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Veröffentlicht am 12.10.2019

Begleitung eines Trauerprozesses, bei dem das Laufen neue Kraft gibt

Laufen
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Die Protagonistin ist schon seit einigen Jahren nicht mehr gelaufen, doch jetzt will sie endlich wieder damit anfangen. Ein Jahr ist vergangen, seit ihr Freund Suizid begangen hat und seine Eltern ihr ...

Die Protagonistin ist schon seit einigen Jahren nicht mehr gelaufen, doch jetzt will sie endlich wieder damit anfangen. Ein Jahr ist vergangen, seit ihr Freund Suizid begangen hat und seine Eltern ihr alles von ihm weggenommen haben, weil die beiden nicht verheiratet waren. Jetzt ist die über 40, für Kinder ist es zu spät, sie ist traurig und wütend. Immer wieder rafft sie sich zum Laufen auf und reflektiert ihre Situation. Während sie allmählich fitter wird, gelingt es ihr zunehmend, nach vorn zu blicken.

Als Leser begleitet man die Protagonistin beim Laufen und lauscht ihrem inneren Monolog. Ein Jahr ist sie nun schon allein, und noch immer geistert die Frage nach dem Warum in ihrem Kopf herum, gepaart mit Wut, Unverständnis und Hilflosigkeit. Sie fühlt sich zurückgelassen und von vielen Menschen in ihrer Umgebung unverstanden.

Ich brauchte eine Weile, um in den Schreibstil hineinzufinden. Der Gedankenfluss beim Laufen wird ungefiltert wiedergegeben, was zu langen Sätzen führt, in denen die Erzählerin von einem Thema zum nächsten springt und sich zwischendurch immer weider auf ihre Atmung fokussiert. Da man ihr nur in der Situation des Laufens begegnet erfährt man dabei, was in den Tagen und Wochen zuvor passiert ist.

Auf diesem indirekten Weg erfährt man einiges über die Reaktionen ihres Umfelds. Durch das Laufen, die Liebe zur Musik und ihre besten Freundin Rike, die gut zuhören kann und mit der richtigen Mischung aus Mitgefühl und Humor reagiert, sammelt die Protagonistin neue Kraft. Ihre Eltern wissen hingegen nicht so recht, was sie sagen sollen, und auf die Eltern ihres Freundes ist sie einfach nur wütend, nachdem sie all seine Sachen eingesammelt und sogar die Hälfte der Möbel mitgenommen haben. Auch über die Gespräche mit ihrer Therapeutin und deren Ratschläge denkt sie nach.

Insgesamt begleitet man die Protagonistin ein Jahr lang. Das Buch ist einfühlsam geschrieben und man merkt, wie es der Protagonistin allmählich gelangt, neue Dinge anzupacken und nach vorn zu blicken. Dabei geht es auf und ab mit besseren und schlechteren Tagen. Auch wenn die Gedanken der Erzählerin oft von Traurigkeit und Wut dominiert werden, mischt sich immer wieder eine Prise Humor hinein. Insgesamt ein eindrücklicher Roman über einen Trauerprozess mit einer Protagonistin, die übers Laufen zurück ins Leben findet.

Veröffentlicht am 08.10.2019

Gelungene Fortsetzung der Familiengeschichte im Berlin der 50er Jahre

Die Schwestern vom Ku'damm: Wunderbare Zeiten
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Silvie Thalheim ist im Berlin des Jahres 1952 eine beliebte Radiomoderatorin beim RIAS, während ihre Schwester Rike und ihr Zwillingsbruder Oskar im Familienunternehmen, dem Modekaufhaus Thalheim am Ku’damm, ...

Silvie Thalheim ist im Berlin des Jahres 1952 eine beliebte Radiomoderatorin beim RIAS, während ihre Schwester Rike und ihr Zwillingsbruder Oskar im Familienunternehmen, dem Modekaufhaus Thalheim am Ku’damm, arbeiten. Während Rike heiratet und ihr erstes Kind erwartet, ist Silvie weiterhin auf der Suche nach dem Richtigen. Sie lernt Wanja kennen, einen emotionalen Schauspieler, der am Anfang seiner Karriere im Filmgeschäft steht. Soll sie sich auf ihn einlassen? Oskar hingegen ist nicht nur körperlich, sondern auch emotional gezeichnet von den Jahren im Krieg und in Kriegsgefangenschaft. Rike ärgert sich, dass er das Unternehmen leiten soll, obwohl er zu viel feiert und im Modekaufhaus fragwürdige Entscheidungen trifft. Silvie nimmt ihren Zwillingsbruder in Schutz, dringt aber zunehmend weniger zu ihm durch. Sein Verhalten droht, zur Zerreißprobe für den Familienzusammenhalt zu werden.

Nachdem mich der erste Teil der Trilogie rund um die Schwestern am Ku’damm begeistern konnte, habe ich mich sehr gefreut, in diesem zweiten Teil mehr über Silvie zu erfahren. Beruflich läuft es gut für sie: Als Radiomoderatorin ist sie beliebt und sie feilt gerade an einem neuen Format, mit dem sie ihre Bekanntheit weiter steigern könnte. Vor allem ihr Vater erinnert sie aber immer wieder daran, dass es da auch noch ein Familienunternehmen gibt, das sie zumindest einige Stunden in der Woche unterstützen könnte.

Immer wieder spuken jedoch die Sätze „Kein Mann. Kein Haus. Kein Kind.“ in ihrem Kopf herum. Sie möchte gerne eine neue, ernsthafte Beziehung eingehen, doch dazu muss sie erst den Richtigen finden. Auf der Hochzeit ihrer Schwester lernt sie Wanja kennen, einen leidenschaftlichen Schauspieler, der erst vierundzwanzig ist. Er entspricht nicht ihrer Vorstellung des grundsoliden Mannes, nach dem sie Ausschau hält, geht ihr aber nicht mehr aus dem Kopf. In Sachen Liebe begleitet der Leser Silvie ebenso wie ihre Geschwister durch Höhen und Tiefen, die mich mitfiebern ließen.

Silvies Zwillingsbruder Oskar ist nach seiner Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft verändert: Er trinkt und feiert viel, fährt schnelle Autos und trifft fragwürdige Entscheidungen. Diese sorgen für unerfreuliche Entwicklungen und ich war neugierig, wie sich das auf die Dynamik innerhalb der Familie auswirken wird. Die Geschichte wird wie sein Vorgänger in zügigem Tempo erzählt und macht immer wieder Zeitsprünge von mehreren Monaten, taucht dann aber auch tiefer in einzelne emotionale Momente ein. Dadurch erhielt ich authentische und atmosphärische Einblicke ins Berlin der 1950er Jahre.

Auch wenn Silvie diesmal im Mittelpunkt steht und man einen tieferen Einblick in ihr Innenleben erhält erfährt man ebenso, wie es für ihre Geschwister und Freunde weitergeht. Außerdem werden einige Familiengeheimnisse gelüftet. Hier muss ich leider sagen, dass ich die Entwicklungen rund um das Thema Wer-hat-mit-wem zu dick aufgetragen fand. Am Ende überstürzen sich die Ereignisse und mir ging alles zu schnell. Doch natürlich weckt genau das auch die Neugier auf den dritten und letzten Teil, in dem Flori in den Mittelpunkt rückt.

Insgesamt ist „Die Schwestern vom Ku’damm: Wunderbare Zeiten“ eine gelungene Fortsetzung der Familiengeschichte im Berlin der 50er Jahre. Wer den ersten Teil mochte, der sollte unbedingt weiterlesen!

Veröffentlicht am 06.10.2019

Starke Frauenfiguren in den Bergen Kentuckys der 1930er Jahre

Wie ein Leuchten in tiefer Nacht
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Im Jahr 1937 nutzt die Engländerin Alice die Begegnung mit dem auf Europareise befindlichen Amerikaner Bennett, um aus ihrem beengenden Zuhause auszubrechen und ihm als seine Frau über den Ozean zu folgen. ...

Im Jahr 1937 nutzt die Engländerin Alice die Begegnung mit dem auf Europareise befindlichen Amerikaner Bennett, um aus ihrem beengenden Zuhause auszubrechen und ihm als seine Frau über den Ozean zu folgen. Doch schnell fühlt es sich für sie an, als hätte sie ein Gefängnis gegen das andere getauscht, denn nun lebt sie mit Bennett und seinem einschüchternden Vater in einer kleinen Mienenstadt in den Bergen Kentuckys. Als Frauen aufgerufen werden, dem Team der neuen Satteltaschen-Bücherei beizutreten, welche Bücher per Pferd ausliefern, meldet sie sich kurzentschlossen an. Für Alice ist es die perfekte Gelegenheit, aus dem Haus zu kommen und erste Freundschaften zu schließen. Doch nicht jeder sieht gern, dass sich die Lesefähigkeit abgelegen wohnenden einfachen Leute dank der Bücherei zunehmend verbessert.

Alice lernt der Leser kurz nach ihrer Ankunft in Kentucky kennen. Das Ankommen in ihrer neuen Heimat hat bei ihr Ernüchterung ausgelöst, denn es ist dort bei weitem nicht so aufregend, wie sie gehofft hat. Ihr Mann Bennett, der ihr auf seiner Europareise weltgewandt vorkam, erweist sich als gefühlskalter Mensch, der unter der Fuchtel seines Vaters steht. Dass sie mit ihm unter dem Dach wohnen und er im Zimmer neben dem ihren schläft trägt ebenfalls nicht zu einer Annäherung der Frischvermählten bei. Gut konnte ich Alice’ Entschluss verstehen, sich dem Bücherei-Team anzuschließen und sich damit ein Stück Freiheit zu sichern.

Um die Routen kennenzulernen, die sie mit Pferd und Büchern in Zukunft allein bewältigen muss, arbeitet Alice eng mit Margery O’Hare zusammen. Diese führt ein unabhängiges Leben und hat sich noch nie darum gekümmert, was andere über sie denken. Von ihrem Schwiegervater wird Alice darauf hingewiesen, dass Margery keine adäquate Gesellschaft sei, doch sie ist von ihr fasziniert und findet in ihr bald eine erste Freundin. Ich war gespannt, was die beiden gemeinsam erleben werden.

Zusammenhalt und Freundschaft spielen im Buch eine große Rolle. Die Autorin hat mit Alice, Margery und den anderen Bücherei-Mitarbeiterinnen starke Frauenfiguren geschaffen, die sich zu behaupten lernen und anderen helfen, es ihnen gleich zu tun. Ihre Begegnungen mit den Familien, die ihrem Service mehr oder weniger skeptisch gegenüberstellen, werden ebenso beschrieben wie die Auseinandersetzungen mit denen, die ihrer Tätigkeit ein Ende setzen wollen.

Ich fand das Verhalten der Charaktere leider an vielen Stellen vorhersehbar, wodurch es für mich wenige Überraschungen gab. Der Fokus liegt auf den weiblichen Charakteren, doch in der Konsequenz werden vor allem bei den Männerfiguren die Hintergründe ihres Handels kaum erklärt. Da gibt es die verständnisvollen Männer Sven und Fred, auf der anderen Seite den gefühlskalten Bennett, dessen Sinneswandel unerklärt bleibt, und seinen rücksichtlosen Vater, der jedes Klischee eines Bösewichts erfüllt.

Auf den letzten hundert Seiten wird es noch einmal besonders dramatisch, denn eine im Prolog beschriebene fatale Begegnung wird wieder aufgegriffen und die Charaktere müssen mit den weitreichenden Konsequenzen umgehen. Das Ende fühlte sich nach all den Herausforderungen, mit denen die Frauen zu kämpfen hatten, für mich zu sehr nach Heiler Welt an.

Insgesamt ist „Wie ein Leuchten in tiefer Nacht“ ein Roman über ganz verschiedene Frauen, die sich gegenseitig helfen und sich dabei zunehmend emanzipieren. Für meinen Geschmack war die Handlung aber zu vorhersehbar. Wer die bisherigen historischen Romane der Autorin mochte, der wird an diesem Buch sicherlich nicht vorbeikommen!

Veröffentlicht am 22.09.2019

Temporeicher Thriller für alle Fans des ersten Bandes

Erebos 2
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Vor ein paar Jahren habe ich mich von Ursula Poznanski in die Welt von Erebos entführen lassen und war sehr neugierig, was es nun mit der Fortsetzung auf sich hat. In dieser ist Erebos zurückgekehrt, und ...

Vor ein paar Jahren habe ich mich von Ursula Poznanski in die Welt von Erebos entführen lassen und war sehr neugierig, was es nun mit der Fortsetzung auf sich hat. In dieser ist Erebos zurückgekehrt, und nun kann es sich sogar selbst als App auf Handys und Computern installieren. Dadurch hat das Programm ganz neue Möglichkeiten, seine Spieler zu akquirieren und unter Druck zu setzen, um in seinem Sinne zu handeln. Denn freiwillig hätte Nick sicherlich niemals angefangen, wieder zu spielen. Aber was steckt diesmal dahinter? Wozu dienen die Aufgaben, die in der realen Welt ausgeführt werden müssen? Diese Frage ließ mich neugierig weiterlesen.

Der Roman greift aus dem ersten Teil bekannte Spielmechanismen auf und verknüpft sie mit neuen Ideen. Neben bekannten Charakteren gibt es auch Schüler wie Derek, die das Spiel neu entdecken und ganz unbedarft herangehen. Für meinen Geschmack gab es zu viele Parallelen zum ersten Teil und die Auflösung hat mich etwas enttäuscht.

Insgesamt ist „Erebos 2“ ein temporeicher Thriller für Jugendliche, an dem vor allem Fans des ersten Bandes nicht vorbeikommen werden!

Veröffentlicht am 21.09.2019

Das Leben einer italienischen Einwanderin in die USA

Die sieben oder acht Leben der Stella Fortuna
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Mariastella Fortuna wird 1920 im kleinen Dorf Ievoli in Kalabrien, der „Stiefelspitze“ Italiens, geboren. Sie ist das zweite Kind ihrer Eltern, das diesen Namen trägt, denn ihre fünf Jahre zuvor geborene ...

Mariastella Fortuna wird 1920 im kleinen Dorf Ievoli in Kalabrien, der „Stiefelspitze“ Italiens, geboren. Sie ist das zweite Kind ihrer Eltern, das diesen Namen trägt, denn ihre fünf Jahre zuvor geborene Schwester ist als Kleinkind gestorben. Inzwischen ist Stella eine über neunzig Jahre alte Frau, und ein jüngeres Mitglied der Familie Fortuna erzählt dem Leser ihre Geschichte. Sie hat bis kurz vor Beginn des 2. Weltkriegs in Italien gelebt und schließlich ein ganz neues Leben im Amerika begonnen. Dabei ist sie dem dem Tod in ihrem Leben sieben bis acht Mal haarscharf von der Schippe gesprungen.

Zu Beginn des Buches lernt der Leser die Erzählerin kennen, die berichtet, dass Stella, die seit ihrem letzten Beinahe-Tod vor dreißig Jahren kein Wort mehr mit ihrer Schwester Tina geredet hat, obwohl die beiden bis dahin beinahe unzertrennlich waren. Meine Neugier war durch die Frage, was wohl dahinter steckt, geweckt.

Danach springt die Geschichte rund hundert Jahre in die Vergangenheit und erzählt zunächst vom Kennenlernen der Eltern Stellas und dem Schicksal des ersten Kindes mit ihren Namen. Das machte mir das Umfeld verständlich, in das die zweite Stella hineingeboren wurde, und liefert auch Ansatzpunkte für Erklärungen im Hinblick auf das Verhalten ihrer Eltern. Ihr Vater bricht kurz nach ihrer Geburt nach Amerika auf und sie soll ihn in den folgenden Jahren kaum sehen, während sie in Italien ein einfaches Leben führt, das sie drei Nahtod-Erfahrungen machen lässt. Die fatalen Zwischenfälle geben Stellas Lebensgeschichte eine Struktur, sie sind namensgebend für die einzelnen Kapitel und bleiben nicht ohne Konsequenzen.

Der Umzug nach Amerika ist für Stella ein großer Einschnitt in ihrem Leben. Gemeinsam mit ihrer Familie lässt sie ihr gesamtes altes Leben hinter sich und muss sich in einem neuen Land auf einem neuen Kontinent zurechtfinden. In den USA bleiben die Italiener unter sich. Ohne Einbürgerung bekommt man nur schlechte und kräftezehrende Jobs, für den Test muss man jedoch Zeit haben, um Englisch und die entsprechenden Fragen zu lernen. Ich fand diese Einblicke in das Leben italienischer Einwanderer in den USA steht interessant.

Stellas Freiheitsgrade sind gering, sie ist wie ihre Mutter und ihre Geschwister stark vom Vater abhängig, der sich immer wieder abscheulich verhält. Sie muss ihr gesamtes verdientes Geld abgeben. Heirat der einzige Ausweg, den sie aber nicht gehen will und sie ist bereit, für ihre Meinung zu kämpfen. Die Geschichte hat viele Momente, die mich wirklich erschütterten. Ich möchte an dieser Stelle eine Triggerwarnung für Kindesmissbrauch aussprechen. Das Thema wird in diesem Buch ernst genommen, hätte aber noch stärker aufgearbeitet werden können. Viele Personen finden sich viel zu lange mit der Situation ab und fügen sich in ihr Schicksal. Diese „So war das nun mal, was hätten wir denn tun sollen“-Haltung hat mich wütend gemacht. Stella ist das einzige Familienmitglied, das immer wieder aufbegehrt und ausbrechen will und dadurch als stur und sonderbar bezeichnet wird und die Konsequenzen zu spüren bekommt.

„Stella Fortuna“ ist eine Familiengeschichte über eine Kindheit in Italien und eine Auswanderung in die USA. Die namensgebende Protagonistin kommt nicht nur viele Male auf verschiedenste Wege beinahe zu Tode, sondern ist auch in Familienstrukturen gefangen, die ihre Möglichkeiten stark einschränken. Es gibt immer wieder kleine Momente des Glücks, insgesamt ist die Geschichte jedoch bedrückend und ließ mich mit Stella mitfühlen, die sich trotz allem nicht brechen lässt und ihren Weg gehen wird.