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Veröffentlicht am 02.09.2019

Die Lahmen Gäule

Dead Lions
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Slough House ist die Abstellkammer des englischen Geheimdiensts MI5. Endstation für Agenten mit missglückten Aktionen oder Problemen, die aber aus verschiedenen Gründen vor dem Rausschmiss geschützt sind. ...

Slough House ist die Abstellkammer des englischen Geheimdiensts MI5. Endstation für Agenten mit missglückten Aktionen oder Problemen, die aber aus verschiedenen Gründen vor dem Rausschmiss geschützt sind. Aus diesen Büros gibt es keinen Ausweg mehr. Chef dieser Truppe ist Jackson Lamb, ein schmutziger alter Mann. Das ist ganz wörtlich zu nehmen, denn er scheut die Dusche wie der Teufel das Weihwasser. Doch dann gibt es einen Toten, ein Kollege aus alten Berliner Zeiten des Kalten Kriegs. Bei Lamb schrillen die Alarmglocken, vor allem als zwei seiner Mitarbeiter plötzlich wieder für den Dienst aktiviert werden.


Der Spionagekrimi beginnt mit einer Katze, die durch die Räume des Slough House tigert und endet mit einer Maus, die durch die Büros huscht. Das kann man wirklich als Sinnbild ansehen, denn dazwischen spielt Mick Herron mit seinen Lesern Katz und Maus.
Nichts ist, wie es vielleicht scheint und die ganze Handlung hindurch führt der Autor seine Leser an der Leine und lenkt sie dorthin, wo er sie haben will. Nur um im nächsten Absatz mit einem unerwarteten Twist alles wieder in Frage zu stellen. Das ist wirklich brillant und hält die Spannung unglaublich hoch.


Herron hat spürbar Spaß daran, seine Slow Horses – so der interne Ausdruck für die abgehalfterten Agenten – zu portraitieren. Vom autistischen Computernerd bis zur in Würde gealterten Agentin mit einem überwundenen Alkoholproblem ist alles vertreten. Mit bissigen Witz und typisch englischer Ironie sind die Charaktere gestaltet, alles Einzelgänger mit exzentrischen Attitüden, aber auch mit Sympathie gezeichnet. Selbst der egomanische, unangenehme Jackson Lamb, der seine Umwelt an allen seinen Körperfunktionen teilhaben lässt, hat manchmal seine guten Seiten, auch wenn er sie meistens perfekt unterdrückt. Alle seine Mitarbeiter haben nur einen Wunsch, sich zu rehabilitieren und der Fall des getöteten Ex-Agenten scheint genau der richtige Weg zu sein.


Bei Lamb bin ich mir nicht so sicher, er hat sich gut eingerichtet in seinem Umfeld. Immer noch hat er genügend Hintergrundwissen um den Chefs in Regent‘s Park gefährlich zu werden, aber ein Geheimdienst, der wie ein Servicebetrieb aufgestellt ist und von Pfennigfuchsern verwaltet wird, ist nicht mehr seine Welt.
In den klassischen Spionageromanen spielte der Ost-West-Konflikt immer eine tragende Rolle und auch „Dead Lions“ greift das Thema auf. So werden im Jargon die russischen Schläfer genannt, Agenten die inaktiv sind und in der Tarnung von angepassten, wohlanständigen Bürgern auf ihren Einsatz warten. Aber auch Jackson Lamb wartet auf den richtigen Augenblick! Gibt es eine Rückkehr für die Slow Horses?


Auch der zweite Band von Mick Herron hat alle meine Erwartungen erfüllt. Ein intelligenter Krimi mit hohem Unterhaltungsfaktor, absolut lesenswert.

Veröffentlicht am 29.08.2019

Die Frau auf dem Dach

Der Sprung
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Eine junge Frau steht auf einem Dach, was hat sie vor, will sie springen? Eine Passantin wird darauf aufmerksam und informiert die Polizei und die Rettungskräfte. Schnell läuft die übliche Maschinerie ...



Eine junge Frau steht auf einem Dach, was hat sie vor, will sie springen? Eine Passantin wird darauf aufmerksam und informiert die Polizei und die Rettungskräfte. Schnell läuft die übliche Maschinerie an. Unten vor dem Haus sammeln sich immer mehr Menschen, manche sind neugierig, andere betroffen und einige sind nur sensationslüsterne Gaffer.

Simone Lappert beleuchtet nun das Leben einiger Menschen, die in irgendeiner Form mit Manu, der jungen Frau auf dem Dach verbunden sind. Ein Polizist, der mit ihr spricht, die Passantin, die die erste Meldung machte, der Freund von Manu, ein Ehepaar, das an diesem Tag zum ersten Mal seit Jahren wieder Umsatz in ihrem kleinen Laden machen und viele mehr. Es sind Geschichten in der Geschichte, die sich allmählich zum einem Ganzen verbinden. Nach und nach klären sich die Verbindungen.

Es ist ein Roman, der mich von der ersten Seite an völlig in Bann gezogen hat. Alle Figuren sind echt und ihre Handlungsweisen authentisch, wie wirklich aus dem Leben erzählt. In Vielem kann man sich wiedererkennen. Dabei ist es eigentlich keine große Geschichte, es sind Augenblicke aus dem Leben, im Einzelnen eigentlich unspektakulär, aber jeder hat Auswirkungen auf alle Beteiligte. Es ist eine ganze Welt im Kleinen, die die Autorin zeigt und jeder Protagonist bringt seine eigene Facette in diesen Kosmos ein. Hoffnungslosigkeit, Optimismus, Trauer, neue Energie – es liegt alles ganz dicht beieinander.

Manchen Figuren widmet Simone Lappert mehr Aufmerksamkeit, gönnt ihnen eine optimistische Zukunft, manche werden nur gestreift und ihr weiteres Schicksal bleibt offen.

Ich habe diese Geschichte verschlungen, den schönen Sprachstil geradezu aufgesaugt, viele einzelne Sätze sind mir im Gedächtnis geblieben:

„Etwas das blüht, sollte man nicht umtopfen. Die Wahrscheinlichkeit, dass es dabei eingeht, ist ziemlich groß.“ Antwort Manus auf den Vorschlag ihres Freundes, gemeinsam die Stadt zu verlassen

"Das sind alles Leute, die in der Schule beliebt sind oder es mal waren, dachte Winnie. Leute, die nie allein sind. Oder solche, die sich durchs Zuschauen überlegen fühlen, ihre Kraft aus der Schwäche anderer heraus entwickeln, so wie Timo." Gedanken einer gemobbten Schülerin, als sie ihren Mitschüler johlend in der Zuschauermenge sieht.

"Nie wollte sie in den Tod springen. Immer nur ins Leben." Eigentlich der wichtigste Gedanke auf dem Dach.

Ich könnte noch vieles anführen, selten habe ich so viele Markierungen beim Lesen angebracht.

Anfangs konnte ich mit der Portraitzeichnung des Titelbildes nicht viel anfangen. Es wirkte nichtssagend auf mich, aber je weiter ich gelesen habe, umso mehr gefiel mir Cover. Das Portrait einer jungen, nicht angepassten Frau passt ganz genau auf die tragende Figur dieses Romans.
Meine unbedingte Leseempfehlung.

Veröffentlicht am 27.08.2019

Ein schmutziges Geschäft

Öxit
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Die ehrgeizige Journalistin Lou Sorko wittert die große Story. Ein unbekannter Informant hat ihr heiße Details zu Politikerdeals versprochen.

4 Wochen später ist Lou Sorko tot und Oberst Radek Kubica ...

Die ehrgeizige Journalistin Lou Sorko wittert die große Story. Ein unbekannter Informant hat ihr heiße Details zu Politikerdeals versprochen.

4 Wochen später ist Lou Sorko tot und Oberst Radek Kubica und sein Kollege Dvorak stochern im Sumpf. Schnell wird klar, dass ihre Arbeit torpediert wird. Brisante Informationen gelangen an die Presse, in entscheidenden Augenblicken werden sie vom Chef Stankovic zurückgepfiffen und offensichtlich ist ihnen jemand immer einen Schritt voraus. Kein Wunder, bewegen sich doch alle Beteiligten im Bereich der Politik und der einflussreichen Wiener Gesellschaft. Wem können sie eigentlich noch vertrauen?

Das neue Buch von Hans Peter Vertacnik ist ein Politik Krimi erster Güte. Ich hätte ja gerne auch Satire gesagt, aber leider hat die Realität den Einfallsreichtum von Romanciers und Satirikern bereits eingeholt. Man muss sich nur die Schlagzeilen ansehen und das trifft auf die Alpenrepublik genau so zu, wie in anderen Ländern unserer global vernetzten Welt.

Der Krimi ist sehr temporeich und auch anspruchsvoll geschrieben. Kein Buch für so zwischendurch, man braucht schon eine gewisse Konzentration um all die Beteiligten und ihre Schachzüge zu durchschauen. Das hat mir gut gefallen, vor allem weil ich ständig das Gefühl hatte, hier wirklich einen realistisch recherchierten Plot zu lesen. Kein Wunder, denn der Autor kann auf eine veritable Karriere bei der Polizei zurückblicken.

Die Charaktere der Protagonisten sind sehr farbig und vielschichtig angelegt. Bei den Politikern hatte ich sofort Bilder im Kopf von karrieregeilen, gelackten Erfolgsmenschen, die populistisch mit den Medien und ihren Anhängern spielen, ohne je ihre eigenen Ziele aus den Augen zu verlieren. Es geht halt immer nur um Macht und Geld.
Kubica und Dvorak gefallen mir besonders, auf ihre Weise bleiben sie integer, obwohl sie sich nicht scheuen auch mal etwas krumme Wege zu gehen und eher unkonventionelle Quellen anzuzapfen. Dabei hat mir ihre manchmal melancholische und desillusionierte Weltsicht sehr gut gefallen.

Wien glänzt als Schauplatz, gut beschriebene Locations und stimmig eingefangene Atmosphäre, wie ich finde.

„Öxit“ hat mich überzeugt, das Buch hat mir mitunter Gänsehaut verursacht.

Veröffentlicht am 26.08.2019

Das wichtigste ist Freundschaft

Es wird Zeit
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Zwanzig Jahre lang hat Judith ihrer Heimat und ihrem Elternhaus den Rücken gekehrt. Nie wollte sie zurück, nun musste sie kommen und ihre Mutter beerdigen. Sie trifft auf ihre damals beste Freundin, auch ...

Zwanzig Jahre lang hat Judith ihrer Heimat und ihrem Elternhaus den Rücken gekehrt. Nie wollte sie zurück, nun musste sie kommen und ihre Mutter beerdigen. Sie trifft auf ihre damals beste Freundin, auch sie hatte Judith aus ihrem Leben gestrichen. Doch Anne und sie knüpfen unmittelbar wieder an ihre Freundschaft an, als hätte es nie eine Pause gegeben und nie das, was Judith als ihren Verrat ansieht. Doch Anne ist krank, ihre Lebensspanne ist nur noch kurz und Judith begreift, dass sie endlich Entscheidungen treffen muss.
Fast 50 Jahre alt, die Kinder erwachsen und aus dem Haus, ist ihre Ehe auch zu einer Wohngemeinschaft geworden. Sie und ihr Mann haben eigentlich nicht mehr viel gemeinsam, wenn sie es denn je hätten, wie Judith konstatieren muss.
Kürthy lässt in ihrem Roman die Hauptfigur als Ich-Erzählerin agieren. Damit bekommt die Geschichte eine sehr persönliche Note und hat mir gleich eine Bindung zur Erzählerin ermöglicht.
Leid und Lebensfreude, Trauer und Optimismus, Verzweiflung und Trost liegen dabei nahe beieinander. Ihre Figuren sprühen vor Lebendigkeit und davon nehme ich auch die totkranke Anne nicht aus. Viele kleine und große Lebensweisheiten hat die Autorin in ihre Geschichte verpackt und man könnte sich eine Menge Sätze als Zitate notieren.
Ich habe Judith und Anne durch alle Höhen und Tiefen begleitet, die ihre neue-alte Freundschaft durchlebt. Dabei spart Kürthy auch nicht an ihrem warmen Witz und ihrer Lust an Situationskomik, die immer perfekt getimt daher kommt. Waren es früher meist junge Frauen, die im Mittelpunkt ihrer Bücher standen, ist mit den beiden gestandenen Frauen auch viel Lebenserfahrung in ihren Roman eingeflossen. Judith erkennt den Wert der Freundschaft, sie erlebt den Begriff Heimat ganz neu und ist nun soweit neue Herausforderungen anzunehmen und sie als Teil ihres Lebens zu begreifen. War ihr die Ehe bisher eine Komfortzone, merkt sie, dass auch ein schwieriger Weg Erfüllung und Freude bringt.
Ich konnte mich mit der Geschichte richtig identifizieren und habe zwischen Rührung und Unterhaltung einige wunderbare Lesestunden genossen.
Außerdem ist das Buch auch eine haptische Freude. Schönes glattes Papier, interessante Illustrationen von Peter Pichler machen aus dem Roman ein ganz besonders ansprechendes Buch.

Veröffentlicht am 23.08.2019

Katz und Maus

Böse Absichten
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Rezension vom 26.07.2015 (42)




Kunihiko Hidaka wird am Vorabend einer Auslandsreise tot in seinem Arbeitszimmer aufgefunden. Seine Ehefrau und sein Freund und Schriftstellerkollege Nonoguchi ...







Rezension vom 26.07.2015 (42)




Kunihiko Hidaka wird am Vorabend einer Auslandsreise tot in seinem Arbeitszimmer aufgefunden. Seine Ehefrau und sein Freund und Schriftstellerkollege Nonoguchi haben die Leiche gefunden. Die Polizei steht vor einem Rätsel, Haus und Arbeitszimmer waren von innen verschlossen, es gibt keine Anzeichen eines gewaltsamen Eindringens oder eines Raubs. Der Kommissar ist auf die beiden Zeugen angewiesen, die zudem noch ein wasserdichtes Alibi haben, Kommissar Kaga ist froh, in Nonoguchi einen ehemaligen Kollegen wiederzuerkennen. Beide haben einige Jahre gemeinsam als Lehrer gearbeitet. Nonoguchi ist ein penibler Zeuge. Als Schriftsteller ist er gewohnt, genau zu beobachten und sich Notizen zu machen. Geschmeichelt stellt er seine Notizen der Polizei zur Verfügung. Aus seinen Eindrücken erfährt die Polizei, dass das Opfer kein ganz angenehmer Zeitgenosse war, so hat er die Nachbarskatze vergiftet, die immer seinen Garten als Toilette missbrauchte. Einen ehemaligen Mitschüler hat er als Hauptfigur eines Romans genommen und ihn ehrverletzend und abwertend portraitiert

Die Suche nach dem Täter ist für Polizist Kaga eine diffizile Angelegenheit, es gibt kaum Anhaltspunkte, jede neue Erkenntnis gibt dem Vorfall eine neue und andere Bedeutung, vor allem die Aufzeichnungen Nonoguchis werfen immer neue Schlaglichter auf den Mord. Als Schriftsteller war Nonoguchi zwar erfolglos und immer wieder auf die Unterstützung und Hilfe seines Freundes Hidaka angewiesen, aber als Beobachter erweist er sich als schlauer und gewiefter Taktiker.

Dieser Kriminalroman ist fast wie ein Kammerspiel aufgebaut, es gibt nur wenige handelnde Personen. Hauptsächlich beschränkt sich das Buch auf die Aufzeichnungen Nonoguchis und die Ermittlungen Kagas. Aber wie in einem Labyrinth wird der Leser mit jeder Wendung in die Irre geschickt. Wie die Katze mit der Maus spielt der Kommissar mit dem Täter und der Autor mit dem Leser. Der Täter ist schnell erkannt, aber das Wie und Warum macht den Reiz dieses Buches aus.

Ein wirklich raffinierter Kriminalroman, der aus dem Rahmen fällt.