Profilbild von Dajobama

Dajobama

Lesejury Star
offline

Dajobama ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Dajobama über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 22.08.2020

Der Rattenkönig

Vaters Wort und Mutters Liebe
0

Vaters Wort und Mutters Liebe - Nina Wähä

Im Norden Finnlands in den frühen 80ern, kurz vor Weihnachten. Annie kehrt zu einem Besuch nach Hause zurück, ins finnische Tornedal. Sie hat ein ungutes Gefühl, ...

Vaters Wort und Mutters Liebe - Nina Wähä

Im Norden Finnlands in den frühen 80ern, kurz vor Weihnachten. Annie kehrt zu einem Besuch nach Hause zurück, ins finnische Tornedal. Sie hat ein ungutes Gefühl, Angst, dass ihre Herkunft die Krallen in sie schlagen wird und nicht wieder loslässt. Die Familie ist groß, Annie hat 13 Geschwister, 11 lebende und 2 tote. Annie ist früh von zuhause ausgezogen, um dem jähzornigen, seine Familie tyrannisierenden Vater Pentti zu entkommen. Die Bindung zur ruhigen, duldsamen Mutter Siri und vielen der Geschwister ist trotz allen Reibereien und Entbehrungen stark, "als wären sie unsichtbar miteinander verknüpft. Wie ein Rattenkönig an den Schwänzen verknotet." (Klappentext)
Nun kehrt Annie also zurück und merkt schnell, dass alles beim Alten ist und auch wieder nicht. Etwas liegt in der Luft, etwas wird passieren.
Viele der Geschwister gingen früh fort und suchten das Weite. Und doch kommen sie immer wieder zurück. Bei diesem Besuch wird nun deutlich, dass Pentti untragbar geworden ist, das Leid der Mutter ein Ende haben muss. Es muss etwas passieren.

Die Autorin macht sich tatsächlich an das ehrgeizige Unterfangen, sämtliche! Familienmitglieder vorzustellen und zwar ausführlich. Es entstehen einzigartige, sehr intensive Charaktere. Wähä schaut ihren Figuren tief in die verletzten Seelen und ermöglicht das auch ihren Lesern. Tatsächlich empfand ich für fast alle Mitglieder dieser zerrissenen Familie Mitleid. Am wenigsten für diejenigen, die unleugbar Vaters Gene geerbt haben. Wir erfahren, mit welchen Eigenschaften jeder einzelne geboren wurde und wie ihn diese spezielle Kindheit geprägt hat. Wie werden wir zu dem, was wir sind und welche Rolle spielt dabei die elterliche Liebe? Kann man überhaupt 14 Kinder lieben und alle gleichbehandeln?
Spannende Fragen, großartig aufbereitet, höchstens manchmal etwas ausufernd, aber absolut faszinierend.

Gleichzeitig ist dies ein Coming-of-Age Roman. Ziemlich jeden einzelnen Darsteller begleiten wir vom Übergang von der Kindheit zum Erwachsenen. Sie tun sich alle schwer damit, müssen alle allein damit zurechtkommen. Nicht wenige der ersten sexuellen Erfahrungen sind in erster Linie traumatisierend.
Es ist ein hartes und einsames Leben im Norden Finnlands, viele der Geschwister entfliehen dem einsamen Elternhaus und dem brutalen Vater sobald sie können. Trotzdem zieht es sie immer wieder zurück, vor allem wegen der Mutter. Wirklich glücklich werden die meisten von ihnen wohl nirgendwo. Soviel Traumata, soviel ungünstige Verwicklungen, vieles verursacht vom gewalttätigen Vater, der offensichtlich nicht fähig ist zu lieben.
Schließlich erfahren wir auch die Hintergründe der Mutter, Siri und des Vaters, Pentti. Auch sie ehemals zwei Kinder, die sich vergebens nach Liebe gesehnt haben und diese auch in der Ehe nicht finden konnten. So traurig, sehr intensiv.

Bei den vielen Figuren war ich sehr dankbar für das Personenverzeichnis am Anfang mit den kurzen Beschreibungen. Damit war das machbar. Ein eigener eindringlicher Schreibstil. Die Geschichte fesselnd und tiefsinnig. Alles in allem eine berührende Familiengeschichte, die ich mit sehr guten 4 Sternen bewerte.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 23.12.2019

Wie alles begann...

Langsame Jahre
0

Langsame Jahre – Fernando Aramburu
Ist es tatsächlich so, dass Zeit, die man in einer Diktatur (vergleichsweise Gefangenschaft) verbringt, wesentlich langsamer vergeht, als Jahre in Freiheit? Ja, vermutlich ...

Langsame Jahre – Fernando Aramburu
Ist es tatsächlich so, dass Zeit, die man in einer Diktatur (vergleichsweise Gefangenschaft) verbringt, wesentlich langsamer vergeht, als Jahre in Freiheit? Ja, vermutlich ist das so und damit hat Aramburu seinen Buchtitel treffend gewählt, denn wie schon in seinem großen Erfolg „Patria“ geht es um die schweren Jahre der Basken unter Francos Herrschaft.
Sehr viel mehr möchte ich zum Inhalt auch gar nicht sagen, es geht um eine einfache baskische Familie, die in diesen langen und harten Jahren um ein einigermaßen normales Leben kämpft. Der Klappentext sagt dazu:
„Nach dem großen Erfolg des Baskenromans „Patria“ wird hier erzählt, wie alles begonnen hat: eine berührende Familiengeschichte aus der Perspektive eines Kindes“

Aramburu kann schreiben, das ist gewiss. Er vermag es, den Leser mit wenigen Sätzen in seinen Bann zu ziehen und ihn in ein anderes Land, eine andere Zeit, ein völlig fremdes Leben zu entführen.
Es ist unmöglich, diesen Roman nicht mit seinem großen Bruder „Patria“ zu vergleichen, egal welches Buch denn nun zuerst geschrieben wurde bzw. erschienen ist.
Wie schon erwähnt, sind Thematik und Schreibstil unverkennbar, quasi ein Markenzeichen Aramburus. Der Aufbau dieses Romans unterscheidet sich allerdings grundlegend. Zum einen ist „Langsame Jahre“ wesentlich schmaler. Zum anderen beschreibt hier ein Junge dem Autor seine Erinnerungen. Dieser notiert sie, macht sich in vielen Einschüben selbst Notizen, wie das Erzählte zu einem Roman verarbeitet werden kann. So setzt sich dieses Buch aus Erzählungen und Bruchstücken eines Skripts zusammen. Ist dies einerseits sehr interessant, da es Einblicke in das Handwerk des Schriftstellers gewährt, hemmt es doch ein bisschen den Lesefluss und lässt den Leser emotional
nicht so nah an die Figuren heran, wie er das aus „Patria“ gewohnt ist.

Fazit: Absolut lesenswert, an „Patria“ reicht es aber nicht ganz heran!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 25.10.2019

Ein lustiger Tierkrimi

Mister Marple und die Schnüfflerbande - Wo steckt Dackel Bruno?
0

Mister Marple und die Schnüfflerbande – Sven Gerhardt

Ein lustiger Tierkrimi oder Mister Marple – der Name ist Programm

Theo ist ein fast normaler Junge. Wenn da nicht verschiedene Eigenheiten wären, ...

Mister Marple und die Schnüfflerbande – Sven Gerhardt

Ein lustiger Tierkrimi oder Mister Marple – der Name ist Programm

Theo ist ein fast normaler Junge. Wenn da nicht verschiedene Eigenheiten wären, die ihn zum Einzelgänger machen. So hat er Angst vor Bakterien und immer ein Desinfektionsspray dabei. Außerdem geht er niemals ohne neongelbe Sicherheitsweste aus dem Haus.
Aber eines Tages zieht Elsa in seiner Nachbarschaft ein, ein mutiges Mädchen, das Theos Leben ziemlich aufmischt. Und es dauert auch nicht lange, bis seltsame Dinge geschehen und sie echten Tierentführern auf der Spur sind. Komplett ist die Schnüfflerbande aber erst mit Mister Marple, Theos Goldhamster, der die Ermittlungen entscheidend vorantreibt.

Eine wirklich witzige Geschichte, weil ausgerechnet der übervorsichtige Theo immer wieder in für ihn haarsträubende Situationen gerät.
Untermalt ist das Ganze mit tollen Zeichnungen, wenn auch nur in schwarz weiß. Dennoch super lustig, beispielsweise Theo in seiner Schutzausrüstung.
Man lacht tatsächlich viel über Theo und seine Eigenheiten, die Witze sind aber nie gemein und das Schöne ist, dass Theo von Elsa vollkommen akzeptiert wird, so wie er ist. Auch wenn sie ihn nicht immer verstehen kann und ab und an die Augen verdreht.

Der Großteil der Geschichte wird von Theo erzählt, doch am Ende jeden Kapitels kommt auch Mister Marple zu Wort und schildert seine Sicht der Dinge, die oft ganz entschieden von der der Kinder abweicht.

Ganz nebenbei erfährt man noch allerhand Wissenswertes über die Lebensweise von Hamstern.

Ein tolles Kinderbuch zum gemeinsam oder selber lesen.

Veröffentlicht am 25.10.2019

Von Bienen- und Menschenvölkern

Winterbienen
0

Winterbienen – Norbert Scheuer

Shortlist Deutscher Buchpreis 2019

"Der Lärm der Angriffe scheint den Bienen nichts auszumachen; sie leben in einer anderen, wie es scheint, friedlichen Welt, sie interessiert ...

Winterbienen – Norbert Scheuer

Shortlist Deutscher Buchpreis 2019

"Der Lärm der Angriffe scheint den Bienen nichts auszumachen; sie leben in einer anderen, wie es scheint, friedlichen Welt, sie interessiert der Krieg nicht." Seite 192

Januar 1944, über der Eifel sind britische und amerikanische Bomber unterwegs. Zwar muss Egidius wegen seiner Epilepsie nicht an die Front, trotzdem ist er in diesen Zeiten gerade deshalb in Lebensgefahr. Zusätzlich bringt er sich auch noch durch seine Tätigkeit als Fluchthelfer jüdischer Flüchtlinge über die Grenze nach Belgien in große Gefahr.
Ist der Krieg in dem kleinen Ort anfangs eher als Hintergrundrauschen wahrnehmbar, lässt er sich bald nicht mehr verdrängen. Die Lage für Egidius spitzt sich zu, auch weil der zu allem Überfluss ein Verhältnis mit der Ehegattin des Kreisleiters eingeht.

Geschrieben ist dieses Buch in Tagebuchform, mit angenehm kurzen Abschnitten und umfasst etwas mehr als ein Jahr, von Januar 1944 bis Frühjahr 1945.

Dieser Roman fällt durch seinen extrem angenehmen und ruhigen Schreibstil auf. Wie schön, wenn ein Autor in einer klaren, schnörkellosen Sprache seine Geschichte erzählen kann, ohne zu glauben, irgendetwas Neues, provozierend Innovatives mit Sprache anstellen zu müssen. Scheuer schreibt auf den ersten Blick eher nüchtern und transportiert doch so viele Emotionen zwischen den Zeilen.

Egidius führt ein recht einsames Leben und beschäftigt sich viel mit seiner Bienenzucht. Diese haben eine beruhigende Wirkung auf ihn, sind seine Rückzugszone. Generell wünscht er sich häufig einfach weg.
"In der Nacht träume ich, meine Bienen hätten mich gewärmt, hätten mich ganz umhüllt, und ich wäre ein Teil von ihnen geworden." Seite 198

Gerade die Bienen dienen als Grundlage für viele Metaphern und Kontraste die menschliche Gesellschaft betreffend. Das Summen der Bienen wird dem Brummen der Kriegsflugzeuge gegenübergestellt. Frieden gegen Krieg.
"Aber Bienen sind nicht aggressiv, sie würden niemals andere Völker erobern und sie unterjochen; sie sind friedfertig, wenn sie sich nicht angegriffen fühlen." Seite 19

Dass immer ein melancholischer Grundton mit dabei ist, ist kein Wunder angesichts der Umstände, in denen Egidius sich befindet, bzw. in die er sich selbst bringt. Das Kriegsgeschehen nimmt spürbar zu, es wird immer schwieriger, Medikamente zu bekommen. Die Stimmung wird bedrohlich, dieses Werk liest sich spannend wie ein Krimi.

Wie man im Anhang erfährt, beruht die Geschichte von Egidius auf wahren Begebenheiten. Ein entfernter Verwandter des Autors.
Ein wirklich verdienter Platz auf der Shortlist, ich hätte diesem Buch den Preis gegönnt!

Veröffentlicht am 27.09.2019

Das Mazursche Schweigen

Luzies Erbe
0

Luzies Erbe – Helga Bürster

"Was auch immer passiert war, was auch immer sie sich angetan hatten, es hatte sie gegeben, diese Liebe." Seite 189

Wie man an obigem Zitat schon erkennen kann, geht es in ...

Luzies Erbe – Helga Bürster

"Was auch immer passiert war, was auch immer sie sich angetan hatten, es hatte sie gegeben, diese Liebe." Seite 189

Wie man an obigem Zitat schon erkennen kann, geht es in diesem Roman um eine große Liebe. Doch es geht noch um viel mehr. Johannes Großmutter Luzie stirbt fast hundertjährig und hinterlässt einen Koffer voller Erinnerungen. Nun endlich macht sich die Enkelin daran, den Familiengeheimnissen der Familie Mazur auf den Grund zu gehen. Denn Luzie hat sich damals im Krieg in den falschen Mann verliebt, in einen Polen. Diesen Verstoß gegen die damals geltenden Rassengesetze hat ihr das Dorf niemals verziehen.
Aus der lebenslustigen Luzie wurde im Laufe der Zeit eine verbitterte Frau und nicht nur das. Eine große Unfähigkeit Liebe zu zeigen und zu geben, wird noch über Generationen weitergegeben. Aus dem Mazurschen Schweigen wird der Mazursche Schmerz. Oder andersrum.
Und so ist nicht nur ein alter Koffer Luzies Erbe, sondern auch dieses Mazursche Schweigen.
4 Generationen von Frauen, die versuchen, viel zu spät ihren eigenen Weg aus dem Schweigen zu finden.

Ist Anfangs deutlich ein lockerer, humorvoller Unterton in der Geschichte erkennbar, so dominiert im weiteren Verlauf immer mehr ein tieftrauriger und melancholischer Grundton. Diese Veränderung findet parallel zur Resignation Luzies statt. Die Geschichte einer großen Liebe, die keine Chance hatte in Zeiten der Rassentrennung wird hier sehr gefühlvoll erzählt. Wie so oft im Leben hätte man jedoch mit einer besseren Kommunikation untereinander manches Leid verhindern können.
Letztendlich hat mir aber inhaltlich doch die eine oder andere Information zur Auflösung gefehlt, bzw. war der ein oder andere Grund war für mich nicht ganz überzeugend oder ausreichend.

Faszinierend, wie eine doch recht nüchterne Sprache mit plattdeutschen Einschüben eine solch starke Emotionalität transportieren kann. Sprachlich hat mir das Ganze sehr gut gefallen. Die Autorin hat einen angenehm unaufgeregten, trotzdem oft beinahe poetischen Erzählstil. Einfach schön.
Man muss aber dennoch aufpassen, oder gerade deshalb, dass man alles mitbekommt, denn die Informationen kommen Schlag auf Schlag. Und beinahe unauffällig.

Das Nachwort hält schließlich noch eine Überraschung bereit: So ist dieser Roman keine ganz und gar erfundene Geschichte, sondern es ist im Wesentlichen die Geschichte von Bürsters Großeltern. Diese Tatsache lässt mich einiges nochmal mit anderen Augen sehen.
Insgesamt lässt mich dieses Buch tief berührt zurück. 4,5 Sterne.