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Veröffentlicht am 26.11.2019

Ein nachdenklich stimmendes Buch

Die Frau, die nicht alterte
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„Das Alter ist ein Triumph.“

So endet „Die Frau, die nicht alterte“ von Grégoire Delacourt, ein Buch, das sich mit dem Altern – oder vielmehr Nicht-Altern – befasst. Erzählt wird die Geschichte von Martine, ...

„Das Alter ist ein Triumph.“

So endet „Die Frau, die nicht alterte“ von Grégoire Delacourt, ein Buch, das sich mit dem Altern – oder vielmehr Nicht-Altern – befasst. Erzählt wird die Geschichte von Martine, die mit dreißig Jahren aufhört, äußerlich älter zu werden. Zunächst fällt dies gar nicht auf, doch ein auf Jahrzehnte angelegtes Foto-Projekt, dessen Teilnehmer jedes Jahr fotografiert werden, bringt es ans Licht: Man sieht ihr das wahre Alter einfach nicht an. Was zunächst klingt wie der Traum vieler Frauen, wird mehr und mehr zur Last. Ihr Ehemann, der mit Martine alt werden wollte (und das buchstäblich), zieht sich zurück. Ihr kleiner Sohn wird zum Jugendlichen, zum jungen Erwachsenen, zum Erwachsenen, doch seiner Martine sieht man zusehends weniger an, dass sie seine Mutter ist. Ihre beste Freundin Odette hadert mit dem eigenen Alter und unternimmt alles, um jung auszusehen – ohne jedoch darin das erhoffte Glück zu finden. Schließlich sieht Martine nur noch einen Ausweg und trifft eine drastische Entscheidung.

Ich brauchte eine Weile, um mich auf den Roman einlassen zu können, denn der Erzählstil ist sachlich, ja nüchtern: Chronikartig werden Martines erste Lebensjahre beschrieben, darunter auch Kleinigkeiten und (scheinbare) Belanglosigkeiten, wie „Seitdem ich abgestillt war, trank ich einen halben Liter Kuhmilch pro Tag … Mit drei Jahren ergänzten vier große Backenzähne die Sammlung in meinem Mund, die schon acht Schneidezähne, vier kleine Backenzähne und vier Eckzähne umfasste.“ (Pos. 16ff.)

Diese Nebensächlichkeiten zeigen, dass die ersten drei Lebensjahrzehnte der Protagonistin nicht im Geringsten erahnen lassen, welches merkwürdige Schicksal ihr beschieden ist, machten mir den Einstieg in den Roman aber auch etwas zäh. Dies änderte sich jedoch, als Martines fehlendes Älterwerden bemerkt wird und sie selbst sowie ihre Umwelt mit diesem denkwürdigen Umstand umgehen muss. Von diesem Moment an hatte mich die Geschichte gepackt und ließ mich auch lange nach Beendigung der Lektüre nicht mehr los: Wie wäre es tatsächlich, (äußerlich) nicht mehr zu altern? Ist das überhaupt erstrebenswert? Wie muss es sich anfühlen, wenn der eigene Sohn einen bittet, sich als Cousine auszugeben, weil er seiner Freundin unmöglich eine solch junge Frau als seine Mutter vorstellen kann? Ist Schönheit zwangsläufig nur mit Jugend gleichsetzbar? Warum fällt es vielen so schwer, sich mit dem alternden Äußeren zufriedenzugeben?

Fazit: Ein sanftes, stilles Buch, das zum Nachdenken (nicht nur) über das Altern anregt und das ich empfehlen kann.

Veröffentlicht am 23.09.2019

Eine Reise zu sich selbst (?)

Das flüssige Land
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Unversehens wird die Physikerin Ruth – labil, tablettenabhängig, seit Jahren in der Forschung zu ihrer Habilitationsschrift feststeckend – mit dem Unfalltod ihrer Eltern konfrontiert. Sie haben verfügt, ...

Unversehens wird die Physikerin Ruth – labil, tablettenabhängig, seit Jahren in der Forschung zu ihrer Habilitationsschrift feststeckend – mit dem Unfalltod ihrer Eltern konfrontiert. Sie haben verfügt, in ihrem Heimatort Groß-Einland bestattet zu werden, ein Wunsch, den Ruth ihnen selbstverständlich erfüllen will. Doch Groß-Einland findet sich auf keiner Landkarte, in keinem Navigationssystem, in keinem Katasteramt: In ganz Österreich findet sich kein Groß-Einland. Ruth macht sich dennoch auf die Suche nach diesem scheinbar nicht existenten Ort, geleitet von den Erinnerungen an die Erzählungen ihrer Eltern. Da gab es doch diesen Heurigen mit der tausendjährigen Eiche, von dem ihr Vater erzählte, und man konnte mit einer Leiter in den Untergrund steigen, wie ihr die Mutter berichtete … Tatsächlich findet Ruth den Ort, dessen Einwohner seltsam und freundlich zugleich sind, verschlossen und willkommen heißend, tatkräftig und gleichzeitig verängstigt. Die pittoreske Kleinstadt wird von der undurchsichtigen ‚Gräfin‘ beherrscht, die die Regeln und Gesetze aufstellt, der alle gehorchen, bei der alle Fäden – die persönlichen, geschäftlichen, finanziellen, geschichtlichen – zusammenlaufen. Sie bietet Ruth an, im Ort zu bleiben, im Haus ihrer Eltern. Ruth soll ihr dabei helfen, das größte Problem Groß-Einlands in den Griff zu bekommen: Unter dem Ort erstreckt sich ein gigantischer Hohlraum, dessen Ursprung Jahrhunderte zurückreicht und dessen Ausmaß niemand erfassen kann. Ruth nimmt das Angebot an und verliert sich alsbald in diesem traumartigen, unwirklichen Ort, der sie immer weiter von ihrem alten Leben und der Realität entfernt und dabei zusehends verfällt …

Das flüssige Land ist ein faszinierender, vielschichtiger Roman, der aus meiner Sicht vollkommen zu Recht auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises steht. Raphaela Edelbauer bedient sich zahlreicher Erzählmotive, die man eigentlich aus anderen Epochen oder Genres kennt: aus dem mittelalterlichen Heldenepos, der schwarzen Romantik, aus Märchen und Legenden: Der unbedarfte, uneingeweihte Held – bzw. in diesem Fall die Heldin – wird mit einer Aufgabe betraut, die nur sie bewältigen kann. Dazu muss sie sich nach dem einen oder anderen Irrweg und durch höchst unwegsames Gelände an einen geheimnisvollen, verborgenen Ort begeben, der der wirklichen Welt ähnelt, aber doch deutliche Züge einer Anderswelt trägt, an der eigene Gesetze herrschen, die Zeit in einem anderen Tempo vergeht und die von einer omnipotenten Antagonistin beherrscht wird. Diese Anderswelt sieht sich einer Bedrohung ausgesetzt, die nun von der Protagonistin bekämpft werden soll. Doch diese muss sich letztlich die Frage stellen, wen oder was sie eigentlich retten will: ihre neue, vom Verfall bedrohte Heimat oder doch lieber sich selbst?

Gleichzeitig lässt sich der Roman mit seinen Bezügen zur Vergangenheit, insbesondere zur NS-Zeit als Parabel für einen unzureichenden, misslungenen, halbherzig rechtfertigenden Umgang mit der eigenen Geschichte lesen. Oder als Parodie auf all den Unrat, der lieber unter den Teppich gekehrt bzw. in das alles verschlingende Loch gekippt wird, um die adretten Fassaden nicht zu beeinträchtigen, der früher oder später aber doch jede Fassade zum Einsturz bringt, mag man auch noch so viele Korrekturen und Makulaturen vornehmen.

Es war für mich ein echtes Erlebnis, diesen vielfältigen, sprachlich bemerkenswerten Roman zu lesen: als wandele man durch einen Traum, von dem man nicht weiß, ob man schläft oder wach ist, ob es ein schöner Traum, ein Alp- oder Fiebertraum ist. Und das ist, wie ich mir gut vorstellen könnte, nicht jedermanns Sache. Wer Romane und Erzählungen mag, in der die Realität unwirkliche Züge annimmt, wird Das Flüssige Land gewiss ebenso mögen wie ich. Wer Traum und Wirklichkeit lieber fein voneinander getrennt hat und alles andere achselzuckend als Spinnerei abtut, wird sich vermutlich schwertun.

Veröffentlicht am 18.09.2019

Don't judge a book by its cover

Morgen kommt ein neuer Himmel
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Ich gebe es zu: Manchmal kaufe ich Bücher, weil mir das Cover gefällt. Und manchmal kaufe ich Bücher aufgrund ihres Covers gerade nicht. ‚Morgen kommt ein neuer Himmel‘ hätte ich zugegebenermaßen niemals ...

Ich gebe es zu: Manchmal kaufe ich Bücher, weil mir das Cover gefällt. Und manchmal kaufe ich Bücher aufgrund ihres Covers gerade nicht. ‚Morgen kommt ein neuer Himmel‘ hätte ich zugegebenermaßen niemals gekauft. Die Typo zu handgemalt, das Umschlagbild auch, von den Farben ganz zu schweigen. Und dann auch noch der Titel! Um Himmels Willen! Da windet sich meine versnobte Philologinnen-Seele in Agonie. Neeee, sowas lese ich nicht!
Und dann findet ein solches Buch doch den Weg zu mir. Wird mir von einer sehr, sehr lieben Person geschenkt. Landet erst einmal auf dem SuB. Schlummert dort eine ganze Weile. Wird irgendwann in den Urlaub mitgenommen, man weiß ja nie, möglicherweise guckt man doch mal rein, außerdem kann man es immer noch im Ferienhaus lassen, vielleicht freut sich jemand anderes darüber. Also, jemand mit ein bisschen weniger Anspruch an seine Lektüre als ich, versteht sich. Und dann schaut man tatsächlich hinein. Liest mal ein bisschen an … ja, wie erwartet nicht mega-anspruchsvoll, aber auch nicht so schlimm wie befürchtet. Liest weiter … och, eigentlich ganz unterhaltsam. Liest noch weiter. Und noch weiter. Im letzten Viertel hat einen die Emotionalität in ihrem Klammergriff. Kurz vor dem Ende heult man Rotz und Wasser. Und nach der letzten Seite seufzt man beseelt auf: Weil man trotz Bonbon-Krickelkrakel-Herzschmerz-Blabla-Titel-Cover eine so schöne, berührende, ja, auch rührselige und zu Tränen rührende Geschichte gelesen hat; eine Geschichte, die einem das Herz erwärmt und die Seele massiert und die einen plötzlich wieder fest daran glauben lässt, dass am Ende alles wieder gut wird. Und schließlich kam mir – ja, Asche auf mein Haupt! – der Gedanke, dass man Bücher vielleicht doch nicht nach ihrem Umschlag beurteilen sollte …

Wer noch etwas über den Inhalt erfahren möchte:

Eigentlich steht Bretts Zukunft fest: Sie wird das Kosmetikunternehmen ihrer todkranken Mutter erben. Daran hegt sie, ebenso wie ihre beiden Brüder, keinen Zweifel, darauf wurde sie von ihrer Schwägerin, die ebenfalls in der Firma arbeitet, seit einem Jahr vorbereitet. Bei der Testamentseröffnung folgt dann die große Überraschung, um nicht zu sagen, der Schock: Bretts Mutter Elizabeth hat die Firma besagter Schwägerin vermacht. Brett hingegen erhält anstelle ihres Erbes eine Liste – ihre eigene Liste mit Lebenszielen, die sie als Teenager vor zwanzig Jahren verfasst hat. Die Liste landete jedoch nicht, wie Brett dachte, im Müll, sondern wurde all die Jahre von ihrer Mutter aufbewahrt. Einiges davon hat sie schon erreicht, doch die nach wie vor offenen Punkte soll Brett jetzt, mit Mitte dreißig, abarbeiten, und zwar innerhalb eines Jahres. Doch Brett ist nicht mehr die Vierzehnjährige, die sie einmal war. Ihre Wünsche und Ziele haben sich längst geändert! Sich verlieben? Sie hat doch schon einen Freund! Eine gute Beziehung zu ihrem Vater aufbauen? Aber der ist doch schon gestorben! Eine gute Lehrerin werden? Sie hat doch längst einen anderen Beruf ergriffen! Zähneknirschend und alles andere als überzeugt macht Brett sich schließlich doch daran, Punkt für Punkt abzuarbeiten. Und erlebt und erfährt Erstaunliches. Auch über sich selbst.

Veröffentlicht am 28.03.2019

Was für ein Finale!

Ich bin die Rache
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Nun liegt er also vor, der letzte Band von Ethan Cross' "Ich bin ..."-Reihe. Ich kannte die vorherigen Bände ebenfalls nur als Hörbuch, so dass ich mich auch in diese letzte 'Folge' sehr gut und schnell ...

Nun liegt er also vor, der letzte Band von Ethan Cross' "Ich bin ..."-Reihe. Ich kannte die vorherigen Bände ebenfalls nur als Hörbuch, so dass ich mich auch in diese letzte 'Folge' sehr gut und schnell einhören konnte.

Zur Story (ohne zu spoilern): Maggie, Marcus' Freundin und Francis' 'kleine Schwester' zieht auf eigene Faust los, um den sogenannten Taker, einen Kindesentführer, der auch für das Verschwinden ihres kleinen Bruders verantwortlich ist, zu fassen. Als sie selbst plötzlich verschwindet, machen Marcus und Francis sich auf, sie zu suchen. Und das erweist sich als ebenso spannend, atemberaubend und - ja, auch blutrünstig, wie alle gemeinsamen 'Abenteuer' der beiden ungleichen Brüder.

Ethan Cross hat auch mit diesem (Hör-)Buch wieder einen wilden Ritt hingelegt. Die Figuren werden insgesamt konsequent weitererzählt, ihre jeweilige fortschreitende Entwicklung ist aus meiner Sicht nachvollziehbar und glaubwürdig.

Auch der Sprecher Thomas Balou Martin, der auch die übrigen "Ich bin ..."-Hörbücher eingelesen hat, liest gewohnt souverän und prononciert; ich schätze seine Fähigkeit, den einzelnen Figuren eine eigene Stimmfarbe zu verleihen, ohne dabei affig oder aufgesetzt zu klingen, wirklich sehr.

Einen Punkt Abzug gibt es für das für mich äußerst unbefriedigende Ende. Möglicherweise wird hier der Cliffhanger für eine neue Reihe gesetzt, doch alles in allem hätte ich mir einen insgesamt runderen Abschluss der Reihe gewünscht.

Ein letzter Tipp: Ich empfehle, die Hörbücher in der Reihenfolge ihres Erscheinens zu hören - andernfalls könnte es vielleicht schwierig werden, die einzelnen Nuancen der Figuren wahrzunehmen bzw. nachzuvollziehen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Stimme
  • Atmosphäre
  • Handlung
  • Spannung
Veröffentlicht am 27.03.2019

Nach einem etwas schwachen Anfang ein zauberhaftes Leseerlebnis

Der Wal und das Ende der Welt
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„Wenn die gesamte Weltordnung um Sie herum zusammenbrechen würde, was würden Sie dann tun?“

St. Piran, ein 307 (sic!)-Seelen-Dorf in Cornwall: Ein nackter junger Mann wird an den Strand gespült, wenig ...

„Wenn die gesamte Weltordnung um Sie herum zusammenbrechen würde, was würden Sie dann tun?“

St. Piran, ein 307 (sic!)-Seelen-Dorf in Cornwall: Ein nackter junger Mann wird an den Strand gespült, wenig später strandet ein Wal. Diese beiden sonderbaren Geschehnisse bilden den Auftakt zu einer Reihe von Ereignissen, die nicht nur das Leben der Dorfbewohner für immer verändert. Denn es steht, wie der Titel andeutet, nichts weniger als das Ende der Welt, wie wir sie kannten, bevor. Und das ist näher und realistischer, als sich manch einer – auch der Leser – denken kann, denn „manchmal ist die Übertreibung näher an der Wirklichkeit als die Wahrheit“.

Zugegeben, ich habe mich mit dem Anfang des Romans ein wenig schwergetan. Das lag zum einen am Erzählstil und der Figurenzeichnung: Der Erzähler wendet sich anfänglich einige Male direkt an den Leser:
„Sollten Sie es also einmal nach St. Piran schaffen (was gar nicht so einfach ist), werden Sie die Geschichte auf der Straße und im Pub zu hören bekommen; und sollten Sie einen der Dorfbewohner danach fragen, könnte es sein, dass diese Sie auf eine Bank setzt, von der aus man auf den wogenden Ozean blickt, und Ihnen dort genau diese Geschichte erzählen.“
Das muss man mögen; ich persönlich mag diese verschwimmende Grenze in der Regel nur bedingt. Doch letztlich habe ich mich daran gewöhnt und irgendwann störte ich mich gar nicht mehr daran, sondern wusste den nicht zu leugnenden Charme dieser Erzählform zu schätzen.

Auch mit den handelnden Figuren fremdelte ich anfänglich. Sie werden so schrullig geschildert, als seien sie einer Folge „Inspector Barnaby“ entsprungen.
Da ist zum Beispiel Charity Choke: „Sie war gerade siebzehn, mit einem so frischen Teint, dass ihre Wangen glänzten wie Kleehonig. In St. Piran sagte man, sie sei ‚spät erblüht‘ […]. ‚Bäume, die spät erblühen‘, sagte Martha Fishburne gern, ‚blühen oft am schönsten.‘ Und Martha war Lehrerin. Sie musste es also wissen.“
Oder Kenny Kennet, „der Strandgutsammler. Er durchkämmte den Kies der östlichen Bucht auf der Suche nach Muscheln und Krebsen, nach Strandgut und Treibholz. Wenn ein schönes Stück dabei war, würde er aus dem Treibholz Kunstwerke machen, die er im nächsten Sommer an Touristen verkaufen könnte.“
In dieser Form werden auch die anderen Figuren geschildert, mehr Stereotyp als wirklicher Charakter, und insgesamt etwas zu flach. Sie waren mir alle ein wenig zu überzeichnet; auch daran musste ich mich erst gewöhnen, doch dann fand ich sie in aller Schrulligkeit überaus liebenswert.

Zum anderen schien mir der Roman am Anfang nicht so richtig zu wissen, wohin er will bzw. was er denn nun eigentlich sein will. Erzählstil und Figurenentwurf schienen auf eine Schnurre hinzudeuten; dann wechselt das Setting in einer Rückblende zum Finanzdistrikt in der City of London. Der an den Strand gespülte junge Mann, Joe, entpuppt sich als Banker, der offensichtlich einen folgeschweren Fehler begangen hat. Okay, also keine Schnurre, sondern ein Wirtschaftskrimi, dachte ich – doch auch das erwies sich als Trugschluss. Ein Gespräch zwischen Joe und seinem Chef lässt schließlich die eigentliche (und ganz wunderbare!) Dimension des Romans erahnen:
„Sie sind Mathematiker. Sie wissen, was mit komplexen Systemen geschieht. Plötzlicher, dramatischer, katastrophaler Kollaps. […] Haben Sie mal von der These gehört, dass unsere Gesellschaft nur drei volle Mahlzeiten von der Anarchie entfernt ist?“

Und von da an konnte ich das Buch kaum noch aus der Hand legen. Denn hier geht es um nichts weniger als die Frage, wie dünn die Grenze zwischen Zivilisation und Anarchie ist, was das Menschsein ausmacht, kurz: was Menschlichkeit bedeutet. Deshalb: klare Leseempfehlung!