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Veröffentlicht am 06.05.2019

Englischer Landhauskrimi

Dreizehn Gäste
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Lord Aveling lädt zwölf Gäste auf sein Landgut Bragley Court, bunt gemischt, untereinander teils unbekannt. Die junge Witwe Nadine Leveridge trifft bei ihrer Anreise am örtlichen Bahnhof den verletzten ...

Lord Aveling lädt zwölf Gäste auf sein Landgut Bragley Court, bunt gemischt, untereinander teils unbekannt. Die junge Witwe Nadine Leveridge trifft bei ihrer Anreise am örtlichen Bahnhof den verletzten John Foss und beschließt kurzerhand ihn mitzunehmen. Nun befinden sich unglücklicherweise dreizehn Gäste im Landhaus, allerdings ist Foss nicht der Dreizehnte, der eintrifft. Bringt diese Zahl tatsächlich ein Unglück mit sich und wen wird es treffen? „Das Pech ereilt … den dreizehnten Gast, der durch die Tür da kommt.“

Im typischen Stil englischer Kriminalliteratur Anfang des 20. Jahrhunderts geschrieben, besticht dieser Krimi durch das „Landhaus-Muster“: die Verdächtigen befinden sich in einem kleinen, geschlossenen Kreis; der Leser darf gerne miträtseln, wer als Täter infrage kommt und warum.

Farjeon beginnt seinen Kriminalroman ganz unspektakulär am Schotter des Bahnhofs Flensham, und doch setzt hier schon eine ganz spezielle Atmosphäre ein: „die Stimme ist rau und trotzdem auch seltsam sanft“ – der Leser bekommt bereits auf der erste Seite einen Eindruck der besonderen Sprachmelodie, die auch in der deutschen Übersetzung (die übrigens erst 2019 erstmals erschienen ist) sehr gut getroffen ist, detailreich, aber doch in den Dialogen knapp und auf das Wesentliche beschränkt, sodass es nicht zu langatmig wird.

Die restliche Handlung spielt sich abgeschieden auf Avelings Landgut ab. Nach und nach treffen die Gäste ein, der Leser lernt recht unterschiedliche Charaktere kennen, manche werden direkt vorgestellt, anderen begegnet man auf Umwegen, indem ein Gast über einen anderen spricht. So bekommt man auch gleich einige persönliche Sympathien bzw. Abneigungen mitgeliefert.

Als schließlich ein Gemälde zerstört und ein Mann ermordet aufgefunden wird, ermittelt Kriminalinspektor Kendall systematisch und raffiniert. Gezielt stellt er Fragen oder lässt Zeugen einfach von sich aus erzählen. Stück für Stück werden Puzzlesteine zusammengetragen, neue Erkenntnisse mit alten verknüpft, Zusammenhänge hergestellt. So bleibt der Fall bis zum Schluss spannend und lesenswert.

„J. Jefferson Farjeon gebührt ein Platz in der Ehrenhalle der englischen Kriminalschriftsteller.“ Christian Schröder. Der Tagesspiegel.
Dem kann ich mich nur anschließen.

Veröffentlicht am 01.05.2019

Eine Frau setzt sich durch

Fräulein Broich
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Bonn, 1900:
Henni Broich, Tochter des bekannten Hoteliers Theodor Broich, soll demnächst vermählt werden. Allerdings handelt es sich um keine Heirat aus Liebe, eher möge diese arrangierte Zweckehe die ...

Bonn, 1900:
Henni Broich, Tochter des bekannten Hoteliers Theodor Broich, soll demnächst vermählt werden. Allerdings handelt es sich um keine Heirat aus Liebe, eher möge diese arrangierte Zweckehe die Geschäftsbeziehungen zur Familie Zimmer fördern.


Entgegen der damals gängigen Meinung „einer Dame behagt es nicht, aber es ist eine Notwendigkeit, unter der Herrschaft des Gatten zu stehen“, entschließt sich Henni, auf eigenen Beinen zu stehen und als Krankenpflegerin selbst für ihren Unterhalt zu sorgen. Dass dies gar nicht so einfach ist, bemerkt sie schnell. Ebenso rasch gerät sie mitten in die Mordermittlungen, welche die Stadt in Atem halten.

Heidi Möhker zeichnet in ihrem historischen Kriminalroman das wunderbare Bild einer starken und zukunftsorientierten jungen Frau, die sich geschickt und konsequent für Gleichberechtigung einsetzt und Gerechtigkeit in jeder Hinsicht fordert.

Die einzelnen Personen in dieser Geschichte sind gut beschrieben und klar charakterisiert, einige werden dem Leser rasch sympathisch, andere nicht, bei manchen hat man so seine Zweifel.

Bemerkenswert genau sind viele Details aus der Zeit der Jahrhundertwende herausgearbeitet, man erkennt die liebevolle Recherche und findet passende Worte, wie z.B. Fisimatenten. Die vielen interessanten Informationen wirken jedoch nie oberlehrerhaft, sondern sind immer geschickt ins Geschehen eingeflochten.

Bei Metas Tortenkreationen, an denen diese mit Leidenschaft und Hingabe werkt, fühlt man sich wahrlich in einen Bildband hineinversetzt, so gekonnt sind die Beschreibungen über das Rühren, Schlagen und Quirlen der Zutaten. Am liebsten möchte man gleich mitnaschen.

„Fräulein Broich“ wird als entschleunigter Roman bezeichnet „über eine Zeit, in der eine neue Generation von starken Frauen heranwuchs und erstmals für ihre Interessen eintrat“ (Klappentext). Dies ist insofern gut gelungen, als dieses Buch eine Verquickung aus Historienbetrachtung, Krimi und Romanze bildet, interessant und spannend gleichermaßen, ohne sich je in grauslichen oder brutalen Details zu verlieren.

Von mir gibt es dafür verdiente 5* und eine Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 20.04.2019

Schweigen über die Vergangenheit

Nordfinsternis
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Ein dunkles Verbrechen an der Küste. Eine Familie, die schweigt. Und ein Mädchen, das vergisst. Bis Panikattacken Miriams Leben Jahrzehnte später außer Kontrolle bringen. Sie muss sich erinnern, um dem ...

Ein dunkles Verbrechen an der Küste. Eine Familie, die schweigt. Und ein Mädchen, das vergisst. Bis Panikattacken Miriams Leben Jahrzehnte später außer Kontrolle bringen. Sie muss sich erinnern, um dem Geheimnis ihrer Vergangenheit auf die Spur zu kommen. Bald schon konfrontiert ein undurchdringliches Geflecht aus Lügen, Scham und Schuld sie mit ihrer größten Angst…


Miriam ist verheiratet, hat ein hübsches Haus, einen guten Job und ist seit kurzem Mutter. Das Glück scheint perfekt, wären da nicht ihre Unsicherheit, ihre (Über)Besorgtheit. Woher rühren Miriams plötzlich auftretende Panikattacken?

In hautnahem Präsens entführt uns Ricarda Oertel ins norddeutsche Kappeln, zeichnet in außergewöhnlich treffender Sprache das Bild einer Familie, deren Vergangenheit viele Geheimnisse verbirgt. Kleine Details fließen geschickt in die Szenen ein und lassen alles sehr lebendig werden, die Figuren sind plastisch charakterisiert und bleiben nicht immer die, die sie anfänglich zu sein scheinen.

Nach einem kurzen, erschütternden Prolog gliedert sich dieser Küstenkrimi in übersichtliche Kapitel, an deren Enden häufig auch jemand aus dem „off“ erzählt. Fragen über Fragen werden aufgeworfen, die Spannung steigt ab der ersten Seite und hält bis zum Ende an. Immer wieder gibt es Wendungen, die man nicht erwartet.

Mit einer wunderbaren Hommage an Astrid Lindgren wird das Thema Sterben und Tod berührend ins Geschehen eingeflochten, der Umgang mit schrecklichen Geschehnissen aufgearbeitet.

Ein gelungener psychologischer Spannungsroman, der mich Seite für Seite gefesselt hat, sowohl vom Schreibstil als auch vom Inhalt her, und den ich unbedingt weiterempfehle!

„5 Sterne plus“

Veröffentlicht am 11.04.2019

Süße Verführung

Das kleine Café im Gutshaus
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Julie Shackmans Buch "Das kleine Cafe im Gutshaus" stellt bereits am Titelbild die wichtigsten Komponenten dar: das schottische Fairview mit einem herrschaftlichen Gutshaus, das über einen liebevoll gedeckten ...

Julie Shackmans Buch "Das kleine Cafe im Gutshaus" stellt bereits am Titelbild die wichtigsten Komponenten dar: das schottische Fairview mit einem herrschaftlichen Gutshaus, das über einen liebevoll gedeckten Cafetisch "wacht".


Die Autorin schubst den Leser gekonnt gleich mitten ins Geschehen und verzaubert mittels lebhafter und bildlicher Sprache, so "tanzt der Kuchen auf den Geschmacksknospen", ist von schokoladebraunen Augen und kirschroter Strickjacke die Rede. Die Sätze fließen köstlich dahin, während die Figuren, die unterschiedlicher nicht sein könnten, klar charakterisiert werden: zum einen Lara, die Hobbybäckerin, zum anderen ihre griesgrämige Chefin Kitty sowie der etwas hinterlistig wirkende alte Gutsbesitzer Carmichael.

Nach Enttäuschungen im beruflichen wie im privaten Leben möchte Lara zurück in ihrer Heimat ganz von vorne beginnen und am liebsten ein eigenes Cafe betreiben. Allerdings reicht es vorerst gerade einmal für eine Anstellung als einfache Servierkraft bei bei der konservativen Kitty Walker, die keine noch so geringe Veränderung akzeptieren mag. Im Cafe lernt Lara aber den eigenwilligen, 90jährigen Hugo Carmichael kennen und schätzen und kann sich nur wundern, dass sie nach dessem baldigen Tod zur Testamentseröffnung geladen wird. Die weiteren Erben sind ebenso überrascht und speziell der Enkelsohn Vaughan reagiert regelrecht empört und ablehnend gegenüber der Verfügung, dass die fremde Lara im Testament berücksichtigt wird.

"Träume gehen in Erfüllung, wenn man seinem Herzen folgt." Dies ist wohl der beste Grund, das Buch (weiter)lesen zu wollen und zu sehen, welche Träume und Wünsche hier wohl noch erfüllt werden.
Eine wunderschön verfasste Geschichte, die den Leser - nicht nur - in eine zuckerglasursüße Kuchenwelt entführt...

Veröffentlicht am 07.04.2019

Das Universum verbindet alle miteinander

Der Postbote von Girifalco oder Eine kurze Geschichte über den Zufall
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„…in einem Universum, in dem die Handlungen aller unaufhörlich miteinander verbunden waren.“ Kap.8

Domenico Dara entführt uns in seinem Buch in das
verstaubte süditalienische Dorf Girifalco im Jahre ...

„…in einem Universum, in dem die Handlungen aller unaufhörlich miteinander verbunden waren.“ Kap.8

Domenico Dara entführt uns in seinem Buch in das
verstaubte süditalienische Dorf Girifalco im Jahre 1969.

Der zurückgezogene, einzelgängerische Postbote zeichnet sich aus durch seine Leidenschaft fürs Philosophieren und seine Begeisterung für Liebesbriefe. Daraus resultiert sein recht ungewöhnliches Hobby: er öffnet Briefe, schreibt sie in gekonnter Imitation der Schrift ab und archiviert die Kopien systematisch. Ab und zu greift er auch in die Korrespondenz ein, indem er einen Brief nicht zustellt oder selbst ein Schreiben aufsetzt und in den Briefschlitz steckt. So werden Liebende zusammengeführt, sorgenvolle Mütter getröstet und die Dorfpolitik durcheinandergewirbelt.

Der Autor versteht es, die komplexen Zusammenhänge nicht von Anfang an in einer geradlinig verlaufenden Geschichte darzustellen, sondern mittels einzelner Episoden aus dem Dorfgeschehen Puzzlesteine vorzustellen, die sich erst nach und nach zu einem großen Ganzen zusammenfügen. So erfährt der Leser erst im Laufe der 36 Kapitel, wer die vielen unterschiedlichen Personen mit den schwierigen Namen sind (Register am Ende beachten!) und in welchem Zusammenhang sie zueinander stehen, warum so manche wahre Liebe zu Ende war, bevor sie noch richtig begonnen hat, warum das Schicksal – oder ist es der Zufall? – so oft eine Rolle spielt, warum ein längst vergangenes Verbrechen Jahre später noch seine Wirkung zeigt.

Mit einer sehr klaren, sich aber trotzdem distanziert anfühlenden Sprache beschreibt Domenica Dara viele einzelne Vorkommnisse sehr präzise und anschaulich. Realität verschwimmt mit Phantasie, Jetzt mit Damals. Der Leser versinkt in kleine Details des Dorfes und lernt so die vielen unterschiedlichen Facetten kennen, die schließlich ein wunderbares Gesamtbild ergeben.

Wer Spannung sucht, wird sie in diesem Buch nicht finden, wer hingegen Geduld aufbringt, die Reise in die Vergangenheit anzutreten, alte und neue Briefe zu lesen, das Schicksal der Dorfbewohner kennenzulernen und damit auch jenes des Postboten, der wird am Ende zufrieden ein ganz besonderes Buch in Händen halten.