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Veröffentlicht am 29.07.2021

gesellschaftkritischer Endzeitroman

New York Ghost
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Kurzmeinung:

New York Ghost von Ling Ma ist ein gesellschaftskritischer Endzeitroman, der viele verschiedene Themen anspricht, gut geschrieben ist und erschreckend gut in unsere aktuelle Zeit passt (Seitenblick ...

Kurzmeinung:

New York Ghost von Ling Ma ist ein gesellschaftskritischer Endzeitroman, der viele verschiedene Themen anspricht, gut geschrieben ist und erschreckend gut in unsere aktuelle Zeit passt (Seitenblick auf die Pandemie).

Meine Meinung:

Dieser postapokalyptische Roman von Ling Ma passt thematisch natürlich sehr gut in unsere aktuelle Zeit, ist in den USA aber tatsächlich schon vor der Corona Pandemie erschienen.

In New York Ghost geht es um Candace Chen, deren Eltern aus China in die USA ausgewandert sind. Sie selbst lebt in New Yorkt und arbeitet für einen großen Verlagsdienstleiter. Ihr Spezialgebiet ist etwas skurril: sie ist zuständig für die Produktion von Bibeln. Neben dem Job, der für sie nicht der Traumjob ist, widmet sie sich ihrem Hobby, der Fotografie. Ihr Motiv: New York, die Stadt die niemals schläft. Ihre Bilder veröffentlicht sie auf ihrem Blog New York Ghost.

Als ein tödliche Pilzsporen eine landesweite Epidemie auslösen, die die betroffenen Menschen zu Zombies werden lässt, ist sie eine der letzten, die New York verlässt und ihr Blog New York Ghost wird für viele Leser*innen zur letzten Informationsquelle über die Zustände in der Stadt und ihre dort lebenden Angehörigen.

Die Geschichte wird auf mehreren Zeitebenen erzählt. Auf einer begleiten wir die Protagonistin Candace durch diese Apokalypse. Sie ist eine der wenigen Überlebenden und muss mit einer kleinen Gruppe anderer Menschen nun das Leben in dieser veränderten Welt bestreiten. Wir lernen die anderen Mitglieder der Gruppe kennen und es entwickeln sich interessante Synamiken zwischen diesen willkürlich zusammengewürfelten Menschen, die nun so sehr von einander abhängig sind.

In Rückblicken begleiten wir Candace durch ihre erste Zeit in New York: bei ihren Streifzügen mit der Kamera, zu ihrem Job in der Bibel- Abteilung, auf Parties mit Freunden und auf Treffen mit Männern.

Auf einer dritten Zeitebene erfahren wir von Candace Eltern, von Candace Kindheit in China, von der Migration der Eltern in die USA, welche Vorteile, aber auch viele Schwierigkeiten mit sich brachte.

Ihr merkt schon: in diesem Roman steckt viel drin. Es ist eine Mischung aus Gesellschaftskritik und Zombie-Apokalyspe. Es geht um Migration, unterschiedliche Kulturen, Rassismus, Familie und Beziehungen.

Mir haben alle drei Zeitebenen gut gefallen. Der Roman ist spannend, gut geschrieben und lässt sich flüssig lesen. Ich konnte das Buch teilweise gar nicht aus der Hand legen und bin nur so durch die Seiten geflogen. Immer wieder musste ich aber auch innehalten und über das Gelesene nachdenken.

Spannend fand ich auch immer wieder die Bezüge zu unserer aktuellen Lage. Fast schon beängstigend, wie gut dieser (ich erinnere euch: VOR der Pandemie entstandene) Roman zu unserem neuen Alltag in der Corona-Pandemie passt. Eine Krankheit, die ihren Ursprung in Asien zu haben scheint. Dessen wahres Risiko zunächst unterschätzt wird. In dessen Bekämpfung Quarantäne, Reiseverbote und FFP2 Maskenpflicht verhängt wird.


Fazit:

New York Ghost von Ling Ma ist ein sehr lesenswerter Endzeitroman, in dem viele interessante Themen behandelt werden und der einen durch den spannenden Schreibstil nur so durch die Seiten fliegen lässt. Wenn er Lust auf Zombie-Apokalypse und Gesellschaftskritik habt, dann ist New York Ghost definitiv das richtige Buch für euch.

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Veröffentlicht am 11.04.2020

Schwierige Mutter-Tochter-Beziehung

Jägerin und Sammlerin
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Kurzmeinung:

Jägerin und Sammlerin von Lana Lux ist ein wirklich starker Roman über eine schwierige Mutter-Tochter-Beziehung, die Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit, den Druck von Erwartungen, psychische ...

Kurzmeinung:

Jägerin und Sammlerin von Lana Lux ist ein wirklich starker Roman über eine schwierige Mutter-Tochter-Beziehung, die Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit, den Druck von Erwartungen, psychische Störungen, Migration und vieles mehr. Erzählt wird die Geschichte zunächst aus Sicht von Alisa, die mit einer Essstörung zu kämpfen hat. Später kommt auch ihre Mutter Tanya zu Wort. Beide Erzählperspektiven haben mir gut gefallen. Die Figuren sind sehr nahbar und haben viele Emotionen bei mir geweckt.



Meine Meinung:

Am Anfang hatte ich große Probleme, in die Geschichte hineinzufinden. Es gab sehr viele Zeitsprünge. Dadurch entstand bei mir das Gefühl, die Sachen sollten einfach schnell abgehandelt werden und die Figuren blieben mir zunächst fern. Ich hatte keine Zeit, sie und ihre Gefühle, ihre Entwicklung wirklich zu verstehen und ihnen dadurch nahe zu kommen. Die Dialoge wirkten auf mich hölzern und gestellt, die Figuren eher klischeehaft.

Doch das alles wurde nach ca einem Viertel besser. Das Erzähltem verlangsamt sich, ich konnte die Figuren kennenlernen und habe etwas über ihre Vergangenheit erfahren. Das machte sie für mich nahbar und authentisch.

Da gibt es Alisa, die an einer Essstörung leidet. Nach und nach erfährt man mehr darüber, welche Dinge aus ihrer Vergangenheit sie geprägt haben. Die schwierige Beziehung zur Mutter Tanya wird gut dargestellt. Sie hat sehr hohe Ansprüche und Erwartungen an ihre Tochter. Alisa lebt mit der ständigen Angst, ihre unnahbare Mutter zu enttäuschen.

Spannend fand ich die internalisierte Glaubenssätze, die sie von Mutter übernommen hat („Schönheit verlangt ihre Opfer“, Du bist tollpatschig und dumm“, „Du bist eine Enttäuschung“ ...). Es wird deutlich, wie sehr diese Alisas Entwicklung und ihr Selbstbild beeinflusst haben.

Dann war es zunächst sehr leicht, die Mutter zu verteufeln, die doch so offensichtlich alles falsch macht. Im Verlauf erfährt man jedoch auch mehr über Tanya und ihre Vergangenheit, die Beziehung zu ihrer Mutter, ihre Kindheit in der Ukraine. Dadurch wurde mir als Leserin dann auch viel von Tanyas Handeln verständlich. Allerdings blieb sie mir etwas zu überzeichnet. Zu sehr schwarz-weiß: sie als unsympathische Figur, der man die (Mit-)Schuld an Alisas Leben geben kann.

Schließlich gelingt Alisa die Emanzipation von Mutter. Von der Freundin, die ihr nicht gut tat. Es wurde sehr gut dargestellt, dass Genesung kein grader weg ist. Das es trotz Erkenntnis und Fortschritten und guten Phasen auch wieder Rückschritte geben kann.

Für mich war es sehr spannend, den Genesungsprozess zu verfolgen. Psychische Krankheiten werden weder dämonisiert, noch romantisiert oder bagatellisiert. Gerade Essstörungen werden in der Literatur oft stilisiert dargestellt. Von den dünnen, zerbrechlichen und disziplinierten Mädchen und Frauen. Dieser Weg wird hier nicht gewählt und das finde ich gut. Lux schreibt über das Leben mit den Krankheiten und wie der Weg zur Genesung nicht gradlinig verläuft. Wie schwierig und schmerzhaft er ist. Das es Arbeit erfordert und es trotzdem Rückschritte geben kann. Das es sich trotzdem lohnt.
Interessante fand ich auch die Reflexion über gesellschaftliche Anforderungen an vermeintlich „perfekte“ Mädchen und Frauen und den Druck, den das erzeugen kann. S.99 Und es stecken noch so viel mehr spannende Themen in diesem Roman, den es sich trotz der anfänglichen Schwächen zu lesen lohnt.



Fazit:

Jägerin und Sammlerin von Lana Lux ist ein Buch, mit dem ich so meine Startschwierigkeiten hatte. Trotz kleiner Schwächen möchte ich es euch unbedingt empfehlen, da es unglaublich gut psychische Krankheiten, besonders Essstörungen und den beschwerlichen Weg der Genesung beschreibt. Außerdem lohnt sich die Lektüre wegen der weiteren Themen, sei es Migration, Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit oder die schwierige Mutter-Tochter-Beziehung.

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Veröffentlicht am 24.03.2020

Gute Unterhaltung

Meine Schwester, die Serienmörderin
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Kurzmeinung:
Meine Schwester, die Serienmörderin von Oyinkan Braithwaite ist ein dunkler, aber auch fast satirischer, gut zu lesender Roman über ein paar Morde, aber hauptsächlich über die Beziehung zwischen ...

Kurzmeinung:
Meine Schwester, die Serienmörderin von Oyinkan Braithwaite ist ein dunkler, aber auch fast satirischer, gut zu lesender Roman über ein paar Morde, aber hauptsächlich über die Beziehung zwischen zwei sehr unterschiedlichen Schwestern.



Meine Meinung:

Zu allererst: das Buch ist tatsächlich weniger spannend, als ich es bei dem Titel und Klappentext erwartet hätte. Für mich geht es mehr um Unterhaltung, um die Beziehung zwischen den Schwestern, der vernünftigen Krankenschwester Korede und ihrer wunderschönen und egozentrischen Schwester Ayoola. Die beiden Schwestern sind wirklich sehr unterschiedlich. Die eine, strahlend schön, selbstbewusst, egoistisch und mit der schlechten Angewohnheit, ihre Männer zu töten.

Die andere immer in ihrem Schatten stehend. Von ihr überstrahlt, von ihr abgestoßen und gleichzeitig angezogen und sich für sie verantwortlich fühlend.

Die Geschichte erzählt also von den Morden an mehreren Männern, ist aber kein Thriller oder Krimi. Das Buch erzählt zwar von einer Serienmörderin und zwei Schwestern, die gemeinsam Leichen verschwinden lassen. Eigentlich steht aber die Beziehung der zwei Schwestern im Fokus und die Emanzipation der älteren Schwester, die sich aus der Bannkraft der Jüngeren zu lösen beginnt. Auch die Familiengeschichte und das Aufwachsen der beiden Schwestern spielt eine Rolle und nach und nach beginnt man besser zu verstehen, warum sich die beiden so entwickelt haben.

Der Schreibstil ist sehr angenehm. Das Buch liest sich schnell und leicht, auch durch die kurzen Kapitel. Man kann sehr gut in die Geschichte eintauchen. Die Charaktere waren mir sehr nah. Haben mich teilweise wütend gemacht, teilweise habe ich mit ihnen gemeinsam gelitten, gehofft, gebangt. Teilweise waren sie fast ein bisschen überzeichnet, so dass ich die Geschichte teilweise fast satirisch und mit bitterem Humor gelesen habe. Gleichzeitig war das aber nie zu viel und ich habe nie die Nähe zu den Figuren verloren. So möchte ich das bei einem Buch gern erleben und das hat dieses Buch zu einem guten Leseerlebnis für mich gemacht.

Sehr gut gefallen haben mir auch die in der Geschichte verstreuten Einblicke in die afrikanische Kultur, sei es das Essen oder besondere Kleidungsstücke oder kulturelle Werte & Normen.


Fazit:
Meine Schwester, die Serienmörderin von Oyinkan Braithwaite war inhaltlich anders und wurde anders erzählt, als ich es nach dem Klappentext erwartet hatte. Statt Mord und Totschlag stehen ganz klar die zwei Schwestern und ihre Beziehung zueinander im Mittelpunkt der Handlung. Das wurde aber sehr gut umgesetzt. Die Figuren sind interessant und nahbar. Der Schreibstil ist toll. Das Buch lässt sich leicht lesen und die Geschichte ist mitreißend und fesselnd. Klare Empfehlung von mir.

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Veröffentlicht am 13.01.2020

Eine Astronautin gibt Einblicke in den außergewöhnlichsten Job der Welt

Die lange Reise
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Kurzmeinung:
In "Die lange Reise – Tagebuch einer Astronautin" gibt die ESA Astronautin Samantha Christiforetti Einblick in einen der außergewöhnlichsten Jobs der Welt. Vom strengen Auswahlverfahrne über ...

Kurzmeinung:
In "Die lange Reise – Tagebuch einer Astronautin" gibt die ESA Astronautin Samantha Christiforetti Einblick in einen der außergewöhnlichsten Jobs der Welt. Vom strengen Auswahlverfahrne über die anstrengende Ausbildung bis zum aufregenden Aufenthalt im All lässt uns die Autorin teilhaben. Teils etwas langatmig, aber dann auch wieder wirklich spannend und fesselnd.



Meine Meinung:
Bei diesem Buch hatte ich gemischte Gefühle. Christoforettis Erlebnisse sind sehr interessant und besonders ihr Aufenthalt auf der ISS, der Internationalen Raumstation, fand ich unglaublich spannend. Diese Seiten habe ich regelrecht verschlungen. Leider bilden sie nur einen relativ kleinen Teil des Buches und die Seiten bis dahin haben sich teilweise sehr in die Länge gezogen. Sehr ausgiebig berichtet Christiforetti vom langen Weg, bis man Astronautin werden kann. Vom aufwändigen Auswahlverfahren, den zahlreichen Trainings, Tests und Reisen. Auch diese Aspekte fand ich zwar spannend, allerdings sind die Beschreibungen in so großer Ausführlichkeit geschildert, dass es für mich irgendwann etwas zäh wurde. Wenn zB sehr viele Namen von den vielen Menschen genannt werden, die Christoforetti getroffen hat, die ich aber alle nicht kenne. Auch die vielen Trainings und Tests werden sehr ausführlich beschrieben. Das gewährt zwar interessante Einblicke, aber man sollte sich schon wirklich sehr für die Raumfahrt interessieren, damit dieses Buch was für einen ist. Allerdings habe ich so auch viel Neues über die Raumfahrt gelernt. Zum Beispiel, dass die Aufgaben eines Astronauten, neben dem Flug vor allem Öffentlichkeitsarbeit bestehen. Und der eigentliche Aufenthalt im All nimmt ja im Verhältnis zur Beschäftigung bei NASA oder ESA nur eine geringe Zeit in Anspruch.

Viel Zeit nimmt natürlich auch erstmal die Ausbildung in Anspruch. Die Schilderungen von Christoforetti haben mir wirklich vor Augen geführt, welche unglaubliche Leistung Astronauten vollbringen. Nicht nur während des Aufenthalts auf der ISS, sondern auch schon im Training. Ich habe von diesen enormen Anforderungen gelesen, sowohl körperlich als auch psychisch, und kann mir kaum vorstellen, wie man das schaffen kann. Es setzt wirklich ein großes Maß an Leistungsbereitschaft voraus und ich denke, man muss auch einige Opfer bringen.

Das es sich für Samantha Christoforetti lohnt, merkt man aber auf jeder Seite, denn sie erzählt mit so viel Begeisterung und Stolz von ihren Erlebnissen und Leistungen. Für sie war es ein langer, schwieriger Weg, voller Anstrengungen, Erfolgserlebnisse, aber auch Rückschlägen, an dem sie uns intensiv teilhaben lässt.

Christoforetti thematisiert auch die Stellung der Frau in der Raumfahrt und auch die mögliche Diskriminierung. Samantha selbst hat keine negativen Erfahrungen gemacht, berichtet aber reflektiert von den Möglichkeiten. Diese Aspekte fand ich auch sehr spannend.

Mein absolutes Highlight waren aber dann die ca. 100 Seiten, in denen Christoforetti von ihrem Aufenthalt auf der ISS erzählt. Von der Arbeit dort, der Forschung, aber auch vom Alltag in der Schwerelosigkeit. Sie schreibt von den tollen Erlebnisse, aber auch von den Gefahren eines Lebens im Weltraum. Darüber hätte ich gern noch viel, viel mehr gelesen.

„Ein Experte ist jemand, der in einem sehr begrenzen Bereich bereits alle möglichen Fehler gemacht hat.“ Niels Bohr (S.121)



Fazit:
Das Buch lässt mich etwas zwiegespalten zurück. Das Thema ist unglaublich spannend, allerdings schildert die Autorin das Auswahlverfahren und viele technische Details wirklich sehr ausgiebig und detailliert, so das für mich auch einige Längen entstanden sind. Die Beschreibung ihrer Zeit auf der ISS ist aber so interessant, dass ich die Seiten verschlungen habe. Das hat mich für alle Kritikpunkte entschädigt.

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Veröffentlicht am 06.09.2019

Geschichte über Krankheit und Schmerz, aber mit viel Humor

Wir von der anderen Seite
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"Ich hätte so gern, dass ich sagen darf, wovor ich Angst habe, ohne dass du ein schlechtes Gewissen bekommst, weil du mir nicht helfen kannst." (S. 210)

Kurzmeinung:
Ein Buch über den schweren Weg zurück ...

"Ich hätte so gern, dass ich sagen darf, wovor ich Angst habe, ohne dass du ein schlechtes Gewissen bekommst, weil du mir nicht helfen kannst." (S. 210)

Kurzmeinung:
Ein Buch über den schweren Weg zurück ins Leben. Erzählt mal sehr berührend, voller Weisheit und Sätzen, die man sich unbedingt merken möchte, mal mit viel Humor, so dass man sich das Lachen kaum verkneifen kann.


"Sie versteht nicht, dass man manches zwar verzeihen, aber nicht wiedergutmachung kann."
(S. 93)

Meine Meinung:
In "Wir von der anderen Seite" erzählt Anika Decker von Rahel Wald, die sehr plötzlich sehr krank wird und schließlich in ein Koma fällt, aus dem sie erst Tage später wieder erwacht. Ihr Körper ist schwach, viele Organe geschädigt. Und auch die Erinnerungen an die letzten Tage und Wochen vor dem Koma fehlen Rahel. Mit viel Mut macht sie sich auf den langen und schweren Weg zurück ins Leben. Neben Frust, Einsamkeit und Ängsten hat sie dabei aber auch immer eine ordentliche Portion Humor im Gepäck. Und so schaffe die Autorin Anika Decker hier beides: bewegende, tiefgründig Passagen über den Wert des Lebens, darüber, was eigentlich wirklich wichtig ist und was einem trotz aller Schwierigkeiten neuen Lebensmut gibt und locker-leichte Abschnitte mit sehr viel bitterbösem Humor. Durch diese Kombination wirken die ernsten Abschnitt nicht pathetisch und die witzigen Abschnitte nicht geschmacklos. Das ist der Autorin wirklich gut gelungen.


"Soweit ich das mitbekommen habe, war mein Immunsystem in puncto Abwehr nicht viel besser ausgestattet als unsere Bundeswehr mit ihren rumpeligen Siebzigerjahrepanzern. Es sieht ganz so aus, als hätte ich einen ziemlich guten Arzt gehabt. Also danke von Herzen – auch wenn es noch nicht so schlägt, wie es sollte." (S. 73)

Schön fand ich auch, dass die ganz realen, praktischen Konsequenzen so einer schweren Erkrankung aufgezeigt werden. Die bürokratischen Hürden und der Papierkram, den die Krankenhausaufenthalte und Reha-Behandlungen mit sich bringen. Die teils erschreckenden Zustände im Krankenhaus wegen Personalmangel und Co. Die Abläufe in Reha-Kliniken, von vorgeschriebenen Sitzplätzen bis unangebrachten Flirtversuchen. Und den Reaktionen von Personen aus dem Umfeld –von großem, teils erdrückendem Mitleid bis hin zu Ungeduld, wenn das mit der Genesung dann doch nicht so schnell voran geht.


"Seit alle Zugriff auf meinen Körper haben, habe ich wohl vergessen, dass er mir gehört, allein mir." (S. 153)

Nicht alles an dem Buch hat mir gefallen. Manchmal hat mir ein bisschen die Tiefe gefehlt, manche Personen waren für mich nicht ganz rund, bzw etwas übertrieben. Die Passage mit dem Schamanen fand ich überflüssig und etwas lächerlich und auch die teilweise sehr zugespitzte Darstellung vom Personal im Krankenhaus hat mir nicht ganz so gut gefallen. Aber insgesamt konnte mich das Buch wirklich überzeugen und ich kann es absolut weiterempfehlen.


Fazit:
Trauer und Wut. Liebe und Streit. Verzweiflung und Hoffnung. Ein Buch das alles hat –und trotzdem nicht perfekt ist. Aber das macht gar nichts, denn die schönen, bewegenden und witzigen Passagen überwiegen und so kann ich euch das "Wir von der anderen Seite" von Anika Decker mit gutem Gewissen empfehlen.