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Veröffentlicht am 07.09.2019

Familie mit allen toten und lebenden Angehörigen

Grabesgrund
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Kennt ihr die Familie Blackstock aus Norfolk? Nein? Dann solltet ihr diese Familie mit allen toten und lebenden Angehörigen unbedingt kennenlernen. Inklusive des Mitglieds aus der Bronzezeit, dessen Überreste ...

Kennt ihr die Familie Blackstock aus Norfolk? Nein? Dann solltet ihr diese Familie mit allen toten und lebenden Angehörigen unbedingt kennenlernen. Inklusive des Mitglieds aus der Bronzezeit, dessen Überreste gerade von den Archäologen ausgegraben wurden.

Kurz zum Einstieg. In einem Flugzeug wird bei Baggerarbeiten die Leiche eines Piloten gefunden. Es stellt sich heraus, dass es sich dabei um Fred Blackstock handelt, der vor dem Zweiten Weltkrieg in die USA ausgewandert war und zum Ende des Krieges bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam. Doch sein Auffinden gibt viele Rätsel auf. Warum ist die Leiche nach über fünfzig Jahren noch so relativ gut erhalten? Warum befindet sie sich in dem Flugzeug, indem er gefunden wurde? Abgestürzt war er in einer anderen Maschine mitten auf dem Meer. Ergo: Was macht seine Leiche hier?

Dieser Roman ist ein seriöser, spannender und sehr gut lesbare Kriminalroman alter britischer Tradition, am ehesten vergleichbar »Vera«. Protagonistin ist die forensische Archäologin Dr. Ruth Galloway, die meist von der Polizei in Norfolk als Beraterin zu den Mordfällen hinzugezogen wird.

In ihren Romanen hat Griffith eine Welt erschaffen, die in ihrer Gänze einfach Spaß macht. Galloways Tochter entstand aus einer Affäre mit dem DC Harry Nelson, der meist der Leiter der Ermittlungen ist. Verheiratet ist Nelson aber mit einer anderen Frau. Galloway selbst fühlt sich jetzt einem Amerikaner hingezogen, mit dem Sie bereits eine Fernsehdokumentation gemacht hat. Im vorliegenden Roman ist die amerikanische Produktionsfirma erneut interessiert, zu den Vorfällen in Norfolk eine Reportage zu historischen Ereignissen zu drehen.

Die Welt rund um Ruth Galloway und das Ermittlerteam zu erkunden, stellt sich als eine überaus angenehme Lektüre dar. Sowohl die Ermittlungen als auch die Konflikte im Privatleben der Protagonisten sind spannend und reizen, der Lösung unbedingt näher kommen zu wollen. Deshalb empfehle ich diesen britischen Kriminalroman, der sich hinter den Büchern von Elizabeth George, Martha Grimes oder Val McDermid nicht verstecken braucht, sehr gerne.

© Detlef Knut, Düsseldorf 2019

Veröffentlicht am 17.07.2019

Brutales Washington D.C.

Prisoners
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Pelecanos ist ein Amerikaner mit griechischen Wurzeln. Geboren und aufgewachsen ist er in Washington D.C., wo auch seine Romane spielen Er ist ein Mann der Straße, könnte man annehmen. Denn in seinen Romanen ...

Pelecanos ist ein Amerikaner mit griechischen Wurzeln. Geboren und aufgewachsen ist er in Washington D.C., wo auch seine Romane spielen Er ist ein Mann der Straße, könnte man annehmen. Denn in seinen Romanen werden all die kleinen und großen Geschichten erzählt, die mehrmals täglich passieren und kaum von den Menschen wahrgenommen ausgenommen. Ins Blickfeld geraten höchstens die ganz große Ereignisse von Verbrechen, die den Menschen dann sagen, dass sie4 hier nicht herkommen sollten, hier sitzt das Böse, hier lebt das Verbrechen. Als Journalist, Kriminalschriftsteller und Drehbuchautor verfügt Pelecanos über die Gabe, seine Beobachtungen in adäquate Worte zu fassen, so dass es dem Leser erscheint, als würde er mitten im Geschehen sein.

Michael Hudson, der Protagonist in diesem Roman, ist noch keine 30 Jahre alt und sitzt wegen bewaffneten Raubüberfalls im Gefängnis. Hier nutzt er die Vorzüge der kleinen Gefängnisbibliothek. Er hat das Lesen für sich entdeckt. Seine ganze Jugend über hat er sich nicht dafür interessiert, doch nun hat er festgestellt, dass er mit einem Buch dem tristen, grauen Alltag des Gefängnisses entgehen kann. In der Zelle kann er in die Welt hinaus reisen. Dann wird er plötzlich aus der Haft entlassen und er möchte er ein neues Leben anfangen. Er sucht sich einen Job, knüpft neue Freundschaften und denkt nicht besonders darüber nach, warum er aus dem Gefängnis entlassen wurde. Bis schließlich der Privatdetektiv Phil Ornazian auftaucht. Ornazian steht nicht immer auf der richtigen Seite des Gesetzes und hat einen ganz besonderen Job für Hudson.

Pelecanos Sprache und Erzählstil ist hart und brutal. Ohne Zweifel kennt er sich in dem Milieu aus, von dem er schreibt. Präzise beschreibt er Örtlichkeiten und Schauplätze, weil er sie schon hundertmal besucht hat. In beiden Strängen ist man als Leser gespannt auf den Ausgang. In den Straßen der Viertel ist Krieg und nahezu jede Figur sorgt für sich und seine Familie mit illegalen Geschäften und Verbrechen. Es ist erschreckend, mit welcher Selbstverständlichkeit dies geschieht. Und doch zeigt Pelecanos auch einen kleinen Streifen Licht am Horizont.

Warum etwas vom harten Amerikana lesen möchte, ist mit dieser Roman bestens bedient. Wer sich darüber hinaus für die Bücher dieses Schriftstellers interessiert, kann gerne meine Besprechung zu seinem Roman „Hard Revolution" lesen.


© Detlef Knut, Düsseldorf 2019

Veröffentlicht am 04.07.2019

düster, spannend, schwedisch

Dunkelsommer
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Eine Autorin, die wie ein Star am skandinavischen Bücherhimmel gefeiert wird: Stina Jackson. Sie hat zum Schreiben gefunden, nachdem sie in die USA übergesiedelt ist und bringt die Düsterheit Nordschwedens, ...

Eine Autorin, die wie ein Star am skandinavischen Bücherhimmel gefeiert wird: Stina Jackson. Sie hat zum Schreiben gefunden, nachdem sie in die USA übergesiedelt ist und bringt die Düsterheit Nordschwedens, die unendlich langen Landstraßen und dichten Wälder zurück in den Fokus der Leser.


Vor drei Jahren hatte Lelle seine Tochter verloren. Sie verschwand spurlos. Seitdem findet er keine Ruhe. Immer wieder fährt er die Straße ab, an der Lina verschwunden sein muss. Nahezu jeden Nachbarn hat er schon verdächtigt, jeden Busch am Rande der Straße mehrmals umgedreht. Doch noch nie hat er auch nur ein einziges Zeichen von Lina gefunden. Er ist ein verbitterter Vater, dessen Ehe seit Linas Verschwinden in die Brüche gegangen ist. Parallel zu Lelles Suche macht Jackson einen Handlungsstrang mit der 17-jährigen Meja auf. Sie ist mit ihrer Mutter, die sich für eine Künstlerin hält, bekifft und meist nackt herum läuft, nach Norrland gekommen. Ihre Mutter hofft, in der Internetbekanntschaft einen gut sorgenden Familienvater zu finden und möchte auf diesem Hof heile Familie spielen, ohne von Alkohol und den Drogen zu lassen. Doch für Meja scheint hier kein Platz zu sein. Es zieht sie weg von hier und ihr Weg kreuzt sich mit dem von Lelle.


Zunächst möchte ich anmerken, dass sich der Roman es sehr gut liest. Die Handlungsstränge sind abwechselnd stark getrennt voneinander. Als Geschichtenliebhaber ergibt sich aber schnell die Frage, wie diese beiden Stränge zusammenlaufen werden? Zu Beginn haben sie offenbar gar nichts miteinander zu tun.

Dem Protagonisten kann man zwar Verständnis für seine Suche entgegenbringen, aber genau wie den Nebenfiguren geht er einem mit seiner Verbittertheit bald auf den Senkel. Eher fühlt man mit seiner Frau, die einen Schlussstrich unter das Verschwinden der Tochter setzen möchte.

Der Sog, den Thriller bis zum Ende lesen zu wollen, wird zunächst aus der Suche nach Lina gewonnen, und wie oben erwähnt, auf welche Weise die beiden Stränge zusammenhängen. Später dann interessiert es einen nur noch, was zur Überführung der oder des Täters notwendig ist.

Der Roman ist atmosphärisch stark und dunkel, trotz der bunten Hippie-Sprenkel. Es macht Spaß, ihn zu lesen, obwohl die Auflösung nicht überrascht, weil sie schon zu oft in Romanen, TV-Serien und Kinofilmen in ähnlicher Weise vorkam.


© Detlef Knut, Düsseldorf 2019

Veröffentlicht am 03.03.2019

kurze und packende Sommergeschichte

Sommerdiebe
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Der Roman erzählt die Geschichte der schönen, reichen und widerspenstigen Grady, einem 17-jährigen Mädchen von der Upper East Side New Yorks. Sie hat einen ganzen Sommer sturmfreie Bude, denn die Handlung ...

Der Roman erzählt die Geschichte der schönen, reichen und widerspenstigen Grady, einem 17-jährigen Mädchen von der Upper East Side New Yorks. Sie hat einen ganzen Sommer sturmfreie Bude, denn die Handlung beginnt, als Grady zusammen mit ihrer Schwester die Eltern auf ein Kreuzfahrtschiff begleitet, weil diese mit der "Queen Mary" eine mehrmonatige Reise nach Europa antreten. Obwohl sich die Mutter sorgt, die Tochter, die nach den Ferien ihr gesellschaftliches Debüt in der oberen Gesellschaft bestreiten soll, alleine daheim zulassen, kann sie dem Willen ihrer Tochter nichts entgegen setzen. Noch bevor der Ozeanriese in See sticht lernen wir den langjährigen Freund und ehemaligen Spielgefährten Gradys kennen und ahnen, dass zwischen ihnen eigentlich mehr als nur eine dicke Freundschaft stecken müsste. Doch es vergehen viele Wochen und die Hitze des Sommers im flirrenden und brodelnden New York, bis Grady in einem Anflug von Schimmer auf solche Gedanken kommt. Grady lernt in dieser Zeit ihre Heimatstadt von einer anderen Seite kennen lernt Menschen kennen, die bislang in ihrem Umfeld keine besondere Rolle spielt.

Erst 2004 ist das ein halbes Jahrhundert verborgen gebliebene Manuskript dieses Erstlingswerks des amerikanischen Schriftstellers (bekannt geworden mit "Frühstück bei Tiffany") wieder an die Oberfläche gelangt. Er selbst hatte immer wieder Andeutungen gemacht, dass er mal einen ganzen Roman vernichtet hatte, weil er ihn nicht für veröffentlichungswürdig hielt. Die Literaturexperten waren nach dem plötzlichen Auftauchen des Manuskripts ganz anderer Meinung. Zeugt der Roman doch von einer Reife, die für ein Erstlingswerk ungewöhnlich verfestigt scheint. Doch wäre an dieser Stelle auch anzumerken, dass das Manuskript zwar 1943 begonnen wurde, jedoch feilte Capote noch bis weit in die fünfziger Jahre hinein daran, obwohl er zwischenzeitlich längst Erzählbände herausgebracht hatte.

Mit sensibler Wortakrobatik und einer eigenen Stilistik, die sich in grammatikalisch falscher Interpunktion äußert, wird das Leben dieses jungen Mädchens mit all seinen Wünschen und Träumen gezeigt. Capote führt den Leser von einem Bild zum anderen und lässt ihn am Leben der Upper Class teilhaben. Lange, verschachtelte Sätze, die aber nie so lang sind, dass man den Anschluss verliert, gestalten Bilder von der drückenden Hitze im Central Park oder dem Vorbehalt der Mutter während der anfänglichen Trennungsszenen. Malerisch lässt Capote seine Protagonistin bekifft durch die Augen die Welt betrachten.

Doch so schön und gelassen sich anfangs noch die "heile Welt" eines jungen Mädchens mit ihren Schulmädchenproblemchen ausnimmt, umso rasanter geht es mit den Gefühlen zu, je mehr Seiten umgeschlagen werden, bis der Leser schließlich einen Punkt erreicht, an dem er nicht mehr aussteigen kann, an dem ihn die Spannung festhält und er wissen möchte, welchen Weg Grady einschlägt.

Eine kurze und packende Sommergeschichte, die das Bild einer Gesellschaft zu Mitte des vorigen Jahrhunderts widerspiegelt und auf ein spannendes Ende hinausläuft.


© Detlef Knut, Düsseldorf 2010

Veröffentlicht am 03.03.2019

schnell zu lesendes Buch mit einem ironischen Blick

Fundbüro
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Henry Neff, ein junger Mann Anfang Zwanzig und in seiner Art ein Aussteiger aus dem System, hat den Platz in seinem Leben, an dem zwei er sich wohlfühlt. Er arbeitet im Fundbüro am Hauptbahnhof. Zwar hatte ...

Henry Neff, ein junger Mann Anfang Zwanzig und in seiner Art ein Aussteiger aus dem System, hat den Platz in seinem Leben, an dem zwei er sich wohlfühlt. Er arbeitet im Fundbüro am Hauptbahnhof. Zwar hatte auch er sich anfangs gefragt, was das wohl für ein Arbeitsplatz wäre, auf den er sich beworben hatte und den er anstrebte. Aber dann stellt er fest, dass es Spaß macht und befriedigen kann, sich mit all den verlorenen Gegenständen und mit den damit verbundenen Lebensgeschichten ihrer Verlierer zu befassen. Dabei trifft er auf so sympathische Leute, dass er manchmal in seine eigene Tasche greift, um die für die Herausgabe fälligen Gebühren zu zahlen. In Gesprächen mit Kollegen, Verwandten und Bekannten lässt er unmissverständlich anklingen, dass er nicht daran interessiert ist, das Spiel von der Karriereleiter mitzuspielen. Selbst sein Chef geht anfangs davon aus, dass Henry nur ein durchlaufender Mitarbeiter wäre. Henry jedoch beweist das Gegenteil.

Doch eine heile Welt, wie Henry sie sich wünscht, sind auch der Arbeitsplatz im Fundbüro und der Kiez, in dem er lebt, nicht. Irgendwann muss er erkennen, dass er sich nicht immer nur heraushalten und von den netten Geschichten im Fundbüro leben kann.

Eine ruhige und einfühlsame Geschichte, wie von Siegfried Lenz nicht anders zu erwarten. Ein filigranes Wortspiel, wenn vom interessanten Leben der "Verlierer" gesprochen wird, mit einer Doppeldeutigkeit, wie sie selten zu finden ist und die dadurch eine Art von Humor an den Leser vermittelt, auf die er sich zurückgelehnt einlassen kann. Das Fundbüro als Mikrokosmos der heilen Welt, die doch so leicht von außen bedroht werden kann. Beim Dahingleiten im Text mit seinem beruhigenden Schreibstil hatte ich das Gefühl, dass die Geschichte wie Öl die Speiseröhre hinunter läuft. Vielleicht liegt es auch daran, dass die Menschen im Buch soviel Gemeinsames mit den Menschen in meinem Bekanntenkreis haben, dass es nicht um Helden und Antihelden geht, sondern um "Normalos" in der heutigen Gesellschaft.

Ein schnell zu lesendes Buch mit einem ironischen Blick auf die heutige Gesellschaft, welches für jede Stimmungslage empfohlen werden kann.


© Detlef Knut, Düsseldorf 2010