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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 24.08.2019

In Schieflage

Das flüssige Land
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Die österreichische Schriftstellerin Raphaela Edelbauer ist mir letztes Jahr durch ihre Lesung beim Ingeborg Bachmann-Wettbewerb aufgefallen. Sie las eine Story „Das Loch“, das im Zusammenhang mit diesem ...

Die österreichische Schriftstellerin Raphaela Edelbauer ist mir letztes Jahr durch ihre Lesung beim Ingeborg Bachmann-Wettbewerb aufgefallen. Sie las eine Story „Das Loch“, das im Zusammenhang mit diesem ungewöhnlichen Roman steht.
Die Protagonistin ist die Physikerin Ruth Schwarz. Sie kommt nach dem Unfalltod ihrer Eltern in deren Heimatort Groß-Einland.
Ruth recherchiert vor Ort über die Vergangenheit, während sie gleichzeitig auf verquere Art Teil der Gemeinschaft wird. Das mischt sich mit dem Willen zum Widerstand, denn hier gab es einmal ein schlimmes Kriegsverbrechen.

Die Autorin lässt sich Zeit, die Geschichte zu entfalten. Man benötigt daher am Anfang etwas Geduld Aber es gibt schon von Anfang an interessante Motive, die einen dabei helfen, zum Beispiel auch das einer Fremden, die in eine geschlossene Gesellschaft eindringt. Dabei geht Ruth aufgrund ihres wissenschaftlichen Backgrounds sachlich vor. Ich bewundere so einige der präzisen Beschreibungen von Raphaela Edelbauer.

Das Gebiet hatte viel Bergbau. Es ist ein Ort des Geschehens, dass von der Gemeinschaft kollektiv verdrängt hat. Zudem ist die Gegend im Untergrund durch viele poröse Schichten beschädigt. Es gibt schon einige treffende Metaphern, die die Autorin gekonnt einsetzt.

Veröffentlicht am 16.08.2019

wehmütige Familiengeschichte mit leisem Humor

Otto
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Den Roman Otto halte ich für sehr gut geschrieben. Der Stil vermag den Leser emotional zu berühren.
Dana von Suffrin schreibt ein wenig in der Tradition von Alina Bronski (Der Zopf der Großmutter), dabei ...

Den Roman Otto halte ich für sehr gut geschrieben. Der Stil vermag den Leser emotional zu berühren.
Dana von Suffrin schreibt ein wenig in der Tradition von Alina Bronski (Der Zopf der Großmutter), dabei verhaltener, gerade was den leisen Humor angeht. Es ist für mich keine Hommage oder Abrechnung, wie es der Klappentext nahelegt. Es ist ein Portrait eines Mannes, der wirklich eine Persönlichkeit ist, gezeichnet von seiner Tochter.

Otto ist in Siebenbürgen, Rumänien als Jude geboren, er ist dann nach Israel gekommen, bis er schließlich 1978 nach Deutschland ging, heiratete und zwei Kinder bekam.
Zu Beginn des Buches ist Otto schon alt und im Krankenhaus, er ist aber zäh und rappelt sich immer wieder auf und lebt mit seiner aus Ungarn stammenden Pflegerin Valli, die nur wenige Worte Deutsch kann.

Die Erzählerin Timna und ihre Schwester Babi haben es nicht einfach mit dem fordernden Otto, aber insgesamt entsteht doch viel Respekt vor Ottos Lebensweg, seiner Lebensklugheit und Lebensgier.

Immer wieder werden Geschichten aus Ottos Vergangenheit und Vorkommnisse aus der Familie geschildert, manchmal leise wehmütig, oft ironisch humorvoll. Es ist ein Humor, denn ich sehr mag, denn er geht nicht auf Kosten der Figuren, sondern bezieht sich auf die Komik der jeweiligen Situation.

Man muss immer wieder froh sein, wenn ein junger deutscher Autor einen eigenständigen Ton findet. Das ist bei Dana von Suffrin der Fall und ich habe den Roman gerne gelesen.

Veröffentlicht am 16.08.2019

Aus Simenons amerikanischer Phase

Der Uhrmacher von Everton
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Die Georges Simenon-Romane ohne Maigret sind etwas Besonderes. Es sind wuchtige Gesellschaftsportraits, die freilich auf eine simple Moral verzichten. In gewisser Hinsicht sind sie erbarmungslos.
Auf Der ...

Die Georges Simenon-Romane ohne Maigret sind etwas Besonderes. Es sind wuchtige Gesellschaftsportraits, die freilich auf eine simple Moral verzichten. In gewisser Hinsicht sind sie erbarmungslos.
Auf Der Uhrmacher von Everton trifft das auch zu. Der Uhrmacher ist ein ruhiger, stiller Mann, der ein ruhiges, stilles Leben in einer US-amerikanischen Kleinstadt führt. Neben seiner Arbeit ist ihm sein 16jähriger Sohn Ben das wichtigste. Dann erfolgt ein Ereignis, dass sein ruhiges Leben verändert.
 
Es gibt auch mal einen Rückblick, durch den man die Figur noch besser kennenlernt. Simenons Gespür für die Psyche des Mannes ist enorm.
Mich beeindrucken gerade die ruhigen Passagen des Alltags eines durchschnittlichen Mannes, den Simenon detailliert schildert. Wirklich lesenswert.

Das amerikanische Setting passt gut, wobei man wissen muss, das Georges Simenon damals in den USA lebte, als er den Roman schrieb.

Das Buch wurde auch verfilmt. Daher kennen vielleicht einige den Stoff.
Erwähnenswert ist auch noch das Nachwort des Journalisten Philipp Haibach.

Veröffentlicht am 11.08.2019

Reichhaltiges Vermächtnis

Das Schöne, Schäbige, Schwankende
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Das Schöne, Schäbige, Schwankende ist Brigitte Kronauers letztes Buch und sie erzählt in vielen Episoden. Das ganze folgt einem Konzept.
Es ist wirklich meisterhaft gemacht und stellt in den vielen kleinen ...

Das Schöne, Schäbige, Schwankende ist Brigitte Kronauers letztes Buch und sie erzählt in vielen Episoden. Das ganze folgt einem Konzept.
Es ist wirklich meisterhaft gemacht und stellt in den vielen kleinen Romangeschichten meistens kuriose Figuren in den Vordergrund, die wechselnd die Eigenschaften des Titels erfüllen.
Einige Episoden sind wirklich berührend. Nennen möchte ich mal ein paar, die mich besonders gefangen genommen haben:

Die Prächtige: Die Begegnung einer Schriftstellerin mit einer Frau, die ihr ein Foto zeigt. Hier wird gezeigt, was ein einziges Bild aussagen kann, wie verschieden es aber auch interpretiert werden kann.

In mehreren Geschichten hintereinander werden Frauenschicksale porträtiert: Rosetta, Rosita, Rosa, gefolgt von Einer Frau mit Caprice.
Frauendarstellungen sind eine Stärke der Autorin, aber es können auch Männer sein.
Hubertus: ein orientierungsloser Mann, der sich den neuen Nachbarn nähert, jedoch außerhalb der Gesellschaft bleibt. Erzählt von einem Kollektiv.

Diese Liste an überzeugenden Geschichten könnte man noch lange so fortsetzen. Es gibt so viel in diesem Buch. Auch bei den Geschichten, die einen nicht sofort erreichen, bleibt der Eindruck, dass da viel drinsteckt und ich glaube, das Buch wird mich beim teilweisen Wiederlesen noch lange begleiten.

Brigitte Kronauer gestaltet ihre Geschichten mit großer Genauigkeit, alles ist durchgearbeitet. Dennoch sind sie meiner Auffassung nach überwiegend leicht zugänglich und man weiß, das die Autorin auch sperrig sein kann.
Faszinierend die Leitmotive, die sie einsetzt, zum Beispiel das Auftreten von Vögeln der unterschiedlichsten Art. Am deutlichsten passiert das in der Story von der verschlossenen Andrea, die von ihrer Schwester mit einer Wasseramsel verglichen wird. Oder auch in „Mondgesicht“ Sven, dessen Aussehen sich schließlich zum Dompfaff änderte.

Einige Figuren tauchen in den späteren, viel längeren Abschnitten wieder auf. Von diesen späten Abschnitten möchte ich vor allen „Die Jahre mit Katja“ empfehlen.

Mit ihrem letzten Buch hat Brigitte Kronauer ihre Leser reich beschenkt.

Veröffentlicht am 10.08.2019

Allein im Marschland

Der Gesang der Flusskrebse
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Wie schon der Titel vermuten lässt, ist Der Gesang der Flußkrebse ein poetisches Buch, dass sensibel und atmosphärisch von einem Mädchen im Marschland der USA erzählt, das mit 6 Jahren von der Mutter und ...

Wie schon der Titel vermuten lässt, ist Der Gesang der Flußkrebse ein poetisches Buch, dass sensibel und atmosphärisch von einem Mädchen im Marschland der USA erzählt, das mit 6 Jahren von der Mutter und den älteren Geschwistern verlassen wird. Nur der gewalttätige, versoffene Vater bleibt zunächst noch. Und bald muss Kya ganz alleine klar kommen.
Die Handlung spielt sich in den fünfziger bis sechziger Jahren ab.
Einsamkeit und Sehnsucht sind die treibenden Kräfte, aber auch Lebenskraft und naturverbundenheit. Es ist besonders am Anfang sehr detailliert, daher lebt man als Leser dicht an der Seite des einsamen Mädchens und erlebt ihre Entwicklung mit.

Die Naturbeschreibungen an der Küste North Carolina sind unglaublich stark.
Delia Owens erzählt ruhig und getragen, aber auch kraftvoll.

Der mysteriöse Tod eines jungen Mannes 1969 gibt dem Buch einen leichten Krimitouch. Eigentlich erstaunlich, aber tatsächlich gibt das dem restliche Plot einen Kontrast.
Die Handlung mündet schließlich in ein Gerichtsdrama.

Sprecherin Luise Helm liest das Hörbuch empathisch.
Ein Buch, dass man sicher nicht so schnell vergisst!