Cover-Bild Graue Bienen
24,00
inkl. MwSt
  • Verlag: Diogenes
  • Themenbereich: Belletristik - Belletristik: zeitgenössisch
  • Genre: Romane & Erzählungen / Sonstige Romane & Erzählungen
  • Seitenzahl: 448
  • Ersterscheinung: 24.07.2019
  • ISBN: 9783257070828
Andrej Kurkow

Graue Bienen

Sabine Grebing (Übersetzer), Johanna Marx (Übersetzer)

Der Bienenzüchter Sergej lebt im Donbass, wo ukrainische Kämpfer und prorussische Separatisten Tag für Tag aufeinander schießen. Er überlebt nach dem Motto: Nichts hören, nichts sehen – sich raushalten. Ihn interessiert nur das Wohlergehen seiner Bienen. Denn während der Mensch für Zerstörung sorgt, herrscht bei ihnen eine weise Ordnung. Eines Frühlings bricht er auf: Er will die Bienen dorthin bringen, wo sie in Ruhe Nektar sammeln können.

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 05.12.2019

Graue Bienen

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Sergej liebt seine Bienen. Er züchtet sie in einer Region die vom krieg beherrscht wird. Der Donbass ist Treffpunkt und Kampfplatz von ukrainischen Kämpfern und prorussischen Separatisten. Aber Sergej ...

Sergej liebt seine Bienen. Er züchtet sie in einer Region die vom krieg beherrscht wird. Der Donbass ist Treffpunkt und Kampfplatz von ukrainischen Kämpfern und prorussischen Separatisten. Aber Sergej hat nur eines im Sinn - sich aus allem rauszuhalten. Ihn interessieren seine Bienen, nicht der Krieg und dafür unternimmt er alles....auch eine Umsiedlung seiner Geschöpfe.

Andrej Kurkow hat einen extrem atmosphärischen, ruhigen und tiefgründigen Roman verfasst. „Graue Bienen“ nimmt einen als Leser komplett ein. Kurkows Schreibstil ist rein und klar. Er lässt Protagonist Sergej erzählen und wir können sehr tief in seine Gedankenwelt eintauchen. Sergej ist keineswegs ein Mensch, der die Vogel-Strauß-Politik betriebt. Er will sich nicht verstecken, er bekommt schon alles genau um sich herum mit aber er will seine kostbare Zeit einfach nicht damit vergeuden. Er möchte das seine Bienen leben können und unternimmt besondere Wege dafür. Kurkows Roman hat mich komplett verzaubert. Er beschreibt eine politische Situation die komplett aus dem Leben gegriffen ist und einen Erzähler, der mehr Gefühl hat, als man sich nur vorstellen kann. So eine Mischung in einen Roman unterzubringen, ist nicht einfach aber Kurkow hat es perfekt geschafft! Da bekommen selbst Grenzsoldaten eine gewisse Menschlichkeit verpasst und mit Sätzen wie „...damit nicht auch noch der Honig nach Krieg schmeckt...“ hat sich Kurkow irgendwie unsterblich gemacht. Seine Art zu erzählen, egal ob über Bienen oder über Menschen, ist einmalig und besonders. Ebenso die daraus zu schließenden Verbindungen/Assoziationen sind einfach nur bemerkenswert.

Dieses Buch erhält eine klare Leseempfehlung von mir!

Veröffentlicht am 04.11.2019

Der Herr der Bienen

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Das ist Sergej, der im Donbass, genau auf der Frontlinie, in einem kleinen menschenleeren Dorf lebt - mit seinen Bienenstöcken und mit Paschka, seinem Kindheitsfeind: die beiden, die allein zurückgeblieben ...

Das ist Sergej, der im Donbass, genau auf der Frontlinie, in einem kleinen menschenleeren Dorf lebt - mit seinen Bienenstöcken und mit Paschka, seinem Kindheitsfeind: die beiden, die allein zurückgeblieben sind und daher gezwungen sind, zumindest einen minimalen Kontakt zu halten. Was gar nicht so schlecht klappt und sich mit der Zeit intensiviert. Sergej zumindest - aus seiner Perspektive ist der Roman geschrieben - denkt irgendwann sogar mit einer gewissen Zuneigung, die ihn selbst verwundert, an Paschka.

Ansonsten gibt es Besuche von Soldaten beider Seiten - zu Paschka kommt einer der Separatisten, bei Sergej ist es Petro, der die Ukraine verteidigt. Sergej selbst ist neutral, er fühlt sich nicht als Kriegsführender.

So verlässt er irgendwann mitsamt seiner Bienen den Dobass, um ihnen ein ruhigeres Fleckchen zu gönnen - und möglicherweise mehr und besseren Honig zu gewinnen. " Hinter ihm lag der Krieg, an dem er nicht teilnahm, dessen Einwohner er nur war. Kriegseinwohner." (S. 199)

Wobei ihn die Einsamkeit meist nicht störte "...die Menschenleere half, sich mit dem Leben besser zu verstehen." (S. 247)

Unterwegs macht er in einer Gegend halt, in der er ein ruhiges Fleckchen für seine Bienen und eine nette Frau - seine eigene hat ihn mitsamt der Tochter vor einigen Jahren verlassen - findet und sich wohlfühlt, bis er wortwörtlich mit einem Beil davongetrieben wird. Nicht von der Frau natürlich.

Weiter verschlägt es ihn auf die Krim, wo er seinen Kumpel, den Bienenzüchter Achtem besuchen und dort seine Bienenstöcke für ein Weilchen aufstellen will. Doch er trifft nur Frau und Kinder an - Schreckliches ist hier geschehen und passiert weiterhin, Sergej wird Zeuge der Benachteiligung der Krimtataren, um es mal zivilisiert auszudrücken.

Das alles schildert Andrej Kurkow mit einer Warmherzigkeit und einem Augenzwinkern, die mich ein bisschen an "Owen Meany" von John Irving erinnerte - einfach durch die Atmosphäre und Mentalität, die den Roman durchdringt. Sergej ist ein Mann, der sich trotz wiederholter Schicksalschläge dem Leben stellt und versucht, ihm die Hand zu reichen.

Wir begegnen Menschen, die im Einklang mit der Natur leben, bzw. lebten, bis diese sich quasi über ihren Kopf hinweg verändert. Gewissermaßen ist dies also auch ein Ökoroman: mir hat er deutlich gemacht, wie sehr Krieg und Natur aufeinander einwirken. Die Schilderung der Bewohner sowohl des Donbass als auch der Krim sowie des "Dazwischen" hat mich förmlich umgehauen - ich habe noch nie eine so klare Darstellung des Umstandes, dass Menschen trotz unterschiedlicher Religion und Mentalität die gleiche Arbeit machen und sehr ähnliche Ängste und Sorgen haben, gelesen.

Sergej passiert eine Grenze nach der anderen, doch für ihn ist das immer noch ein Land, die Ukraine eben, an die permanenten Kontrollen kann er sich nicht gewöhnen. Und Kurkow wäre nicht Kurkow, wenn er die Gelegenheit auslassen würde, auch die Grenzposten in ihrer Menschlichkeit darzustellen - auf die eine oder andere Art.
Mich selbst gemahnte das an einen ganz anderen Krieg, der auch in weiten Teilen auf dem ehemaligen Gebiet der Sowjetunion ausgetragen wurde und nun schon über 75 Jahre zurückliegt. Vieles ist anders, aber nicht die Not der Menschen. Und auch nicht der Stellungskrieg, jedenfalls nicht wesentlich.

Es gab viele Romane und Ähnliches zum Thema Bienen in letzter Zeit - auch wenn mir viele davon gut gefallen haben, ist dieser mein absolutes Highlight. Denn Hilflosigkeit und Zuversicht in Einklang zu bringen und die Lebewesen - Menschen und Bienen gleichermaßen - und ihre Bedürfnisse in den Vordergrund zu stellen, das kann so nur Kurkow. Vor Jahren hatte mich sein Roman mit Pinguin, also "Picknick auf dem Eis" in Entzücken versetzt. Ich habe noch einiges von ihm gelesen, aber auch wenn ich die direkten Nachfolger sehr mochte, fand er aus meiner Sicht nicht mehr zu dem damaligen Niveau zurück. Jetzt, durch die Bienen, ist es ihm gelungen. Mal sehen, mit welchem Tier bzw. Lebewesen es ihm das nächste Mal gelingt!