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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 09.10.2018

Verschiedene Gesichter, verschiedene Leben

Die Gesichter
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Obwohl „Die Gesichter“ schon das dritte Buch von Tom Rachman ist, hatte ich noch nie zuvor von ihm gehört und gedacht, es hier mit einem Debüt zu tun zu haben. Nach meiner Recherche stellte ich aber fest, ...

Obwohl „Die Gesichter“ schon das dritte Buch von Tom Rachman ist, hatte ich noch nie zuvor von ihm gehört und gedacht, es hier mit einem Debüt zu tun zu haben. Nach meiner Recherche stellte ich aber fest, dass besonders sein erstes Buch von der amerikanischen Presse sehr gelobt wurde – wenn es so gut ist, wie dieses, dann zu Recht!

Als das Buch bei mir ankam war ich zuerst wirklich verwundert: Ich hatte schon einige Formen von Vorab-Exemplaren gesehen, aber so wie dieses war noch keines. Besonders hervorstechend hierbei natürlich der „ungleiche“ Buchschnitt und das unfertige Buchcover, was den Verlag bestimmt sogar noch einmal zusätzliche Arbeit gekostet hat.

Aber darum geht es ja hier nicht – sondern um den Inhalt. Erzählt wird die Geschichte von Charles „Pinch“, einem Mann, dessen gesamtes Leben jeher von dem Ruf und Ruhm seines Vaters überschattet wird, einem bekannten Künstler. Doch auch der Vater selbst kämpft mit seinem Schicksal, kann sich nicht entscheiden zwischen der Prominenz und der Anonymität. Für Pinch wird es ein Leben, hin- und hergerissen zwischen Selbstbewusstsein und der Abhängigkeit vom Vater.

Der Schreibstil war für mich anfänglich gewöhnungsbedürftig. Das Präsens liest man ja eher selten und so deutlich wie hier ist es mir noch nie aufgefallen. Doch wenn man sich einmal an die Zeitform gewöhnt hat, fällt auf, wie gut Rachman doch schreibt. Dies merkte ich besonders daran, dass die Figur des Vaters, Bear Bavinsky, zwar ein fiktionaler Künstler ist, Rachman es aber schafft durch gute Beschreibungen den Eindruck zu erzielen, als hätte man schonmal etwas von diesem Künstler gehört oder sogar gesehen. Der Leser taucht in das (teilweise sehr duchzechte) Leben unser zweier Protagonisten ein und erhält Einblicke, in Emotionen und Gedanken, wie man es nur selten sieht.

Der englische Titel „The Italian Teacher“ wird erst mit dem Lesen des Buches klar – wie so vieles dieser Geschichte. Ein Buch, dass Angst, Einfluss und Beziehungen in sich vereint, wie es nur wenige können. Es erinnert vom Flair an „Licht und Zorn“ von Lauren Groff und spielt in der gleichen Liga! Sehr empfehlenswert!

Veröffentlicht am 20.01.2022

Ein (viel zu kurzes) Debüt, dass hoffentlich kein One-Hit-Wonder wird

Zusammenkunft
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Natasha Brown nimmt uns mit durch ein paar Tage und doch die gesamte Lebensrealität unser Protagonistin. Nicht nur erfahren wir nie ihren Namen, auch spricht sie selbst fast nie direkt mit den anderen ...

Natasha Brown nimmt uns mit durch ein paar Tage und doch die gesamte Lebensrealität unser Protagonistin. Nicht nur erfahren wir nie ihren Namen, auch spricht sie selbst fast nie direkt mit den anderen Figuren, sie spricht nur mit dem / der Lesenden in ihren Gedanken, reißt das Umfeld im Finanzviertel Londons aber genauso passend an wie die angespannte Idylle im Landhaus der Eltern ihres Freundes. Denn mehr als ein scheues Anreißen von Szenen geschieht nicht – wie in einem Drehbuch oder einem Notizbuch fällt das Licht auf manchmal wahllos angeordnete Situationen und schafft so nach und nach ein vollständiges Bild. Einige Stellen sind dabei so sprunghaft, dass sie untergehen, andere so packend beschrieben, dass man sie sofort vor Augen hat. Einige Figuren so flüchtig erwähnt, dass man ihre Namen vergisst, andere so spitzfindig beobachtet, dass man sie sofort im eigenen Umfeld wiedererkennt. Durch die zugehörigen Freiräume und Lücken im Schriftsatz unterstützen diese Erzählweise und geben ihr eine zweite Ebene, unterstreichen das Prinzip der Versatzstücke, die auch in anderer Reihenfolge erzählt werden könnten und doch vom gleichen Leben berichten. Leider begleiten wir nur 113 Seiten dieses Lebens. Ich hätte gerne gesehen, wie es weitergeht, was die Autorin noch aus den Situationen und der Geschichte hätte herausholen könnte. Insbesondere die politischen Untertöne hätten sich auf 300 Seiten noch mehr verdichtet, denn es wird klar, es geht nicht nur um die Zusammenkunft von Menschen im Landhaus, sondern auch eine Zusammenkunft verschiedener Lebensumstände, Überbleibsel einer (verdrängten) Vergangenheit und Vorurteile.

Ein Debüt, dass gerne noch mehr Platz im Regal einnehmen dürfte. Schon jetzt bin ich gespannt, wie das nächste Buch von Natasha Brown sein wird und ob sie ihren Schreibstil beibehält.

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Veröffentlicht am 29.03.2020

Ein vergessenes Stück Emanzipation

Ich erwarte die Ankunft des Teufels
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Dass, anders als oft so dargestellt, Emanzipation und Feminismus nicht unbedingt nur Trenderscheinungen sein müssen, zeigt dieser autobiographische Roman von Mary Maclane – ist er immerhin schon fast 120 ...

Dass, anders als oft so dargestellt, Emanzipation und Feminismus nicht unbedingt nur Trenderscheinungen sein müssen, zeigt dieser autobiographische Roman von Mary Maclane – ist er immerhin schon fast 120 Jahre alt.

Die Autorin zeichnet das Bild einer jungen Frau, die sich nach mehr sehnt, als sie hat und ihr gegeben wird. Dabei geht es um materielles, emotionelles, aber eben auch ganz einfach um Respekt und Ansehen – etwas, was in der damaligen Zeit nicht zu Hauf gegeben war.

Genau wie die Frau auf dem Cover (was wohl Mary Maclane selbst ist), wirkt die Protagonistin gelangweilt, aber auch ein Stück arrogant und genervt. Schließlich würde sie alles für eine Veränderung geben, selbst die Welt an den Teufel, wenn man ihr doch nur die Möglichkeit geben würde.

Bei Erscheinen 1902, wurde das Buch als ein Tabubruch gewertet und der Schreibstil in Tagebuchform zeigt, dass auch Mary Maclane höhere Ansprüche hatte – reiht sie sich damit doch in die Reihen Bram Stokers und Daniel Dafoe.

Und ähnlich wie „Dracula“ und „Robinson Crusoe“ ist auch „Ich erwarte die Ankunft des Teufels“ sehr spannend. Nicht auf die nervenzerrende, blutige Art der anderen beiden Werke, jedoch möchte man einfach wissen, was der 19-Jährigen als nächstes wiederfährt und vor allem, wie sie es interpretiert und darstellt. Gleichzeitig liest es sich – vielleicht gerade durch die kurzen Einträge – sehr flüssig und man fliegt nur so durch die 200 Seiten.

Ein großer Bonus dieser Neuauflage sind auch das Nachwort der Übersetzerin Ann Cotten und dem Essay von Juliane Liebert, die dem Buch Hintergrund und dem Leser interessante Informationen geben.
Zuletzt auch noch ein großes Lob an den Verlag für die Aufmachung des Buches. Bei dem Cover gilt die Ausrede, man müsse bei Reclam an die gelben Schullektüren und somit an den Unterricht denken, auch nicht mehr!

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Veröffentlicht am 10.11.2018

Horror im Axton House

Mörderische Renovierung
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Ohne die Möglichkeit, das Buch zu gewinnen, hätte ich es wohl niemals auf dem Schirm gehabt. Nach Entdecken auf Vorablesen.de hätte ich es selbst gekauft, wenn ich es nicht zugeschickt bekommen hätte.

Insgesamt ...

Ohne die Möglichkeit, das Buch zu gewinnen, hätte ich es wohl niemals auf dem Schirm gehabt. Nach Entdecken auf Vorablesen.de hätte ich es selbst gekauft, wenn ich es nicht zugeschickt bekommen hätte.

Insgesamt hat es mir auch ganz gut gefallen. Natürlich fällt – wie schon in der Leseprobe – das Buch aus dem Rahmen. Die Geschichte an sich wirkt noch ziemlich normal, aber die Umsetzung ist alles andere als klassisch. Denn anders als nur durch Erzählung und Dialoge, wird der Leser zusätzlich anhand von Briefen, Tagebüchern, Videos und Mitschriften durch das Horror-House geleitet, bei dem der Leser wirklich miträtseln kann.

Denn es ist wirklich ein Horror-House – komplett mit unerklärlichen Geschehnissen. Wir begleiten die Protagonisten Niamh und A. (wessen vollständiger Name leider nie aufgelöst wurde), welche durch ihre vielen Facetten wirklich gelungen sind.

Für mich ist „Mörderische Renovierungen“ von Edgar Cantero wirklich eine spannende Story mit einer interessanten Schreibart. Die 400 Seiten sind abwechslungsreich und kurzweilig, ohne die Spannung zu vergessen. Allein das Ende kam etwas zu plötzlich und deckte leider nicht alles auf. Trotzdem: Tolle Umsetzung einer msystischen Geschichte mit dem gewissen Etwas!

Veröffentlicht am 07.05.2018

DAS deutsche Buch des Jahres 2018?

Unter der Haut
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Seit einiger Zeit schrieb Gunnar Kaiser an seinem Buch „Unter der Haut“, doch erst Uwe Kalkowski vom Blog kaffeehaussitzer.de erkannte das Potential dieser Geschichte und nominierte es sofort für den Blogbuster-Preis. ...

Seit einiger Zeit schrieb Gunnar Kaiser an seinem Buch „Unter der Haut“, doch erst Uwe Kalkowski vom Blog kaffeehaussitzer.de erkannte das Potential dieser Geschichte und nominierte es sofort für den Blogbuster-Preis. Am Ende schaffte Kaiser es zwar nicht ins Finale, hat dafür aber einen Buchvertrag an Land gezogen, der das Buch direkt zum Spitzentitel des Frühjahrsprogramms erkor. Und zwar nicht ohne Grund!

Gunnar Kaiser erzählt eigentlich zwei Geschichten. Die eine, von Jonathan Rosen, einem Literaturstudenten in New York, der durch ein Mädchen in die Wohnung eines Mannes gelockt wird, der ihn mit Frauen umgibt und rauchend auf seinem Diwan über Bücher philosophiert. Die zweite Geschichte ist genau die dieses Mannes. Es geht um seine Vergangenheit, das Jetzt, seine Ansichten rund um das Leben, die Liebe und vor allem: Die Literatur. Dabei geht es ihm nicht immer um das Innere, viel wichtiger ist ihm die Aufmachung des Buches, der Einband, der Buchschnitt, die Schrift, die Verarbeitung. Doch schnell merkt der Leser, dass dies nicht nur eine bibliophile Begleiterscheinung ist, sondern vielmehr eine Besessenheit, die seinen Tribut fordern wird. Und der Leser ist hautnah dabei...

Der Schreibstil dieses Buches ist wirklich hervorragend. Nicht nur findet ein regelmäßiger Wechsel zwischen den Sichten unserer zwei Protagonisten statt, die einzelne Lebensabschnitte darstellen, sondern schreibt Gunnar Kaiser auch generell außerordentlich gut. Geschwungene Sätze mit Gefühl für Schnelligkeit, Erzählweise und Liebe zum Detail, wie zum Beispiel der Aspekt, dass er einige Teile nach den alten Rechtschreibregeln schreibt, wenn es stilistisch passt. Und trotzdem kommt er dabei ohne Melancholie oder Eintönigkeit aus, schreibt einen Roman, der auch Krimi-Apsekte hat und ganze Ozeane überquert. In jedem Kapitel hält er etwas für den Leser bereit, eine neue Erleuchtung, ein weiterer Charakterzug. Das Buch endet in einem passenden Finale, dass mir jedoch vielleicht etwas zu perfekt und zu romantisch war. Es fügt sich einfach alles auf einmal so gut ineinander ein, dass es schon etwas unwahrscheinlich ist – wenn natürlich trotzdem möglich.

Die Charaktere werden sehr gut dargestellt, agieren glaubhaft und offenbaren jeder eine eigene Welt voller Geheimnisse und Dinge, die noch entdeckt werden müssen. Auch haben mich beide Seiten der Geschichte interessiert und somit auch jedes Kapitel, selbst wenn die Sicht mal wechselt.

Auch Leser, die – ich hoffe – nicht so extrem auf das Äußere eines Buches wie Eisenstein versessen sind, sollte die Aufmachung sofort auffallen. Ausgestanzte Buchstaben auf dem Cover habe ich hier zum ersten Mal gesehen, und der bedruckte Einband des Buches macht auch Einiges her. Zusammen mit dem Cover und dem klar strukturierten Innenleben, dass z.B. die Schrift des Umschlags in Form von Überschriften und Seitenzahlen weiterführt. Auch erschließen sich dem Leser nach Beenden des Buches mehrere Bedeutungen, die den Titel so passend und vielschichtig machen. Großes Lob an den Verlag für diese tolle und durchdachte Aufmachung!

Eine große Leseempfehlung für alle, die nicht nur einen tollen Schreibstil suchen, sondern auch einen guten Plot brauchen, der sie durch das Buch zieht und die, die sich über kleine literarische Anspielungen an andere Meisterwerke freuen. Gunnar Kaiser ist ein Name, den ich im Auge behalten werde und mich schon jetzt auf sein nächstes Buch freue – in der Hoffnung, dass es genauso gut wird! 4/5 Sterne