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Veröffentlicht am 21.09.2019

Tief berührender Roman mit einzigartiger Sprache und wunderschönen Beschreibungen

Auf deinem Mond ein Feigenbaum
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Das Cover des Romans "Auf deinem Mond ein Feigenbaum" von Felix Söring hat mich sofort angesprochen. Ich finde es großartig! Es passt wunderbar zum Titel und spricht mich gerade durch die Schlichtheit ...

Das Cover des Romans "Auf deinem Mond ein Feigenbaum" von Felix Söring hat mich sofort angesprochen. Ich finde es großartig! Es passt wunderbar zum Titel und spricht mich gerade durch die Schlichtheit an und hebt sich damit von einigen andern Covern in diesem Jahr deutlich ab. Es ist eines meiner liebsten Cover in diesem Bücherjahr.
Sehr gut gefallen haben mir zudem die, an gut gewählter Stelle, in den Text aufgenommenen Zeichnungen. Ähnlich wie das Cover sind diese in ihrer Schlichtheit berührend und verstärken die Aussage des Textes.

Felix Söring wurde mit seinem Roman für den Deutschen Selfpublishing-Preis 2019 nominiert. Ich bin sehr gespannt, auf die Bekanntgabe der Gewinner am 18.10.2019. Aus meiner Sicht hat dieses Werk die Nominierung und auch den Gewinn definitiv verdient.

Die ganz große Stärke und Besonderheit bei diesem Werk ist die Sprache. Wie der Autor selbst sagt, verliebe er sich hin und wieder in Wörter, weil sie so schön klingen und lasse diese dann in den Text einfließen. Seine Sprache ist einzigartig. Es ist schön, dass sie so intellektuell und anspruchsvoll ist. Die oft verwendeten Fachbegriffe und besonderen Synonyme für Alltägliches sind wunderbar in den Text verwoben. Für mich, die ich Sprache liebe, ist es schön, dieses sprachliche Niveau zu lesen. Jedoch kann ich mir vorstellen, dass nicht alle Leser mit dem Sprachstil angesprochen werden können und für einige der Lesegenuss nicht gegeben ist, wenn sie nicht so mit Fachbegriffen und Fremdwörtern bewandert sind. Es gilt also für den Leser eine gewisse Bereitschaft mitzubringen, sich ganz auf die Sprache und deren hohes Niveau einzulassen.

Der Autor versteht es wortgewaltig die Emotionen, Gedanken und Hoffnungen seiner Protagonisten nahe zu bringen. Dadurch erhält der Leser tiefe Einblicke in das Auf und Ab der Gefühle, die natürlicherweise mit einer lebensbedrohenden Diagnose und später dem Verlust eines geliebten Menschen einhergehen. Die Beschreibungen sind sehr realistisch und intensiv, zudem aber auch wunderschön. Es werden einzigartige Bilder und Formulierungen geprägt, so dass es trotz all der Tragik eine Wohltat ist, der Geschichte zu folgen.

Die Handlung ist sehr komplex und tiefgründig. Die Schilderungen über das Begleiten von Krebspatienten sind realistisch und berührend. Auch die Trauer nach dem Tod von Carmela ist auf eine besondere, intensive Art herausgearbeitet. Es ist unglaublich gut und realistisch dargestellt, wie Jan und Matilda Schwierigkeiten haben, sich mit ihrem neuen Leben zu arrangieren. Bei Jan ist seine innere Zerrissenheit und Trauer zu spüren. "Manchmal kam es ihm vor, als säße er in einem leckgeschlagenen Ruderboot, durch dessen Perforation unaufhaltsam seine letzten Energiereserven wichen. Statt zu rudern, war er seit Monaten nur noch damit beschäftigt, sein mit Schwere geflutetes Herz fingerhutdosiert auszulöffeln und die viel zu große Leckage mit dem noch verbliebenen Rest an Zuversicht zu stopfen."
Nebenbei hat er die Verantwortung für Matilda, schafft es aber nicht, dieser ganz gerecht zu werden. Matilda ist mit ihrer Trauer allein und wird nicht von Jan aufgefangen, so dass beide sich immer mehr voneinander entfremden.

Für mich ein wenig die Lesefreude gedämpft, haben zwei Aspekte.
Zum Einen die Entscheidung Carmelas ihrer Tochter nichts von ihrer Krankheit zu erzählen, so dass Matilda sich nicht verabschieden konnte. Zum anderen die Art von Jan mit Matilda umzugehen. Diese ist mir persönlich nicht angenehm. Dies resultiert aus meinem persönlichen Empfinden und meiner Vorstellung, meinen Erfahrungen vom Umgang von Eltern mit ihren Kindern. Auch wenn es sich für mich nicht richtig angefühlt hat, möchte ich dafür keinen Punkt bei der Bewertung abziehen, da der Roman mich insgesamt überzeugt hat.

Dieses Buch werde ich mit etwas Abstand nochmal lesen, da es so viele besondere Gedanken und Beschreibungen beinhaltet. 
Es gibt eine klare Leseempfehlung von meiner Seite, da es ein Genuss war, es zu lesen und einiges noch länger in Erinnerung bleibt.





Veröffentlicht am 16.09.2019

Wunderschöner Roman voller Atmosphäre und dennoch spannend

Die kleine Buchhandlung am Ufer der Themse
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"Die kleine Buchhandlung am Ufer der Themse" von Frida Skybäck hat mich sofort angesprochen und war mein Wunschbuch, auf das ich mich sehr gefreut habe. Diese Vorfreude wurde nicht enttäuscht.

Schon ...

"Die kleine Buchhandlung am Ufer der Themse" von Frida Skybäck hat mich sofort angesprochen und war mein Wunschbuch, auf das ich mich sehr gefreut habe. Diese Vorfreude wurde nicht enttäuscht.

Schon das Cover finde ich sehr ansprechend, es gibt einige Details zu entdecken und es passt perfekt zu der Handlung des Romans in der Buchhandlung.

Der Roman bietet eine nahezu perfekt ausgewogene Mischung aus Humor, Spannung, Liebe, Tragik, Freundschaft und dem Mut für Träume und sich selbst einzustehen und Neuanfänge zu wagen. Er erzählt nicht einfach eine seichte Geschichte, sondern hat sehr tiefgründige Aspekte.

Der Schreibstil ist flüssig, unterhaltsam und witzig. Die Charaktere werden toll beschrieben und ich konnte mich gleich ganz in die Handlung hineinversetzen.

Sowohl Charlotte, als auch William, Sam und Martinique haben ein Päckchen zu tragen. William, der Hausautor der Buchhandlung, befindet sich momentan in der schwierigen Phase zwischen den ersten veröffentlichten Buch und der Erwartung des zweiten. Sam liebt ihre Arbeit in der Buchhandlung und befürchtet, dass Charlotte, als neue Inhaberin, diese schließt. Martinique fürchtet um ihre Ehe, findet keinen Zugang mehr zu ihrer pubertären Tochter und hat zu allem Übel auch noch eine Schwester, die ihre Gutmütigkeit und Hilfsbereitschaft ausnutzt.

Durch diese vier Personen mit ihren ganz eigenen Herausforderungen erhält die Geschichte eine angenehme Komplexität ohne überfrachtet zu werden. Als Leser hofft man mit allen mit. Jedem der Vier wird Raum gegeben, um dessen Gedanken und Gefühle ganz nah mitzuerleben. Charlotte steht dennoch im Fokus und der überwiegende Teil des Romans ist aus ihrer Perspektive geschrieben. Die Geschichte ihrer Familie wird in einem zweiten Handlungsstrang, der in den 1980er Jahren spielt, erzählt. Diese Erzählweise finde ich ausgesprochen gut, da so nach und nach deutlich wird, was passiert ist und die Spannung erhalten bleibt. Zudem sind diese Einschübe aus der Vergangenheit wunderbar mit der aktuellen Handlung verwoben.

Der Riverside Bookshop wird so urig, anschaulich und präzise beschrieben - "ein Ort, an dem man heilen [kann]" - dass man am liebsten beim Lesen selbst in einen der uralten Sessel versinken würde, umgeben vom leichten Vanilleduft der alten Bücher, den Kater Tennyson schnurrend neben sich und ganz von der Welt und ihrer strebsamen Hektik abgeschottet.

Ein tolles Buch, das angenehme Lesestunden bietet, die nur so verfliegen. Es eignet sich für alle Liebhaber von gedruckten Büchern und kleinen, persönlichen Buchhandlungen. Aber auch für alle, die gern einen gut geschriebenen Roman voller interessanter Charaktere und individueller Herausforderungen lesen möchten.

Veröffentlicht am 09.09.2019

Intensiver, aufwühlender und nachdenklich stimmender Roman

Vergesst unsere Namen nicht
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"Vergesst unsere Namen nicht" von dem norwegischen Autor Simon Stranger ist ein intensiver, aufwühlender und nachdenklich stimmender Roman. Ein wichtiges und wertvolles Buch, das glücklicherweise nun auch ...

"Vergesst unsere Namen nicht" von dem norwegischen Autor Simon Stranger ist ein intensiver, aufwühlender und nachdenklich stimmender Roman. Ein wichtiges und wertvolles Buch, das glücklicherweise nun auch auf Deutsch erschienen ist. Ich bin sehr froh, dass ich "Vergesst unsere Namen nicht" lesen durfte, da es ein besonderes und außergewöhnliches Werk ist, das bei mir noch lange nachhallen wird.

Eine Besonderheit des Romans besteht darin, dass der Autor Simon Stranger die Inspiration für sein Werk in der eigenen Familiengeschichte gefunden hat. In umfangreichen Recherchen hat er versucht Quellen zu finden und historische Ereignisse möglichst genau zu beschreiben. Die Qualität und Intensität dieser Recherchen werden in "Vergesst unsere Namen nicht" sehr deutlich. Neben fiktiven Erzählungen gibt es auch immer wieder Passagen, die historische Ereignisse sehr detailliert aufgreifen, so dass ich noch einige Details erfahren habe, die mir bisher nicht bekannt waren.

Eine weitere Besonderheit des Romans besteht darin, dass die Kapitel mit Buchstaben des Alphabets eingeteilt werden und dann Begriffe zu den jeweiligen Buchstaben aufgreifen. Für jeden Buchstaben des Alphabets gibt es ein Kapitel. In dem jeweiligen Kapitel wird dann mit Einschüben, z. B. "C wie...", der Text gegliedert, nach jedem dieser Einschübe wechselt sich die Perspektive oder die handelnden Personen. Das gefällt mir ausgesprochen gut und habe ich so auch noch bei keinem Werk erlebt.
 
Der Schreibstil hat mich von Anfang an gefesselt und es schwer gemacht das Buch wegzulegen. Es gefällt mir gut, dass aus drei Perspektiven geschrieben wird ("Du", "Ich", "Er"). Dadurch werden die verschiedenen handelnden Personen und die verschiedenen Zeitebenen voneinander klar abgegrenzt und es ist jeweils deutlich, welcher Handlungsstrang gerade fortgeführt wird.
Zudem wird sehr eindringlich, bildhaft und bewegend geschrieben. Ich hatte gleich ein klares Bild der handelnden Personen und der Orte und war emotional von Anfang an von der Handlung ergriffen. Simon Stranger schreibt nicht reißerisch oder übertrieben, trifft jedoch trotzdem direkt ins Herz.

Mich haben einige Passagen sehr aufgewühlt. Insbesondere der folgende Dialog: 

"Warum wurde er ermordet, Papa? 
"Weil er Jude war. " 
"Ja, aber warum?" 

In diesem kurzen Gespräch wird so gut die Sinnlosigkeit der damaligen Propaganda und der damit verbundenen Gräueltaten deutlich. Ich kann nur schwer bis gar nicht nachvollziehen, wie es mit dem Nationalsozialismus so weit kommen konnte. Da ist es für mich besonders interessant zu sehen, wie der Autor versucht, Henry Oliver Rinnan - wohl einer der extremsten Nationalsozialisten Norwegens - als Person und dessen Entwicklung aufzuarbeiten.
Als Gegenbild stellt der Autor Julius Paltiel vor, ein Vorfahr der trotz Konzentrationslager und Todesmarsch vollkommen in sich ruht, keinen Hass schürt. 
 
Die Frage "Wie kann es sein, dass jemand stärker wird durch diesen Widerstand, durch all das Böse, das ihm zustößt, während andere sich beugen, zerbrechen, verkrüppeln, zerstört werden, eine dunkle Seele bekommen?" hat noch eine Weile bei mir nachgehallt. Dieser Roman lässt wirklich tief in menschliche Abgründe schauen, wühlt auf, bewegt und berührt. 

Dennoch möchte Simon Stranger mit seinem Roman nicht anklagen oder verurteilen. "Lass diesen Roman lieber eine Aufforderung sein, nach vorn zu sehen. Lass ihn lieber eine Möglichkeit zur Versöhnung sein und für Vergebung."

"Vergesst unsere Namen nicht" ist ein großes, wertvolles Werk, das sich zu lesen lohnt. Es ist passagenweise nichts für schwache Nerven und keine reine Unterhaltungslektüre, jedoch traurige Realität mit der man sich dennoch auseinander setzen sollte und die den Leser auch mit einem Hoffnungsschimmern zurück lässt.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Authentizität
  • Geschichte
Veröffentlicht am 06.09.2019

Spannender Auftakt der Krimireihe um Frida Paulsen und Bjarne Haverkorn

Totenweg
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"Totenweg" von Romy Fölck ist der Auftakt einer Krimireihe, in der die Polizistin Frida Paulsen ermittelt und sich dabei einigen Gefahren gegenüber sieht. In diesem ersten Band wird Fridas Familie, der ...

"Totenweg" von Romy Fölck ist der Auftakt einer Krimireihe, in der die Polizistin Frida Paulsen ermittelt und sich dabei einigen Gefahren gegenüber sieht. In diesem ersten Band wird Fridas Familie, der familiäre Besitz und auch ihr Leben bedroht. Hängt das ganze mit dem Mord an Fridas Freundin Marit vor 20 Jahren zusammen? Ist der Täter zurück und wird wieder töten?

Bjarne Haverkorn, der den Mord an Marit nicht aufklären konnte und dem es bis heute keine Ruhe lässt, nimmt die Bedrohung für Frida sehr ernst und zieht zu ihr auf den Hof, um ganz nah am Geschehen ermitteln zu können.

Das besondere an der Reihe um Frida Paulsen und Bjarne Haverkorn ist, dass es sich insbesondere um ungeklärte Altfälle handelt. Das gegensätzliche Ermittlerteam widmet sich Cold Cases, um späte Gerechtigkeit zu bewirken. Mir gefällt dieser Ermittlungsansatz ausgesprochen gut. Gerade der Wechsel zwischen alten, erkalteten Spuren und brandneuen Ermittlungsansätzen macht für mich den Reiz dieser Reihe aus. Es ist spannend zu sehen, wie die Fäden nach vielen Jahren doch noch zusammenlaufen und den Opfern und ihren Angehörigen doch noch Gerechtigkeit widerfährt.

Dabei ist die Handlung von der ersten bis zur letzten Seite spannend. In Rahmen der aktuellen Ermittlung, erfährt der Leser immer wieder durch Rückblicke in die Vergangenheit, was dort vorgefallen ist und welche Dinge sich zwischen Frida und den anderen Dorfbewohnern abgespielt haben. Besonders gut gefällt mir auch, dass die private Seite des ungleichen Ermittlerduos - ihre Ängste, Fehlentscheidungen, Unsicherheiten, Geheimnisse - gezeigt wird. Ich konnte mich zwar mit keiner der handelnden Personen identifizieren, habe sie aber dennoch als sympathisch und authentisch empfunden, so dass ich mit ihnen mitgefiebert habe.
Die zwischenmenschlichen Verwicklungen, psychologischen Zusammenhänge und das allmähliche Aufbrechen jahrzehntealter Geheimnisse - die jeder in dem kleinen Dorf in der Elbmarsch hat - haben mir gut gefallen und den besonderen Reiz von "Totenweg" ausgemacht.

Wie es sich für einen guten Krimi gehört, gab es einige sehr unerwartete Wendungen, so dass es Freude gemacht hat, mitzuermitteln und nach dem möglichen Täter zu suchen. Gleichzeitig hat Romy Fölck den Drahtseilakt gemeistert, den aktuellen Fall zu einem Ende zu bringen, das sehr plausibel und stimmig war, gleichzeitig aber auch noch Fragen offen zu lassen, die motivieren, der Reihe weiter zu folgen.

"Totenweg" von Romy Fölck ist ein wirklich gelungener Auftakt der Krimireihe des Ermittlerteams Paulsen und Haverkorn. Inzwischen ist bereits der zweite Band "Blutshaus" und ab Ende September auch der dritte Band "Sterbekammer" erhältlich.
Krimifreunde können sich also gleich auf mehrere Bände spannenden Lesegenuss freuen und müssen nicht erst sehnsüchtig auf den nächsten Band warten. Allen Krimifans, die sich für psychologische Zusammenhänge interessieren und Freude an Ermittlern haben, die sich nicht ganz ergänzen und die mit all ihrer Menschlichkeit beschrieben werden, ist diese Reihe zu empfehlen.

Veröffentlicht am 04.09.2019

Emotionaler, intensiver Debütroman

Die andere Hälfte der Augusta Hope
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"Die andere Hälfte der Augusta Hope" von Joanna Glen ist ein gelungenes Debüt, das voller Überraschungen steckt.

Gleich zu Beginn wird der Leser mit einem sehr spannenden Absatz in die Geschichte gezogen. ...

"Die andere Hälfte der Augusta Hope" von Joanna Glen ist ein gelungenes Debüt, das voller Überraschungen steckt.

Gleich zu Beginn wird der Leser mit einem sehr spannenden Absatz in die Geschichte gezogen. Mir gefällt dieser abrupte Start sehr gut, es wird hier nicht über mehrere Seiten ein atmosphärischer Einstieg aufgebaut, sondern der Leser ist gleich mitten in der Geschichte und will unbedingt weiter lesen und erfahren, was passiert ist. Dieser Beginn ist aussagekräftig, entwickelt doch der ganze Roman eine Sogwirkung und ist nur sehr schwer aus der Hand zu legen. Unterstützt wird dies auch durch den Schreibstil, so kommt es neben direkten, fast abgehackten Sätzen auch zu wunderschönen, dann doch atmosphärischen Schilderungen. Durch diese Mischung wird der Roman sehr eindringlich, emotional und stellenweise tragisch.

Erzählt werden parallel die Geschichten von Augusta und Parfait aus der Ich-Perspektive. Augusta wächst zusammen mit ihrer Zwillingsschwester Julia in England auf. Sie ist sehr intelligent, voller Träume, wissbegierig und neugierig. Durch ihre direkte und mutige Art und weil sie viele Dinge durchschaut und hinterfragt, eckt sie so manches Mal bei ihren Eltern an. Diese sind sehr konservativ, legen viel Wert auf die Meinung anderer und achten darauf, bloß nirgends anzuecken. Julia hingegen ist eine sanfte, ruhige Person und kommt dem Wesen der Eltern damit mehr entgegen. Es ist sehr spannend die beiden aufwachsen und sich entwickeln zu sehen. Tragischerweise verliert Augusta Julia nach und nach immer mehr. Die Zwillinge stehen sich nicht mehr so nahe, wie in der Kindheit. Als Julia dann jung stirbt, muss Augusta sich ihrer Trauer stellen und versuchen einen neuen Weg im Leben zu finden. Der Roman hat viele unglaublich emotionale, nachdenklich stimmende Passagen. Beim Lesen habe ich immer wieder innegehalten, um über die Gedanken nachzudenken. Es ist kein Roman, der sich nur schön liest, er ist auch sehr tiefgründig. Augusta fragt sich "Warum war es so kompliziert, Mensch zu sein?" Genau dieses Menschsein mit vielen Herausforderungen und Rückschlägen wird sehr facettenreich dargestellt.

Der Handlungsstrang um Parfait war eine große Überraschung für mich. Parfait ist in Burundi aufgewachsen und flieht zusammen mit seinem Bruder nach Spanien. Damit bringt die Autorin die Völkermorde in Burundi zwischen Hutu und Tutsi und den Umgang mit Flüchtlingen sowie die Entbehrungen/ Ängste auf der Flucht und in der neuen Heimat in diesen Roman ein. Damit habe ich in keinster Weise gerechnet und gerade die Konflikte in Burundi auch noch in keinem Roman aufgegriffen gesehen. Zunächst war ich etwas unschlüssig, ob es der Tragik und Unbegreifbarkeit der schrecklichen Taten in Burundi gerecht wird, diese am Rande in einem Roman anzusprechen. Inzwischen glaube ich aber, dass ein Leser, der am Weltgeschehen interessiert ist, vermutlich weitere Recherchen zu dem Thema tätigt und es damit in Ordnung ist, das es zumindest angesprochen wird, so dass der Völkermord nicht ganz in Vergessenheit gerät.

"Die andere Hälfte der Augusta Hope" ist ein sehr intensives, emotionales Buch, welches sehr viele Facetten hat. Es finden sich unglaublich tolle, interessante Gedanken, die es lohnt weiter zu verfolgen. Ein lesenswertes Werk, das bleibenden Eindruck hinterlässt.

Empfehlen kann ich diesen Debütroman von Joanna Glen Lesern, die gern emotionale, tiefgründige Roman lesen und die offen sind, sich vorurteilsfrei auf die Handlung einzulassen, da diese voller Überraschungen ist.