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Veröffentlicht am 19.06.2019

wunderschön erzählt

Bell und Harry
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Mir haben diese Geschichten um Harry und Bell viel Freude gemacht. Es geht nicht nur um eine Jungenfreundschaft, sondern es werden beispielsweise auch Episoden erzählt, die Harry mit seiner Mutter erlebt ...

Mir haben diese Geschichten um Harry und Bell viel Freude gemacht. Es geht nicht nur um eine Jungenfreundschaft, sondern es werden beispielsweise auch Episoden erzählt, die Harry mit seiner Mutter erlebt hat. Aber immer in der Zeit, die die Londoner Familie im Hohlen Land verbracht haben. Jane Gardam erzählt in ruhigem Stil kleine ländliche Ereignisse, aber auch mit Sprachwitz und Humor. So fand ich beispielsweise „Die Institution“ urkomisch.

Schon der Einstieg hat mich gefangen genommen, wie der achtjährige Bauernsohn Bell in seiner ländlichen Ausdrucksweise diese Londoner Familie beschreibt, denen seine Familie für die Sommerferien ein Landhaus vermietet hat. Bell beobachtet mit Staunen diese Leute und macht sich seine eigenen Gedanken. Speziell der kleine Junge in der Familie, Harry mit seiner Ängstlichkeit beschäftigt ihn und er nimmt ihn ein bißchen unter seine Fittiche.

Zum Ende hin schließt sich für mich der Kreis: Obwohl vorher nur episodenhaft erzählt erfahren wir jetzt, wie die Freundschaft sich ins Erwachsenenalter entwickelt hat und die Geschehnisse dieses Kapitels verbinden alle gelesenen Geschichten ein bißchen miteinander. Also ich fand diese Personen liebenswert: natürlich Harry und Bell, dann dessen kleine Tochter Anne, Poppet und den alten Hewitson.

Veröffentlicht am 17.03.2019

Eine spannende Nacht

Kaschmirgefühl
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Bei der ursprünglichen Leseprobe bin ich davon ausgegangen, dass der Telefonanruf bei einer Sexhotline nur der Einstieg in eine Liebesgeschichte ist. Dass der komplette Inhalt aus diesen Telefongesprächen ...

Bei der ursprünglichen Leseprobe bin ich davon ausgegangen, dass der Telefonanruf bei einer Sexhotline nur der Einstieg in eine Liebesgeschichte ist. Dass der komplette Inhalt aus diesen Telefongesprächen besteht, fand ich erstmal sonderbar. Doch ganz schnell hat mich dieser Dialog in seinen Bann gezogen. Neben dem Geplänkel gab es immer wieder Überraschungen und Wendungen, so dass ich bei jedem Ende eines Gesprächs schon wieder auf das nächste gespannt war.

Bernhard Aichner hat mit Gottlieb und Marie zwei richtige gute Charaktere geschaffen, die ich beide liebgewonnen habe: Gottlieb mit seiner zweifelnden, schüchternen und manchmal fordernden Art und besonders Marie, die frech, neugierig, humor- und auch liebevoll rüberkommt.

Ich muss zugeben, dass ich sehr neugierig wäre, wie diese Geschichte weitergeht. Es würde aber keinen Sinn machen: die Geschichte ist genau bis zu diesem Punkt perfekt, stimmig und hat mich richtig gut unterhalten. Sie braucht keine Fortsetzung im Alltag. Dieser spritzige Dialog lies mich schmunzeln, lachen und hat mich berührt. Ich fand es wirklich amüsant, die beiden durch diese lange Nacht zu begleiten. Dieses Buch ist auch optisch eine Besonderheit und mein erstes Lesehighlight in diesem Jahr dem ich sehr gerne fünf Sterne vergebe.

Veröffentlicht am 07.12.2018

Frau Oberst ermittelt

Tod eines Weinbauern
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Der alte Weinbauer Emser liegt tot in seinem Weingarten. Sein Tod liegt schon einige Zeit zurück: er war eingeschneit und wurde erst nach dem Verschwinden des Schnees aufgefunden. Die Ermittlungen zum ...

Der alte Weinbauer Emser liegt tot in seinem Weingarten. Sein Tod liegt schon einige Zeit zurück: er war eingeschneit und wurde erst nach dem Verschwinden des Schnees aufgefunden. Die Ermittlungen zum Tod des Winzers bringt Frau Oberst Luise Pimpernell direkt in ihren eigenen Wohnort. Der Tote ist ihr auch gut bekannt: sie ist gerne nach Spaziergängen bei ihm im Weinkeller auf ein Gläschen eingekehrt.

Luise stellt schnell fest, dass die wortkarge, manchmal spröde Art des alten Emsers seinen Kindern und ihren Familien das Leben schwer gemacht hat. Nie war ganz klar, wem seiner Kinder er was von seinem Vermögen vermachen wollte und auf Nachfragen oder auch ernstgemeintes Interesse reagierte er immer abwehrend. Er stellte nur klar, dass es keine Verteilung vor seinem Tod geben wird. So muss die Polizei natürlich im direkten Umfeld des Toten genau nach Motiven und Streitigkeiten Ausschau halten. Die Familie ist jedoch von Luises Ermittlungsarbeit und Befragungen nicht sehr angetan.

Ich kannte Luise Pimpernell bisher noch nicht. Es ist der Autorin eine interessante Person geglückt: Optisch ist Luise wohl sehr eigen und irgendwie aus der modernen Zeit gefallen. Ihr Kollege Roman Grümpl erscheint eher unauffällig, was durch seine durchweg graue Kleidung noch verstärkt wird. Zusammen bilden sie aber ein ideales Team, das sich bei ihrer Ermittlungsarbeit durch unterschiedliche Denkweisen gegenseitig ergänzt.

Die Geschichte ist klug und mit Bedacht erzählt. Die Beschreibung der Einheimischen ist stimmig und gelungen, das Umfeld rund um den österreichischen Weinbau scheint mir gut getroffen. Auch der österreichische Einschlag mit vielen mir unbekannten Begrifflichkeiten hatte für mich seinen Reiz. Dass beispielsweise Kriminalbeamte Titel wie Frau Oberst haben ist amüsant. Den in Aussicht gestellten Folgeband werde ich auch gerne lesen.

Veröffentlicht am 04.11.2018

Schön erzählt

Ich komme mit
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Die 72jährige Vita kennt den jetzt 21jährigen Lazy, Lazar Laval, seit er als Junge mit seinem Vater in das selbe Haus in Zürich gezogen ist. Jetzt als junger Mann ist er hierhin zurückgekehrt. Er scheint ...

Die 72jährige Vita kennt den jetzt 21jährigen Lazy, Lazar Laval, seit er als Junge mit seinem Vater in das selbe Haus in Zürich gezogen ist. Jetzt als junger Mann ist er hierhin zurückgekehrt. Er scheint schwer erkrankt zu sein. Vita ist verwitwet, hat sehr viel Zeit und kümmert sich ein bißchen um ihn. Daraus entsteht allmählich ein immer näherer Kontakt, beinahe eine Freundschaft.

Dem Leser wird das Geschehen abwechselnd aus beiden Perspektiven präsentiert. Lazys Geschichte wird im Gegensatz zu Vitas Part in der Ich-Form erzählt. Auch sehr viel in wörtlicher Rede. Seine Sichtweise kommt mir erfrischend und sehr jugendlich vor. Es gab viele toll formulierte Sätze; Beispiel S. 44: >>Maier sieht nicht viel anders aus als damals. Ist wie Schiffszwieback, hell und trocken und haltbar. >>
Mir hat es Spaß gemacht, die Begegnung dieser beiden so unterschiedlichen Menschen zu begleiten. Jeder ist ein bißchen aus der Welt gefallen und so leisten sie sich gegenseitig Gesellschaft und haben jemanden zum Reden gefunden.

Veröffentlicht am 24.10.2018

Eigene Perspektive auf Deutsche Geschichte

Deutsches Haus
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Eva Bruhns ist 24 Jahre alt, lebt bei ihren Eltern, einem Wirtsehepaar, in Frankfurt. Sie ist Dolmetscherin für Polnisch und wird von ihrer Kanzlei meist für Vertrag- und Wirtschaftsangelegenheiten eingesetzt. ...

Eva Bruhns ist 24 Jahre alt, lebt bei ihren Eltern, einem Wirtsehepaar, in Frankfurt. Sie ist Dolmetscherin für Polnisch und wird von ihrer Kanzlei meist für Vertrag- und Wirtschaftsangelegenheiten eingesetzt. Sie steht kurz vor der Verlobung mit Jürgen, einem wohlhabenden Sohn eines Versandhändlers. Gerade an dem Tag, an dem Jürgen zum ersten Mal ihren Eltern vorgestellt wird, wird Eva kurzfristig zu einer Übersetzung gebeten. Sie soll eine Aussage eines polnischen Mannes übersetzen, da ein offizieller Übersetzer nicht rechtzeitig anreisen konnte. Bei dieser ersten Übersetzung erkennt Eva überhaupt nicht den Hintergrund. Es handelt sich um die Vorbereitungen von Zeugenaussagen polnischer Menschen, die Auschwitz überlebt haben. Die Staatsanwaltschaft bereitet in Frankfurt die Auschwitz-Prozesse vor um die menschenverachtenden Handlungen dort umfangreich aufklären zu können. Evas Unbedarftheit erkennt man gut daran, dass sie anfangs die Aussage übersetzt mit „Gästen und Herberge“ und dann bei genauerem Nachblättern feststellt, dass der Mann von Häftlingen, Blocks und Vergasen erzählt hat. Sie ist geschockt, denn sie hatte bisher nie was von Auschwitz gehört und keinerlei Vorstellungen zu den Geschehnissen in einem Konzentrationslager. Ab jetzt interessiert sich Eva für die Auschwitz-Prozesse und da sie im Vorfeld schon einmal für die Staatsanwaltschaft übersetzt hat wird sie sogar in den Prozessen eingesetzt, da der geplante Übersetzer weiterhin nicht zur Verfügung steht.

Mir hat in dieser Geschichte sehr gut Evas Entwicklung gefallen. Anfangs war sie vollkommen unbedarft, nimmt jetzt aber im Prozess das volle Ausmaß von Auschwitz war. Sie entwickelt Mitgefühl mit den Opfern und hat kein Verständnis mehr für die ablehnende Haltung ihrer Eltern gegen diesen Prozess. Diese lehnen den Prozess ab mit gängigen Floskeln wie „wir alle hatten es schwer im Krieg“ , „das muss auch mal ein Ende haben“ und „das sind doch ehrenwerte Mitbürger“.
Ich finde, Annette Hess hat daraus eine echt große Erzählung gemacht.