Profilbild von schnaeppchenjaegerin

schnaeppchenjaegerin

Lesejury Star
online

schnaeppchenjaegerin ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit schnaeppchenjaegerin über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 09.11.2019

Etwas plakative Darstellung der Kämpfe der Frauen für mehr Gleichberechtigung - unterhaltsam und im Zeitgeist der 1950er, aber etwas oberflächlich und mit eindimensionalen Charakteren

Die Frauen vom Nordstrand - Eine neue Zeit
0

Anni ist 24 Jahre alt, als sie immer mehr Verantwortung für den Hotelbetrieb in der "Seeperle" ihrer Eltern übernehmen möchte. Ihr Vater Ole ist aus der Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt und müde. Er ...

Anni ist 24 Jahre alt, als sie immer mehr Verantwortung für den Hotelbetrieb in der "Seeperle" ihrer Eltern übernehmen möchte. Ihr Vater Ole ist aus der Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt und müde. Er sieht keinen Sinn darin, das Haus zu modernisieren und möchte einfach, dass alles so bleibt wie bisher. Er ignoriert, dass die Frauen während seiner Abwesenheit das Zepter übernommen haben und das Hotel, nachdem es während des Krieges als Krankenlager genutzt wurde, erfolgreich weiter geführt haben. Zusammen mit dem ehemaligen verletzten Soldaten Hans, der im Rollstuhl sitzt, schafft es Anni ihren Vater zu einer Renovierung des Hotels zu überreden und ihre Ideen für einen modernen Hotelbetrieb umzusetzen.
Während des Umbruchs lernt Anni Edith und Helena kennen, die beide neu in St. Peter sind. Helena übernimmt die Praxis des Allgemeinmediziners, während Lehrerin Edith für die Betreuung von Kindern in dem Nordseebad zuständig ist. Die drei werden zu besten Freundinnen und halten bei ihren persönlichen Kämpfen für mehr Gleichberechtigung der Frauen fest zusammen.

"Die Frauen vom Nordstrand. Eine neue Zeit" ist der Auftakt der "Zeitenwende-Saga" von Marie Sanders. Der Roman handelt im Jahr 1953 in St. Peter an der Nordsee, eine Zeit, die nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der Rückkehr zu Normalität, von Neuanfängen und Wiederaufbau bestimmt ist, auch wenn die erlebten Traumata und Verluste ihre Spuren hinterlassen und die Menschen geprägt haben.
Anni ist eine junge patente Frau, die ihren eigenen Weg gehen möchte und von einem florierenden Hotel träumt, das sie eigenverantwortlich führen kann. Sie kämpft für ihren Traum, auch wenn ihr von den Männern, insbesondere von ihrem Vater, aber auch von ihrem Verlobten und späteren Ehemann Hinnerck sowie von der männerdominierten Gesellschaft immer wieder Steine in den Weg gelegt werden.
Das Hauptaugenmerk des Romans liegt auf Anni und der "Seeperle", im weiteren Verlauf spielen aber auch die Schicksale von Edith und Helena, die man nicht erahnen konnte, eine immer größere Rolle. Beide müssen schreckliche Ereignisse der Vergangenheit verarbeiten. Davon geprägt, kämpft jede auf ihre Art für mehr Rechte für die Frau, während in der Politik nur schleppend das Gleichberechtigungsgesetz diskutiert wird.

"Die Frauen vom Nordstrand" versetzt den Leser sehr anschaulich an die Nordsee und erzählt die Geschichte rund um Anni, Edith und Helena von März bis Winter 1953. Es ist ein flüssig geschriebener Roman über drei ganz unterschiedliche Frauenschicksale, die perfekt in die damalige Zeit passen.
Mir war die Handlung gerade zu Anfang zu plakativ, die Charaktere eindimensional und die Dialoge zu seicht. Das änderte sich zwar im Verlauf des Romans, als die Charaktere mehr Konturen bekamen und die Erzählung durch die drei Handlungsstränge vielfältiger wurde und mehr Tiefgang erhielt. Dennoch dominierte im Gesamtverlauf eine männerfeindliche Grundstimmung. Bis auf den behinderten Hans, der die Damen schon fast überbetont höflich behandelte, zeichnete sich jeder männliche Charakter durch schlechtes Benehmen, frauenverachtendes und gewalttätiges oder anderweitig kriminelles Verhalten aus.

Die Frage nach mehr Gleichberechtigung für die Frauen bewegte die Frauen der damaligen Zeit und ist noch heute ein wichtiges Thema, da es schlichtweg immer noch zu große Unterschiede zwischen den Geschlechtern gibt, die von Nachteil für die Frauen sind. Dennoch waren mir die persönlichen Kämpfe der Frauen zu plump umgesetzt, während man gleichzeitig keine Details zu den Vorgängen in der Politik und der Gesellschaft erhielt. Auch passieren manche Ereignisse so schnell aufeinander, dass es für die wenigen Monate, die der Roman erzählt, unwirklich viel ist.

Im Gegensatz zu anderen ersten Teilen einer Reihe ist Band 1 der "Zeitenwende-Saga" kein in sich geschlossener Roman. Am Ende bleiben alle Erzählstränge offen und gerade für Anni beginnt das Ende mit einem Umbruch, so dass man gezwungen ist, auch Band 2 "Schicksalswende" zu lesen, der im Mai 2020 erscheint.

Veröffentlicht am 08.11.2019

Berührende Geschichte über das Leben und den Tod, die sich jedoch in vielen Einzelgeschichten verliert

Unter den hundertjährigen Linden
0

Violette Toussaint ist Anfang 50 und arbeitet als Friedhofswärterin in einem kleinen Ort in Burgund. Sie lebt allein und zurückgezogen, hat jedoch ein offenes Ohr für die Trauernden und Besucher des Friedhofs. ...

Violette Toussaint ist Anfang 50 und arbeitet als Friedhofswärterin in einem kleinen Ort in Burgund. Sie lebt allein und zurückgezogen, hat jedoch ein offenes Ohr für die Trauernden und Besucher des Friedhofs. Sie hat sich mit dem gleichförmigen Leben arrangiert und ist auf ihre Weise zufrieden damit, scheint nicht mehr viel vom Leben zu erwarten.
Julian Seul aus Marseille kommt auf sie zu, als seine Mutter verstorben ist und als letzten Wunsch angegeben hat, auf dem Friedhof in Burgund neben einem Verstorbene beerdigt zu werden, den Julien nicht kennt. Er fragt sich, was seine Mutter ihm im Laufe ihres Lebens verschwiegen hat und kann anhand ihres Tagebuches recherchieren.
Violette ist neugierig auf Julien und möchte ihn bei der Bestattung seiner Mutter unterstützen. Dabei werden bei ihr Erinnerungen wach, denn sie selbst trauert nach einem Unglücksfall im Sommer 1993 um einen geliebten Menschen, den sie verloren hat und der ihr einziger Halt im Leben war.

Es ist ein ruhig erzählter Roman, der sich sehr gemächlich entwickelt. Als Leser taucht man in den monotonen Alltag von Violette ein und spürt von Anbeginn, dass mehr hinter ihrer Zurückgezogenheit und Distanz zu anderen Menschen stecken muss. Als Waisenkind geprägt, hat sie es sich aus Angst vor Ablehnung angewöhnt, nicht anzuecken und möglichst unscheinbar zu sein. Ihr Leben umgeben von Toten wirkt wie eine Flucht, um sich vor Schwierigkeiten und Verletzungen zu schützen. Im weiteren Verlauf gibt Violette mehr von sich preis und über Rückblenden und Erinnerungen erfährt man ihre tragische Lebensgeschichte und bekommt damit eine Erklärung für ihr Einzelgängertum. Dabei werden weitere Erzählstränge eröffnet, die die unglücklichen Geschichten weiterer Personen erzählen, denen Violette bei der Aufklärung des Unglücks begegnet.

Es ist eine berührende Geschichte über das Leben und den Tod, bei der man geduldig sein muss, bis Violette für den Leser nahbarer wird. Es ist ein bittersüßer Roman über das Leid, das widerfahren kann, der aber auch zeigt, wie widerstandsfähig der Mensch ist und dass es selbst nach tragischen Ereignissen und Verlusten die Chance auf einen Neuanfang und Glück im Leben gibt. Das erfordert jedoch Mut und die Bereitschaft, sich zu öffnen zu Vertrauen zu haben, die eigene verletzliche Seite zu zeigen.

"Unter den hundertjährigen Linden" ist eine gefühlvolle Erzählung, die zunächst den Fokus auf Violette hat und sich dann in mehreren Einzelgeschichten verliert. Die Perspektivwechsel und sprunghaften Zeitenwechsel empfand ich als zu viel und vermisste nach der Hälfte des Romans einen roten Faden. Die Liebesgeschichten konnten mich neben all der Tragik nicht berühren.

Veröffentlicht am 06.11.2019

Nicht immer ganz glaubwürdige Handlung, sorgt jedoch mit einer süßen Liebesgeschichte in New York für Feel-Good-Stimmung zur Weihnachtszeit

Winterzauber im Central Park
0

Es ist der erste Dezember, als Lara von ihrem Freund Dan verlassen wird, dem die Beziehung in dem beschaulichen englischen Dorf Appleshaw zu eng geworden ist. Um Lara auf andere Gedanken zu bringen, überredet ...

Es ist der erste Dezember, als Lara von ihrem Freund Dan verlassen wird, dem die Beziehung in dem beschaulichen englischen Dorf Appleshaw zu eng geworden ist. Um Lara auf andere Gedanken zu bringen, überredet ihre beste Freundin Susie sie dazu, mit ihr nach New York zu fliegen. Zudem nutzt Susie Laras Twitter-Account um mit Prominenten in Kontakt zu treten, mit denen Lara Dan eifersüchtig machen soll. Tatsächlich reagiert der amerikanische Schauspieler Seth Hunt, mit dem sich Lara im Central Park verabredet. Susies Plan war Lara zwar nicht ganz geheuer, aber als sie Seth kennenlernt, entwickelt sich aus einer anfänglichen Sympathie mehr, als nur gemeinsame Fotos in sozialen Netzwerken zu posten, um sein Image zu verbessern oder Dan eifersüchtig zu machen.

"Winterzauber im Central Park" ist der zweite Weihnachtsroman von Mandy Baggot, den ich nach "Winterzauber in Manhattan" gelesen habe, der aber leider nicht annähernd so zauberhaft ist.
Die Geschichte fängt die Stimmung zur Vorweihnachtszeit mit Schneefall und frostigen Temperaturen, Weihnachtsmärkten in New York City, Besuchen von diversen namhaften Restaurants und Cafés sowie Shopping bei Macy's oder Tiffany's wirklich anschaulich ein, aber die Handlung ist von Beginn an einfach zu konstruiert, dass man dies auch nicht als süßes Weihnachtsmärchen abtun kann. Bei so manch abwegiger Szene oder aufgesetztem Dialog kann man einfach nur den Kopf schütteln. Einen Lemur aus einem Baum retten? Obdachlose zum Grillen zu sich nach Hause einladen? Ein Rentier durch New York führen? Eine Engländerin, die sich freut in New York endlich einmal europäisches Bier zu trinken?

Die Autorin versucht zwar durch Themen wie soziale Herkunft, Abstammung, Unterschiede von Arm und Reich sowie die Suche nach den eigenen Wurzeln dem Roman ein wenig Tiefe zu verleihen, aber letztlich bleiben diese nur Schlagworte, die von überwiegend unreifen und oberflächlichen Charaktere und einer vorhersehbaren Liebesgeschichte überlagert werden.

Das Buch liest sich jedoch leicht und wer auf der Suche nach ein bisschen Feel-Good-Stimmung zur (Vor-)weihnachtszeit ist und sich nicht an einer phasenweise überzogenen bis unrealistischen Handlung stört, wird sich zumindest mit allen Sinnen in den "Big Apple" versetzen lassen können.

Veröffentlicht am 25.10.2019

Historischer Roman mit Krimielementen über Freundschaft, qualvolle Erinnerungen, Schuldgefühle und Wahrheitssuche - langatmig erzählt

Die Schuld jenes Sommers
0

Während eines Bombenangriffs im April 1942 verschwindet der sechsjährige Davy spurlos, als Frances auf ihn aufpassen sollte. Schuldbewusst sucht sie die darauf folgenden Tage verzweifelt nach ihm.
In ...

Während eines Bombenangriffs im April 1942 verschwindet der sechsjährige Davy spurlos, als Frances auf ihn aufpassen sollte. Schuldbewusst sucht sie die darauf folgenden Tage verzweifelt nach ihm.
In dem zerstörten Bath werden währenddessen die sterblichen Überreste von Wyn, Frances bester Freundin gefunden, die vor 24 Jahren verschwunden war. Damals hatte man einen österreichischen entflohenen Kriegsgefangenen als ihren vermeintlichen Mörder zum Tode verurteilt. Durch den Fund der Leiche zweifelt Frances inzwischen daran, dass der richtige Täter zur Verantwortung gezogen wurde und beginnt sich zu fragen, ob der Täter von damals auch mit Davys Verschwinden in Zusammenhang stehen könnte. Sie kann einfach nicht glauben, dass der Junge in der Bombennacht ums Leben gekommen ist.

Frances ist eine junge Frau, die den Verlust ihrer besten Freundin nie überwunden hat. Ihr Leid und Schmerz und die Tatsache, dass sie nie glücklich geworden ist, ist spürbar. Als 24 Jahre später das Skelett von Wyn gefunden wird und Gewissheit herrscht, dass sie einem Verbrechen zum Opfer gefallen ist, erinnert sich Frances wieder an ihre Kindheit ab dem Jahr 1916. Sie denkt daran zurück, wie sie Wyn kennengelernt und sich mit dem dünnen, armseligen Mädchen angefreundet hat, das aus einer Familie stammte, in der Gewalt an der Tagesordnung war.
Als Frances Davy, für den sie verantwortlich war, während der Bombardierung von Bath verliert, übermannen sie die Schuldgefühle. Zudem kommen Erinnerungen in ihr hoch, die sie zunächst nicht einordnen kann, Dinge, die sie damals verschwiegen hatte.

Es ist ein Roman mit einem eigentlich spannenden Plot, der auf zwei Zeitebenen spielt, der aber etwas langatmig erzählt wird. Sowohl die Gegenwart als auch die Vergangenheit - zu Zeiten eines der beiden Weltkriege - handelt von einem vermissten Kind, das für Frances jeweils eine wichtige Rolle in ihrem Leben spielte. Die Suche nach Davy ist allerdings repetitiv und eintönig, Frances Erinnerungen an ihre Kindheit, die aufgrund Wyns dysfunktionaler Familie erschütternd sind, dagegen von mehr Ideenreichtum geprägt. Dass der falsche Täter gefasst wurde, ist offensichtlich und so beginnt man als Leser selbst Vermutungen anzustellen, wer am Tod von Wyn Schuld ist und hofft, dass Frances endlich abschließen und zur Ruhe kommen kann. Auch ist fraglich, ob es nur Frances Wunschvorstellung entspricht, dass Davy die Bombennacht überlebt hat oder ob er unter den Trümmern begraben liegt.

"Die Schuld jenes Sommers" ist ein historischer Roman mit Krimielementen über Freundschaft, qualvolle Erinnerungen, Schuldgefühle und die Suche nach Wahrheit. Frances ist eine traumatisierte, gebrochene Frau, die sich der Vergangenheit stellen muss, davor jedoch eine seltsame Abneigung hat. Es ist etwas ermüdend, immer wieder sich wiederholenden Sätze zu lesen, die in Frances Verzweiflung in ihrem Kopf herum schwirren und dadurch wird auch die Aufklärung von Wyns Verschwinden nicht enden wollend in die Länge gezogen. Am Schluss kam zwar doch noch die bislang vermisste Spannung auf und auch die Klärung des Falls war so nicht vorhersehbar, aber selbst nach der Auflösung schafft es die Autorin noch das Ende weiter hinauszuzögern.

Veröffentlicht am 19.10.2019

Geschichte über das Heranwachsen eines Mädchens in einem sozial schwachen Milieu - etwas belang- und emotionslos geschrieben

Die Geschichte einer anständigen Familie
0

Maria de Santis wächst in den 1980er-Jahren in Bari in Süditalien zusammen mit ihren beiden Brüder Giuseppe und Vincenzo bei ihren Eltern heran. Maria ist ein Wildfang und sieht mit ihrer dunkleren Hautfarbe ...

Maria de Santis wächst in den 1980er-Jahren in Bari in Süditalien zusammen mit ihren beiden Brüder Giuseppe und Vincenzo bei ihren Eltern heran. Maria ist ein Wildfang und sieht mit ihrer dunkleren Hautfarbe etwas exotischer aus als die anderen Kinder in ihrer Umgebung. Unter den Gleichaltrigen fällt sie auf und ist nicht besonders beliebt. Sie wehrt sich gegen gemeine Mitschüler, was ihr auch innerhalb der Familie den Spitznamen "Malarcarne" (Teufelsbraten) einfängt.

Ihr bester Freund wird Michele, in den sie sich später verliebt. Dieser gehört allerdings einer Familie an, die von den Einwohnern Baris ausgeschlossen wird und die auch Marias Vater als Feindbild sieht. Er verbietet ihr in seiner tyrannischen Art den Umgang mit Michele. Trotz ihres Freiheitsdranges fügt sich Maria aus Angst vor dem Jähzorn ihres Vaters seinem Willen bis sie als erwachsene Frau ihre Gefühle nicht mehr unterdrücken kann und möchte.

Mir fiel es schwer, mich in den Roman einzufinden, da man zu Beginn mit sehr vielen Namen von Familienmitgliedern, Mitschülern und Stadtbewohnern konfrontiert wird, die sich in der Masse auf einmal gar nicht so leicht einordnen lassen. Es folgt eine Beschreibung der Kindheit und Jugend von Maria, die sich nirgendwo wirklich zugehörig fühlt. Bis auf Michele, der selbst ein Außenseiter ist, hat sie keine engen Freunde und in ihrer Familie herrscht ihr Vater als autoritärer Patriarch, der vor Drohungen und Gewalt nicht zurückschreckt. Die Mutter ordnet sich ihm unter flüchtet sich in Fantasien, dass der Geist ihrer toten Schwester noch im Haus ist und ihr beisteht.

Man wird an einen Ort versetzt, in dem Kriminalität und Gewalt zwischen den Familien in den späten 1980er-/ frühen 1990er-Jahren allgegenwärtig sind und nicht weiter hinterfragt werden. Die Atmosphäre des Romans ist deshalb eher düster, auch wenn am Beispiel des älteren Bruders Giuseppe gezeigt wird, dass ein Ausbruch aus dem monotonen, armseligen Leben in der Kleinstadt möglich ist. Dies wünscht man auch Maria, die intelligent genug erscheint, die Stadt und die Verbote ihres Vaters hinter sich zu lassen.

Trotz der Erzählungen aus ihrer Sicht über knapp zehn Jahre bleibt Maria unnahbar und ihre Gefühlswelt verborgen. Es ist schwer nachzuvollziehen, was sie für ihre Mutter, ihren Vater und Michele wirklich empfindet. Gerade in Bezug auf Michele waren ihre Emotionen so zurückhaltend, dass die Frage offen blieb, ob sie ihn tatsächlich liebt oder nur als Gelegenheit nutzt, um aus ihrer Familie ausbrechen zu können und vor allem ihrem Vater seine Grenzen aufzuzeigen.

"Die Geschichte einer anständigen Familie" ist eine Geschichte über das Heranwachsen eines Mädchens in einem sozial schwachen Milieu, die einen halbherzigen Versuch unternimmt, aus der Enge von Kleinstadt und Familie auszubrechen. Es ist keine Geschichte über die Familie de Santis - dafür ist sie in Bezug auf die Charaktere zu oberflächlich und zu kurz gefasst.
Für mich plätscherte die Geschichte ohne merkliche Höhepunkte dahin - mir fehlten Spannungsmomente und Emotionen, Maria blieb mir zu passiv und unnahbar und ich hatte Schwierigkeiten mich in ihre Gefühlswelt hineinzudenken.