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Veröffentlicht am 13.09.2019

Die Queen als Leserin

Die souveräne Leserin
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Bei manchen Büchern fragt man sich als Leser warum man sie nicht schon längst gelesen hat – mir ging es mit „The Uncommon Reader“ jedenfalls so! Wie konnte ich es all die Jahre geschafft haben es nicht ...

Bei manchen Büchern fragt man sich als Leser warum man sie nicht schon längst gelesen hat – mir ging es mit „The Uncommon Reader“ jedenfalls so! Wie konnte ich es all die Jahre geschafft haben es nicht zu lesen? Eine ähnliche Frage stellt sich die Protagonistin des Kurzromans (oder der „novella“, wie man im Englischen sagt), die keine Geringere ist als Königin Elizabeth II. von England. Allerdings lautet ihre Frage eher: wie konnte ich erst jetzt im hohen Alten mit dem Lesen aus Leidenschaft anfangen?
Gut, der Grund ist einfach: als eine Person des öffentlichen Interesses, ja sogar als Identifikationsfigur eines Landes tut man seine Pflicht und gibt sich nicht so einer dekadenten Passion hin wie dem Lesen eines literarischen Werks, einer Beschäftigung, die scheinbar keinerlei positiven Einfluss auf das Land hat – allerdings auf sein Oberhaupt, wie Elizabeth II. im Laufe der Handlung feststellt.
Es ist ein Fest „Zeuge“ zu sein wie „ER II“ – angezettelt durch die mobile Leihbibliothek im Palasthof und in Begleitung des Küchenhelfers Norman, der von ihr zu einer Art „Lesebeauftragten ihrer Majestät“ befördert wird – zu einer passionierten Leserin wird und den Staatsgeschäften mit immer weniger Disziplin und Nachhaltigkeit nachgeht. Die Königin lernt die Klassiker ihres Landes (Trollope, Brontë, Dickens etc.) kennen und verschlingt den einen oder anderen Liebesroman und sogar richtig „dekadente“ – also „l’art pour l’art“ Literatur von französischen Autoren wie Marcel Proust und Jean Genet – während Schwimmbaderöffnungen in Norfolk oder Verleihungen der Ritterwürde immer weniger Priorität gegenüber dem auserwählten Lesestoff haben.
Ihrem nonchalanten Mann Prinz Philip, dem Duke of Edinburgh (DoE genannt), ringt dies allenfalls ein amüsiertes Augenzwinkern ab, nicht so ihrem neuseeländischen Sekretär Sir Kevin, der um die Erfüllung ihrer royalen Pflichten zunehmend besorgt ist. Auch der Premierminister („Her Majesty“ hat ja schon an die 10 im Amt vorübergehen sehen) ist „not amused“ darüber dass sich die Monarchin lieber über seine Lektüreerlebnisse (und dabei ist er kein großer Leser) als über die Konfliktherde der Welt und die Lage der Nation unterhalten will. Zusammen mit den Sir Kevin machen sie dem Lesebeauftragten ihrer Majestät ein unmoralisches Angebot. Doch eine „ungewöhnliche Leserin“ kann nichts von ihrer wahren Bestimmung abhalten: dem Lesen!
Dieses Buch ist mit einer großen Leichtigkeit und einem genialen Blick für Charakterfeinheiten und Situationskomik verfasst worden. Ich fand es herrlich erfrischend und das obwohl es auch nachdenkliche Momente der Königin gibt, die zunehmend befürchtet „keine Stimme“ zu haben und nach ihrem Tod nur durch ihre Funktion und nicht durch ihre gemachten Äußerungen weiterzuleben. Die (fiktive) Rede der Queen zu ihrem 80. Geburtstag ist bissig und witzig zugleich – auch wenn es nicht ihre tatsächlichen Worte sind kann man sich – auch durch die vorhergende Charakterisierung – absolut vorstellen dass sie sie zumindest wirklich so oder ähnlich zumindest denken könnte.
„The uncommon reader“ trägt somit auch dazu bei dass man die berühmteste Monarchin der Welt auch mal als Mensch betrachtet, dem durch sein Amt nicht nur zahlreiche Privilegien und ein einzigartiges Ansehen zustehend, sondern dass diesem Menschen auch eine lebenslange Bürde auferlegt ist, die mit einer Einschränkung persönlicher Freiheiten und einer ständigen Selbstbeurteilung einhergeht.
Wie sagte Shakespeare so schön: „Uneasy lies the head that wears a crown.“

Veröffentlicht am 06.09.2019

Brillante Farce!

Willkommen auf Skios
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Ich freue mich sehr dass es dieses Buch auf die Longlist des Man Booker Prize 2012 geschafft hat, denn es ist ein hochliterarisches Paradebeispiel für den Facettenreichtum und die unterschwellige Seriosität ...

Ich freue mich sehr dass es dieses Buch auf die Longlist des Man Booker Prize 2012 geschafft hat, denn es ist ein hochliterarisches Paradebeispiel für den Facettenreichtum und die unterschwellige Seriosität des britischen Humors, der sich hier auf 285 Seiten Bahn bricht.

„Willkommen auf Skios“ ist ein Universitätsroman – und das ohne an einer Universität zu spielen. Er ist es in dem Sinne, indem er den Wissenschaftsbetrieb mit seiner eigenen Welt aus Forschungsaufenthalten und Vortragsreisen, Allüren und Affären persifliert so wie David Lodge es mit „Changing Places“ getan hat – nur eben anders. Die vermeintliche Wichtigkeit eines Forschungsgebietes (in diesem Fall: Szientometrie, die Wissenschaft über die Wissenschaft – allein das ist schon eine ironische Tautologie!) wird auf die Schippe genommen ebenso wie alle Leute, die sich vom Glauben an herausgeputzte schöne Orte am „Geburtsort“ der menschlichen Kultur, die der Vermittlung von Wissen geweiht sind blenden lassen.

Das Ironische am Ganzen ist ohne Zweifel die Tatsache, dass sich die Fred-Toppler-Stiftung der hehren Zivilisation geweiht hat, ihre Mitglieder und Gäste aber einen Ausbund an Chaos repräsentieren. Nikki Hook, der Assistentin der verwitweten Stiftungsgründerin gelingt es bei aller weißblusigen Perfektheit und trotz aller logistisch-organisatorischer Bemühungen mit Direktionsambitionen nicht, Ordnung in das Chaos zu bringen – stattdessen wird sie vom Chaos wie eine Marionette bespielt ab dem Moment in dem sie den charmanten und zwielichtigen Oliver Fox in der Rolle des Dr. Norman Wilfred akzeptiert.

Das Chaos herrscht aber auch im Untergrund: Mrs. Fred Toppler, die früher mal Showtänzerin war, macht es sich mit griechischen monströsen Männern gemütlich während ihre Assistentin aufgrund des „Fred Toppler Vortrags“ im Dreieck springt. Und der eigentliche Direktor der Stiftung, Christian, ist schon längst zum Eremiten geworden der in eigenen Sphären schwebt und sich nur noch sporadisch über die Vorgänge in seiner Institution von seinem persönlichen Assistenten Eric Felt unterrichten lässt. Sehr köstlich finde ich diesen „Scheindirektor“ und seinen Assistenten, sozusagen die „Mr. Burns und Smithers“ der Toppler-Stiftung, die die heimliche Herrschaft von Nikki Hook torpedieren wollen.

Dass das Fleisch schwächer ist als alle kulturellen und wissenschaftlichen Bemühungen wird uns auch noch aufs Butterbrot geschmiert, denn die menschlichen Bedürfnisse nach Nähe (Wilfred und Georgie) und einer Dusche sowie Nahrung treten in den Vordergrund wenn es hart auf hart kommt – und das kommt es in dieser Satire nur allzu oft!

Das große Thema des Romans ist Identitätsverwirrung, Zeichenhaftigkeit und die Tatsache, wie leicht wir einfältigen Menschen uns vom Aussehen, Statussymbolen (wie z. B. einem Klemmbrett, das auf Autorität verweist) und anderen Dingen täuschen lassen. Ist etwas wie es scheint, so nehmen wir es dankbar hin ohne es zu hinterfragen, so könnte die Grundthese des Buches lauten. Dass dies alles natürlich in diesem Fall humorvoll verarbeitet und präsentiert wird ist schön, denn wer will schon ohne Augenzwinkern erfahren wie leicht man sich von roten Kofferanhängern blenden und von griechischen Taxifahrern ins Nirvana fahren lässt.

In diesem Sinne: „Phoksoliva!“

Veröffentlicht am 06.09.2019

Schrödingers Gäste

Der ungeladene Gast
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Ich liebe Bücher und Filme die im frühen 20. Jahrhundert in englischen Landhäusern spielen. So gehören „Was vom Tage übrigblieb“ von Kazuo Ishiguro und „Gosford Park“ („The Shooting Party“) von Isabel ...

Ich liebe Bücher und Filme die im frühen 20. Jahrhundert in englischen Landhäusern spielen. So gehören „Was vom Tage übrigblieb“ von Kazuo Ishiguro und „Gosford Park“ („The Shooting Party“) von Isabel Colegate zu meinen Lieblingslektüren bzw. Filmen. Auch dieses Buch erfüllte das von mir so geliebte Settingversprechen: wir befinden uns in „Der ungeladene Gast“ auf dem englischen Landsitz Sterne, bewohnt von der Familie Torrington-Swift im Jahr 1912. Englische Landhäuser haben einfach ein einzigartiges Flair und das weiß sich die Autorin Sadie Jones zunutze zu machen indem sie eine faszinierend harmonische und eindringliche Atmosphäre heraufbeschwört, die den Leser sofort in den Bann zieht.
Der Tag an dem ein Großteil der Handlung spielt ist der 30. April 1912, Emerald Torringtons 20. Geburtstag. Zusammen mit ihrem jüngeren Bruder Clovis und der jungen Nachzüglerin Imogen, genannt „Smudge“ ist sie das dritte und älteste Kind von Charlotte Swift und ihrem verstorbenen Mann Horace Torrington. Zu Beginn des Romans reist ihr neuer Ehemann und ungeliebter Stiefvater, der Jurist Edward Swift nach Manchester, um den finanziellen Ruin seiner angeheirateten Familie und den Verlust des geliebten Anwesens zu vereiteln. Auch Emerald könnte ihren Teil zur Rettung des Familienvermögens beitragen wenn sie den zu ihrer Geburtstagsfeier eingeladenen Millionär John Buchanan heiraten würde. Und dann ist dann auch noch das Geschwisterpaar Patience und Ernest Sutton, die Kinder einer befreundeten Familie, die etwa im gleichen Alter wie Emerald und Clovis und der Erinnerung nach so gar nicht nach deren Geschmack sind. Zusammen mit den Hausangestellten (Myrtle und Florence) erhält die kleine Gesellschaft am Abend des Festtages die Nachricht von einem Zugunglück in der Nähe. Die verunglückten Passagiere stehen plötzlich vor der Tür und werden vorerst im Studierzimmer untergebracht. Wenige Zeit später klopft es und die Nachzüglerin Smudge öffnet dem Nachzügler Charlie Traversham-Breechers die Tür, der mit seiner besonderen Art und seinem exklusiven Auftreten schnell aus der Masse der Verunglückten heraussticht…
An der Handlung des Romans fasziniert mich die gelungene Verbindung von der Darstellung einer Familienrealität in der gehobenen englischen Mittelschicht des frühen 20. Jahrhunderts mit dem Bizarren und Außergewöhnlichen, das plötzlich seinen Einzug hält und die gesellschaftliche Ordnung unterminiert. Aufgrund dieser Symbolik und der Erzählstruktur kann man den Roman fast schon als klassisch bezeichnen, man merkt ihm seine moderne Autorin jedenfalls kaum an.
Auch sonst setzt Sadie Jones ganz auf Metaphorik und Ironie. Wie das ebenfalls in der Handlung präsente Kätzchen, das in seiner Kiste auf seine Befreiung wartet ist lange Zeit unklar, was es denn genau mit dem Vitalitätsgrad der Passagiere auf sich hat: Schrödingers ungeladene Gäste eben, wenn man den Vergleich zum Theorem des berühmten Physikers ziehen mag. Auch durch das andere, das unrenovierte Zweithaus auf dem Anwesen wird die Holzhammermetaphorik ausgepackt. Die Verfallssymbolik deutet auch schon auf den lauernden ersten Weltkrieg hin: nichts wird mehr so sein wie zuvor.
Die Charakterzeichnung ist auch eine besondere Stärke von Sadie Jones, vor allem wenn ich an die kleine Smudge denke, die mit ihren exzentrischen Handlungen und ihrem liebenswerten Außenseitertum fast zur heimlichen Hauptfigur wird.
Für den spannungsverwöhnten Leser hält der Plot allerlei Überraschungen bereit, obwohl man sich das ein oder andere durch zahlreiche Hinweise schon vorher zusammenreimen kann.
Interessant ist dass der titelgebende „ungeladene Gast“ im Singular steht während im englischen Original die „uninvited guests“ vermehrt im Titel stehen. Ich weiß nicht ob es die unterschiedlichen Sichtweisen von Autorin bzw. englischem Verlag und der deutschen Übersetzung zeigen soll, die einerseits die vielen Eindringline, anderseits den Einen als prominentestes Handlungselement sehen.
Ich fand dieses Buch hervorragend und kann es nur allen empfehlen, die symbolträchtige Lektüren, bizarre Handlungselemente und eine leichte Prise englischen schwarzen Humors bevorzugen.

Veröffentlicht am 06.09.2019

Von Elfen und Dichtern

Liebe unter Fischen
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Ich kann nur begeistert sein. Österreich- und Deutschlandhassliebe im Zerrspiegel des Protagonisten Fred Firneis, die Technik- und Modernismusverachtung, die auf einer Abhängigkeit basiert wird thematisiert, ...

Ich kann nur begeistert sein. Österreich- und Deutschlandhassliebe im Zerrspiegel des Protagonisten Fred Firneis, die Technik- und Modernismusverachtung, die auf einer Abhängigkeit basiert wird thematisiert, Geld vs. Kunst, Natur vs. Ökonomie, Identität vs. Schein, Leben vs. Tod. Und das alles auf wenig mehr als zweihundert Seiten in einem prosaischen Kammerspiel auf den Punkt gebracht.
Zugleich kann sich auch der nach bloßer Unterhaltung sehnende Leser ergötzen am schwarzen Humor von René Freund, der als Autor nicht im Vordergrund steht sondern einzig und allein die Geschichte. Diese wird perspektivisch immer wieder gebrochen. Wir bekommen die unterschiedlichen Sichtweisen der handelnden Personen serviert und auch Briefverkehr (der hier noch tatsächlich einer ist) dürfen wir verfolgen.
Sind wir nicht alle ein bisschen Firneis – mit mehr oder weniger unausgeschöpftem Kreativitätspotential, in Sinn- und Schaffenskrisen, die wir uns alle mal in Berghütten ohne Strom zurückziehen sollten. In Klausur gehen, back to nature sind die Modelifestileworte unserer schnelllebigen Generation die alles erleben und nichts verpassen will und dabei natürlich sich selbst bzw. das eigene Ich verliert.
Alfred („Fred“) Firneis macht diesen ganzen Zirkus seiner allseits vernetzten Umgebung nicht mit. Er, der Exil-Wiener, würde lieber in Neukölln als in seinem immer hipper werdenden, von der Latte-Macciatofizierung immer schwerer betroffenen Kreuzberg wohnen – wären da nicht die Strapazen, die ein Umzug bedeuten würde. Allein all die leeren Weinflaschen!
Firneis ist der Spitzweg-Poet im Dachkämmerchen, der sich um die Welt nicht schert, ja sogar Angstzustände bekommt wenn er sie betritt.
Umso besser dass ihm seine Verlegerin Susanne Beckmann die Familienferienhütte in den Voralpen anbietet um dort sein System runterzufahren (wie schon im Krankenhaus mit seinem Herzschlag geschehen). Gewünscht ist natürlich, dass er wieder Gedichte schreibt denn von seinen Gedichten lebt der kleine Verlag von Susanne Beckmann – ein Lyriker als vertragstragender Autor, wenn das nicht skurril ist – wo gibt es denn sowas?
In der Abgeschiedenheit in Angesicht des Bergsees geht Firneis in „Grünbach am Elbsee“ in Klausur. Zunächst genervt von der Anti-Zivilisation gewöhnt er sich immer mehr an das reduzierte Leben um dann eines schönen Tages seines vierwöchigen Sommeraufenthalts Mara zu begegnen. Wer ist Mara? Eine Elfe, eine Zauberfrau, ein Fischweib? Nein, sie ist eine Forscherin, angehende Biologie-Doktorin aus der Slowakei mit Doppel-S-Fehler, die sich um das Verhalten der Elritze, einer vom Aussterben bedrohten Süßwasserbinnengewässerfischart schert. Balz von Fischen und das Balzverhalten erwachsener Menschen des 21. Jahrhunderts – was hat es gemeinsam? Nicht viel möchte man meinen, denn Menschen haben immerhin den Vorteil der Sprache. Mit diesem Ausdrucksmittel hadert wiederum Firneis, was alles ziemlich kompliziert macht: Gedichte schreiben ja oder nein, das ist hier die Frage.
Ob Mara als Muse fungiert muss der Leser nun herausfinden. Werden sich die pragmatisch-bezaubernde Biologin und der schrullige Dichter kriegen?
Natürlich wäre das alles fast schon eine Liebesschnulze, wenn der Roman nicht mit einem Twist überraschen würde, mit einer Plot-Wendung, die so nicht zu erwarten war.
Eine Dreiecks- (bisweilen Vierecks-) -geschichte entspinnt sich, die das Allzumenschliche mit dem Perfiden vereint. Das ist natürlich konstruiert – aber gut, sehr gut konstruiert und in die Geschichte passend.

Ich kenne Daniel Glattauers Bücher nicht, mit dem auf der Klappentextbauchbinde geworben wird, aber wenn man die Autoren miteinander vergleicht so werde ich den wohl auch unbedingt lesen müssen.

Chapeau, Herr Freund!! Bitte mehr davon!!

Veröffentlicht am 06.09.2019

Ein wahrer Theatertraum!

Sommernachtszauber
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Das Theater ist nicht nur eine uralte Kunstform der Menschheit, es ist auch schon immer Gegenstand von Theaterstücken selbst - man muss nur an "Hamlet" denken, wo dieser zur Überführung seines Onkels als ...

Das Theater ist nicht nur eine uralte Kunstform der Menschheit, es ist auch schon immer Gegenstand von Theaterstücken selbst - man muss nur an "Hamlet" denken, wo dieser zur Überführung seines Onkels als Mörder ein Stück aufführen lässt. Auch in Romanen wird das Theater als Sehnsuchtsort der Menschen immer wieder zum Gegenstand der Handlung. Hinter der Bühne spielen sich nämlich oft die größeren Dramen ab - unter Akteuren und Machern des Theaters selbst.
Auch "Sommernachtszauber" von Ellen Alpsten versteht sich in der Tradition des Metatheaters, des "Spiels im Spiel", das hier in Prosaform gleich mehrere Ebenen reflektiert. Da wäre zum einen die "reale Ebene" im Roman, die Lebenswelt von Caroline und ihrer besten Freundin Mia, die beide ein Semester Schauspiel an der renommierten "Ernst-Busch" hinter sich haben und nun in den Semesterferien ein Engagement an einer Berliner Bühne suchen. Da trifft es sich gut dass das alte Theater in der Fasanenstraße, das seit der Zeit kurz vor dem zweiten Weltkrieg nicht mehr bespielt wird, als Bühne wiederbelebt werden soll. Dafür will der Jungregisseur Carols sorgen, der mit einer Neuinszenierung von "Romeo & Julia" für Furore machen und so den Berliner Senat davon überzeugen will das "Bimah" (jiddisch für "Bühne") als neuen Schmelztigel der Berliner Theaterszene zu fördern. Caroline, die vom Schicksal durch den Selbstmord ihres Vaters, die daraus resultierenden Depressionen ihrer Mutter und das Großziehen ihres kleinen Bruders schon viel abbekommen hat, will ihr Glück beim Vorsprechen versuchen. Ebenso wie ihre Freundin Mia, die aus einer bekannten Berliner Theaterdynastie mit Villa am Wannsee stammt und als Schauspielerin ebenfalls Erfolge feiern will. Außerdem hat sie einen Blick auf den attraktiven Ben Behrens, Jungstar und Mädchenschwarm geworfen, der den Romeo geben soll. Caroline ergattert die Rolle durch ihre intensive und unpretentiöse Art zu spielen, während Mia gerade mal den Job als Maskenfrau und Garderobiere ausüben darf. Als Caroline eines Abends auf der Bühne alleine proben will steht plötzlich ein wunderschöner junger Mann vor ihr, der vorgibt "Romeo" zu sein und Johannes heißt - und der eine riesige blutende Wunde hat...
Nun kommt die zweite, fanatstische Ebene des Buches ins Spiel: das Theater an der Fasanenstraße wird von einem Geist bewohnt. Das ist Johannes, der hier 1935 auf der Bühne als Romeo während einer Aufführung von "Romeo & Julia" zu Tode kam. Wie das alles geschah und die Hintergründe seiner Geschichte sei dem Buch vorbehalten. Die zweite Ebene ist die Geschichte von Johannes und Caroline, ihre gemeinsame Zeit im Theater und auf der Bühne.
Die dritte Ebene ist die gegenwärtige Aufführung von "Romeo & Julia", für die geprobt wird.
Die vierte Ebene ist die der Vergangenheit - die Geschichte von Johannes, die sich vor und hinter der Bühne abspielt.
Wir haben also vier Ebenen, die prosaisch vermittelt werden müssen. Das ist gar nicht so einfach, aber Ellen Alpsten versteht es mit Bravour zwischen den vier Ebenen zu wechseln ohne das der Leser verwirrt ist.
Es ist ein Buch voller theatraler Referenzen, in dem viele Situationen und Personen gespiegelt werden und in dem Realität und Realität der Theaters bzw. des Schauspiels mitunter verschwimmen. Genau diese Intertextualität bzw. Intertheatralität macht für mich die Qualität und die Faszination dieses Jugendromans aus.
Die Wahl der Vergangenheitszeit ist sicher mutig, ist sie doch die dunkelste Zeit die Deutschland und Berlin durchstehen musste.
Diese Roman ist für mich eine der Entdeckungen dieses Sommers, den nicht nur 18jährige angehende Jungschauspieler lesen sollten. Chapeau Frau Alpsten, Sie haben mich nicht enttäuscht - im Gegenteil!