übertroffen mit dieser subtilen aber wirkungsvollen Verkörperung des Kernthemas. Leider konnte ich keine der limitierten Ausgaben mit den Illustrationen ergattern aber auch so ist die Gestaltung mit den rosa-blauen Wolken, dem Farbverlauf und dem kontrastreichen Titel ein kleines Kunstwerk. Neben einem Nachwort über die Thematik der Geschichte und der Danksagung der Autorin enthält das Buch noch eine Leseprobe zu "Berühre mich. Nicht."

Erster Satz: "Wie lange muss ich das wohl noch ertragen?"


Zur Handlung will ich gar nicht viel mehr verraten als der Klapptext preisgibt, nur soviel: es gibt eine unvorhergesehene Wendung, die den Roman in seiner Thematik aus der Masse heraushebt. Bis wir diese jedoch vor die Nase geknallt bekommen, werden wir erst auf 500 Seiten auf falsche Fährten gelockt und vertröstet. Das hat zum einen die Wirkung, dass es spannend bleibt, weil man unbedingt herausfinden will, was Julians dunkles Geheimnis ist, zum anderen bleibt durch die sehr späte Auflösung am Ende fast keine Zeit für Ausführungen der Thematik, welche ich wirklich spannend gefunden hätte. Das Eskalationspotential des heiklen Themas wurde deshalb zugunsten von einem langen Spannungsbogen verschenkt und erst ganz am Ende kommt der gewünschte Effekt auf. Damit meine ich keineswegs ein sinnloses, aus der Luft gegriffenes Drama, wie es leider ein fester Bestandteil von YA-Romanen ist, sondern vielmehr eine wirklich tiefgründige Befassung mit dem Thema und eine Beleuchtung von mehreren Seiten. So hat für mich die Tiefe der Emotionen ein wenig gefehlt, die ich an Romanen dieses Genres normalerweise besonders schätze.


"Julians Bartstoppel kratzten über meine Haut, und ich nahm seien Duft wahr, der auf mich so verlockend wirkte wie der Geruch warmer Schokolade. "Danke", flüsterte er noch einmal neben meinem Ohr, und da erkannte ich, dass ich mich zuvor getäuscht hatte. Vielleicht war "Liebe" genau das Wort, an das ich denken sollte."



Die Zeit vor der "großen Enthüllung" wird durch viele sich wiederholende Szenen aus Micahs Alltagsleben, leisen Andeutungen und einem ganzer Haufen an diversen Nebencharakteren gefüllt. Denn die sich entwickelnde Liebe zwischen Micah und Julian steht nicht unbedingt alleinig im Vordergrund. Stattdessen kommt jedem Nebencharakter mit seinen Problemen eine eingehende Betrachtung zu, die Masse macht sie alle jedoch ein wenig oberflächlich. Es scheint, als hätte die Autorin für diese Geschichte zu viele Facetten und Themen gewollt, sodass sie ihre Hauptgeschichte um Julian und Micah ein wenig vernachlässigt und die Nebencharaktere zu austauschbaren Statisten verkommen lassen hat. So ist es zum Beispiel eigentlich belanglos, ob sich Micah gerade mit Lilly, Aliza oder Cassie unterhält, da sie in den meisten Szenen nicht wirklich mehr als nette Beigabe sind.

Auf der anderen Seite versucht sie ihren Protagonisten bewusst Raum zu geben und sich bei der Entwicklung von Micahs und Julians Beziehung Zeit zu lassen. Auch wenn mir klar ist, dass das langsame Tempo für die Glaubwürdigkeit der Geschichte notwendig war, da gerade das sich langsam entwickelnde, authentische Beziehungselement für eine kribbelnde, angenehme Stimmung sorgte, hätte sich Laura Kneidl die vielen inhaltlichen Wiederholungen sparen können, wodurch sich gerade der Mittelteil ein wenig in die Länge zieht. Aus viel gutem Willen und einem Haufen toller Ideen wurde so leider ein an verschieden Facetten überfüllter Roman, der aber dennoch nicht wirklich voranzukommen scheint und bei den meisten Themen nur an der Oberfläche kratzt.


"Wir waren in einem goldenen Käfig aufgewachsen, was ich selbst erst erkannt hatte, nachdem ich ihn verlassen hatte. Von innen wirkte er groß und glänzend, aber von außen betrachtet, sprangen einem vor allem die Gitterstäbe ins Auge. Wollte ich mein Leben wirklich nach den Menschen richten, die mich zurück in diesen Käfig sperren wollten?"


Was man der Autorin jedoch wieder hochanrechnen muss, ist der unglaublich detaillierte und emotionslastige Schreibstil, der mir schon bei ihren Vorgängerbüchern gut gefallen hat. Dadurch schafft Laura Kneidl es, den Roman gleichzeitig spannend, ruhig, aufwühlend, beruhigend, berührend und aufklärend zu erzählen, sodass wir komplett von der Story gefangen genommen werden, auch wenn eigentlich nicht viel passiert. So werden selbst Fandom-Gespräche über Graphic Novels oder LARP und Cosplay zu lesen und man verzeiht dem Roman auch, wenn die Charaktere zum gefühlt hundertsten Mal zusammen ein Café besuchen und sich über belanglose Dinge unterhalten. Besonders gut haben mir hier die vielen dummen Flachwitze gefallen, die die Handlung zusammen mit vielen sarkastischen Bemerkungen und schlagfertigen Dialogen ein wenig auflockern.

Achtung Spoiler Alarm!!!

Jetzt aber genug um das Thema herumgeredet und kryptische Hinweise beiseite: es geht um Diversität! Das ganze Buch liest sich als Plädoyer gegen Vorurteile, Sexismus, Rassismus, Engstirnigkeit und Verurteilung und Micah und ihr Freundeskries leben uns Offenherzigkeit und Toleranz vor. Da ist mit Lilly, die früh ein Kind bekommen hat und nun Großes leistet, um ihren Abschluss nachzuholen, die von der Gesellschaft stigmatisierte Teenie-Mutter. Adrian, der aus Angst vor seinen Eltern jahrelang seine Sexualität verschweigen hat und nach der Offenbarung seines Geheimnisses verstoßen wurde, bringt das Thema "Homosexualität" mit rein. Die heutzutage immer noch mehr oder weniger offene Rassismus-Thematik wird durch Cassie und Auri verkörpert, die in der Öffentlichkeit oft seltsam angestarrt werden, bloß weil sie weiß ist und er schwarz. Auch die Diskrepanz zwischen Moderne und Tradition kommt auf den Tisch, indem Aliza aus einer traditionellen, muslimischen Familie kommt und einen modernen Food-Blog betreibt. Micah will unbedingt ihren Träumen folgen, Kunst studieren und an ihrem Graphic Novel arbeiten, wird aber von ihren Eltern in ein High-Society-Leben inklusive Dinner, Jura-Studium und Luis-Vuitton-Kleid gedrängt. Und Julian... ja … der ist eigentlich eine Frau.

"Ich bin trans" - das ist das große Geheimnis hinter seinen Narben, der Verstoßung von seinen Eltern, dem pinken Teddybären und seiner Fähigkeit, Zöpfe zu flechten. Damit wird das große "Tabu-Thema" Transgender auch mal in einem YA-Buch angesprochen. Das fand ich natürlich so mutig wie spannend aber leider ist mit der Geschichte schon wieder Schluss, als das endlich herauskommt und Laura Kneidl verpasst es so, uns mit der Wahrheit ausreichend zu konfrontieren und nebenbei wichtige Fakten zu vermitteln. So wird dieses wichtige Thema zwar endlich mal angesprochen, es bleibt jedoch bei einer recht oberflächlichen Betrachtung, die man durch eine etwas andere Handlungskonzeption bei einer 550 Seiten lange Geschichte durchaus ein wenig hätte vertiefen können.

Dieses "Abwürgen am Ende" ist jedoch nicht der einzige Punkt, der mich bei der ganzen Sache stört. Auch die Elterngeneration wird in einem recht einseitigen Licht gezeichnet: sowohl Adrians und Micahs High-Society-Anwalt-Eltern als auch Julians/Sophias Eltern können mit den Enthüllungen ihrer Kinder absolut nicht umgehen, reagieren homophob, ausstoßend und voller Hass. Selbst Lillys Eltern blicken kritisch auf jeden ihrer Schritte und machen ihrer Tochter das Leben schwer. Natürlich passiert das leider viel zu selten, aber zwischen all den Problemen wird keine einzige Familie porträtiert, in der ein gelungener Umgang feststellbar ist. Ein weiterer Punkt ist dass Micah mit ihrer Reaktion wohl als Art Vorbild gelten soll. Das kann sie in vielerlei Hinsicht auch erfüllen, in anderen Aspekten reagiert sie jedoch außerordentlich nervtötend, indem sie die Privatsphäre von Julian aber auch von Adrian, Cassie und Auri nicht achtet und sich aufdringlich verhält. Sie akzeptiert kein "Nein", spioniert Julian hinterher und betrachtet viele Aspekte mit einer seltsamen Doppelmoral. Auch wenn ich sie als Protagonisten grundsätzlich mochte, erschien auch sie in ihrer Rolle nicht immer ganz authentisch.


"Ich sah zu Julian, der noch immer neben mir auf dem Baumstamm saß. Die Ellbogen auf den Knien abgestützt, starrte er in die Flammen. Seine Haut leuchtete bronzen im Schein des Feuers. Seine Augen funkelten und wirkten mehr golden als grün, wie Laub, das im Herbst von den Bäumen fällt. Vergänglich. In diesem Moment wurde mir mit geradezu schmerzhafter Klarheit bewusst, dass ich Julian nicht gehen lassen wollte."


Darüber hinaus stellt sich natürlich die Frage, ob die ganzen Beispiele nicht vielleicht etwas zu viel Diversitäten und Besonderheiten für einen Freundeskreis ergeben, als dass es noch glaubwürdig wäre. Aber egal - die Message ist auf jeden Fall bei mir angekommen: Diversität ist toll und Liebe ist Liebe! Das würde ich genauso unterschreiben also vergesst meine Kritik und lest dieses tolle Buch!!!
Spoiler Ende!!!


"Und manche Geheimnisse wachsen durch diese Angst, bis sie zu Monstern in unserem Schrank werden. Bis wir uns irgendwann nicht mehr trauen, ihn zu öffnen. Nicht einmal in Anwesenheit einer Person, der wir unser Leben anvertrauen würden. "


Kritik hin oder her, ich werde auf jeden Fall an der Reihe dranbleiben um meine liebgewonnenen Protagonisten wiederzusehen und mehr über Cassie und Auri zu erfahren. Also freue ich mich sehr auf "Someone Else"!



Fazit:


Ein wundervolles Plädoyer gegen Vorurteile, Sexismus, Rassismus, Engstirnigkeit und Verurteilung, das mit einer unvorhergesehenen Wendung und einem plastischen, emotionslastigen Schreibstil überzeugt. Leider wirkt der Roman mit den vielen verschiedenen Facetten, Nebencharakteren und tollen Ideen ein wenig überladen, sodass er nicht wirklich voranzukommen scheint und bei den meisten Themen nur an der Oberfläche kratzt.
Zu gewollt, zu konstruiert und dabei zu wenig authentisch!

Veröffentlicht am 23.04.2019

Zu gewollt, zu konstruiert und dabei zu wenig authentisch!

Someone New
0

Achtung: Diese Rezension enthält in gekennzeichneten Bereichen Spoiler!

Nach "Berühre mich. Nicht" und "Verliere mich. Nicht" stand es für mich natürlich außer Frage, dass ich früher oder später auch ...

Achtung: Diese Rezension enthält in gekennzeichneten Bereichen Spoiler!

Nach "Berühre mich. Nicht" und "Verliere mich. Nicht" stand es für mich natürlich außer Frage, dass ich früher oder später auch zu ihrer neuen Reihe greifen werde. Dass ich das mit einer Verspätung von drei Monaten tue und deshalb schon von der enormen Kontroverse an Meinungen zu dieser Geschichte Wind bekommen habe, machte das Ganze noch spannender. Die einen lieben sie und betiteln sie als "das wichtigste YA-Buch überhaupt", die anderen hassen sie und sind einfach nur enttäuscht. Meine Erwartungen konnte das Buch leider nicht ganz erfüllen (Stichwort: Überladung), da ich aber trotzdem von dieser berührenden, mitreißenden und intelligenten Geschichte abgeholt wurde, bewege ich mich wohl am ehesten im Mittelfeld der beiden Lager mit Tendenz zur Begeisterung.

Das einzige, was bei dieser Geschichte mit absoluter Sicherheit und ohne jede Frage festgestellt werden kann, ist, dass das Cover ein Traum ist!! Wie auch schon bei ihrer ersten Reihe haben sich die Gestalter des Verlags selbst übertroffen mit dieser subtilen aber wirkungsvollen Verkörperung des Kernthemas. Leider konnte ich keine der limitierten Ausgaben mit den Illustrationen ergattern aber auch so ist die Gestaltung mit den rosa-blauen Wolken, dem Farbverlauf und dem kontrastreichen Titel ein kleines Kunstwerk. Neben einem Nachwort über die Thematik der Geschichte und der Danksagung der Autorin enthält das Buch noch eine Leseprobe zu "Berühre mich. Nicht."

Erster Satz: "Wie lange muss ich das wohl noch ertragen?"


Zur Handlung will ich gar nicht viel mehr verraten als der Klapptext preisgibt, nur soviel: es gibt eine unvorhergesehene Wendung, die den Roman in seiner Thematik aus der Masse heraushebt. Bis wir diese jedoch vor die Nase geknallt bekommen, werden wir erst auf 500 Seiten auf falsche Fährten gelockt und vertröstet. Das hat zum einen die Wirkung, dass es spannend bleibt, weil man unbedingt herausfinden will, was Julians dunkles Geheimnis ist, zum anderen bleibt durch die sehr späte Auflösung am Ende fast keine Zeit für Ausführungen der Thematik, welche ich wirklich spannend gefunden hätte. Das Eskalationspotential des heiklen Themas wurde deshalb zugunsten von einem langen Spannungsbogen verschenkt und erst ganz am Ende kommt der gewünschte Effekt auf. Damit meine ich keineswegs ein sinnloses, aus der Luft gegriffenes Drama, wie es leider ein fester Bestandteil von YA-Romanen ist, sondern vielmehr eine wirklich tiefgründige Befassung mit dem Thema und eine Beleuchtung von mehreren Seiten. So hat für mich die Tiefe der Emotionen ein wenig gefehlt, die ich an Romanen dieses Genres normalerweise besonders schätze.


"Julians Bartstoppel kratzten über meine Haut, und ich nahm seien Duft wahr, der auf mich so verlockend wirkte wie der Geruch warmer Schokolade. "Danke", flüsterte er noch einmal neben meinem Ohr, und da erkannte ich, dass ich mich zuvor getäuscht hatte. Vielleicht war "Liebe" genau das Wort, an das ich denken sollte."



Die Zeit vor der "großen Enthüllung" wird durch viele sich wiederholende Szenen aus Micahs Alltagsleben, leisen Andeutungen und einem ganzer Haufen an diversen Nebencharakteren gefüllt. Denn die sich entwickelnde Liebe zwischen Micah und Julian steht nicht unbedingt alleinig im Vordergrund. Stattdessen kommt jedem Nebencharakter mit seinen Problemen eine eingehende Betrachtung zu, die Masse macht sie alle jedoch ein wenig oberflächlich. Es scheint, als hätte die Autorin für diese Geschichte zu viele Facetten und Themen gewollt, sodass sie ihre Hauptgeschichte um Julian und Micah ein wenig vernachlässigt und die Nebencharaktere zu austauschbaren Statisten verkommen lassen hat. So ist es zum Beispiel eigentlich belanglos, ob sich Micah gerade mit Lilly, Aliza oder Cassie unterhält, da sie in den meisten Szenen nicht wirklich mehr als nette Beigabe sind.

Auf der anderen Seite versucht sie ihren Protagonisten bewusst Raum zu geben und sich bei der Entwicklung von Micahs und Julians Beziehung Zeit zu lassen. Auch wenn mir klar ist, dass das langsame Tempo für die Glaubwürdigkeit der Geschichte notwendig war, da gerade das sich langsam entwickelnde, authentische Beziehungselement für eine kribbelnde, angenehme Stimmung sorgte, hätte sich Laura Kneidl die vielen inhaltlichen Wiederholungen sparen können, wodurch sich gerade der Mittelteil ein wenig in die Länge zieht. Aus viel gutem Willen und einem Haufen toller Ideen wurde so leider ein an verschieden Facetten überfüllter Roman, der aber dennoch nicht wirklich voranzukommen scheint und bei den meisten Themen nur an der Oberfläche kratzt.


"Wir waren in einem goldenen Käfig aufgewachsen, was ich selbst erst erkannt hatte, nachdem ich ihn verlassen hatte. Von innen wirkte er groß und glänzend, aber von außen betrachtet, sprangen einem vor allem die Gitterstäbe ins Auge. Wollte ich mein Leben wirklich nach den Menschen richten, die mich zurück in diesen Käfig sperren wollten?"


Was man der Autorin jedoch wieder hochanrechnen muss, ist der unglaublich detaillierte und emotionslastige Schreibstil, der mir schon bei ihren Vorgängerbüchern gut gefallen hat. Dadurch schafft Laura Kneidl es, den Roman gleichzeitig spannend, ruhig, aufwühlend, beruhigend, berührend und aufklärend zu erzählen, sodass wir komplett von der Story gefangen genommen werden, auch wenn eigentlich nicht viel passiert. So werden selbst Fandom-Gespräche über Graphic Novels oder LARP und Cosplay zu lesen und man verzeiht dem Roman auch, wenn die Charaktere zum gefühlt hundertsten Mal zusammen ein Café besuchen und sich über belanglose Dinge unterhalten. Besonders gut haben mir hier die vielen dummen Flachwitze gefallen, die die Handlung zusammen mit vielen sarkastischen Bemerkungen und schlagfertigen Dialogen ein wenig auflockern.

Achtung Spoiler Alarm!!!

Jetzt aber genug um das Thema herumgeredet und kryptische Hinweise beiseite: es geht um Diversität! Das ganze Buch liest sich als Plädoyer gegen Vorurteile, Sexismus, Rassismus, Engstirnigkeit und Verurteilung und Micah und ihr Freundeskries leben uns Offenherzigkeit und Toleranz vor. Da ist mit Lilly, die früh ein Kind bekommen hat und nun Großes leistet, um ihren Abschluss nachzuholen, die von der Gesellschaft stigmatisierte Teenie-Mutter. Adrian, der aus Angst vor seinen Eltern jahrelang seine Sexualität verschweigen hat und nach der Offenbarung seines Geheimnisses verstoßen wurde, bringt das Thema "Homosexualität" mit rein. Die heutzutage immer noch mehr oder weniger offene Rassismus-Thematik wird durch Cassie und Auri verkörpert, die in der Öffentlichkeit oft seltsam angestarrt werden, bloß weil sie weiß ist und er schwarz. Auch die Diskrepanz zwischen Moderne und Tradition kommt auf den Tisch, indem Aliza aus einer traditionellen, muslimischen Familie kommt und einen modernen Food-Blog betreibt. Micah will unbedingt ihren Träumen folgen, Kunst studieren und an ihrem Graphic Novel arbeiten, wird aber von ihren Eltern in ein High-Society-Leben inklusive Dinner, Jura-Studium und Luis-Vuitton-Kleid gedrängt. Und Julian... ja … der ist eigentlich eine Frau.

"Ich bin trans" - das ist das große Geheimnis hinter seinen Narben, der Verstoßung von seinen Eltern, dem pinken Teddybären und seiner Fähigkeit, Zöpfe zu flechten. Damit wird das große "Tabu-Thema" Transgender auch mal in einem YA-Buch angesprochen. Das fand ich natürlich so mutig wie spannend aber leider ist mit der Geschichte schon wieder Schluss, als das endlich herauskommt und Laura Kneidl verpasst es so, uns mit der Wahrheit ausreichend zu konfrontieren und nebenbei wichtige Fakten zu vermitteln. So wird dieses wichtige Thema zwar endlich mal angesprochen, es bleibt jedoch bei einer recht oberflächlichen Betrachtung, die man durch eine etwas andere Handlungskonzeption bei einer 550 Seiten lange Geschichte durchaus ein wenig hätte vertiefen können.

Dieses "Abwürgen am Ende" ist jedoch nicht der einzige Punkt, der mich bei der ganzen Sache stört. Auch die Elterngeneration wird in einem recht einseitigen Licht gezeichnet: sowohl Adrians und Micahs High-Society-Anwalt-Eltern als auch Julians/Sophias Eltern können mit den Enthüllungen ihrer Kinder absolut nicht umgehen, reagieren homophob, ausstoßend und voller Hass. Selbst Lillys Eltern blicken kritisch auf jeden ihrer Schritte und machen ihrer Tochter das Leben schwer. Natürlich passiert das leider viel zu selten, aber zwischen all den Problemen wird keine einzige Familie porträtiert, in der ein gelungener Umgang feststellbar ist. Ein weiterer Punkt ist dass Micah mit ihrer Reaktion wohl als Art Vorbild gelten soll. Das kann sie in vielerlei Hinsicht auch erfüllen, in anderen Aspekten reagiert sie jedoch außerordentlich nervtötend, indem sie die Privatsphäre von Julian aber auch von Adrian, Cassie und Auri nicht achtet und sich aufdringlich verhält. Sie akzeptiert kein "Nein", spioniert Julian hinterher und betrachtet viele Aspekte mit einer seltsamen Doppelmoral. Auch wenn ich sie als Protagonisten grundsätzlich mochte, erschien auch sie in ihrer Rolle nicht immer ganz authentisch.


"Ich sah zu Julian, der noch immer neben mir auf dem Baumstamm saß. Die Ellbogen auf den Knien abgestützt, starrte er in die Flammen. Seine Haut leuchtete bronzen im Schein des Feuers. Seine Augen funkelten und wirkten mehr golden als grün, wie Laub, das im Herbst von den Bäumen fällt. Vergänglich. In diesem Moment wurde mir mit geradezu schmerzhafter Klarheit bewusst, dass ich Julian nicht gehen lassen wollte."


Darüber hinaus stellt sich natürlich die Frage, ob die ganzen Beispiele nicht vielleicht etwas zu viel Diversitäten und Besonderheiten für einen Freundeskreis ergeben, als dass es noch glaubwürdig wäre. Aber egal - die Message ist auf jeden Fall bei mir angekommen: Diversität ist toll und Liebe ist Liebe! Das würde ich genauso unterschreiben also vergesst meine Kritik und lest dieses tolle Buch!!!
Spoiler Ende!!!


"Und manche Geheimnisse wachsen durch diese Angst, bis sie zu Monstern in unserem Schrank werden. Bis wir uns irgendwann nicht mehr trauen, ihn zu öffnen. Nicht einmal in Anwesenheit einer Person, der wir unser Leben anvertrauen würden. "


Kritik hin oder her, ich werde auf jeden Fall an der Reihe dranbleiben um meine liebgewonnenen Protagonisten wiederzusehen und mehr über Cassie und Auri zu erfahren. Also freue ich mich sehr auf "Someone Else"!



Fazit:


Ein wundervolles Plädoyer gegen Vorurteile, Sexismus, Rassismus, Engstirnigkeit und Verurteilung, das mit einer unvorhergesehenen Wendung und einem plastischen, emotionslastigen Schreibstil überzeugt. Leider wirkt der Roman mit den vielen verschiedenen Facetten, Nebencharakteren und tollen Ideen ein wenig überladen, sodass er nicht wirklich voranzukommen scheint und bei den meisten Themen nur an der Oberfläche kratzt.
Zu gewollt, zu konstruiert und dabei zu wenig authentisch!

Veröffentlicht am 05.04.2019

Ein schmackhaftes Abenteuer für Zwischendurch!

Rayne - Die Macht der Schatten
0

Ich habe zurzeit seltsamerweise verstärkt Lust auf High-Fantasy-Romane, weshalb ich sofort zugegriffen habe, als "Rayne - Die Macht der Schatten" von Rachel Crane, dem Pseudonym der deutschen Autorin Brigitte ...

Ich habe zurzeit seltsamerweise verstärkt Lust auf High-Fantasy-Romane, weshalb ich sofort zugegriffen habe, als "Rayne - Die Macht der Schatten" von Rachel Crane, dem Pseudonym der deutschen Autorin Brigitte Melzer, erschien. Dass diese Geschichte gar kein Einzelband ist, sondern eine Fortsetzung zu "Elathar - Das Herz der Magie" und sich auf die Tochter der Protagonisten aus Band 1 bezieht, habe ich dann erst bemerkt, als ich das Buch aufschlug und diese Information auf der ersten Seite abgedruckt fand. Natürlich habe ich mich zuerst ein wenig aufgeregt, dann beim Lesen aber bemerkt, dass Kenntnisse zur Vorgeschichte nicht unbedingt notwendig sind, um diese Geschichte verfolgen zu können. Es wird viel der Vergangenheit einfach noch einmal erzählt und Rayne darf ein eigenständiges Abenteuer erleben, weshalb man dieses Buch definitiv als Einzelroman lesen kann. Da mir diese Geschichte im Endeffekt sehr gut gefallen hat, werde ich wahrscheinlich irgendwann noch zur Vorgeschichte greifen.

Doch beginnen wir wie immer mit dem Cover: Auch wenn ich es - wie schon so oft erwähnt - eigentlich nicht besonders mag, wenn Models abgedruckt werden, hat mich dieses Motiv sehr angesprochen. Durch das Kleid und den wehenden Umhang der jungen Frau wird der historische Touch des Settings hervorgehoben, während die roten Blätter, das sanfte Leuchten des Hintergrundes und der verschnörkelte Titel der Gestaltung einen magischen Hauch verleihen. Da die Protagonisten im Laufe der Handlung viel in Tharennia herumkommen, hat der Verlag eine Karte des Königreichs angefügt. Leider aber ganz am Ende des Romans, wo sie jeder durchschnittliche Leser wohl eher nicht vermuten würde - so auch ich nicht. Im Nachhinein habe ich im Impressum zu Beginn einen winzigen Verweis auf die Karte gefunden, doch leider habe ich das vor dem Lesen nicht bemerkt - ganz ehrlich wer liest schon das Impressum? - und musste mich ohne grafische Hilfestellung auf die Reise durch Tharennia begeben. Natürlich ist das auch ein wenig meiner Schusseligkeit zuzuschreiben, aber vielleicht könnte man den Verweis in zukünftigen Büchern größer machen oder die Karte einfach an den Anfang stellen.

Erste Sätze: "Wenn ich dich erwische, wirst du das fressen. jeden einzelnen Krümel!"

Nach einem vorangestellten Blick in die Vergangenheit und einem erklärenden Prolog steigen wir dann in das Leben der jungen Prinzessin Rayne Fjal'Har ein, welche in einer Welt lebt, die nur dank des beherzten Eingriffs ihrer Eltern vor einigen Jahren (siehe "Elathar - Das Herz der Magie") ihr Kriegsbeil mit der Magie begraben hat und beginnt, den Zauberern unter ihnen zu vertrauen anstatt sie zu verfolgen. Als jedoch eine neue Macht mit dunkler Magie das Königreich unsicher macht, brechen die alten Wunden des Misstrauens wieder auf. Auch Raynes Mutter fällt den Schatten zum Opfer und als Rayne ebenfalls in das Visier der dunklen Kreaturen gerät, dämmert ihr, dass die Schatten nicht aus reiner Mordlust Leichenberge zurücklassen, sondern sich gezielt auf der Suche nach etwas befinden, was seit Jahren verborgen wurde: die Essenz der Magie, die Rissa Fjal'Har in sich aufnahm um die Welt zu retten und die die Schatten jetzt bei Rayne vermuten. Nur mit einem verstoßenen und stigmatisierten Verräter gelingt ihr die Flucht vor den Häschern der neu erwachten Dunkelheit und es beginnt eine Hetzjagd durch ganz Tharennia, während dieser sich Rayne fragen muss, wem sie überhaupt vertrauen kann, was in der Vergangenheit wirklich geschehen ist und vor allem: ob sie die unendliche Macht wirklich in sich trägt, nach der die Schatten suchen...


"Ein strahlend weißes Licht breitete sich im Saal aus und erfüllte ihn bis in den letzten Winkel. Geblendet blinzelnd hob Skandar den Kopf, auf der Suche nach seinem Ursprung. Um ihn herum waren die Kämpfe zum Erliegen gekommen. Schatten wie Menschen hatten innegehalten und starrten auf die Quelle des Leuchtens. Rayne stand jetzt unmittelbar vor Darathor, gehüllt in eine Kugel aus Licht. Nein, erkannte Skandar. Sie war das Licht. Ein strahlend helles Wesen. Ätherisch und nicht von dieser Welt. Eine Göttin."


Mit einem relativ rasanten Beginn, der schon viele Informationen, Action und Hintergrundwissen beinhaltet, werden wir im Schnelldurchlauf in eine typische High-Fantasy-Welt eingeführt, die wie eine romantisierte Variante des Mittelalters erscheint. Die Einwohner Tharennias wohnen in einfachen Städten, Dörfern, ihre Könige und Fürsten in Burgen; sie tragen einfache Lederwämser, Leinenhemden und Umhänge; sie ernähren sich von Brot und Eintopf; sie kämpfen mit Dolchen und Schwertern; sie reiten auf Pferden und fahren in Kutschen; sie bestellen Felder, handeln und erzählen Geschichten, wie es jedes andere, normale Volk eben tut. Was viele der Menschen jedoch nicht wissen, ist, dass ihr Land eine lange, magische Vergangenheit hat und eine große Menge Wissen aber auch einige dunkle Gefahren dieser alten Ära noch verborgen unter ihnen weilen und vor allem: dass in vielen ihrer Legenden und Mythen ein wahrer Kern steckt. So auch in der eines Tyrannen, der der Legende nach unter einem Bergmassiv zusammen mit seinen dunklen Priestern verschüttet wurde. Denn diesen Tyrannen gibt es wirklich und er ist kein Geringerer als ein dunkler Gott, dessen Macht wieder erwachen wird, sobald ein verfluchter Schweifstern am Himmel auftaucht...


"Die wenigen Momente der Nähe, die Augenblicke, in denen er sich vorstellen konnte, dass mehr zwischen ihnen sein könnte, waren nichts anderes als schöne Tagträume. Träume, die niemals wahr werden würden und deshalb auch nicht die Gefahr bargen, Rayne zu enttäuschen oder gar zu verlieren. Wie könnte ich etwas verlieren, das ich nie besessen habe?"


Diese mythische Grundidee hinter der Geschichte und auch der gleichermaßen gewohnte wie auch in kleinen Details geheimnisvolle Weltenaufbau haben mir als Basis der Geschichte sehr zugesagt. So hat der rasante Beginn in Zusammenhang mit den immer komplexer werdenden Handlungssträngen durch Perspektivwechsel seine Funktion erfüllt und das Buch versprach ein Pageturner zu werden.
Leider konnte ich mich mit der Szenengestaltung der Autorin absolut nicht anfreunden und es erschien mir, als erzähle sie an der Handlung vorbei. Anstatt Szenen und Situationen in erlebter Rede zu erzählen, greift sie während der Reise durch das Land in einem Großteil der Zeit auf eine passive Erzählweise zurück, die die heftigen Zeit- und Ortssprünge überspielen soll und in rascher, rückblickender Zusammenfassung wiedergibt, was Rayne und Skandar auf ihrer Reise sehen, wem sie begegnen und was sich Rayne dabei denkt. Das hatte bei mir zur Folge, dass diese Seiten des Mittelteils einfach an mir vorbeizogen und man sich nie als wirklicher Teil der Handlung fühlt. Die einzigen wirklichen Szenen, die zwischendurch aktiv erzählt und somit erlebbar gemacht werden, sind kurze Dialoge zwischen den beiden Reisenden oder Begegnungen mit anderen Leuten. Leider werden auch diese oft spannenden Dialoge häufig mittendrin abgebrochen und im nächsten Satz befindet man sich schon in einem anderen Fürstentum zwei Wochen später. Das hat bei mir dafür gesorgt, dass die Handlung während des eigentlich nicht uninteressanten Mittelteils an mir vorbeiplätscherte und mich nicht besonders mitreißen konnte. Ihr sonstiger Stil hat mir wiederum sehr zugesagt.

"Du willst dein Herz schützen, das kann ich verstehen. Aber was ist mit meinem?" Sie hatte ihm ihr Herz zu Füßen gelegt. Jetzt konnte sie nur noch abwarten, ob er es zertreten oder annehmen würde."

Auch die süße Liebesgeschichte, die sich als leiser Prozess zwischen den Zeilen entwickelte, drang durch diese Erzählweise nicht wirklich zu mir durch und so erschien es mir doch sehr aus der Luft gegriffen und ein wenig überhastet als die Protagonisten sich plötzlich ihre unsterbliche Liebe gestanden. Gegen Ende der Geschichte, vor allem als weitere Erzählperspektiven wie die von Raynes Verlobten Eyron oder die ihres Bruders Darragh hinzukamen, nahm die Handlung wieder an Fahrt auf und in einem spektakulären Showdown werden alle Handlungsstränge zusammengeführt. Das wirkliche Ende ist dass recht offen gehalten und hat mir insgesamt sehr gut gefallen.

Womit ich auch ein wenig Probleme hatte, sind die Namen, die mit den vielen "as", "rs" und "hs" für mich persönlich schlecht zu merken waren. Vor allem mit "Skandar Khardal" und "Darragh Fjal'Har" hatte ich Merkprobleme. Etwas seltsam fand ich auch, dass zwar Raynes ältester Bruder Darragh aber nicht ihr Zwillingsbruder Taeril in der Geschichte vorkommt. Es wird zwar zu Beginn mal seine Existenz erwähnt aber im Verlauf der Handlung bleibt er vollkommen irrelevant und Rayne verschwendet keinen weiteren Gedanken an ihn. Das finde ich och ein wenig fragwürdig. Ansonsten konnte ich mich jedoch recht gut mit den Protagonisten anfreunden.
Rayne entspricht natürlich gar nicht dem Klischee einer Prinzessin mit ihrer mutigen, selbstlosen, bodenständigen Art. Sie ist zum Leidwesen von Skandar, ihrer Reisebegleitung, sehr stur, was sie überzeugt "beharrlich" nennt, zeigt aber immer wieder mitfühlende Seiten, steht für das ein, an das sie glaubt und kann sich definitiv selber helfen. Mit diesen angenehmen Charaktereigenschaften ist sie eigentlich die perfekte Vorzeigeheldin eines Fantasyromans und sticht für mich nicht besonders aus der Masse an Fantasy-Protagonistinnen hervor. Ihre geheimnisvolle Reisebegleitung war da schon spannender!

"Den Rest des Tages überlegte er sich immer neue Gründe, aus denen der Tyrann zu dem geworden war, vor dem sich alle fürchteten. Jede neue Idee war aberwitziger als die davor, und ganz allmählich begann Rayne, den Nordländer mit anderen Augen zu sehen. Er war nicht länger der Wilde aus dem Thronsaal ihres Vaters und auch nicht mehr der bedrohliche Krieger, von dem sie angenommen hatte, er wollte sie entführen. Sie sah nicht einmal mehr den Mann in ihm, der seinen eigenen Bruder ermordet hatte. Durch die Geschichten, die er spann, und den Humor, den er dabei zeigte, wurde er in ihren Augen zu einer eigenständigen Persönlichkeit, losgelöst von allen Vorurteilen, die sie bisher gehegt haben mochte."


Skandar Khardal ist der Bruder von Raynes Verlobtem Eyron und seit Jahren verbannt und geächtet da er als Kind seinen ältesten Bruder kaltblütig im Schlaf ermordete. Kein Wunder dass das ganze Königreich ihm mit Vorurteilen, Hass und Abscheu begegnet. Doch Rayne und der gutmütige Leser merken schnell, dass Skandar trotz seiner dunklen Vergangenheit kein kaltblütiger Mörder ist und dass es bei den Geschehnissen noch ein unbekannter Faktor gibt, der seine Tat relativieren wird. Mit seiner Narbe, der dunklen Vergangenheit und seiner rätselhaften Stimmungsschwankungen zeigt er Anklänge an den stereotypischen Jugendbuch-Bad-Boy, die Art und Weise wie hier der Umgang mit Vorurteilen beschrieben wird, macht diesen Eindruck jedoch wieder wett.


"Es ist doch kein Zeichen von Schwäche, um Hilfe zu bitten!"
"Was ist es dann?"
"Eines von Klugheit."



Fazit:


Ein rasanter und kunterbunter High-Fantasy-Roman über Dunkelheit und Licht, mächtige Magie und kleine Gesten, Vorurteile und Wahrheit, Vergangenheit und Zukunft und Mythen und Legenden mit wahrem Kern. Grundidee, Weltenaufbau, Protagonisten und Ende konnten mich überzeugen, einzig mit der Szenengestaltung des Mittelteils hatte ich so meine Probleme.
Ein schmackhaftes Abenteuer für Zwischendurch!

Veröffentlicht am 05.04.2019

Ein schmackhaftes Fantasy-Abenteuer für Zwischendurch!

Rayne - Die Macht der Schatten
0

Ich habe zurzeit seltsamerweise verstärkt Lust auf High-Fantasy-Romane, weshalb ich sofort zugegriffen habe, als "Rayne - Die Macht der Schatten" von Rachel Crane, dem Pseudonym der deutschen Autorin Brigitte ...

Ich habe zurzeit seltsamerweise verstärkt Lust auf High-Fantasy-Romane, weshalb ich sofort zugegriffen habe, als "Rayne - Die Macht der Schatten" von Rachel Crane, dem Pseudonym der deutschen Autorin Brigitte Melzer, erschien. Dass diese Geschichte gar kein Einzelband ist, sondern eine Fortsetzung zu "Elathar - Das Herz der Magie" und sich auf die Tochter der Protagonisten aus Band 1 bezieht, habe ich dann erst bemerkt, als ich das Buch aufschlug und diese Information auf der ersten Seite abgedruckt fand. Natürlich habe ich mich zuerst ein wenig aufgeregt, dann beim Lesen aber bemerkt, dass Kenntnisse zur Vorgeschichte nicht unbedingt notwendig sind, um diese Geschichte verfolgen zu können. Es wird viel der Vergangenheit einfach noch einmal erzählt und Rayne darf ein eigenständiges Abenteuer erleben, weshalb man dieses Buch definitiv als Einzelroman lesen kann. Da mir diese Geschichte im Endeffekt sehr gut gefallen hat, werde ich wahrscheinlich irgendwann noch zur Vorgeschichte greifen.

Doch beginnen wir wie immer mit dem Cover: Auch wenn ich es - wie schon so oft erwähnt - eigentlich nicht besonders mag, wenn Models abgedruckt werden, hat mich dieses Motiv sehr angesprochen. Durch das Kleid und den wehenden Umhang der jungen Frau wird der historische Touch des Settings hervorgehoben, während die roten Blätter, das sanfte Leuchten des Hintergrundes und der verschnörkelte Titel der Gestaltung einen magischen Hauch verleihen. Da die Protagonisten im Laufe der Handlung viel in Tharennia herumkommen, hat der Verlag eine Karte des Königreichs angefügt. Leider aber ganz am Ende des Romans, wo sie jeder durchschnittliche Leser wohl eher nicht vermuten würde - so auch ich nicht. Im Nachhinein habe ich im Impressum zu Beginn einen winzigen Verweis auf die Karte gefunden, doch leider habe ich das vor dem Lesen nicht bemerkt - ganz ehrlich wer liest schon das Impressum? - und musste mich ohne grafische Hilfestellung auf die Reise durch Tharennia begeben. Natürlich ist das auch ein wenig meiner Schusseligkeit zuzuschreiben, aber vielleicht könnte man den Verweis in zukünftigen Büchern größer machen oder die Karte einfach an den Anfang stellen.

Erste Sätze: "Wenn ich dich erwische, wirst du das fressen. jeden einzelnen Krümel!"

Nach einem vorangestellten Blick in die Vergangenheit und einem erklärenden Prolog steigen wir dann in das Leben der jungen Prinzessin Rayne Fjal'Har ein, welche in einer Welt lebt, die nur dank des beherzten Eingriffs ihrer Eltern vor einigen Jahren (siehe "Elathar - Das Herz der Magie") ihr Kriegsbeil mit der Magie begraben hat und beginnt, den Zauberern unter ihnen zu vertrauen anstatt sie zu verfolgen. Als jedoch eine neue Macht mit dunkler Magie das Königreich unsicher macht, brechen die alten Wunden des Misstrauens wieder auf. Auch Raynes Mutter fällt den Schatten zum Opfer und als Rayne ebenfalls in das Visier der dunklen Kreaturen gerät, dämmert ihr, dass die Schatten nicht aus reiner Mordlust Leichenberge zurücklassen, sondern sich gezielt auf der Suche nach etwas befinden, was seit Jahren verborgen wurde: die Essenz der Magie, die Rissa Fjal'Har in sich aufnahm um die Welt zu retten und die die Schatten jetzt bei Rayne vermuten. Nur mit einem verstoßenen und stigmatisierten Verräter gelingt ihr die Flucht vor den Häschern der neu erwachten Dunkelheit und es beginnt eine Hetzjagd durch ganz Tharennia, während dieser sich Rayne fragen muss, wem sie überhaupt vertrauen kann, was in der Vergangenheit wirklich geschehen ist und vor allem: ob sie die unendliche Macht wirklich in sich trägt, nach der die Schatten suchen...


"Ein strahlend weißes Licht breitete sich im Saal aus und erfüllte ihn bis in den letzten Winkel. Geblendet blinzelnd hob Skandar den Kopf, auf der Suche nach seinem Ursprung. Um ihn herum waren die Kämpfe zum Erliegen gekommen. Schatten wie Menschen hatten innegehalten und starrten auf die Quelle des Leuchtens. Rayne stand jetzt unmittelbar vor Darathor, gehüllt in eine Kugel aus Licht. Nein, erkannte Skandar. Sie war das Licht. Ein strahlend helles Wesen. Ätherisch und nicht von dieser Welt. Eine Göttin."


Mit einem relativ rasanten Beginn, der schon viele Informationen, Action und Hintergrundwissen beinhaltet, werden wir im Schnelldurchlauf in eine typische High-Fantasy-Welt eingeführt, die wie eine romantisierte Variante des Mittelalters erscheint. Die Einwohner Tharennias wohnen in einfachen Städten, Dörfern, ihre Könige und Fürsten in Burgen; sie tragen einfache Lederwämser, Leinenhemden und Umhänge; sie ernähren sich von Brot und Eintopf; sie kämpfen mit Dolchen und Schwertern; sie reiten auf Pferden und fahren in Kutschen; sie bestellen Felder, handeln und erzählen Geschichten, wie es jedes andere, normale Volk eben tut. Was viele der Menschen jedoch nicht wissen, ist, dass ihr Land eine lange, magische Vergangenheit hat und eine große Menge Wissen aber auch einige dunkle Gefahren dieser alten Ära noch verborgen unter ihnen weilen und vor allem: dass in vielen ihrer Legenden und Mythen ein wahrer Kern steckt. So auch in der eines Tyrannen, der der Legende nach unter einem Bergmassiv zusammen mit seinen dunklen Priestern verschüttet wurde. Denn diesen Tyrannen gibt es wirklich und er ist kein Geringerer als ein dunkler Gott, dessen Macht wieder erwachen wird, sobald ein verfluchter Schweifstern am Himmel auftaucht...


"Die wenigen Momente der Nähe, die Augenblicke, in denen er sich vorstellen konnte, dass mehr zwischen ihnen sein könnte, waren nichts anderes als schöne Tagträume. Träume, die niemals wahr werden würden und deshalb auch nicht die Gefahr bargen, Rayne zu enttäuschen oder gar zu verlieren. Wie könnte ich etwas verlieren, das ich nie besessen habe?"


Diese mythische Grundidee hinter der Geschichte und auch der gleichermaßen gewohnte wie auch in kleinen Details geheimnisvolle Weltenaufbau haben mir als Basis der Geschichte sehr zugesagt. So hat der rasante Beginn in Zusammenhang mit den immer komplexer werdenden Handlungssträngen durch Perspektivwechsel seine Funktion erfüllt und das Buch versprach ein Pageturner zu werden.
Leider konnte ich mich mit der Szenengestaltung der Autorin absolut nicht anfreunden und es erschien mir, als erzähle sie an der Handlung vorbei. Anstatt Szenen und Situationen in erlebter Rede zu erzählen, greift sie während der Reise durch das Land in einem Großteil der Zeit auf eine passive Erzählweise zurück, die die heftigen Zeit- und Ortssprünge überspielen soll und in rascher, rückblickender Zusammenfassung wiedergibt, was Rayne und Skandar auf ihrer Reise sehen, wem sie begegnen und was sich Rayne dabei denkt. Das hatte bei mir zur Folge, dass diese Seiten des Mittelteils einfach an mir vorbeizogen und man sich nie als wirklicher Teil der Handlung fühlt. Die einzigen wirklichen Szenen, die zwischendurch aktiv erzählt und somit erlebbar gemacht werden, sind kurze Dialoge zwischen den beiden Reisenden oder Begegnungen mit anderen Leuten. Leider werden auch diese oft spannenden Dialoge häufig mittendrin abgebrochen und im nächsten Satz befindet man sich schon in einem anderen Fürstentum zwei Wochen später. Das hat bei mir dafür gesorgt, dass die Handlung während des eigentlich nicht uninteressanten Mittelteils an mir vorbeiplätscherte und mich nicht besonders mitreißen konnte. Ihr sonstiger Stil hat mir wiederum sehr zugesagt.

"Du willst dein Herz schützen, das kann ich verstehen. Aber was ist mit meinem?" Sie hatte ihm ihr Herz zu Füßen gelegt. Jetzt konnte sie nur noch abwarten, ob er es zertreten oder annehmen würde."

Auch die süße Liebesgeschichte, die sich als leiser Prozess zwischen den Zeilen entwickelte, drang durch diese Erzählweise nicht wirklich zu mir durch und so erschien es mir doch sehr aus der Luft gegriffen und ein wenig überhastet als die Protagonisten sich plötzlich ihre unsterbliche Liebe gestanden. Gegen Ende der Geschichte, vor allem als weitere Erzählperspektiven wie die von Raynes Verlobten Eyron oder die ihres Bruders Darragh hinzukamen, nahm die Handlung wieder an Fahrt auf und in einem spektakulären Showdown werden alle Handlungsstränge zusammengeführt. Das wirkliche Ende ist dass recht offen gehalten und hat mir insgesamt sehr gut gefallen.

Womit ich auch ein wenig Probleme hatte, sind die Namen, die mit den vielen "as", "rs" und "hs" für mich persönlich schlecht zu merken waren. Vor allem mit "Skandar Khardal" und "Darragh Fjal'Har" hatte ich Merkprobleme. Etwas seltsam fand ich auch, dass zwar Raynes ältester Bruder Darragh aber nicht ihr Zwillingsbruder Taeril in der Geschichte vorkommt. Es wird zwar zu Beginn mal seine Existenz erwähnt aber im Verlauf der Handlung bleibt er vollkommen irrelevant und Rayne verschwendet keinen weiteren Gedanken an ihn. Das finde ich och ein wenig fragwürdig. Ansonsten konnte ich mich jedoch recht gut mit den Protagonisten anfreunden.
Rayne entspricht natürlich gar nicht dem Klischee einer Prinzessin mit ihrer mutigen, selbstlosen, bodenständigen Art. Sie ist zum Leidwesen von Skandar, ihrer Reisebegleitung, sehr stur, was sie überzeugt "beharrlich" nennt, zeigt aber immer wieder mitfühlende Seiten, steht für das ein, an das sie glaubt und kann sich definitiv selber helfen. Mit diesen angenehmen Charaktereigenschaften ist sie eigentlich die perfekte Vorzeigeheldin eines Fantasyromans und sticht für mich nicht besonders aus der Masse an Fantasy-Protagonistinnen hervor. Ihre geheimnisvolle Reisebegleitung war da schon spannender!

"Den Rest des Tages überlegte er sich immer neue Gründe, aus denen der Tyrann zu dem geworden war, vor dem sich alle fürchteten. Jede neue Idee war aberwitziger als die davor, und ganz allmählich begann Rayne, den Nordländer mit anderen Augen zu sehen. Er war nicht länger der Wilde aus dem Thronsaal ihres Vaters und auch nicht mehr der bedrohliche Krieger, von dem sie angenommen hatte, er wollte sie entführen. Sie sah nicht einmal mehr den Mann in ihm, der seinen eigenen Bruder ermordet hatte. Durch die Geschichten, die er spann, und den Humor, den er dabei zeigte, wurde er in ihren Augen zu einer eigenständigen Persönlichkeit, losgelöst von allen Vorurteilen, die sie bisher gehegt haben mochte."


Skandar Khardal ist der Bruder von Raynes Verlobtem Eyron und seit Jahren verbannt und geächtet da er als Kind seinen ältesten Bruder kaltblütig im Schlaf ermordete. Kein Wunder dass das ganze Königreich ihm mit Vorurteilen, Hass und Abscheu begegnet. Doch Rayne und der gutmütige Leser merken schnell, dass Skandar trotz seiner dunklen Vergangenheit kein kaltblütiger Mörder ist und dass es bei den Geschehnissen noch ein unbekannter Faktor gibt, der seine Tat relativieren wird. Mit seiner Narbe, der dunklen Vergangenheit und seiner rätselhaften Stimmungsschwankungen zeigt er Anklänge an den stereotypischen Jugendbuch-Bad-Boy, die Art und Weise wie hier der Umgang mit Vorurteilen beschrieben wird, macht diesen Eindruck jedoch wieder wett.


"Es ist doch kein Zeichen von Schwäche, um Hilfe zu bitten!"
"Was ist es dann?"
"Eines von Klugheit."



Fazit:


Ein rasanter und kunterbunter High-Fantasy-Roman über Dunkelheit und Licht, mächtige Magie und kleine Gesten, Vorurteile und Wahrheit, Vergangenheit und Zukunft und Mythen und Legenden mit wahrem Kern. Grundidee, Weltenaufbau, Protagonisten und Ende konnten mich überzeugen, einzig mit der Szenengestaltung des Mittelteils hatte ich so meine Probleme.
Ein schmackhaftes Abenteuer für Zwischendurch!

Veröffentlicht am 16.02.2019

Spannend, düster, einfallsreich - ein durchaus lesenswertes Urban-Fantasy-Abenteuer!

Die zwei Monde
0

"Geh mit mir, Veronica von den Wölfen. Geh mit mir durch die Schleier der Welt."

Kennt ihr diese Bücher, die ihr vor Jahren mal irgendwo spontan gekauft habt, die seither Staub im Regal angesammelt haben ...

"Geh mit mir, Veronica von den Wölfen. Geh mit mir durch die Schleier der Welt."

Kennt ihr diese Bücher, die ihr vor Jahren mal irgendwo spontan gekauft habt, die seither Staub im Regal angesammelt haben und über die ihr beim Sortieren plötzlich stolpert ohne euch zu erinnern, sie jemals gekauft zu haben? Dies ist so ein Buch! Ich habe vor ein paar Tagen mein Regal umsortiert und bin dabei auf diese interessante Geschichte gestoßen, die ich schon so lange schmählich ignoriert habe. "Zutritt zur verborgenen Welt der Feen, Unsterblichen und antiken Gottheiten" steht auf dem Buchrücken - das klingt doch ganz gut, dachte ich bei mir und habe mit Lesen angefangen. Leider ist das definitiv ein Fehler im Klapptext und es erwarten uns hier keine fantastischen Parallelwelten. Stattdessen haben wir es hier mit einem mystischen Urban-Fantasy-Roman zu tun, der in die düstere Sagenwelt von Mailand entführt. Nicht unbedingt etwas total Neues aber definitiv mal anders verpackt und definitiv lesenswert!

Das Cover ist zwar nicht unbedingt außergewöhnlich originell, dennoch aber hübsch anzusehen und mit den vielen kleine Details durchaus stimmig. Durch die dunkel-violette Färbung des Hintergrunds kommt der strahlend-weiße Titel mit dem Leuchteffekt sehr gut zur Geltung und zusammen mit den schwarz-glänzenden, toten Ästen ergibt sich ein düsterer erster Eindruck. Wenn man genau hinsieht, entdeckt man an den Ästen zwei schwarze Mondsicheln, die gut mit dem Titel korrespondieren. Durch die weißen Blumen werden weitere Kontrastakzente gesetzt und relativ bald wird klar, dass auch sie für die Geschichte eine Bedeutung haben. Komplettiert wird das Design durch die großen Monde, die jeden Kapitelanfang zieren und die jeweilige Mondphase zeigen. Auch wenn ich den Titel weder für besonders einprägsam, originell oder schön halte, passt er gut, da die Geschichte in zwei Mondphasen eingeteilt ist und diese für die Handlung eine große Rolle spielen. Alles in allem bin ich mit der Gestaltung also recht zufrieden.

Erster Satz: "Mein Name ist Veronica Meis und als mein düsteres Märchen seinen Anfang nahm, fehlten weniger als fünf Wochen bis zu meinem achtzehnten Geburtstag"


Wir lernen die junge Veronica kennen, die nach einer Partynacht mit furchtbaren Kopfschmerzen, übersteigerten Sinneswahrnehmungen und einer Bisswunde am Bein aufwacht und sich an den vorangegangenen Abend nicht mehr erinnern kann. Sie schiebt es zuerst auf einen miesen Kater und setzt ihr normales Leben fort, ohne zu wissen, dass sich bald alles ändern wird. Doch während sie sich mit ihren Eltern streitet, um die Anerkennung ihrer Klassenkameraden kämpft, heimlich für den coolsten Typen der Schule schwärmt und versucht, sich in Mailand endlich einzuleben, verändert sie sich immer mehr, bis sie es einfach nicht mehr ignorieren kann. Sie hört und sieht plötzlich Dinge, die andere Menschen nicht sehen können und als dann der geheimnisvolle Graf Gorani auftaucht und ihr offenbart, dass sie mitten in ein Geflecht aus uralten und gefährlichen Mächten geraten ist, will sie einfach nur noch normal sein. Doch ein Teil von ihr genießt es auch, Macht über ihre Mitmenschen zu haben und Teil der dunklen, verborgenen Welt zu sein. Wie gefährlich das Spiel ist, dass sie spielt, wie leicht man sich darin verlieren kann und wie schwer es ist, jemanden zu finden, dem man vertrauen kann, erfährt sie erst, als sie den attraktive Ivan kennenlernt. Kann sie aus dem Teufelskreislauf noch ausbrechen oder wird sie für immer die Sklavin dunkler Mächte werden?


"Ich stand auf, ging ins Bad und machte das Licht über dem Spiegel an: die ganz normale Veronica. Schmales Kinn, volle Lippen, rot gegen die sehr helle Haut. Braune Augen und kurze, zerzauste Haare. Sag es, Veronica, sprich es laut aus. Ich sah meinem Spiegelbild fest in die Augen. "Ich bin ein Werwolf"


Wir werden sehr ausführlich in das Leben von Veronica eingeführt, die mit ganz normalen Teenager-Problemen zu kämpfen hat, seit sie von Ravenna ins anonyme Mailand gezogen ist. Als Außenseiterin mit einem exzentrischen Modegeschmack, trockenem Humor und angeknackstem Selbstbewusstsein wächst sie dem Leser sehr schnell ans Herz man fiebert mit ihr, wenn sie der Horror-Clique Elena - Susanna - Angela - entgegentritt und sich gegen die Yoga-Reiki-Anwandlungen ihrer Guru-Mutter verteidigen muss. Doch diese Probleme rücken sehr schnell in den Hintergrund. Denn seit sich nach der Partynacht schlagartige viele Dinge in ihrem Leben geändert haben und sie auf verborgene Geheimnisse stößt, die sie niemals erwartet hätte, traut sie ihren eigenen Augen nicht mehr und weiß nicht, was sie glauben und tun soll. Erst durch den Conte Giuseppe Gorani, der ihr die Mythen und Sagen Mailands erzählt, beginnt sie, die Stadt mit anderen Augen zu sehen. Zuerst langsam und dann immer mehr werden wir mit Veronica in eine düstere, magische Sagenwelt gezogen, über die wir kaum etwas wissen und deren Gefährlichkeit wir noch nicht abschätzen können. Ein Mädchen mit Blumenhaaren, ein Bettler mit Schlangenaugen, dunkle Männer in schwarzen Kutten, sprechende Totenschädel, geflügelte Hexenwesen, uralte Sekten und … ein mächtiger Wolfsgott, der davon träumt, menschlich zu sein. All diese Dinge werden plötzlich Teil ihrer Welt und bevor sie wirklich Zeit hat, die Kuriositäten zu bestaunen, beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit. Denn beim nächsten Vollmond wird sie für immer auf schreckliche Art und Weise Teil dieser neuen Welt sein und um das zu verhindern, muss sie eine schreckliche Entscheidung treffen...


"Im Grunde war das alles ein Maskenspiel, eine Art Bühnenspektakel, in dem zu viele Rollen zu besetzen und zu wenige Schauspieler vorhanden waren. (…) Aber wer stand hinter all diesen Figuren? Wann waren es Masken und wann wahre Gesichter? Und wer war Veronica, eine Kämpferin oder eine Heulsuse?"


Mit der vielseitigen Stadt Mailand bekommen wir ein wundervolles Setting vorgesetzt. Denn auch wenn der Autor nur weniger Stellen der Stadt wirklich explizit beim Namen nennt und beschreibt, bekommen wir einen Einblick in den einzigartigen Flair der Stadt abseits der luxuriösen Einkaufshallen und Modetempeln. Wir werden in die geheimnisvolle, düstere, sagenumwobene, gefährliche Sagenwelt dieser uralten Stadt hineingezogen und werden mir unglaublichen Legenden, uralten Riten und übernatürliche Wesen konfrontiert, die alle ausgehend von antiken Überlieferungen oder historischen Gestalten oder Ereignissen entwickelt wurden. So gab es die historische Figur des Conte Giuseppe Gorani wirklich, das dargestellte Blutbad in Mailand des 18 Jahrhunderts hat wirklich stattgefunden und die Riten der Lupercalien entspringen historischen Überlieferungen. Das gibt der Geschichte natürlich eine besondere Authentizität und sorgt dafür, dass das typische Werwolf-Thema komplett neu gedacht daherkommt. Luca Tarenzis Schreibstil ist dabei sehr nüchtern aber angenehm beschreibend. An manchen Stellen habe ich mich aber an der etwas holprigen Übersetzung gestört. Etwas befremdlich ist dabei vor allem auch, dass Veronica obgleich sie aus der Ich-Perspektive erzählt, sehr oft von sich in der dritten Person denkt.


"Sie hatten damit gespielt, den Wolf zu befreien? Jetzt würde der Wolf ihnen nachstellen. Veronica, die leichte Beute, hatten sie gedacht: das schüchtere und einsame Mädchen, das keine Freunde hat, das die Toughe spielt, um stärker zu erscheinen auch wenn es ihr keiner abnimmt. Aber Veronica hat aufgehört, eine leichte Beute zu sein. Rotkäppchen ist in den Walt gegangen, und der Wolf hat es gefressen. Ich sah mir in die Augen: Veronica, der Werwolf. Es ist Zeit für die Jagd."



Da wir neue Informationen nur sehr knapp, kryptisch und häppchenweise präsentiert bekommen, bleibt die magische Welt bis zum Ende ein großes Fragezeichen. Da auch die sich anbahnende Liebesgeschichte, Veronicas Beziehung zu ihrer Familie und ihren Freunden recht blass bleiben, hätte ich mir von dieser Seite ein wenig mehr Informationen gewünscht. Stattdessen fokussiert sich Luca Tanrenzi während der 512 Seiten sehr auf die Entwicklung unserer starken Protagonistin und legt wer darauf, ihren inneren Kampf gegen den Wolf in sich und dessen dunkle Versuchung detailreich zu schildern und uns ihre Entwicklung vom unsicheren Teenager zu einer verantwortungsvollen, starken, jungen Frau nahezubringen. Das gelingt ihm auch sehr gut, sodass man trotz sparsamer Handlung und raren neuen Informationen immer mitfiebert und Veronica sehr gerne auf ihrem Abenteuer begleitet.


"Warum sehnst du dich so sehr nach dem Leben der Menschen?" "Wegen des Wunders, Veronica. Wegen des Fleisches, wegen des Blutes, wegen des Herzens, wegen der Farben, wegen der Musik, wegen der Verrücktheit. Weil eure Welt ein unvorstellbarer Traum ist und ich ihn für immer träumen will."


Gerade am Ende wird das fehlende Informationsgerüst der Geschichte aber deutlich als sich etwas plötzlich alle Probleme ohne wirkliche Klärung in Luft auflösen und einige Personen höchst fragwürdig reagieren. Damit ist das Ende in sich eigentlich schon abgeschlossen, es ist aber dennoch viel Potential für eine Fortsetzung vorhanden.



Fazit:


Spannend, düster, einfallsreich - ein durchaus lesenswertes Urban-Fantasy-Abenteuer mit einer starken Protagonistin und authentischem Sagenhintergrund. Leider bleiben sowohl die Liebesgeschichte als auch die Sagenwelt etwas blass, da sich der Autor sehr auf seine Protagonistin und deren Entwicklung konzentriert. So wird eine Menge Potential verschenkt und die Geschichte bleibt im soliden aber nicht unbedingt umwerfenden Bereich.