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Veröffentlicht am 02.09.2020

Eine bezaubernde Reise in faszinierende Landschaften

Nachts im Wald
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Ich glaube, jeder Mensch hat eine Landschaft, der er sich in irgendeiner Weise besonders verbunden fühlt. Für die einen sind es die Berge, für andere das Meer. Bei mir ist es eindeutig der Wald. Wald – ...

Ich glaube, jeder Mensch hat eine Landschaft, der er sich in irgendeiner Weise besonders verbunden fühlt. Für die einen sind es die Berge, für andere das Meer. Bei mir ist es eindeutig der Wald. Wald – das ist für mich ein Ort der Ruhe, ein Ort des Friedens. Der Ort, an dem ich durchatmen kann, an dem ich den Alltag, bisweilen auch die Welt vergesse. Wann immer ich nicht mehr weiß, wo mir der Kopf steht – ein, zwei Stunden im Wald, und ich bin klarer, bewusster, zufriedener: Wenn ich aus dem Wald komme, bin ich eine andere als die, die in ihn hineingegangen ist.
Etwas ganz Besonderes ist der Wald – da wird mir jeder „Waldmensch“ zustimmen – in der Nacht. Die Geräusche sind andere. Das (schwindende oder fehlende) Licht sowieso. Nachts im Wald scheint alles möglich, alles denkbar zu sein. Gruselig? Vielleicht auch, ja. Aber auch sehr, sehr inspirierend, wenn man sich darauf einlässt.

Der neueste Bildband des renommierten Landschaftsfotografen Kilian Schönberg widmet sich eben dieser faszinierenden Landschaft. Die verträumten, beeindruckenden, betörenden Fotos mit Titeln wie „Gespensterwald an der Ostsee“ oder „Nebelfall“ sind nicht nur wunderschön anzusehen, sie rühren an etwas, das tief verborgen scheint. Die Bilder werden flankiert von sehr persönlichen Texten Schönbergers zur Entstehung der Fotos, zu den damit verbundenen Gedanken und Gefühlen.

Der Wald als Ort der Abenteuer, der Wald als Ort der Sehnsucht, vielleicht auch als Landschaft der Seele – wem dieses Gefühl nicht fremd ist, der wird an „Nachts im Wald“ mindestens ebenso große Freude haben wie ich.

P. S. Aufgrund seines handlichen Formats (ca. 17 x 19 cm) ist dieses Buch auch als Urlaubsbegleiter (Waldwandern?) geeignet.

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Veröffentlicht am 06.08.2020

Die wechselvolle Geschichte eines besonderen Hauses

Das Gartenzimmer
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Berlin, 1908. Der junge Architekt Max Taubert kann sein Glück kaum fassen, als Professor Adam Rosen und seine Frau Elsa ausgerechnet ihn bitten, ihre Villa im Grunewald zu entwerfen. Sie wollen raus aus ...

Berlin, 1908. Der junge Architekt Max Taubert kann sein Glück kaum fassen, als Professor Adam Rosen und seine Frau Elsa ausgerechnet ihn bitten, ihre Villa im Grunewald zu entwerfen. Sie wollen raus aus der Stadt, ja, auch raus aus ihrem bisherigen Leben, das von einer kaum überwundenen Tragödie überschattet wird. Einen Platz der Ruhe, des Friedens, das ist es, was die Rosens sich wünschen, was sie brauchen. Das kultivierte Ehepaar ist Tauberts innovativen, außergewöhnlichen Ideen überaus aufgeschlossen, Max darf seine für jene Zeit nahezu verwegenen gestalterischen Ideen umsetzen und schafft einen beinahe magischen Ort.
Berlin, Mitte der 1990er Jahre. Frieder und Hannah Lekebusch verlieben sich auf den ersten Blick in die verwunschene „Villa Rosen“. Mit viel Elan, Ausdauer und nicht zuletzt Geld machen sie sich daran, den Originalzustand wiederherzustellen. Vor allem Hannah scheint dem Haus, das mittlerweile eine wechselvolle Geschichte aufzuweisen hat, regelrecht zu verfallen. Der Erhalt der Villa, ihre Präsentation vor einem mehr oder minder auserwählten Publikum verdrängen nach und nach alle anderen Gedanken, jeden anderen Aspekt ihres Lebens – ihren Mann und Sohn eingeschlossen.

Die auf mehreren Zeitebenen erzählte Geschichte eines außergewöhnlichen Hauses und seiner Bewohner hat mich von der ersten Seite an in ihren Bann gezogen. Ausgehend von der im Zentrum des Geschehens stehenden Villa entfaltet sich nach und nach ein mehrere Jahrzehnte überspannendes Panorama aus Architektur und Kunst, Verantwortung und Moral, Einzelschicksal und Politik.

Besonders hervorzuheben ist die schnörkellose und zugleich eindringliche, bisweilen gar suggestive Sprache, die „Das Gartenzimmer“ für mich nicht nur inhaltlich, sondern in besonderer Weise auch sprachlich zu einem Lesegenuss machte.

Deshalb gibt es von mir eine klare Leseempfehlung an alle, die einen klugen, vielschichtigen und subtilen Roman zu schätzen wissen.

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Veröffentlicht am 15.06.2020

Charmant und informativ

Das Herz
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Es ist wohl eines der bekanntesten Symbole der Welt: Das Herz. Es ist der symbolische Inbegriff der Liebe, steht aber auch für alles, was wir mögen oder auch ‚liken‘.

Doch woher kommt dieses Symbol, ...

Es ist wohl eines der bekanntesten Symbole der Welt: Das Herz. Es ist der symbolische Inbegriff der Liebe, steht aber auch für alles, was wir mögen oder auch ‚liken‘.

Doch woher kommt dieses Symbol, das in seiner Form mit dem anatomischen Herzen, wenn man es einmal näher betrachtet, nicht viel gemein hat? Dieser Frage geht die US-amerikanische Gender-Spezialistin und erfolgreiche Sachbuchautorin Marilyn Yalom auf den Grund. Ebenso fachlich fundiert wie sprachlich leicht erläutert sie den Siegeszug eines Symbols, das nicht mehr wegzudenken ist, von der Antike über Mittelalter und Renaissance bis zur Gegenwart. So erfährt man beispielsweise, dass die erste nachgewiesene Herzform in das 5./6. Jahrhundert v. Chr. zurückdatiert. Dort ziert es eine Drachme – allerdings ohne das Herz oder die Liebe zu symbolisieren, sondern vielmehr als Abbild der Samenschale der Silphiumpflanze.

„Das Herz. Eine besondere Geschichte der Liebe“ (Deutsch von Barbara von Bechtolsheim) ist die charmante Kulturgeschichte eines Symbols, das einem heute allerorts begegnet, dessen Ursprünge aber wohl kaum jemanden bewusst bzw. bekannt sind. Unterhaltsam und lehrreich zugleich.

Ach ja: Wem der Nachname der Autorin (vage?) bekannt vorkommt: Der Bestsellerautor Irvin D. Yalom hat die Ehre, der Ehemann dieser klugen Frau sein zu dürfen.

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Veröffentlicht am 04.06.2020

Eine charmante und sprachlich fulminante literarische Wiederentdeckung

Hotel du Lac
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Urlaub. Das ist es, was Edith jetzt braucht. Zumindest sind sich ihre wohlmeinenden (?) Freunde darüber einig. Auf jeden Fall muss sie raus aus England, nach dem, was sie sich geleistet hat. Und so findet ...

Urlaub. Das ist es, was Edith jetzt braucht. Zumindest sind sich ihre wohlmeinenden (?) Freunde darüber einig. Auf jeden Fall muss sie raus aus England, nach dem, was sie sich geleistet hat. Und so findet sich die eigensinnige und ein wenig eigenbrötlerische Schriftstellerin im titelgebenden Hotel du Lac am Genfer See wieder, jenem unter seinen Stammgästen beliebten Haus, in einem Zimmer, das „in der Farbe von zu lange gekochtem Kalbfleisch“ gehalten ist und an dessen Wänden „eine ferne Erinnerung an schwere Mahlzeiten zu haften“ scheint. Die Saison ist so gut wie vorbei und außer Edith befinden sich nur noch wenige Gäste in dem Hotel, das als Ort bekannt ist, „der einem vom Leben Misshandelten oder auch nur Erschöpften einen erholsamen Aufenthalt garantierte“. Sie trifft auf ein irritierend inniges Mutter-Tochter-Gespann, auf eine von ihrer Familie vergessene Comtesse, die magersüchtige Gattin eines Adeligen, der sich einen Erben wünscht. Und auf einen potenziellen Heiratskandidaten. Denn ist es nicht das, was Edith eigentlich braucht? Weder Ruhe noch Abstand, sondern „eine gesellschaftliche Position“ in Form einer Ehe? Eben darin lag, wie im Laufe der Handlung offenbart wird, Ediths beispielloser Fauxpas (als Leserin möchte man hingegen meinen, es sei vielmehr ein beispielloser Akt gesunden Menschenverstandes), der ihr nicht ganz freiwilliges Exil begründete: Sie, die nicht mehr ganz Junge, auch nicht überragend Schöne und damit auf dem Heiratsmarkt nicht allzu Chancenreiche, hat ihren Bräutigam sitzenlassen. Vor dem Altar. Beim Anblick seiner „ganzen[n] mausartige[n] Spießigkeit“ konnte sie nicht anders. (Und man will sie dazu nur beglückwünschen!) Des ungeachtet ist die Chance auf eine „sichere, vernünftige Zukunft“ allerdings irgendwie auch verlockend …

Anita Brookners 1984 mit dem Booker Prize ausgezeichneter Roman „Hotel du Lac“ ist eine der charmantesten literarischen Wiederentdeckungen, die ich seit Langem gelesen habe – auch wenn mir die in Ediths Umfeld allgegenwärtige Obsession, eine Frau gehöre verheiratet, allzu oft ein überraschtes Stirnrunzeln entlockte. Denn diese Haltung hätte ich aus heutiger Sicht allenfalls in den Fünfzigerjahren verortet. Ernsthaft: Waren wir, war die Gesellschaft in den Achtzigern nicht schon viel, viel weiter?! Neben dem atmosphärischen Handlungsort, der irgendwo zwischen Thomas Manns „Zauberberg“ und Vicki Baums „Menschen im Hotel“ angesiedelt ist, den spleenigen Figuren und der in ihrer latenten Verpeiltheit entzückenden Protagonistin ist „Hotel du Lac“, wie meine außergewöhnlich zahlreichen Zitate schon andeuten, insbesondere in sprachlicher Hinsicht ein wahrer Lesegenuss.

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Veröffentlicht am 26.03.2020

Eine bezaubernde und verzaubernde Geschichte

Die ganze Welt ist eine große Geschichte, und wir spielen darin mit
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Die Geschichte beginnt mit dem Maler Edgar, einem träumerischen, etwas versponnenen jungen Mann, der nach Garmisch reist, um seinen Schwarm Elis wiederzusehen. Doch statt seiner Angebeteten trifft er die ...

Die Geschichte beginnt mit dem Maler Edgar, einem träumerischen, etwas versponnenen jungen Mann, der nach Garmisch reist, um seinen Schwarm Elis wiederzusehen. Doch statt seiner Angebeteten trifft er die zehn Jahre ältere, patente Ladenbesitzerin Luise. Das scheinbar ungleiche Paar entdeckt in dem jeweils anderen etwas, das man eine verwandte Seele nenne könnte. Beide haben einen fantasievollen Geist, der ihnen unbegrenzte Welten eröffnet. Ein halbes Jahr später sind Edgar und Luise verheiratet, bald darauf wird ihr erster und einziger Sohn Michael geboren – das vielgeliebte, von allen verhätschelte Kind, dem seine Eltern die Fähigkeit vererbt haben, das Wunderbare im Alltäglichen zu sehen und hinter die Grenzen der ‚Wirklichkeit‘ zu blicken. Doch in seiner Kindheit und Jugend eckt Michael immer wieder an: Es sind die Dreißiger-, Vierzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts, es ist weder die Zeit noch der Ort, seine Fantasie und Imaginationskraft öffentlich ausleben zu können oder zu dürfen. Michaels Vater wird die Lebensgrundlage entzogen, seine Kunst gilt als „entartet“, die Mutter versucht mit allen möglichen Jobs, die Familie über Wasser zu halten. Doch so schwer die Zeiten sind, in der Familie steht man zusammen, versucht, der grauen Realität zu entfliehen. Als junger Erwachsener versucht Michael – ein gutaussehender Schürzenjäger mit überbordendem Selbstbewusstsein – sein Glück als Theaterautor, doch der große Erfolg will sich nicht so recht einstellen. Erst als ein Kinderbuchillustrator ihn bittet, seine Zeichnungen mit einem kleinen Text zu versehen, findet er seine wahre Berufung, um nicht zu sagen, Bestimmung. Aus dem ‚kleinen Text‘ wird ein Kinderbuch von mehr als 500 Seiten, das mit den Worten beginnt: „Das Land, in dem Lukas, der Lokomotivführer wohnte, war nur sehr klein.“ …

Ich muss gestehen, dass ich herzlich wenig über das Leben von Michael Ende wusste. Und natürlich ist eine Romanbiografie – denn genau darum handelt es sich bei diesem Buch – keine lineare Wiedergabe von Lebensdaten und -abschnitten, sondern, wie die Autorin Charlotte Roth im Vorwort betont, ein Roman. Indes „ist Erfundenes [zuweilen] hilfreich, um im Verborgen Geschehenes sichtbar zu machen.“ Dieser sich am Leben von Michael Ende orientierende Roman ist eine wunderbare und wundersame Geschichte, in der man vieles aus Endes Kinderbüchern wiederfindet (was mir immer wieder ein Lächeln aufs Gesicht gezaubert hat) und die überdies so wunderschön und in einer so verzaubernden Sprache erzählt ist, dass ich sie allen wärmstens ans Herz legen möchte.

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