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Veröffentlicht am 09.09.2019

Angst und Schrecken während der Besatzungszeit in Norwegen - aufwühlender Roman über die Taten der Rinnan-Bande

Vergesst unsere Namen nicht
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Simon Stranger hat mit "Vergesst unsere Namen nicht" einen Teil der Familiengeschichte seiner Frau aufgeschrieben. Ihre Familie lebte in dem Haus der berüchtigten Rinnan-Bande, einer Gruppe von Norwegern ...

Simon Stranger hat mit "Vergesst unsere Namen nicht" einen Teil der Familiengeschichte seiner Frau aufgeschrieben. Ihre Familie lebte in dem Haus der berüchtigten Rinnan-Bande, einer Gruppe von Norwegern die zur Zeit des Zweiten Weltkrieges mit den deutschen Nationalsozialisten kollaborierten und in dem Haus vermeintliche Widerstandskämpfer gefangen hielten, folterten und töteten.

Der Roman beginnt mit der Kindheit und Jugend Henry Rinnans und wie es 1940 zur Zusammenarbeit mit den deutschen Besatzern gekommen ist. Als Kind war Henry dem Mobbing seiner Klassenkameraden ausgesetzt und auch als Jugendlicher fand er keinen Anschluss und wurde auch aufgrund seiner geringen Körpergröße nicht ernst genommen. Von Minderwertigkeitskomplexen geplagt und die Schuld an seinen ärmlichen Lebensverhältnissen allen anderen gebend, entwickelte er einen unkontrollierbaren Hass auf Menschen. Rinnan hatte deshalb auch kein schlechtes Gewissen, Juden, Kommunisten und Gegner der Deutschen zu verraten. Als Agent Lola fand er endlich die jäh vermissten Anerkennung und baute er eine Sonderabteilung der Gestapo auf.

Wie unmenschlich grausam die Bande vorging und wie menschenverachtend brutal und erschreckend skrupellos Henry Rinnan agierte, schildert der Autor schonungslos.
In einem zweiten Erzählstrang, der ungefähr zehn Jahre später handelt, beschreibt Simon Stranger, wie Gerson und Ellen Komissar in das Haus der Rinnan-Bande in Trondheim zogen und wie massiv die Jüdin Ellen, die an der Entscheidung für den Umzug nicht beteiligt war, unter der Geschichte des Hauses leidet.

Der Autor stellt mit der Geschichte beide Seiten dar: Opfer und Täter des Zweiten Weltkriegs. Der Aufbau des Romans ist dabei ungewöhnlich. Jedes Kapitel beginnt mit einem Buchstaben des Alphabets und einzelnen Worten, die den jeweiligen Anfangsbuchstaben haben.

"A wie Anklage. A wie Aussage. A wie Arrest. A wie alles, was verschwinden und in Vergessenheit fallen wird. Alle Erinnerungen und Gefühle."

Dieser nüchterne Erzählstil zu Beginn der Kapitel wirkt bedrohlich und beklemmend und unterstützt die folgende Beschreibung der Gräueltaten eindringlich.
Es ist ein Roman über die Schrecken der Nationalsozialisten, beispielhaft dargestellt anhand der Biografie einer der verhasstesten Figuren der norwegischen Geschichte. Dabei wird deutliche, welche Folgen Demütigungen, fehlende Selbstreflexion und eine unbändige Wut haben können. Gleichzeitig ist der Roman ein Appell, zu vergeben und das Vergangene zu akzeptieren, hinter sich zu lassen und hoffnungsvoll in die Zukunft zu blicken und das Leben zu feiern.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Authentizität
  • Geschichte
Veröffentlicht am 04.09.2019

Roman über das Erwachsenwerden trotz schwerer Schicksalsschläge, der gefühlvoll erzählt ist und tagespolitisch aktuelle Themen beinhaltet. Überrascht hat die weitere Perspektive.

Die andere Hälfte der Augusta Hope
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Augusta und Julia Hope sind Zwillingsschwestern, die aber nicht einmal den Geburtstag gemeinsam haben. Während Augusta die aufgewecktere Träumerin ist, vorlaut ist und ihren Eltern und Lehrern gerne Widerworte ...

Augusta und Julia Hope sind Zwillingsschwestern, die aber nicht einmal den Geburtstag gemeinsam haben. Während Augusta die aufgewecktere Träumerin ist, vorlaut ist und ihren Eltern und Lehrern gerne Widerworte gibt, ist Julia die hübsche, ruhigere von beiden, die angepasster ist und nicht aus der gewohnten Routine ausbrechen möchte. Trotzdem können sich die beiden kein Leben ohne die andere vorstellen. Als sie 14 Jahre alt sind, passiert allerdings ein Unglück, das die beiden zunehmend entfremdet. Augusta versteht ihre Zwillingsschwester nicht mehr und kommt nicht an sie heran, was sich zehn Jahre später tragisch rächen wird.

Der Roman erzählt parallel zwei Geschichten. Die eine handelt von der Familie Hope in England, die andere von Parfait, der aus Burundi nach Europa flüchtet und in Spanien Asyl findet. Beide Geschichten erstrecken sich von 1990 bis in die Gegenwart und handeln von der Kindheit und Jugend bis ins junge Erwachsenenalter der Protagonisten. Sie sind melancholisch, denn Augusta ist ein sehr nachdenkliches Mädchen, die den Eindruck hat, von ihren Eltern weniger geliebt als die Schwester zu werden, die Fernweh hat und raus aus der piefigen Kleinstadt möchte. Parfait verliert beide Eltern und flüchtet zusammen mit einem seiner Brüder vor den Stammeskriegen in Burundi nach Europa. Der Landweg bis nach Marokko ist bereits beschwerlich, aber der Weg über den Atlantik nach Spanien verlangt ihnen alles ab.

Augusta ist eine starke Persönlichkeit, während Julia eher blass bleibt. Auch Parfait kommt man nicht so nahe, da sein Anteil an der Geschichte auch geringer ist. Die Kapitel sind kurz, weshalb der Perspektivwechsel zumal abrupt erfolgt, bis sich die beiden Leben von Augusta und Parfait überschneiden.

Es ist ein Roman über das Erwachsenwerden trotz schwerer Schicksalsschläge, der gefühlvoll erzählt wird. Der Anfang und die Kindheit aus Sicht der aufmüpfigen Augusta hat mir dabei sehr gut gefallen, während der Roman im weiteren Verlauf seine Längen hat. Das Unglück bleibt von den Protagonisten unausgesprochen, ist für den Leser dennoch mehr als nur zu erahnen.
Ich hatte ganz andere Erwartungen an den Roman und wurde beim Lesen von der Unvorhersehbarkeit überrascht. Es ist ein schwermütiger Roman, der am Ende jedoch Hoffnung schenkt. Zwei trauernde Menschen, die unter der Last einer Schuld leiden und mit einem schlechten Gewissen zurechtkommen müssen, finden zueinander und können sich Trost spenden.
Die Verknüpfung der beiden Leben von Augusta und Parfait, die sich seit der Kindheit abzeichnete, ist der Autorin raffiniert gelungen. Durch die Flüchtlingsproblematik ist der Roman dabei zudem tagespolitisch brandaktuell.

Veröffentlicht am 31.08.2019

Eine Frau auf einem Dach und knapp 48 Stunden, die das Leben von zehn weiteren Charakteren verändern

Der Sprung
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Einen Tag und eine Nacht hält eine junge Frau einen Ort in der Nähe von Freiburg in Atem. Sie steht in Gärtnerkleidung auf einem Dach und droht, herunterzuspringen. Als die Polizei eintrifft, reagiert ...

Einen Tag und eine Nacht hält eine junge Frau einen Ort in der Nähe von Freiburg in Atem. Sie steht in Gärtnerkleidung auf einem Dach und droht, herunterzuspringen. Als die Polizei eintrifft, reagiert sie wütend und wirft mit Dachziegeln um sich.
Währenddessen versammelt sich eine Reihe von Schaulustigen vor dem Haus, darunter Anwohner und Passanten, aber auch der Freund der Frau und die Schwester. Finn ist in Manu verliebt, kennt sie aber noch nicht lange und weiß nicht, wie er reagieren oder helfen soll. Auch ihre Schwester Astrid ist überfordert, fürchtet sie doch die negative Publicity im Hinblick auf ihre Bürgermeisterkandidatur.
Andere, die Manu persönlich nicht kennen, sind von dem unerwarteten Spektakel beeinträchtigt. Die Polizei hindert Maren daran, ihre Wohnung zu betreten, Polizist Felix ist hilflos und grübelt über seine Vergangenheit, die Schülerin und Mobbingopfer Winnie kann sich endlich gegen ihre Peiniger zur Wehr setzen und das Ehepaar Theres und Werner, Eigentümer eines kleinen Lebensmittelgeschäfts, machen den Umsatz ihres Lebens.


Aus der Perspektive von zehn Menschen werden die knapp 48 Stunden geschildert. Es sind nur kurze Momentaufnahmen der Leben der einzelnen, aber dennoch erhält man durch die pointierte Erzählung einen ausreichenden Einblick und Verständnis für die Sorgen und Probleme der Protagonisten. Zu Beginn erscheint keiner wirklich glücklich, aber durch die Frau auf dem Dach wird eine Kette von Ereignissen aufgelöst, die in jedem Leben etwas bewirkt. Die Menschen werden aus ihrer alltäglichen Routine gerissen und reagieren ganz unterschiedlich darauf. Die einen werden unsicher und verlieren ihren Halt, während die anderen Veränderungen vornehmen und am Ende befreit wirken.
Aufgrund der Vielzahl der Protagonisten ist keine tiefgründige Charakterstudie möglich, was aber nicht bedeutet, dass der Roman oberflächlich ist. Jeder Charakter hat eine eigene Persönlichkeit und Rolle, da sich der Roman nicht wirklich um Manu und ihre Motive dreht.
Auch wenn ich aufgrund der Ausgangssituation eine ganz andere Erwartung an den Roman hatte und vom Verlauf der Handlung überrascht wurde, konnte mich der Roman und die einzelnen Schicksale durchgängig unterhalten.
Letztlich ist beeindruckend zu lesen, wie ein Vorfall einer zunächst fremden Person, eine Veränderung der Leben von nahezu Unbeteiligten bewirken kann.

Veröffentlicht am 30.08.2019

Familiengeschichte auf zwei Zeitebenen mit einer berührenden Suche nach den Wurzeln und einer etwas mysteriösen Liebesgeschichte

Der Letzte von uns
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Im Februar 1945 bringt Luisa während der Bombardierung Dresdens einen Sohn zur Welt. Da sie davon ausgeht, dass ihr Ehemann Johann im Krieg gefallen ist, bittet sie, bevor sie stirbt, ihn Werner Zilch ...

Im Februar 1945 bringt Luisa während der Bombardierung Dresdens einen Sohn zur Welt. Da sie davon ausgeht, dass ihr Ehemann Johann im Krieg gefallen ist, bittet sie, bevor sie stirbt, ihn Werner Zilch zu nennen, denn er sei der letzte Nachkomme der Familie Zilch.
Der Junge kommt in die Obhut ihrer Freundin und Schwägerin Martha, die nach der Kapitulation Deutschlands mit ihm in die Vereinigten Staaten von Amerika migrieren kann. Wern(er) wird erfolgreicher Miteigentümer einer jungen Baufirma in Manhattan und verliebt sich dort in Rebecca, eine rebellische junge Künstlerin, von der er noch nicht weiß, welche düstere Vergangenheit die beiden verbindet.

Der Roman handelt auf zwei Zeitebenen, erzählt die letzten Wochen des zweiten Weltkriegs und die Jahre nach Kriegsenden in Deutschland un den Vereinigen Staaten sowie in der Gegenwart die Jahre 1969 bis 1978.

Während die Vergangenheit, der Krieg und seine Folgen sehr eindringlich und schonungslos brutal geschildert werden, hat die Geschichte in der Gegenwart seine Längen. Wern verliebt sich Hals über Kopf in Rebecca, die mysteriös verschwindet, ihn aber nicht mehr loslässt. Rebecca bleibt lange etwas undurchschaubar bis klar wird, was sie quält. Erst dann wird zunehmend spannend erzählt, wie die beiden Familien von Rebecca und Wern zusammenhängen.

"Der letzte von uns" ist eine interessante Familiengeschichte auf zwei Zeitebenen, bei der Kriegsereignisse aufgearbeitet werden und bei der prominente Zeitzeugen wie Wernher von Braun, nach dem der Protagonist benannt ist, eine Rolle spielen.
Die Liebesgeschichte von Rebecca und Wern konnte mich im Gegensatz zu den Schicksalen ihrer Ahnen weniger berühren. Sehr emotional und nachvollziehbar bewegend ist dagegen Werns Suche nach seinen Wurzeln geschildert. Gut gefallen hat mir auch die anschauliche und lebendige Schilderung der zeitgeschichtlichen Umstände 1945 und die 1960er-/ 1970er-Jahre im boomenden Manhattan.

Veröffentlicht am 14.08.2019

Kurze Kapitel, dynamische Szenenwechsel und ein raffinierter Plot sorgen für spannende Unterhaltung, auch wenn das Ende ein wenig schwächelt

Rotkäppchens Traum
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Annie Friedmann erwacht morgens orientierungslos im Wald. Sie weiß weder wie sie an diesen Ort gekommen, noch warum Blut und Knochensplitter an ihr haften. Sie hat massive Erinnerungslücken und kann sich ...

Annie Friedmann erwacht morgens orientierungslos im Wald. Sie weiß weder wie sie an diesen Ort gekommen, noch warum Blut und Knochensplitter an ihr haften. Sie hat massive Erinnerungslücken und kann sich zunächst nur an ihren Namen erinnern. Sie hat Angst, möchte aber nicht zur Polizei gehen, da sie weiß, dass es nicht ihr Blut ist, denn so massiv sind ihre Verletzungen nicht. Auch ist ihr die Gegend rund um Ulm fremd. Als Annie wieder einfällt, dass sie in Berlin eine Wohnung hat, kehrt sie zurück und sucht sich Hilfe bei Ben, den sie wenige Wochen zuvor über eine Partnerschaftsbörse kennengelernt hatte. Er deckt auf, dass sie ihm vor ihrem Verschwinden etwas vorgemacht hat und ihre Angaben auf der Website nicht der Realität entsprechen. Annie ist hilflos und verzweifelt. Ist sie einem Verbrechen zum Opfer gefallen? Hat sie selbst ein Verbrechen begangen? Sie muss sich auf die Suche nach der Wahrheit machen und fährt in Richtung Ulm zurück - in der Hoffnung, sich dort wieder zu erinnern.

Der Thriller ist überwiegend aus der Perspektive von Annie geschrieben, auf deren Einschätzung der Lage man sich aufgrund ihrer Amnesie jedoch nicht verlassen kann. Auch wenn sie sich sukzessive an Details und Situationen aus der Vergangenheit erinnert, weiß man nicht genau, welche Person man eigentlich vor sich hat bzw. ob Annie krank ist und an einer dissoziativen Störung leidet. Offensichtlich blendet sie belastende Ereignisse aus oder deutet sie um.
Mit Ben erhält man eine zweite Perspektive, dem Annie zunehmend unheimlich wird. Einerseits möchte er ihr helfen, andererseits traut er ihr nicht über den Weg.
Es ist ein Psychothriller, der den Leser von Anbeginn fesselt, da sich vom ersten Moment an viele Fragen auftun, die nur langsam und mit einem längeren Rückblick in die Vergangenheit vor sieben Jahren aufgeklärt werden. Dabei wird die Spannung lange durchweg hoch gehalten, der Leser immer wieder auf falsche Fährten gebracht und durch Wendungen überrascht. Die Protagonistin ist ein Unsicherheitsfaktor, die irritiert und deren Urteilsfähigkeit fortlaufend in Frage zu stellen ist. Selbst als ihre Rolle klar zu sein scheint, ist noch lange nicht geklärt, wer Rotkäppchen und wer Wolf ist.

Kurze Kapitel, dynamische Szenenwechsel und ein raffinierter Plot sorgen für spannende Unterhaltung, auch wenn das Ende ein wenig schwächelt.