Profilbild von uli123

uli123

Lesejury Star
offline

uli123 ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit uli123 über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 09.09.2019

Hop oder top

Miroloi
0

Hop oder top, entweder sehr gut oder sehr schlecht – nur so, denke ich, werden Leser diesen ersten Roman der durch ihren Erzählband „Wir haben Raketen geangelt“ bekannt gewordenen Autorin bewerten. Auf ...

Hop oder top, entweder sehr gut oder sehr schlecht – nur so, denke ich, werden Leser diesen ersten Roman der durch ihren Erzählband „Wir haben Raketen geangelt“ bekannt gewordenen Autorin bewerten. Auf die sehr ungewöhnliche, in wesentlichen Zügen schlichtweg realitätsferne Geschichte muss man sich einlassen können. Dieses Wagnis bin ich eingegangen und rechne mich jetzt zu den positiven Rezensenten.
Fiktiv ist fast alles – eine an den griechischen Mittelmeerraum erinnernde Insel als Schauplatz, auf dem etwa 1000 Bewohner völlig archaisch leben und die Männer das Sagen und die Rechte haben; die Gegenwart als zeitliche Ebene und vor allem die Romanfiguren. Allen voran die 16jährige Protagonistin, die als Findelkind auf die Insel gelangte, wo sie vom sog. Bethaus-Vater großgezogen und beschützt wurde, aufgrund ihrer ungeklärten Herkunft aber rechtlos auf unterster Stufe steht. Nur der ebenfalls sehr ungewöhnliche Buchtitel ist real. Er bezeichnet ein von Frauen gedichtetes und gesungenes Totenlied für einen Verstorbenen in der Tradition der griechisch-orthodoxen Kirche. Exakt als solch Totenlied ist die von der namenlosen Protagonistin in 128 Strophen erzählte Geschichte formal unterteilt, in dem sie erzählt, wie sie sich gegen die patriarchalischen und religiös bestimmten Strukturen ihrer Gesellschaft auflehnt und für ihre Freiheit und die der übrigen Frauen auf der Insel einsetzt. Mit dieser Thematik ist die Geschichte also gar nicht einmal so realitätsfern, gibt es in der Welt doch tatsächlich genug ähnlich strukturierte Gesellschaften. Ganz besonders ist auch die Sprache des Romans, sehr poetisch und auf viele Wortschöpfungen und Fantasieworte zurückgreifend.
Dieses Buch steht auf der Longlist des Deutschen Buchpreises 2019 und würde den Preis verdienen.

Veröffentlicht am 04.09.2019

Überwindung persönlicher Schuldgefühle

Laufen
0

Dieses Buch zu lesen kommt einem Lauf im Sauseschritt durch die letzten etwa achtzehn Monate im Leben der namenlos bleibenden Protagonistin gleich. Wir begleiten die verzweifelte 43jährige auf ihren zunehmend ...

Dieses Buch zu lesen kommt einem Lauf im Sauseschritt durch die letzten etwa achtzehn Monate im Leben der namenlos bleibenden Protagonistin gleich. Wir begleiten die verzweifelte 43jährige auf ihren zunehmend länger und weniger beschwerlich werdenden Joggingstrecken durch Hamburg, die sie nach einem schweren Schicksalsschlag in ihrem engsten persönlichen Umfeld, an dem sie auch aufgrund eigener Schuldgefühle schwer zu knabbern hat, aufnimmt, um davonzulaufen. Unterdessen kreisen ihre Gedanken um eben ihren Verlust und wir erfahren, was genau ihr die Kraft nimmt und wie sich der Sport, ihre Freunde und ihr Beruf als Bratschistin heilend auswirken und sie zurück ins Leben holen.
Schon Isabel Bogdans erstes Buch „Der Pfau“ fand ich absolut lesenswert und kann diese Empfehlung nur auf dieses neue Buch erstrecken. Während „Der Pfau“ satireartig ist und sich durch typischen britischen Humor und schräge Typen auszeichnet, ist der vorliegende Roman mit seiner Thematik rund um depressive Erkrankung eines Partners in einer Beziehung sehr viel ernsthafter und nachdenklicher angelegt. Dennoch ist auch er durchaus humorvoll. Gerade durch diese Zweigleisigkeit zeichnet er sich aus. Die Geschichte lässt einen so atemlos zurück, wie es die Protagonistin beim Laufen ist.

Veröffentlicht am 19.08.2019

Fortsetzung von Kleine Stadt der großen Träume

Wir gegen euch
0

Nach dem ersten Band „Kleine Stadt der großen Träume“ wird nunmehr auf die folgenden Monate eingegangen. Maya, Vergewaltigungsopfer im ersten Band, versucht, die schlimmste Zeit ihres Lebens hinter sich ...

Nach dem ersten Band „Kleine Stadt der großen Träume“ wird nunmehr auf die folgenden Monate eingegangen. Maya, Vergewaltigungsopfer im ersten Band, versucht, die schlimmste Zeit ihres Lebens hinter sich zu bringen; der für den Ort Björnstadt so wichtige Eishockey-Club steht vor der Insolvenz; ein Geheimnis eines begnadeten Spielers wird gelüftet und die Bewohner so gezwungen zu zeigen, wofür sie stehen. Und natürlich steht auch die Rivalität zwischen Björnstadt und dem Nachbarort Hed wieder im Vordergrund, die zu einem Kampf um Geld und Macht führt.
Backman ist es erneut gelungen, eine komplexe, zum Nachdenken anregende Geschichte über Verantwortung, zusammenbrechende Beziehungen, Hass und Verzweiflung zu schreiben. Er hat lebendige Charaktere geschaffen. Jede Romanfigur berührt auf irgendeine Weise. Einige Beschreibungen sind besonders gelungen, wie z.B. die der Ehe der Anderssons, die Risse bekommt. Hier stellt Backman kleine Worte und Gesten gekonnt in den Vordergrund. Ebenso wird alles rund um den Eishockeysport sehr lebendig geschrieben und kann sich der Leser so selber als Teil der ausgetragenen Spiele sehen. Der Sport bildet aber nur den Rahmen, so dass nicht nur Sportfans angesprochen werden. Der dem Autor eigene Stil ist beeindruckend, etwa seine Andeutungen, was in Zukunft mit den Charakteren passieren wird.
Ich fand auch diesen Band wieder sehr lesenswert.

Veröffentlicht am 14.08.2019

Tolle Familienchronik

Die Leben der Elena Silber
0

Ein sehr beeindruckendes Buch, sowohl nach Umfang als auch nach Inhalt.
In der Gegenwart im Jahr 2017 betreibt der auf Selbstfindung bedachte Filmemacher Konstantin Stein auf Drängen seiner Mutter Maria ...

Ein sehr beeindruckendes Buch, sowohl nach Umfang als auch nach Inhalt.
In der Gegenwart im Jahr 2017 betreibt der auf Selbstfindung bedachte Filmemacher Konstantin Stein auf Drängen seiner Mutter Maria Familienforschung, um ein ihrer Meinung nach adäquates Thema zu haben. Diese führt zurück ins Jahr 1905 in Russland, wo Marias Großvater als Revolutionär gegen den Zaren erschlagen wird und seine zweieinhalbjährige Tochter Elena – die Patriarchin und Protagonistin der Geschichte – mit Mutter und Bruder flüchten muss. Elenas Werdegang ist von weiteren Fluchten/Ortswechseln und Freiheitsstreben geprägt – an andere Orte in Russland und später im Zweiten Weltkrieg in Schlesien, woher die Familie ihres deutschen Ehemannes Robert Silber stammt, ein Ingenieur, den sie noch in Russland geheiratet hat. In den Nachkriegswirren landet Elena mit ihren vier Töchtern schließlich im späteren Ostberlin. Der Verbleib von Robert bleibt rätselhaft, Elena erklärt ihn und auch andere Vorkommnisse innerhalb der Familie mit wechselnden Geschichten. Auf seiner Spurensuche begibt sich Konstantin an verschiedene Schauplätze und sucht Gespräche mit seinen noch lebenden Angehörigen.
Nachdem ich den rückwärtigen Bucheinband aufgeschlagen habe, wo der Familienstammbaum dargestellt wird, war ich zunächst erschlagen von der Vielzahl an Personen, die mich in der Geschichte erwarten würden. Das erwies sich aber schnell als grundlos. Den roten Faden betreffend die Romanfiguren wie auch die regionalen Schauplätze und zeitlichen Etappen habe ich nie verloren. Alle Romanfiguren haben spezielle Charakterzüge und zum Teil skurrile Eigenheiten, sind deshalb sehr interessant zu studieren (z.B. das Hobby von Konstantins dementem Vater und ihm selbst, sich Filmquizfragen zu stellen oder die zu Quacksalbertum neigende Tante Vera). Als Leser erfährt man im Zuge der Nachforschungen von Konstantin so viel Wissenswertes über die russische und ostdeutsche Geschichte. Spannend bleibt die Frage, ob sich das Schicksal von Robert Silber tatsächlich wird aufklären lassen.
Eine schöne Familiengeschichte, die sich flugs lesen lässt.

Veröffentlicht am 01.08.2019

Komische Geschichte über einen ganz speziellen Senior

Otto
0

Der Protagonist – Otto – dieses Romans erinnert ein wenig an die Großmutter aus dem Buch „Der Zopf meiner Großmutter“ von von Suffrins Schriftstellerkollegin Alina Bronsky, das ich vor einem Vierteljahr ...

Der Protagonist – Otto – dieses Romans erinnert ein wenig an die Großmutter aus dem Buch „Der Zopf meiner Großmutter“ von von Suffrins Schriftstellerkollegin Alina Bronsky, das ich vor einem Vierteljahr gelesen habe und das ebenfalls im Verlag Kiepenheuer & Witsch erschienen ist. Beide sind gleichermaßen sehr empfehlenswerte Bücher.
Vorliegend wird das Seniorenalter thematisiert. Ottos Geschichte bis dahin wird in Bruchstücken und nicht chronologisch erzählt. In der Gegenwart ist er in seinen 80ern und aufgrund diverser Erkrankungen ein Pflegefall. Über seine zwei Töchter führt er nach wie vor ein strenges Regiment und geriert sich als kleiner Tyrann, der von seinen erwachsenen Kindern unbedingte Unterstützung zu jeder Tages- und Nachtzeit erwartet. Gebürtig ist er Jude aus dem rumänischen Siebenbürgen, das er 1962 Richtung Haifa/Isarael verließ, von wo er in den 70er Jahren nach München kam.
Die Lektüre hat mir sehr viel Spaß bereitet, obwohl ein ernstes Thema – Krankheit und Pflegebedürftigkeit der Eltern im Alter – Gegenstand ist. Das Buch besticht durch Ottos Wesen. Obwohl ihm eigentlich nur negative Eigenschaften anhaften (geizig, tyrannisch, wahnwitzig, starrköpfig), hinterlässt er doch einen liebenswerten Eindruck. Das mag vielleicht an seiner seltsamen Grammatik und seinem oft manipulativ eingesetzten „schönen Bitten“ liegen. Sehr lehrreich und interessant ist auch, was zu seiner schrägen Familiengeschichte zu erfahren ist.
Es ist wirklich lobenswert, wenn eine Autorin wie Dana von Suffrin solch einen gelungenen Debütroman mit einer ihr eigenen, unverwechselbaren Schreib- und Erzählweise hinlegt.