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Veröffentlicht am 17.04.2020

Wehmütig - die Sehnsucht nach den Sommern der Jugend

Unsere glücklichen Tage
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" Es gibt Menschen, bei denen alles so ist, als hätte man den Raum vor fünf Minuten verlassen, um sich etwas zu trinken zu holen, und kommt rein und greift das Gespräch wieder auf, greift den Moment wieder ...

" Es gibt Menschen, bei denen alles so ist, als hätte man den Raum vor fünf Minuten verlassen, um sich etwas zu trinken zu holen, und kommt rein und greift das Gespräch wieder auf, greift den Moment wieder auf, greift das ganze Leben wieder auf und dabei sind 30 Jahre vergangen." S.312

Dieses wunderbare Buch von Julia Holbe handelt von Freundschaft. Und von Liebe. Von einer Liebe, die viel zerstören kann. Und von Freundschaft, die bleibt.

Elsa, Fanny, Marie und Lenica verbringen die Sommer ihrer Jugend in einem Ferienhaus an der französischen Atlantikküste. Lenica wohnt in diesem Ort, ist also eine Einheimische. Die anderen reisen Sommer für Sommer an. Drei sorglose Studentinnen. Das Leben liegt vor ihnen. Aber nach ihrem letzten gemeinsamen Sommer werden die vier sich voneinander entfernen. Und sich nicht mehr wiedersehen. Erst 30 Jahre später treffen sich Elsa, Fanny und Marie wieder. Lenica ist inzwischen gestorben. Was ist damals geschehen? Und welche Rolle spielte Sean, der plötzlich im letzten Sommer auftauchte und alles veränderte? Und was ist mit Lenica geschehen?

Ich habe dieses Buch sehr gerne gelesen. Denn es beschreibt sehr schön und atmosphärisch die Geschichte dieser Sommer, die man als Jugendliche oder junge Erwachsene erlebt. Die unvergesslich sind. Die das Leben verändert haben. Jedenfalls bei mir.

Falls das jemand nicht erlebt hat: Schade. Viel verpasst. Allerdings auch viel Leid verpasst. Wer die Höhen im Leben erleben will, muss eben auch die Tiefen in Kauf nehmen. Das ist eine Entscheidung, die in diesen Sommern fällt.

Das Buch handelt davon. Von den Höhen und Tiefen. Von der Liebe. Und von lebenslanger Freundschaft. Und von lebenslanger Sehnsucht. Nach diesen besonderen Sommern damals. Als alles noch möglich war.

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Veröffentlicht am 25.03.2020

Beeindruckender Stil - Bedrückender Inhalt

Milchmann
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Das Buch fängt mit einem Hammerschlag an: "Der Tag, an dem Irgendwer McIrgendwas mir eine Waffe auf die Brust setze, mich ein Flittchen nannte und drohte, mich zu erschießen, was auch der Tag, ...

Das Buch fängt mit einem Hammerschlag an: "Der Tag, an dem Irgendwer McIrgendwas mir eine Waffe auf die Brust setze, mich ein Flittchen nannte und drohte, mich zu erschießen, was auch der Tag, an dem der Milchmann starb" (S. 7).

Da das Buch als Rückblick geschrieben ist, weiß man schnell, dass die Erzählerin überlebt hat. Und man weiß, dass der Milchmann stirbt.

In diesem fulminanten Einstieg zeigt sich auch schon der Stil des Buches: Es wird in Rückblenden erzählt. Und es gibt keine Namen. Zumindest keine richtigen. Denn Namen sind ein schwieriges Thema, viele Namen sind verboten. "Es war gemeinschaftliche Überlieferung, die bestimmte, welche Namen erlaubt waren und welche nicht" (S. 34). Daher heißen alle in diesem Buch nach ihrer Funktion. Die Erzählerin ist "Mittlere Schwester", dazu gibt es "Schwager Drei". Und es gibt den Milchmann. Der aber wohl kein echter Milchmann ist. Sondern eine wichtige - aber wohl umstrittene - Person im undurchsichtigen Geflecht der schwierigen politischen Situation.

Die Autorin stammt aus Nordirland. Daher ist davon auszugehen, dass sie die dortige politische Situation ungefähr aus den 70er Jahren schildert. Allerdings wird dies nicht benannt. Und ich persönlich denke, dass dieses Buch auch stellvertretend für alle anderen Bürgerkriegsähnlichen Geschehnisse auf der Welt stehen kann. Für alle Konflikte, die zwischen radikalen oder sich fast zwangsläufig radikalisierenden Parteien ausgetragen werden.

Radikal sind auch die Lebensverhältnisse der Protagonistin. Sie ist 16 - und noch nicht verheiratet - was zu Kritik führt. Vorgesehen ist für sie ein Leben als Hausfrau und Mutter. Immer schön brav, immer im Sinne der Gesellschaft, der sie angehört. Und ja nicht, wie die Gesellschaft "auf der anderen Seite der See" (was auf den Konflikt zwischen Nordirland und Großbritannien hinweist). Die Protagonistin versucht, sich diesen Zwängen zu entziehen, in dem sie im Gehen liest. Immer Literatur aus vergangenen Jahrhunderten. Nie aktuelle Literatur. Außerdem treibt die Protagonistin extrem viel Sport (Laufen) und versucht, sich so unauffällig wie möglich zu verhalten. Dies gelingt ihr jedoch nicht mehr, als der sogenannte Milchmann beginnt, sich für sie zu interessieren. Zwar ist er viel älter als sie, verheiratet. Und sie hat keinerlei Interesse an ihm. Aber das interessiert nicht. Ihn nicht - und die Gesellschaft nicht. Sie wird verdächtigt, ein Verhältnis mit ihm zu haben. Obwohl sie das sicherlich nicht will. Und alles tut, um die Gerüchte zu unterbinden. Aber es klappt nicht. Und so gerät alles in eine ungute Spirale. Weil die Gesellschaft so rigide ist. Für Individualismus ist kein Platz. Und für richtige Beziehungen auch nicht. Deshalb hat die Protagonistin auch nur einen sogenannten "Vielleicht-Freund". Denn beide wollen sich nicht den Normen der Gesellschaft unterwerfen. Obwohl sie - aus heutiger Sicht - eine ziemlich normale Beziehung für zwei Jugendliche führen.

Stilistisch ist das Buch interessant, innovativ und sehr bemerkenswert. Nicht umsonst hat das Buch den Man-Booker-Preis gewonnen. Für mich persönlich war es aber kein absolutes Lese-Highlight. Das lag sicherlich zum einen daran, dass ich in der aktuellen Lage (Corona) nur schwer sehr bedrückende Literatur lesen kann. Es lag auch daran, dass die Protagonisten und die Handlung mir als Leserin kaum nahe kamen. Es gibt immer eine gewisse Distanz. Was auch an der Namenlosigkeit liegen kann. Aber sicher auch daran, dass so viel erzählt wird, so viele Gedankengänge geschildert werden. Aber so recht wenig Handlung, zumindest keine stringente Handlung. Sondern ein hin- und her zwischen den Zeiten und den Themen.

Sicher ein stilistisch beeindruckender Roman. Für mich persönlich aufgrund der aktuellen Situation jedoch zu bedrückend.

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Veröffentlicht am 23.02.2020

Gedankengänge über das Leben

Wenn der Winter vorbei ist
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In vielen kleinen Kapiteln aus verschiedenen Lebensphasen erzählt ein schon älterer Mann aus seinem Leben. Von Kleinigkeiten, Erinnerungen und von prägenden Erlebnissen.

Anlass ist der Auszug ...

In vielen kleinen Kapiteln aus verschiedenen Lebensphasen erzählt ein schon älterer Mann aus seinem Leben. Von Kleinigkeiten, Erinnerungen und von prägenden Erlebnissen.

Anlass ist der Auszug des Mannes aus seiner Wohnung. Er zieht zu einer viel jüngeren Freundin. Und muss einiges zurücklassen. Aber was? Und welche Erinnerungen müssen aufbewahrt werden?

"Das meiste, was wir in unseren Häusern, in Schränken (....) aufbewahren ist Ballast. Vielleicht ein Versuch, Aufschluss über unsere Persönlichkeit oder die Bedeutung unseres Lebens zu gewinnen, vielleicht auch der Wunsch, wenigstens das zu sein, was wir aufbewahren" (Seite 9).

In diesem ruhigen Erzählton geht es weiter - zwischendurch als Leser geschockt von tragischen Ereignissen.

Ich mag (meistens) den Schreibstil der niederländischen Autoren. Dieses ruhige, reflektierte, realistische. Und auch hier wurde ich nicht enttäuscht.

Das Buch lädt den Leser ein, über die wichtigen und prägenden Dinge im eigenen Leben nachzudenken. Es wäre schön, wenn man diese schon als junger Mensch erkennen könnte - aber leider denkt man oft, dass noch etwas besseres oder interessanteres kommt - und verpasst so manchen Augenblick.

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Veröffentlicht am 03.02.2020

Glück ist etwas, für das wir uns entscheiden!

Eine fast perfekte Welt
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Eindrucksvoll schildert Milena Agus in ihrem neuen Roman "Eine fast perfekte Welt" die Lebenswege von drei Menschen aus drei Generationen einer sardischen Familie. Und sie zeigt eindrucksvoll, das die ...

Eindrucksvoll schildert Milena Agus in ihrem neuen Roman "Eine fast perfekte Welt" die Lebenswege von drei Menschen aus drei Generationen einer sardischen Familie. Und sie zeigt eindrucksvoll, das die Fähigkeit zum Glücklichsein in unserer eigenen Entscheidung liegt. Und nicht in den Lebensumständen.

Ester, hier die 1. Generation. tut sich schwer mit dem Glück. Sie sucht es immer dort, wo sie gerade nicht ist.
Felicta (der Name bedeutet Glück!), die 2. Generation, findet das Glück. Immer und in jeder Situation. Obwohl die Situationen nicht immer gut für sie aussehen
Und Georgio, Felicitas Sohn? Die 3. Generation? Auch er wird das Glück finden - weil er von seiner Mutter gelernt hat, wie man es wahrnimmt.

Dieser Roman macht deutlich, dass jeder Mensch es (meistens) in der Hand hat, das Glück wahrzunehmen,. Nicht, das Glück zu bekommen. Das ist ein Unterschied.

Das hört sich jetzt sehr philosophisch an. Aber der Roman ist durchaus realistisch. Er zeigt die bittere Not, die die Sarden zwingt, ihre wunderschöne Insel zu verlassen und im Norden Italiens ihr Geld zu verdienen. Der Roman zeigt auch die sehr hierarchischen und patriarchalischen Verhältnisse auf dem Land in Sardinien, die den Menschen dort das Leben nicht gerade erleichtern.

Aber trotz allem weht ein Hauch von Mut und Entschlossenheit, von Zukunftsvisionen und Zuversicht durch diesen Roman - der das Lesen äußerst angenehm und berührend werden lässt.

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Veröffentlicht am 23.09.2019

Berührende Geschichte über zwei Mädchen alleine in den schottischen Highlands

Sal
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Sal ist 13 und ihr jüngere Schwester Peppa ist 10, als die beiden in die schottischen Highlands fliehen. Wovor sie fliehen wird schnell klar, warum auch: Sal wollte ihre Schwester vor dem retten, was ihr ...

Sal ist 13 und ihr jüngere Schwester Peppa ist 10, als die beiden in die schottischen Highlands fliehen. Wovor sie fliehen wird schnell klar, warum auch: Sal wollte ihre Schwester vor dem retten, was ihr Stiefvater mit ihr gemacht hat, seit sie 10 Jahre alt war....


Sal hat die Flucht akribisch vorbereit: Messer, Gewehr, Tarnnetz, Schlafsack, Angeln, Outdoor-Klamotten. Und sie hat eine Menge You-Tube-Videos über Survival gesehen. Und weiß daher, wie man Kaninchen ausnimmt, wie man Fallen stellt, wie man Feuer macht.... aber in der Realität ist das Leben in der Wildnis doch schwieriger als gedacht. Aber dann bekommen die Mädchen unerwartet Hilfe..... werden sie es schaffen, in der Natur zu überleben?

Das Schicksal dieser beiden Mädchen, mit Sal&Peppa sehr gut benannt, berührt. Schwierige Verhältnisse, Mutter Alkoholikerin, Stiefvater über-griffig. Und Sal, die viel zu früh Verantwortung für ihre kleine Schwester übernehmen muss. Der Schreibstil ist eher nüchtern-beschreibend - was für mich zur Geschichte passte. Denn hier ist nichts mit romantischer Landschaft und Rückzug in die Natur zum Erholen - hier geht es ums Überleben in einem Umfeld, dass für Kinder nicht geeignet ist. Und das Leben der Kinder war schon vorher alles andere als rosig.

Das Ende ist etwas übereilt und holprig - trotzdem habe ich das Buch gerne gelesen. So eine berührende Geschichte kitsch-frei zu erzählen - das ist dem Autor weitgehend gelungen.