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Veröffentlicht am 17.01.2022

Professor Tod, mit roten Schleifchen... wenn so ein "Perfect Day" plötzlich eine ganz andere Bedeutung bekommt

Perfect Day
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Bei roten Schleifen, denkt man häufig an Geschenke, doch in Romy Hausmanns Thriller "Perfect Day" ist es das genaue Gegenteil. Es sind Hinweise für einen schmerzhaften Verlust, wenn nicht sogar für das ...

Bei roten Schleifen, denkt man häufig an Geschenke, doch in Romy Hausmanns Thriller "Perfect Day" ist es das genaue Gegenteil. Es sind Hinweise für einen schmerzhaften Verlust, wenn nicht sogar für das größte Unglück, das Eltern passieren kann. Der sogenannte Schleifenmörder führt Passanten oder zufällig Vorbeigekommene mittels roten Schleifen zu seinen Opfern. Seit etwa vierzehn Jahren treibt er schon in Berlin sein Unwesen. Und immer sind es Mädchen, zwischen sechs und zehn Jahren, die er an unterschiedliche, abgelegene Orte im Berliner Umland entführte und tötete. Lange tappte die Polizei im Dunkeln. Bis auf die Schleifen, die gleiche Tötungsart und ein paar Schuhabdrücke, gab es nie wirkliche Hinweise. Doch nun kommt endlich ein Stein ins Rollen, denn ein Spaziergänger will dem Mörder kurz nach seiner letzten Tat über den Weg gelaufen sein. Die Polizei fackelte nicht lange und nahm den fünfundfünfzigjährigen Anthropologen und international angesehenen Philosophieprofessor Walter Lesniak fest. Die wenigen Anhaltspunkte schienen zu passen. Für die Medien war des natürlich ein gefundenes Fressen. Sie nannten ihn das Monster oder "Professor Tod", der barbarische Experimente an Kindern verübte, aber war es wirklich so einfach?

"Hast du dich jemals gefragt, ob der Mann aus der Zeitung, das >Monster<, wie sie ihn nennen, Familie hat? Hat er, Jakob. Nämlich mich. Ich bin die Tochter des mutmaßlichen Schleifenmörders, der in den letzten dreizehn Jahren neun kleine Mädchen entführt und getötet haben soll. Ich war dabei, als sie ihn verhaftet haben..."

Walter Lesniak verbrachte eben jenen Abend gemeinsam mit seiner Tochter Ann. Sie hatten Pizza bestellt und wollten gemeinsam einen netten Abend verbringen, als sich das Einsatzkommando auf ihn stürzte und abführte.
Ann glaubt nach wie vor nicht an die Schuld ihres Vaters, wahrscheinlich ist sie dabei fast die einzige. Und so versucht sie nun krampfhaft nach und nach Spuren zu entschlüsseln, dem echten Mörder auf die Schliche zu kommen und die Eltern ehemaliger Opfer zu befragen... praktisch, dass sie gerade erst einen Job in einem Fastfood-Restaurant angenommen hat, bei dem, wie sich jetzt herausstellt, die Mutter eines der früheren Opfer arbeitet, ihre Freundin, die vor zig Jahren einfach so verschwand, plötzlich wieder auf der Matte steht und helfen will und ihr Freund Jakob ihr nun erst recht zur Seite steht. Wobei... vielleicht haben sie alle auch ganz andere Absichten, nicht alles scheint wie es ist, Wahnvorstellungen, Verzweiflung, Angst kreuzen ihren Weg und am Ende? Wird man ihr Glauben schenken? Wir werden es sehen oder auch nicht, denn plötzlich taucht auch vor Anns Fenster eine kleine, unschuldige Schleife auf und ein weiteres Mädchen verschwindet... What a Perfect Day, nicht wahr?

"Rote Schleifenbänder, die als Wegweiser zu den Leichen dienten, und nun ein rotes Band, das an einen Trieb des alten Oleanders, auf unserer Terrasse geknotet ist. Für ein paar Sekunden stehe ich einfach nur da, starr und starrend und nicht fähig zu begreifen. Es ist wie bei einem Tsunami; sämtliche Gedanken und Gefühle ziehen sich in weite Ferne zurück, wo sie sich merterhoch sammeln, um anschließend auf mich zuzustürzen und mich niederwalzen.
Dann weiß ich es plötzlich: der Mörder. Er [...] war hier."



Ich finde ja an sich Romy Hausmanns Thriller schon sehr besonders und in den beiden Vorgängern "Marta schläft" und "Liebeskind" bewies sie schon sehr eindrucksvoll was für durchtriebene Abgründe in den Menschen lauern und wozu Psychopathen so alles fähig sind. Und so auch hier. Ungewöhnlich fand ich zunächst die Herangehensweise, die Tochter ermittelt in einem Fall, der für die Polizei nun nach Jahren erfolgloser Suche, endlich abgeschlossen werden kann. Sie widersetzt sich dabei so einigen Vorschriften, klaut Dokumente und geht an so einigen Stellen viel zu weit und doch kommt derdie Leserin gemeinsam mit ihr nach und nach dem ganzen Treiben und den Beschuldigungen auf die Spur. Im Zentrum der Beschreibungen stehen dabei nicht wie üblich der Täter oder die Opfer selbst, sondern die Angehörigen. Eben jene, die mit der ganzen Schuld, dem Schmerz und dem plötzlichen Verlust klarkommen mussten und sich dafür verschiedene Wege gesucht haben. Romy Hausmann zeigt hier fast schon ein buntes Potpourri aus Ausflüchten, psychischen Herausforderungen und sehr spezieller Trauerbewältigung.
Anns Perspektive, die Beschreibungen einer Verführung eines Kindes bzw. die Gedanken des Täters oder der Täterin, sowie Aufnahmen von Verhörgesprächen wechseln sich während des Lesens ab. Hin und wieder werden kurze, aufgeschriebene Begriffsdefinitionen der kleinen Ann über Schrekk, Endschlossenheit, Einsamkeit... mit eigestreut. Generell ist es ein sehr lebhafter Plot, bei dem garantiert keine Langeweile aufkommt und das Gefühl zwischen Angst, Beklemmung und Hoffnung auf die Lesenden überspringt. Ohne nun zu viel zu verraten, "Perfect Day" hat mich binnen weniger Seiten komplett in Beschlag genommen, gefordert, überrascht und das so ganz ohne große Blutrünstigkeit. Naja gut, auf die kurzen Beschreibungen wie die Mädchen an ihren Pulsadern aufgeschlitzt wurden und verbluteten, waren für mich, so als ungeübter Krimileser, schon recht viel, aber ansonsten habe ich die Wendungen, die sich plötzlich auftuenden Möglichkeiten und die Verfolgung schon sehr genossen und bis zum Schluss mit Ann mitgefiebert. Natürlich kann man nun an dieser oder jener Stelle sagen, dass mit Hausmann die Fantasie etwas durch ging, aber welcher Krimi oder Thriller entspricht schon hundertprozentig dem Möglichen? Für mich war es ein toller Ritt mit sehr tiefen Gedanken, neuen Blickwinkeln, vielen Abgründen und einem sehr spannenden, psychopathischen Spiel. Und vergleichend, ist es vielleicht dann sogar ihr bestes Buch. Nur schade, dass der Song "Perfect Day" nun so einen sehr grausamen Beigeschmack bekommt...

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Veröffentlicht am 01.05.2020

Pandatage - wie ein Kostüm nahezu alles verändern kann

Pandatage
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"Ein Panda steht für Frieden und Feundschaft" heißt es im Allgemeinen, doch in James Gould-Bourns neuem Roman "Pandatage" erhält dieser normalerweise eher niedliche Gefährte noch eine ganz andere Bedeutung.

Danny ...

"Ein Panda steht für Frieden und Feundschaft" heißt es im Allgemeinen, doch in James Gould-Bourns neuem Roman "Pandatage" erhält dieser normalerweise eher niedliche Gefährte noch eine ganz andere Bedeutung.

Danny Maloony ist absolut kein Glückspilz, alles scheint im Moment den Bach runterzugehen. Seine Frau Liz starb vor einem Jahr bei einem tragischen Autounfall und hinterließ damit eine fürchterlich große Lücke in seinem, aber auch in Williams Leben. Will hatte eine ganz besondere Beziehung zu seiner Mutter. Während Danny hauptsächlich arbeiten ging und kaum Zeit mit ihm verbrachte, war seine Mutter für ihn wie eine gute Freundin, die bessere Hälfte, Unterstützung und Ausflugsorganisatorin. Sie teilten alles miteinander und Danny war für ihn mehr so Vater und Fremder zugleich.
Seit dem Unfall ist plötzlich alles anders. Will weigert sich zu sprechen, er will so wenig wie möglich auffallen, unsichtbar werden, mit der Situation klar zu kommen. Er frisst alles immer mehr in sich hinein und so als wäre das noch nicht schlimm genug, häufen sich bei Danny weitere Probleme und Sorgen. Er hat Schulden, kann die Miete nicht mehr bezahlen, sein Job steht auf der Kippe und durch den bedrohlichen Besuch seines Vermieters Reg kommt er erneut zu spät und wird gefeuert. Er versucht nun händeringend einen neuen Job zu finden, was als Bauarbeitsgehilfe nicht gerade einfach wird und gibt sein letztes Geld für ein dusseliges Pandakostüm aus. Er fasst fix den Entschluss im Park als Straßenkünstler zu arbeiten, doch dabei macht er sich vor allem eins: Lächerlich. Als sich dann die Pole-Tänzerin Krystal sich seiner erbarmt und ihm Nachhilfe im Tanzen gibt, schafft Danny endlich die Aufmerksamkeit der Parkbesucher zu gewinnen und die Kasse klingen zu lassen, doch für seine Schulden reicht dies noch lange nicht.
Währenddessen sorgt sich auch der neue Lehrer um William. Der Kleine wird von einigen Schülern gemobbt und verkriecht sich immer mehr...

"Ich glaube, was ich zu sagen versuche, ist Folgendes, Will. Wenn etwas Schreckliches, Unbegreifliches geschieht, dann braucht es manchmal etwas ebenso Unerwartetes, damit wir begreifen können."

Und dieses Unerwartete stellt dann die Begegnung mit einem Menschen im Pandakostüm dar. Als er erneut nach der Schule schikaniert wird, schreitet dieser ein und es entwickelt sich zwischen den beiden eine Art Freundschaft. Will vertraut sich diesem ulkigen Wesen an und setzt damit ungeahnt sehr viel mehr in Bewegung.

"Pandatage" ist für mich ein recht besonderes Buch. Gerade für die aktuelle Zeit ist es eine perfekte, leichtere Unterhaltungslektüre mit ernsterem Hintergrund. Die Trauerverarbeitung, deren Auswirkungen und eine sich erneut entwickelnde, innige Vater-Sohn-Beziehung und die Herausforderungen des Lebens sowie kuriose Zufälle und Begegnungen prägen diesen Roman. Sehr empathisch und fein nähert sich James Gould-Bourn den Gefühlen und Empfindungen des kleinen Will an und entwickelt dabei so eine abstruse, lustige, aber auch berührende, traurige Geschichte. Zwar finde ich es so ein bisschen schade, dass viele Handlungen vorhersehbar sind und bis zum Ende hin keine wirklichen Überraschungen stattfinden und doch fühlte ich mich bis zur letzten Seite sehr gut unterhalten. Es ist ein Buch, dass ich eher als etwas leichtere Kost einordnen würde, bei dem man sich nicht so sehr konzentrieren muss und irgendwie könnte das alles auch so eine witzige Fernsehkomödie sein. Zumindest habe ich viele Situationen vor meinen inneren Auge gesehen, fand es irgendwie rührend, reizend und schön zugleich. Ich empfehle dieses Buch jedem, der etwas Ablenkung benötigt, vielleicht sogar eine schwierigere Zeit durchmacht oder durchgemacht hat, denn was dieser Roman zeigt, ist dass es zwar immer schlimmer werden kann, aber Unerwartetes und verrückte Ideen sich manchmal als Lebensretter entpuppen können und der Zusammenhalt zwischen der Familie, Freunden und den Menschen selbst nahezu alles überwinden und helfen kann.

An vielen Stellen hat mich dieser Roman übrigens an "Die wundersame Mission des Harry Crane" von John Cohen erinnert, ein Buch, dass ich ebenso gerne gelesen habe und auch so eine kuriose Entwicklung des Protagonisten nach dem Tod seiner Ehefrau beinhaltet. Alles natürlich mit einem HappyEnd. Und manchmal sind es gerade diese Bücher, die einem eine große Freude bereiten können und alles Fragliche da draußen etwas abfangen. Also ich mochte es sehr gerne und kann dieses Buch für seichtere Gemüter oder blödere Zeiten eigentlich nur empfehlen.

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Veröffentlicht am 08.04.2020

Was Glaube bewirken kann ...

Ein wenig Glaube
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"Ein wenig Glaube" von Nickolas Butler ist für mich ein sehr besonderes Buch. Im Großen und Ganzen geht es um die familiäre Liebe, die Abhängigkeit, den Glauben und irgendwie auch um die Angst und den ...

"Ein wenig Glaube" von Nickolas Butler ist für mich ein sehr besonderes Buch. Im Großen und Ganzen geht es um die familiäre Liebe, die Abhängigkeit, den Glauben und irgendwie auch um die Angst und den Verlust. Lyle und Peg Hovde leben im ländlicheren Wisconsin. Ihr erstes Glück blieb ihnen verwehrt, denn ihr Sohn Peter starb bereits nach einigen Monaten. Durch einen Zufall erfuhren sie von einem Mädchen, das ein Kind gebar und dieses einfach nicht behalten könne. Sie setzen alles daran, das Kind zu adoptieren und ihm ein behütetes Leben zu schenken. Jahre sind seit dem vergangen, Lyle und Peg sind bereits Großeltern und ihre Tochter Shiloh kehrt mit ihrem Enkelsohn Isaac wieder nach Hause zurück. Während Shiloh arbeiten fährt, kümmert sich Peg um den 5 Jährigen und zwischen ihnen scheint eine ganz besondere Bindung zu bestehen. Doch dann tritt ihre Tochter einer neuen Glaubensgemeinschaft bei. Sie verliebt sich in den Pfarrer und dem Kind werden plötzlich heilende, göttliche Kräfte nachgesagt. Während Shiloh sich nun komplett im neuen Glauben verliert, erahnen die Großeltern bereits Schlimmstes. Ereignisse und Beschuldigungen folgen und die ganze Familienbeziehung wird auf eine harte Probe gestellt. Die Tochter verliert den Glauben an ihre Eltern, sie behauptet Lyle sei ein schlechter Einfluss für Isaac, sei mit dem Teufel verbandelt. Er darf Isaac nicht mehr sehen, soll Abstand halten. Und doch will er am Ende nur eins: seinen Enkel vor dem Einfluss dieser ominösen Sekte retten und das bevor alles zu spät ist.

Nickolas Butler hat mich mit diesem Roman sehr an Kent Harufs Geschichten aus Holt, Colorado erinnert. Es ist ein eher ruhigeres, unaufgeregtes Buch, in dem der äußere Einfluss eine Familie entzwei bringt. Aber es geht wie der Titel schon verrät um den Glauben. Einmal durch diese neue Glaubensgemeinschaft, die alles durcheinander bringt, und Isaac heilende Kräfte nachsagt und auch trotz der staatlichen Verbote Heilungsgebete/-prozessionen abhält, aber es handelt eben auch vom Glauben an bessere Zeiten und an die stärkere emotionale Bindung zwischen den einzelnen Familienmitgliedern und Freunden. Der Glaube wirkt hier wie ein rettender Anker, der letzte Strohhalm, der alle möglichen Kräfte noch einmal mobilisiert. Und so ist es dann auch eine ganz besondere Freundschaftsgeschichte. Ich kann da nun gar nicht so genau ins Detail gehen, denn ruhigere Romane haben ja immer den 'Nachteil', dass da nicht ganz so viel passiert, aber genau das ist die Stärke dieses Buchs. Butler fokussiert sich auf seine Protagonisten, mit jeder weiteren Seite entwickelt sich so eine traute Verbundenheit mit den Großeltern. Man spürt Lyles Verzweiflung, aber auch seine immer wiederkehrende Freude, den Glauben, seinen Optimismus und seine Einsatzbereitschaft. Dieser besondere, feinfühlige Roman basiert auf einer realen Begebenheit, bei der 2008 ein 11 jähriges Mädchen aufgrund so einer fanatischen Glaubensgeschichte ums Leben kam. Es bleibt zu hoffen, dass sich so etwas nicht noch einmal wiederholt. Glaube kann Berge versetzen/mobilisieren; Fanatismus zum frühzeitigen Ende führen. Eine sehr berührende Geschichte.

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Veröffentlicht am 01.03.2020

"Feuerland" - der fulminante Start einer Thriller-Reihe

Feuerland
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“Feuerland” von Pascal Engman ist der Auftaktroman einer neuen Thriller-Reihe handelt von organisiertem Verbrechen, illegalem Organhandel, korrupten Polizisten und irgendwie auch von Freundschaft und ...

“Feuerland” von Pascal Engman ist der Auftaktroman einer neuen Thriller-Reihe handelt von organisiertem Verbrechen, illegalem Organhandel, korrupten Polizisten und irgendwie auch von Freundschaft und Vertrauen. Gut, es jetzt kein sonderlich neuartiges Thema, denn Organhandel, Korruption und Co tauchen immer mal wieder auf, aber das Cover und die ersten Seiten haben mich dazu getrieben dieses Buch unbedingt lesen zu wollen. Alles beginnt recht harmlos mit einem Überfall eines Uhrenladens. Nichts wird gestohlen, niemand als Geisel genommen oder großartig bedroht und doch gerät dabei etwas sehr wichtiges in fremde Hände.



Vanessa Frank ist Gruppenführerin/Kriminalkommissarin einer Sondereinheit der Stockholmer Polizei oder besser gesagt sie war es, denn sie wurde betrunken am Steuer erwischt und musste nun eine Auszeit nehmen. Wir begegnen ihr das erste Mal bei ihrem Besuch einer Psychotherapie, die sie besucht, um ihren guten Willen zu zeigen. Der Job bedeutet ihr alles bzw. füllt ihren Tag und ohne diese Tätigkeit fällt sie nun in ein Loch. Sie lässt sich gerade von ihrem Mann scheiden und mit zweiundvierzig ist sie nun an einem Wendepunkt in ihrem Leben angelangt, an dem so eine Suspension einfach nicht hilfreich wäre. Sie braucht eine Beschäftigung und so stürzt sie sich dann trotz Auszeit in einen neuen Fall. Reiche Geschäftsmänner werden entführt und nach Zahlung der Lösegelder unversehrt wieder frei gelassen. Ungefähr zeitgleich verschwinden in Stockholm verwaiste Kinder von der Straße und aus Flüchtlingsunterkünften. Vanessas Schützling Nastasja, ein aus Syrien geflüchtetes Mädchen, ist eines Tages nicht wieder in ihrer Unterkunft aufgetaucht und die Ermittlerin geht verdeckt auf Spurensuche. Was sie dabei nicht ahnt, die einzelnen Fälle hängen miteinander zusammen und mit ihrer Suche nach Nastasja gerät sie dann sehr, sehr schnell ins Visier eines großen, gewalttätigen Netzwerks, das wirklich vor nichts und niemandem Halt zu machen scheint und sie um die halbe Welt jagen wird.



Mehr möchte ich dann auch noch nicht verraten, denn hier dröselt sich ein wirklich sehr brisanter Fall auf, bei dem nicht nicht nur ein Kopf rollt und der mich vor lauter Aufregung gegen Ende hin auch nicht mehr ruhig sitzen lies. Aber eins nach dem anderen, denn zunächst ist dieses Buch wirklich ein unendlicher Krampf. Nachdem mich die ersten Seiten noch so begeistern konnten, zieht sich die Geschichte ungefähr bis zur Hälfte des Buches hin. Auch der allgemeine Plot ist jetzt keine allzu große Überraschung und doch nimmt die ganze Handlung erst mit der Bedrohung Vanessas so wirklich Fahrt auf. Alles beginnt recht ruhig und die Geschichte wird auf drei Handlungsstränge verteilt. Der eine spielt in Feuerland, also Chile. In der Colonia Rhein werden in einer Klinik Organtransplantationen vorgenommen. Diese Organe stammen aus einer Bank, die seit den Neunzigern mit eingefangenen, verwaisten Straßenkindern der umliegenden Gegenden bestückt wird. Doch deren Anzahl ist endlich und so müssen Carlos und seine Männer nun neue Wege finden, an junge Organe zu gelangen. Ein Zeitungsartikel macht sie auf verschwundene Flüchtlingskinder in Schweden aufmerksam und so wollen sie nun hier ihr Glück versuchen. Das bestehende Drogennetzwerk nach Schweden macht es ihnen einfach, sie suchen nach Kontakten und breiten dann ihre Fänge aus. Im zweiten Handlungsstrang dreht sich dann alles um Nicholas und seinen Freund Ivan. Sie führen scheinbar ein ganz normales Leben, haben hier und da einzelne Probleme und versuchen nun an Geld zu kommen. Gemeinsam gehen sie in Stockholm auf Beutezug und erpressen reiche Geschäftsleute. Und dann gibt es noch Vanessa mit ihren Problemen, die Geschichte wie sie Nastasja kennenlernt und später die Spurensuche nach dem verschollenen Kind, den Kriminellen und dem Kampf um ihr eigenes Leben.

Alle Protagonisten ‘spielen zunächst’ mehr in ihrer eigenen Welt, doch im Verlauf der Geschichte überkreuzen sich die Ereignisse und die Handlung gewinnt dadurch zusehend an Spannung. Es ist so, als hätte sich nach der ersten Hälfte plötzlich ein Schalter umgelegt und die Handlung legt plötzlich den Turbogang ein. Und ab diesem Punkt kann man dieses Buch dann auch nicht mehr so einfach aus der Hand legen. Man fiebert mit den ‘guten Protagonisten’ mit, rätselt und stößt gemeinsam mit ihnen auf korrupte Gegenspieler und große Machthaber. So gerät man mit Vanessa hin und wieder in einen Hinterhalt, verläuft sich und hofft stur auf ein HappyEnd. Doch dieses wird es nicht für alle Beteiligten geben, denn es finden einfach viele große Blutbäder statt und die kriminelle Legion macht auch vor Unschuldigen keinen Halt. Und so war für mich der Verlust einzelner Charaktere und das Ende teilweise dann doch recht unerwartet. Unerwartet krass würde ich beinahe schon sagen und so gibt es einfach kein Entkommen mehr. Gegen Ende hin habe ich mir dann sogar eine halbe Nacht um die Ohren geschlagen, einfach um der Aufklärung schneller näher zu kommen, denn eine Pause einzulegen war für mich nahezu unmöglich. Und so ist es tatsächlich auch das perfekte Wochenbuch, denn während der erste Teil sich wunderbar abschnittsweise am Abend lesen lässt, umso mehr Aufmerksamkeit und freie Zeiträume am Wochenende bedarf dann die zweite Hälfte. So schlug dann auch meine Begeisterung von “Naja” auf “Woah, krasses Buch” um. Engman versteht es nach der Heranführung innerhalb dieser kurzen, abwechselnden Kapitel sehr viel Druck und Spannung aufzubauen. Natürlich kann man sich das Ende denken, denn es wäre komisch wenn bereits im ersten Teil die Ermittlerin stirbt und doch schwappt die Anspannung förmlich über und man rast durch die Seiten. Neben diesem Organhandel kommen diese Machtspiele zwischen Arm und Reich, aber auch die Abhängigkeiten der ärmeren Regionen bzw. der Menschen innerhalb der Kolonie sehr stark zum Ausdruck. Korruption dringt bis ins Polizeipräsidium und das Opfern von Menschen, dieser Machtmissbrauch, diese Habgier, diese Angst nimmt einen dann schon sehr mit. Ich bin von “Feuerland” begeistert (einziger kleiner Kritikpunkt dieser recht lange Einstieg) und hoffe nun auf eine rasche Fortsetzung, aber erst einmal brauche ich jetzt unbedingt etwas leichteres zum Abschalten.

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Veröffentlicht am 03.02.2020

"Das Vermächtnis unsrer Väter" - Angst und Schuld auf Lebenszeit.

Das Vermächtnis unsrer Väter
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Vor zwanzig Jahren geschah auf auf einer Hebrideninsel ein erschütterndes Verbrechen. Niemand hat es damals kommen sehen und dann war es plötzlich zu spät. Katrina Baird, ihr Ehemann John, ihre einjährige ...

Vor zwanzig Jahren geschah auf auf einer Hebrideninsel ein erschütterndes Verbrechen. Niemand hat es damals kommen sehen und dann war es plötzlich zu spät. Katrina Baird, ihr Ehemann John, ihre einjährige Tochter Elisabeth und der zehnjährige Nicholas wurden tot in ihrem Haus aufgefunden. Ein Blutbad mitten auf dieser sonst so beschaulichen, kleinen Insel, auf der einfach jeder jeden kennt. Der einzige Zeuge und Überlebende dieses Verbrechens ist der achtjährige Thomas, der sich verängstigt im Kleiderschrank versteckt hielt. Doch, was genau ist passiert? Wer hat die Familie angegriffen? Oder war es doch ihre eigene Schuld? Ein Nachbar? Ein Unbekannter?

"Hätte Katrina überlebt, hätte sie hinterher gesagt, was Menschen in solchen Fällen immer sagen: das es ein Tag gewesen sei wie jeder andere. Alles ganz normal. Vielleicht hätte sie auch gesagt, wie seltsam es doch war, dass man Normalität immer erst wahrnahm, wenn sie nicht mehr da war…"

Der Junge kam zu seinem Onkel, doch alles sollte nie wieder so werden wie es war… Ist ja klar, nach dem, was ihm widerfahren ist. Er hat seine Familie verloren, sein Zuhause und grausame, quälende Gedanken und Erinnerungen zurückbehalten. Die Zeit verging, Thomas verließ die Insel und alle schienen es nach und nach langsam zu vergessen. Doch nach zwanzig Jahren Absenz kehrt Thomas wieder zurück, so als hätte er noch eine Rechnung zu begleichen. Alte Erinnerungen werden wach. Schuldgefühle, Angst und Verunsicherung machen sich bei den Inselbewohnern breit und einige wären froh, wenn er schnellstmöglich wieder verschwinden würde. Wissen sie etwa mehr als ihnen lieb ist?

"Ich dachte die ganze Zeit, ich will unbedingt mit dir über meinen Vater reden. Aber ich glaube, es geht mir eher um meine Mutter. [..] Ich meine, ich weiß, wie sie zu mir war, aber ich hab keine Ahnung, wie andere sie gesehen haben."

Rebecca Wait hat mich mit ihrem Roman "Das Vermächtnis unsrer Väter" recht euphorisch gestimmt. Was zunächst als ganz ruhiger, 'normaler' Roman beginnt, wird nach und nach düsterer, nimmt plötzlich eine Wendung, nimmt Fahrt auf und man hat das Gefühl einen Krimi zu lesen. Und dann kommt die Zeit, die Verdrängung, die Menschlichkeit. Thomas kehrt wieder zurück und mit ihm kommt alles noch einmal ins Rollen. Er wohnt bei seinem Onkel, trifft einige andere Inselbewohner und diese sind verwundert, haben Angst, dass etwas Schlimmes passieren könnte und alte Wunden werden wieder aufgerissen. Sie versuchen den Tod und das was damals geschehen ist als Gesprächsthema zu vermeiden und doch bleibt es schwierig.

Wait gibt vielen Bewohnern eine Stimme, ein jeder ihrer Protagonisten hat seine Eigenarten und diese zwischenmenschliche Kommunikation, die Skepsis und die Beobachtungen machen diesen Roman für mich total faszinierend. Mit jeder weiteren Seite merkt man, dass es bereits im Vorfeld einige Anzeichen für die Tat gab, dass Schuld und Vorwürfe auch Jahre überdauern können und dass 'dieses Vermächtnis' zahlreiche Risse und Abgründe in dieses doch so fragile Inselleben ziehen kann und sich damit beinahe alles ändert. Ich möchte jetzt auch gar nicht so viel verraten, denn was wirklich geschehen ist und welche Gründe und Anzeichen es gab und was die Inselbewohner sonst noch so tuscheln, fürchten und verschweigen, sollt ihr dann schon noch selber herausfinden. Die Mischung aus Familiengeschichte, Liebe, Schuld, Verdrängung und Flucht/Veränderung finde ich aus dieser Perspektive sehr spannend geschildert. Ich habe mich lange mit den einzelnen Charakteren auseinandergesetzt, mit meinen bisherigen Begegnungen verglichen und von ihnen sowie vom Setting eine genaue Vorstellung gehabt. Das macht diese Geschichte so greifbar, so abgrundtief bewegend und irgendwie schwingt dann doch auch so ein Hauch menschliche Naivität mit bzw. die Frage ob Schein eben auch Sein ist oder ob man vieles einfach übersehen möchte, weil es so einfach einfacher ist. Mich jedenfalls haben diese Gedanken noch lange begleitet und die Aufmerksamkeit für das, was um mich herum geschieht, verstärkt, mich skeptischer gemacht, sensibilisiert und das, obwohl es eben nur ein fiktiver Roman ist.

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