Profilbild von Bibliomarie

Bibliomarie

Lesejury Star
offline

Bibliomarie ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Bibliomarie über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 27.10.2019

Den Autormuss man sich merken

Wisting und der Tag der Vermissten
0

Jedes Jahr nimmt sich William Wisting einige Kartons mit den Unterlagen zum Vermisstenfall Katharina Haugen vor. Er konnte diesen Fall nie auflösen und er fühlt sich für ihn wie ein Stachel an, der immer ...

Jedes Jahr nimmt sich William Wisting einige Kartons mit den Unterlagen zum Vermisstenfall Katharina Haugen vor. Er konnte diesen Fall nie auflösen und er fühlt sich für ihn wie ein Stachel an, der immer wieder in die Haut bohrt. Zum Ehemann Martin Haugen, der auch als Verdächtiger galt, hat er im Lauf der Jahre ein besonderes, fast freundschaftliches Verhältnis aufgebaut, obwohl sich Wisting sicher ist, dass Haugen etwas vor ihm verbirgt. Man sieht sich hin und wieder und der Jahrestag des Verschwindens von Katharina hat sich als Treffen eingebürgert.

Doch dieses Jahr kommt eine neue Dynamik in den Fall. Adrian Stiller, ein junger, sehr ehrgeiziger Kommissar, der eine EU Einheit zu Cold Cases leitet, hat eine neue Spur entdeckt. Fingerabdrücke aus einem nie geklärten Entführungsfall, die erst jetzt im Rahmen der fortschreitenden Technik Martin Haugen zugeordnet werden können. Stiller bezieht auch die Presse mit ein, ganz gezielt wählt er Wistings Tochter Line aus, die freiberufliche Journalistin arbeitet.

Ein Krimi, der eigentlich ganz unspektakulär daher kommt, aber einen unglaublichen Sog entwickelt. Die Polizeiarbeit wird in ihrer Kleinteiligkeit durchaus realistisch geschildert, ist aber dabei überhaupt nie langatmig. Eine besondere Faszination übten die Protagonisten auf mich aus. Der Autor hat zwei ganz gegensätzliche Ermittler beschrieben. Wisting, als älterer, abgeklärter Ermittler, der sich in seine Gegenüber hineinversetzen kann und auch auf kleinste Regungen in Mimik und Sprache achtet und deuten kann. Stiller ist eher das Gegenteil, ein auf Erfolg geeichter Ermittler, der mit Manipulation und Provokation zu seinem Ziel kommen möchte. Das sind zwei Generationen und zwei Charaktere mit ganz unterschiedlichen Ansätzen.

Der Leser lernt die Protagonisten aus verschiedenen Perspektiven kennen und kommt deshalb auch dem Geschehen sehr nah. Besonders intensiv empfand ich die Gespräche zwischen Wisting und Haugen, die um das Verschwinden Katharinas kreisen und in den vieles unausgesprochen bleibt, aber jeder Satz, jede Geste eine ganz besondere Bedeutung haben.

Das Buch entspricht genau den Erwartungen, die ich an einen intelligenten Krimi habe und hat mir deshalb auch ausgesprochen gut gefallen. Dass ich schon sehr früh ahnte, wohin Wisting Martin Haugen steuerte, war das Ende keine Überraschung, aber völlig schlüssig gelöst.

Das ist ein Autor, den ich im Auge behalten werde und auf dessen andere Bücher ich schon sehr gespannt bin.

Veröffentlicht am 25.10.2019

Ein empfehlenswerter Kriminalroman

Schonungslos offen
0

Als Kriminalkommissarin Alexandra Rau und ihr Assistent Isidor Rogg zu einem Leichenfundort gerufen werden, ahnen sie nicht, dass der Fall sie über Wochen beschäftigen und sie an ihre Grenzen führen wird. ...

Als Kriminalkommissarin Alexandra Rau und ihr Assistent Isidor Rogg zu einem Leichenfundort gerufen werden, ahnen sie nicht, dass der Fall sie über Wochen beschäftigen und sie an ihre Grenzen führen wird. Denn der Mord an dem jungen Sinto bleibt nicht die einzige Tat. Es scheint ein Serienmörder sein Unwesen zu treiben.

Der unheimlich spannende Kriminalroman „Grenzenlos offen“ wird stilistisch von zwei Erzählebenen geprägt. Da ist einmal die sehr realistisch beschriebene Polizei- und Ermittlungsarbeit, die aber nie langatmig wird. Ganz im Gegenteil, ich habe jede kleine Erkenntnis und Spur der beiden Ermittler mit Spannung verfolgt.

Der zweite Erzählstrang gibt dem Mörder eine Stimme. Wir lernen einen Mann kennen, der sich an seinen Taten ergötzt und sich gleichzeitig als Opfer eines gewalttätigen Vaters und lieblosen Mutter versteht. Er selbst nennt diese Ergüsse „Sitzung“, sie sollen ihm eine Art Selbstanalyse ermöglichen, offenbaren aber nur einen larmoyanten, sich selbst überschätzenden Charakter. Diese Kapitel waren für mich manchmal nur schwer auszuhalten.

Sehr subtil lässt Irene Matt die Bedrohung immer stärker hervortreten, denn inzwischen ist auch Alexandra in das Visier des Mörders geraten und da der Leser hier einen Wissensvorsprung hat, steigert sich die Spannung noch einmal. Ich konnte das Buch wirklich nicht aus der Hand legen, obwohl die kleine Schrift und der enge Satzspiegel mich beim Lesen etwas anstrengten. Das ist aber auch der einzige Kritikpunkt, den ich finden kann.

Sprachlich hat mich das Buch auch überzeugt, die Personenzeichnung ist gelungen und lässt vor allem die beiden Hauptprotagonisten sehr lebendig und echt wirken. So bringt Isidors Liebe zur Sprache und zu Etymologie die Ermittler sogar einmal einen Schritt weiter. Nebenbei darf dadurch auch immer wieder mal Humor aufblitzen, sehr geschickt eingesetzt um dem Leser nach einer kleinen Entspannung wieder mit einem fesselnden Twist zu überraschen.

Ein toller Krimi/Thriller von einer Autorin, die ich bisher noch nicht kannte und der ich viele Leser wünsche. Diese Buch ließ bei mir keine Wünsche offen.

Eine schöne Buchgestaltung mit Lesebändchen ist das Tüpfelchen auf dem „I“.

Veröffentlicht am 29.09.2019

Dame Edith

Die Dame hinter dem Vorhang
0

Die Dichterin Edith Sitwell war ihrer Zeit voraus. Vielleicht wurde sie deshalb von ihren Zeitgenossen teils belächelt, teils abgelehnt. Ihre Bedeutung als Lyrikerin wurde spät erkannt, als Exzentrikerin ...

Die Dichterin Edith Sitwell war ihrer Zeit voraus. Vielleicht wurde sie deshalb von ihren Zeitgenossen teils belächelt, teils abgelehnt. Ihre Bedeutung als Lyrikerin wurde spät erkannt, als Exzentrikerin hat sie zusammen mit ihren Brüdern, schon bald Ruhm erlangt. Edith, groß gewachsen und mit ausgeprägten, herben Gesichtszügen hatte keine schöne Kindheit. Vom Vater in eine Art Eisenkorsett gezwungen, sollte so ihr Wachstum gestoppt und ihre Nase begradigt werden. Der Heiratsmarkt war gnadenlos.
Veronika Peters erzählt die Geschichte dieser außergewöhnlichen Frau mit einem Kunstgriff. Sie lässt mit Jane Bannister, die Dienerin und langjährige Vertraute zu Wort kommen und ihre Erinnerungen an Edith und ihre Künstlerfreunde lebendig werden.
Ich kenne einige Biografien dieser sperrigen Künstlerin, aber der Roman, der sich Freiheiten in Atmosphäre und Motiven nehmen kann, hat mir eine neue Perspektive eröffnet. Veronika Peters hält sich dabei dicht an die Ereignisse der Epoche, an Begebenheiten, die aus Briefen und Tagebüchern bekannt sind, haucht ihnen aber ein besonders bildhaftes Leben ein.
Durch die Kunstfigur der Jane Bannister eröffnet sich ein ganz besonderer Blick. Das England in den 20iger bis 40iger Jahre des letzten Jahrhunderts war noch fest im Standesdenken verwurzelt, wenn es auch schon langsam brüchig zu werden begann. Der Adel genoss seine besonderen Privilegien und auch wenn Jane zur lebenslangen Freundin von Edith werden sollte, blieb sie doch immer Dienerin, die ihre eigenen Bedürfnisse zurückzustellen hatte. Das hätte am wenigsten Jane in Frage gestellt, hat doch schon ihr Großvater und ihre Mutter lebenslang der Familie gedient. Dieses Zeitbild als Hintergrund wurde farbig gezeichnet hat mir sehr gut gefallen.
Was der Titel verspricht hat die Autorin wahr gemacht. Ein Blick auf die Frau, die sich immer hinter dem Vorhang der Exzentrik verborgen hat und deren Denken und Fühlen lebendig wurde.

Veröffentlicht am 20.09.2019

Martha Westphal

Die Hafenschwester (1)
0

Trotz aller Armut wächst die junge Martha mit Bruder und Schwester in einer behüteten Familie auf. Der Vater verdient im Hafen zwar nicht allzu viel, aber mit Näharbeiten hält die Mutter die Familie über ...

Trotz aller Armut wächst die junge Martha mit Bruder und Schwester in einer behüteten Familie auf. Der Vater verdient im Hafen zwar nicht allzu viel, aber mit Näharbeiten hält die Mutter die Familie über Wasser. Aber es ist das Jahr 1892 und in Hamburg beginnt die Cholera zu wüten. Trotz liebevoller Pflege stirbt die Schwester und als auch noch die Mutter erkrankt, lastet auf Marthas Schultern die Krankenpflege und die Sorge um die kleine Familie. Auch die Mutter überlebt nicht und Martha ergattert durch die Fürsprache des Hausarztes eine Stelle als Krankenwärterin. Doch sie muss mit ansehen, wie die Familie auseinanderfällt. Der Vater ertränkt seinen Kummer in Schnaps und verliert seine Stelle, der Bruder geht als Schiffsjunge zur See. Aber Marthas Tatkraft scheint unerschöpflich. Sie bekommt eine der begehrten Lehrstellen zur Krankenschwester um Eppendorfer Krankenhaus und erkennt in der Krankenpflege ihre wahre Berufung.


Doch in Hamburg gärt es, die lang verschwiegene Cholera Epidemie, die immer länger werdenden Arbeitszeiten bei sinkenden Löhnen führen zum großen Hafenarbeiterstreik. In Martha erwacht auch ein politisches Bewusstsein und sie engagiert sich nicht nur in der Frauenbewegung. Aber dann begegnet sie dem jungen sozialdemokratischen Ingenieur Paul Studt. Doch die strengen Regeln der Erika-Schwesternschaft verbieten eine Verbindung.

Geschichte wird so viel lebendiger und anschaulicher wenn sie sich um persönliche Schicksale ranken. Zwar hatte ich schon vom großen Ausbruch der Cholera in Hamburg gelesen und auch von den sozialen Missstände im sogenannten Gängeviertel, die die Verbreitung beschleunigten, aber in dieser Geschichte bekommen die Ereignisse plötzlich ein Gesicht. Man spürt beim Lesen mit welcher Detailtreue und Geschichtskenntnis die historischen Begebenheiten in die Lebensgeschichte der jungen Frau einfließen.
Die Protagonistin Martha und ihre Entwicklung vom behüteten Kind bis zur starken jungen Frau, die sich für Berufung und ihre Liebe einsetzt, fand ich mitreißend erzählt. Ich habe mit Martha gelitten und gefiebert und mich für sie gefreut. Bei keiner der gut 450 Seiten kam auch nur die Spur einer Länge auf, der Roman fesselt von der ersten Seite an. Mir gefiel der Erzählton den die Autorin gefunden hat, er ist unterhaltsam und spannend und vermittelt eine große Empathie zu den Figuren dieser Geschichte.

Davon profitieren auch die Nebenfiguren, die im Gedächtnis bleiben weil ihre Charaktere so farbig und lebendig gezeichnet sind. Das Hamburg der des ausgehenden 19. Jahrhunderts ist so bildhaft geschildert, wie ich es selten zuvor gelesen habe.

Das Buch ist der Beginn einer Saga und ich bin sehr gespannt auf die Fortgang der Geschichte und bin sicher, dass es auch anderen Leserinnen so gehen wird.

Veröffentlicht am 30.08.2019

Eine schräge Geschichte

Hotel Schräg
0






Ich muss gestehen, es war ein Versehen, als ich dieses Buch in der Bücherei griff. Es sah gut aus, war nicht so umfangreich (grade richtig, wenn man in Wartezimmern herumsitzt) und Martin Walker ...






Ich muss gestehen, es war ein Versehen, als ich dieses Buch in der Bücherei griff. Es sah gut aus, war nicht so umfangreich (grade richtig, wenn man in Wartezimmern herumsitzt) und Martin Walker kannte ich, also habe ich gar keinen Klappentext gelesen.

Es ist nicht vom "Bruno" Erfinder, aber das macht nichts. Das Buch ist witzig geschrieben, voller Seitenhiebe auf die Kunstszene.

Kurz zum Inhalt: Das Hotel ist schon seit 4 Generationen im Besitz der Familie Schräg, es war als Bergsteigerhotel für die Engländer gedacht, die damals in Scharen in die Schweiz einfielen. Nur das es in diesem Ort keine steilen Berge zu erklimmen gibt. So kümmert das Hotel vor sich hin, bietet seinen Gästen keinen Komfort, aber dafür Historie. Die Besitzer pflegten ihre Exzentrizität genauso wie ihre Gäste.

Dann es gab einmal eine Zeit, in der Künstler, die später Weltruhm erlangten, dort abstiegen. Mondrian, Malewitsch, Picasso und viele andere mehr. Das lockt Benoit und seine Freundin Lola her. Benoit möchte seine Doktorarbeit über den Künstler Valse schreiben und hofft auf unbekannte Werke, Erinnerungen oder Dokumente. Die findet Benoit auch, aber trotzdem kommt alles anders als geplant. Daran hat nicht zuletzt Alain Schräg, der Sohn des Besitzers einen großen Anteil.

Das ist ein wirklich unterhaltsames Buch, genau so schräg wie der Titel und die Figuren. Mir gefiel die Leichtigkeit des Stils, die unterschwellige Ironie, die ganze Art des Erzählens eben.

Die Ausflüge in die Kunstszene sind unterhaltsam und sogar ein wenig lehrreich.

Ich habe die - leider nur kurze Geschichte - sehr genossen.