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Veröffentlicht am 29.08.2020

Schokolade gefällig?

Frau Wolle und der Duft von Schokolade
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Allgemeines:

Von der Autorin Jutta Richter sind bereits unzählige Kinderbücher erschienen. Frau Wolle und der Duft nach Schokolade ist das erste Buch, das ich bewusst von dieser Autorin lese. Vielleicht ...

Allgemeines:

Von der Autorin Jutta Richter sind bereits unzählige Kinderbücher erschienen. Frau Wolle und der Duft nach Schokolade ist das erste Buch, das ich bewusst von dieser Autorin lese. Vielleicht ist mir früher schon das ein oder andere begegnet, das weiß ich leider nicht mehr.

Ursprünglich ist das Buch bereits 2018 erschienen, meine Ausgabe stammt jedoch aus einer Neuauflage im Jahr 2019. Sie ist optisch minimal anders gestaltet und erschien ebenfalls im dtv Verlag, genauer gesagt in der Reihe Hanser. Das Buch hat 144 Seiten, die von Illustrationen begleitet sind.

Inhalt:

„Weil Mama Spätschicht hat und Papa ganz weit weg ist, haben Merle und Moritz eine neue Nachtfrau. Sie heißt Gesine Wolkenstein, hat schmale Lippen und unheimliche Augen, die erst grasgrün sind, dann schwarz und zuletzt hellblau und durchsichtig. Ausgerechnet sie soll die Kinder ins Bett bringen! Doch in den Nächten ist da plötzlich Frau Wolle. Sie regiert das Reich hinter der schwarzen Tür, von dem Papa früher erzählt hat. Dort wohnen die Spitzzahntrolle, die nur in Reimen reden, und der wachsame Waisenfuchs Silberträne. Da gibt es das Lager der verlorenen Sachen und den Saal der Bonabären, da findet man die Gedankenbremse, und wenn es im Weltempfänger rauscht, können Merle und Moritz Papas Stimme hören. Und das tröstet ungemein.“ (Quelle: dtv, Hanser)

Meine Meinung:

Auf Frau Wolle und den angepriesenen Duft nach Schokolade bin ich bereits nach wenigen Augenblicken aufmerksam geworden. Zuerst erinnerte mich Frau Wolle natürlich an die beinahe gleichnamige Frau Holle. Das machte mich neugierig, liebe ich doch Märchen und vermutete eine Nähe zu diesem Genre. Nach einem genaueren Blick in den Klappentext und die Leseprobe des Buches war ich beinahe noch gespannter auf den Inhalt. Die Beschreibung erinnerte mich an eine moderne Märchenerzählung und ließ mich auf ein spannendes Abenteuer hoffen.

Liebe Leser besonderer Kinderbücher, ihr werdet nicht enttäuscht werden und solltet unbedingt alle in die Geschichte von Merle, Moritz und Gesine Wolkenstein eintauchen. Nicht nur die erzählte Geschichte ist besonders, nein, auch die Art der Erzählung. Ihr werdet auf eine sprachliche Vielfalt und eine schaurige Schönheit treffen. Auf ein Kinderbuch, das, inspiriert von Hans Falladas Murkelei, so viele Elemente vereint und dabei eine Geschichte erzählt, die uns alle berühren kann. Wer möchte nicht eine Nachtfrau haben, die Gesine Wolkenstein heißt? Ich hätte aufgrund des Namens direkt zugestimmt. Merle und Moritz sehen das jedoch (zum Glück) anders. Frau Wolkenstein scheint etwas Böses zu umgeben. Um sie spinnen sich düstere Geschichten über Kindesentführungen und die Kinder befürchten verständlicherweise das Schlimmste.

Nach und nach entdecken Merle und ihr kleiner Bruder Moritz des Nachts eine Welt, die sowohl gefährlich als auch faszinierend ist. Sie vermissen ihren Vater, der ihnen stets fantasievolle Geschichten erzählt hat, jedoch auf seltsame Art und Weise verschwunden ist. Was die Welt, die die beiden Kinder entdecken, mit dem Weltenempfänger, ihrem Vater, Frau Wolle und vor allem mit der Schokolade zu tun hat, sollt ihr selbst herausfinden. Nur so viel sei verraten: Nicht alles ist, wie es scheint!

Meine Empfehlung für jüngere Leser ist auf jeden Fall, das Buch gemeinsam mit ihren Eltern zu lesen oder es sich vorlesen zu lassen (bevor es dunkel wird). Vielleicht ist es an der ein oder anderen Stelle sonst doch etwas zu unheimlich, vor allem durch die gruseligen Zeichnungen, die die Geschichte begleiten.

Fazit:

Ich würde mich sehr freuen, bald die Fortsetzung dieser schaurig schönen Geschichte zu lesen, die nicht nur Kinderaugen, die sich in der Welt eines Märchens nicht fürchten, leuchten lässt.

Veröffentlicht am 31.07.2020

Versinke im sternenlosen Meer!

Das sternenlose Meer
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Allgemeines:

Das sternenlose Meer ist am 25. Mai 2020 als Hardcover mit Schutzumschlag bei Blessing in der Verlagsgruppe Random House erschienen. Der Originaltitel des Romans von Erin Morgenstern lautet ...

Allgemeines:

Das sternenlose Meer ist am 25. Mai 2020 als Hardcover mit Schutzumschlag bei Blessing in der Verlagsgruppe Random House erschienen. Der Originaltitel des Romans von Erin Morgenstern lautet The Starless Sea. 640 Seiten hat die deutsche Übersetzung, die von Karin Will angefertigt worden ist. Viele von euch kennen mit Sicherheit den weltweit erfolgreichen Debütroman Der Nachtzirkus von Morgenstern, der im Jahr 2011 erschienen ist. Wer ihn noch nicht kennt, kann Das sternenlose Meer völlig unabhängig von ihm lesen. Meine Empfehlung lautet, ihn trotzdem zu lesen. Ein solch besonderes Buch solltet ihr nicht verpassen!

Inhalt:

„Eigentlich arbeitet Zachary Ezra Rawlins an seiner Promotion, doch er kommt nicht weiter. Denn immer, wenn er in der Bibliothek ist, sucht er ein Buch auf, das zwischen den Regalen versteckt liegt. Ein Buch, in dem Zachary eines Tages eine Schilderung seiner eigenen Kindheit findet. Aber wie ist das möglich? Auf der Suche nach dem Geheimnis dieses Buches entdeckt Zachary eine unterirdische Welt voller Bücher am Ufer eines sternenlosen Meers, wo er schließlich eine Verschwörung aufdecken und für die Liebe seines Lebens kämpfen muss.“ (Quelle: Verlagsgruppe Random House)

Meine Meinung:

Vor ein paar Wochen bin ich noch durch das Silbermeer gesegelt und nun bin ich im sternenlosen Meer versunken. Es hat mich gefangen, Wort für Wort und Satz für Satz. Wie lange habe ich auf ein neues Buch aus der Feder dieser brillanten Autorin gewartet. Es waren Jahre. Jahre sind vergangen seit Der Nachtzirkus seine Zelte abgebrochen hat und für (immer?) verschwunden ist. Nun kehrte ich zwar nicht zu ihm zurück, die Welt, die Morgenstern hier erschaffen hat, ist aber mindestens ebenso einzigartig. Ihre Worte sind Poesie und erzählen eine Geschichte, die magischer nicht sein könnte. Eigene Worte für diesen Roman zu finden, fällt mir deshalb nicht leicht. Nichts könnte dieses Buch so treffend beschreiben, dass ihr den ihm innewohnenden Zauber miterleben könntet.

Eine Geschichte in einer Geschichte in einer … Geschichte (?) – So ein Aufbau erfordert vor allem einen aufmerksamen und interessierten Leser. Man kann diesen Roman nicht nebenbei lesen, ohne die relevanten Dinge zu verpassen. Mitnichten würde man die Raffinessen der Autorin verstehen und vermutlich in größerem Ausmaß verwirrt aus der Lektüre herausgehen. Wenn man jedoch über die nötige Lesemotivation (und die Zeit) verfügt, dann liest man ein so besonderes Buch, dass man nach der Lektüre gleich ein zweites Mal in ihm versinken könnte. Auch ich musste an einigen Stellen genauer hinschauen, zurückblättern oder nachlesen. Morgenstern fordert das ein, hat einen hohen Anspruch an ihre Leserschaft. Nach und nach entdeckt der aufmerksame Leser Details oder versteht Aspekte der Handlung intensiver. Das steigert die Lesemotivation sehr, irgendwann habe ich dem Ende entgegengefiebert und wollte unbedingt wissen, ob ich mit meinen Vermutungen richtigliege.

Vor allem für eher bibliophil veranlagte Menschen gibt es unglaublich viel zu entdecken und mitzurätseln. Das sternenlose Meer ist nicht nur ein Titel, sondern auch ein Mysterium, das es zu entschlüsseln gilt und in dessen Geschichten man schwimmen oder versinken kann. Unzählige Querverweise zu anderen literarischen Figuren erfordern Leseerfahrung, die auch ich nicht immer hatte.

Sollten erneut mehrere Jahre vergehen, bis Morgenstern etwas Neues schreibt, blicke ich auch ihrem nächsten Roman sehnsuchtsvoll entgegen. Wenn sogar die Zeit sich in das Schicksal verliebt, dann sind Morgensterns Worte das Warten wert.

Fazit:

Wer sich ebenfalls auf ein besonderes Buch einlassen möchte, kann das mit dem Sternenlosen Meer tun. Ich werde es mit Sicherheit bald noch einmal lesen, damit mir auch wirklich keine Details dieser magischen Geschichte entgehen.

Veröffentlicht am 27.05.2020

Spannender Reihenauftakt!

Endling - Die Suche beginnt
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Allgemeines:

Endling – Die Suche beginnt ist als Auftaktband einer mehrteilig angelegten Reihe im Februar 2020 bei dtv, in der Reihe Hanser, erschienen.

Das Hardcover hat 384 Seiten und wird vom Verlag ...

Allgemeines:

Endling – Die Suche beginnt ist als Auftaktband einer mehrteilig angelegten Reihe im Februar 2020 bei dtv, in der Reihe Hanser, erschienen.

Das Hardcover hat 384 Seiten und wird vom Verlag ab einem Lesealter von 11 Jahren empfohlen. Nach so kurzer Zeit ist das Buch bereits in der zweiten Auflage. Autorin Katherine Applegate lebt in San Francisco. Der zweite Teil der Reihe, Endling – Weggefährten und Freunde, erscheint am 24.07.2020 im selbigen Verlag.

Inhalt:

„Ein Dalkin, ein Wobbyk und ein Mädchen: Freunde und Gefährten

Byx ist die Jüngste im Dalkin-Rudel, und wie alle Dalkins besitzt sie eine besondere Gabe: Sie kann Lüge von Wahrheit unterscheiden. Doch in Nedarra werden die Dalkins gejagt. Den Menschen, die sich hier zur Herrschaft aufgeschwungen haben, sind die hundeähnlichen Wesen ein Dorn im Auge. Als Byx eines Tages von einem Streifzug zu ihrem Rudel zurückkehrt, geschieht das Furchtbare: Sie findet all ihre Lieben tot vor, ermordet von den Schergen des Machthabers Murdano. Ist sie nun ganz allein, die Letzte ihrer Art, der Endling? Oder gibt es doch noch, wie alte Mythen weissagen, andere Dalkins hoch im Norden des Landes? Byx macht sich auf die Suche. Es wird die unvergleichliche Reise durch ein Land voller Schönheit, aber auch Angst, wo Riesenkatzen leben, gewaltige Wasserwesen und Käfer, gigantische Vögel und Wobbyks. Und bald hat sie Gefährten an ihrer Seite. Freunde fürs Leben.“ (Quelle: dtv Verlag)

Meine Meinung:

Was wäre, wenn du, ein Kind bzw. eine Jugendliche, die letzte deiner Art wärst? Tatsächlich und unausweichlich? Der Endling, derjenige, der ertragen muss, dass niemand anders mehr übrig ist? Vermutlich können wir uns das als Angehörige einer so weit verbreiteten Spezies nicht vorstellen. Protagonistin Byx gehörte auch einmal zu einer Spezies, der Unzählige angehörten. Aber nun ergeht es ihr in diesem Reihenauftakt genau so, wie eben beschrieben. Das bedeutet, dass sie das letzte lebende Exemplar einer sprechenden und intelligenten Lebensform ist. Sie ist ein Dalkin – ein überaus sympathischer noch dazu. In Endling könnt ihr sie auf ihrer Suche nach Überlenden ihrer Spezies begleiten. Byx möchte sich einfach nicht damit abfinden, der Endling zu sein. Sie möchte den Gerüchten Glauben schenken, dass es irgendwo noch Dalkins gibt.

Zu Beginn der Handlung verliert Byx ihre Familie. Im Laufe der weiteren Handlung gewinnt sie jedoch auch eine weitere Familie dazu. Sie besteht aus denjenigen, auf die Byx während ihrer Abenteuer trifft. Eins verbindet sie alle: eine Freundschaft, die sie nach und nach zu einer Familie macht. Natürlich nicht aus allen Charakteren, die Byx auf ihrer Suche trifft. Auch in einem Kinder- und Jugendbuch kann nicht jeder ein Freund sein. Mit dieser Thematik geht die Autorin sehr differenziert um. Man kann mit fortschreitender Handlung beinahe miterleben, was es bedeutet, jemanden zu haben, der für einen da ist und an einen glaubt. Byx hat eine besondere Begabung, sie erkennt, wenn jemand lügt. Nichtsdestotrotz bedeutet diese Fähigkeit nicht, von Anfang an in Freund und Feind unterscheiden zu können. Mit dem Thema der Ehrlichkeit geht Applegate verantwortungsvoll um und zeigt verschiedene Facetten der Auslegung dieses Themas auf.

Neben dem Hauptstrang der Geschichte erfahren wir als Leser viele Details über die Welt Nedarra. Dort haben einst sechs große Arten (und viele andere, kleinere Arten) gelebt. Wie ihr richtig vermutet, ist das jetzt allerdings anders. Ich bin wirklich gespannt, wie die Geschichte um den großen Tyrannen weitergehen wird, von der man ab und zu lesen konnte.

Der Kinder- und Jugendroman thematisiert auf spannende und geschickte Art und Weise viele weitere Themen, die momentan von größter Relevanz sind. Das Artensterben spielt auf so vielen Ebenen eine Rolle. Viele Faktoren sind dafür verantwortlich, aber ein großer davon ist das Verhalten der anderen Arten, in unserem Fall das der Menschen. In der von Katherina Applegate geschaffenen Welt gibt es einige überlegene Arten, die die Fäden der Ereignisse in den Händen halten. Diese haben teilweise systematisch daran gearbeitet, andere Arten auszulöschen. Das entwickelte Szenario ist auch auf Themen wie Rassismus zu übertragen und liefert viele Anknüpfungspunkte für über das Buch hinausgehende Gespräche in diesen Themenfeldern.

Fazit:

Endling ist ein spannendes Abenteuer über die omnipräsente Thematik des Artensterbens . Zum Selbstlesen würde ich es ab ungefähr 11-12 Jahren empfehlen. Auch als Erwachsene konnte ich die Geschichte sehr genießen.

Veröffentlicht am 09.05.2020

You are (not) safe here

You are (not) safe here
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Allgemeines:

You are (not) safe here ist Ende Januar 2020 bei dtv junior erschienen. Das Taschenbuch hat 400 Seiten und wird vom Verlag ab einem Lesealter von 14 Jahren empfohlen. Diese Leseempfehlung ...

Allgemeines:

You are (not) safe here ist Ende Januar 2020 bei dtv junior erschienen. Das Taschenbuch hat 400 Seiten und wird vom Verlag ab einem Lesealter von 14 Jahren empfohlen. Diese Leseempfehlung möchte ich gerne nach oben korrigieren. Meiner Meinung nach sollte dieses Buch frühestens ab einem Lesealter von 16 Jahren gelesen werden. Es triggert Themen, auf die vor allem Jugendliche sehr sensibel reagieren könnten. Jugendliche verfügen nicht im gleichen Ausmaß wie Erwachsene über Coping-Strategien. Bitte überlegt euch also vor der Lektüre, ob ihr das Buch lesen und mit dem Inhalt umgehen könnt.

Auf dem Cover sind schwarze Federn abgebildet, die in der Geschichte in anderer Form eine große Rolle spielen werden. Besonders hervorzuheben ist der Titel, in dem das „not“ durchgestrichen ist. Er ist so treffend, besser geht es nicht.

Inhalt:

„Tausende Krähen belagern die Kleinstadt Auburn, Pennsylvania, und es werden immer mehr. Alle Einwohner empfinden dies als Bedrohung – alle außer der 17-jährigen Leighton und ihren beiden jüngeren Schwestern. Denn die größte Gefahr lebt in ihrem Zuhause: ihr Vater, der immer wieder gewalttätig wird – und ihre Mutter, die schweigt und ihn nicht verlässt. Und die Nachbarn, die konsequent wegschauen. Leighton würde nichts lieber tun, als der Stadt den Rücken zu kehren, aber sie kann und will ihre Schwestern nicht zurücklassen. Denn eins ist klar: Irgendwann wird die Situation eskalieren…“ (Quelle: dtv Verlag)

Meine Meinung:

Was wäre, wenn der Ort, der für dich der Inbegriff von Sicherheit bedeuten sollte, genau das Gegenteil darstellt? Was wäre, wenn du dir niemals sicher sein kannst… wenn Sicherheit ein Wort wäre, das für dich nicht gilt? Wenn du immer auf deine kleinen Schwestern aufpassen müsstest, die die meisten Nächte ohnehin voller Angst bei dir verbringen? Wenn du trotzdem liebst, obwohl deine Liebe auf grausame Art erwidert wird? Wenn du dir nicht sicher sein kannst, was passieren wird, und wie das Haus und deine Familie danach aussehen werden? Das Haus, das irgendwie ein Eigenleben führt und alle Dinge repariert, die zu Bruch gehen. Aber dein Gefühl, deine Angst kann es nicht reparieren. Das kann niemand. Oder was meint ihr?

You are (not) safe here ist ein Buch, das mich gefesselt und fasziniert hat. Gleichzeitig war ich abgestoßen. Abgestoßen von den unglaublichen Abgründen der Menschlichkeit. Vermutlich kann man sich nur schwer in häusliche Gewalt oder überhaupt in das Thema Gewalt gegen Mitmenschen hineinversetzen, wenn man diese nicht selbst erlebt hat. Der Autorin gelingt es jedoch, eine so überzeugende Atmosphäre zu kreieren, dass man als Leser zumindest das Gefühl hat, sich in eine solche Situation hineinversetzen zu können. Das bringt ambivalente Gefühle mit sich. Zum einen möchte man sich nicht auf so etwas einlassen. Zum anderen möchte man mit Fortschreiten der Handlung unbedingt, dass die Geschichte für Protagonistin Leighton gut ausgeht.

Leighton kümmert sich nicht nur um sich selbst, sondern auch um ihre Mutter und ihre kleineren Schwestern. Sie versucht, den Anschein von Normalität aufrecht zu erhalten und ihre häuslichen Umstände zu verbergen. In Auburn weiß jeder, was die anderen verbergen. Aber es wird toleriert, akzeptiert und jeder kümmert sich mehr oder weniger um sich selbst. Trotzdem ist Leighton in der Schule nicht isoliert oder gar eine Einzelgängerin. Hier verbirgt sich eine Gefahr. Wenn es einem Kind oder einem Jugendlichen zu gut gelingt, die Wahrheit zu verbergen, sieht niemand genauer hin. Obwohl nicht nur der Täter in diesem Moment eine Schuld trägt, sondern auch das Umfeld. Das hat eine sehr sensibilisierende Wirkung. Wir sollten alle noch viel häufiger genauer hinsehen.

McCauley gelingt es, eine beinahe erschreckende und gleichzeitig so spannende Stimmung zu erzeugen. Diese wird durch die mystischen, nahezu aus einem Horrorfilm stammenden Elemente ergänzt. Krähen suchen die Kleinstadt Auburn heim. Wer den Film „Die Vögel“ kennt, weiß, dass Krähen für eine beängstigende Stimmung sorgen können. Es werden immer mehr. Je größer die Probleme in der Stadt werden, desto mehr Vögel lassen sich in der Kleinstadt nieder. Zu einer der Krähen entwickelt die Protagonistin zusammen mit ihren Schwestern eine besondere Beziehung. Die Krähen wirken durch ebendiese Entwicklung nicht länger nur bedrohlich, sondern beinahe fürsorglich. In jedem Fall aber intelligenter als erwartet. Auch das Haus, das immer wieder auseinanderbricht und Risse hat, ist eines der Elemente, die nicht erklärbar sind. Sie stehen sinnbildlich für die Ereignisse der Geschichte.

Fazit:

Ein wichtiges, zugleich erschreckendes und faszinierendes Buch über das Thema der häuslichen Gewalt.

Veröffentlicht am 23.04.2020

Für mich ist "Die Villa" ein ganz besonderes Buch

Die Villa
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Allgemeines:

Hans Joachim Schädlich siedelte 1977 von der DDR in die Bundesrepublik über. In der DDR war er ein bekannter, aber für das Regime unbequemer Schriftsteller, da er die politischen Verhältnisse ...

Allgemeines:

Hans Joachim Schädlich siedelte 1977 von der DDR in die Bundesrepublik über. In der DDR war er ein bekannter, aber für das Regime unbequemer Schriftsteller, da er die politischen Verhältnisse in seinen Büchern kritisierte.

Er erhielt für sein Werk unter anderem den Bremer Literaturpreis und für sein politisches Engagement das Bundesverdienstkreuz.

Die Villa ist im Rowohlt Verlag am 10. März 2020 in gebundener Form erschienen und umfasst 192 Seiten.

Inhalt:

„Eine Gründerzeitvilla wie aus dem Bilderbuch: schmiedeeisernes Tor, zu seiten der Auffahrt ein großer Springbrunnen, der Eingang flankiert von hohen Kandelabern, Rhododendron und Rosen im verwunschenen Park, zweigeschossige Treppenhalle, Salon, Herren- und Speisezimmer, Stuck, Bleiglasfenster, Zimmerfluchten unten wie oben, Parkett oder gefliest. Bewohnt wird die Villa, die in der vogtländischen Kleinstadt Reichenbach steht, seit 1940 von Hans und Elisabeth Kramer, ihren vier Kindern und dem Personal. Doch die sorglose Zeit währt nicht lange. Der Vater – Wollkaufmann und überzeugter Nationalsozialist – kann angesichts der Verbrechen des Naziregimes an seinem Glauben nicht festhalten. Nach seinem frühen Tod wird die Familie von den Schrecken des Krieges eingeholt.

In seinem Buch „Die Villa“ hat sich Hans Joachim Schädlich den Jahren zwischen 1931 und 1950 zugewandt, der Zeit vom Ende der Weimarer Republik bis zu den Anfängen der DDR. In virtuoser Verdichtung erschafft er ein Psychogramm des vermeintlich harmlosen Durchschnittsmenschen, wie es aktueller nicht sein kann, und er führt vor Augen, wie eine Familie im Widerstreit von Wahn und Gewissen die Vorkriegs-, Kriegs- und Nachkriegsjahre erlebt. Getreu seiner Maxime, dass das Entscheidende einer Erzählung die Leerstellen sind, lässt er Raum für eindrucksvolle Bilder, Stimmungen und auf historischen Fakten fußende Imagination. (…)“ (Quelle: Rowohlt Verlagsseite)

Meine Meinung:

Hans Joachim Schädlich war mir bisher nur durch sein Buch Der Sprachabschneider bekannt. Ein Buch, das im Deutschunterricht sehr beliebt ist. Mir war bislang nicht bewusst, dass Schädlich ein sehr geschätzter Schriftsteller ist.

Mit Die Villa legt er ein politisches und zeitgeschichtliches Buch vor, das sich mit den 1930er bis 1950er Jahren beschäftigt. Am Beispiel der Familie Kramer entwickelt Schädlich seine Handlung. Im Prolog stellt schädlich eine alte Gründerzeitvilla vor. Diese Vorstellung zieht sich über zweieinhalb Seiten. Das Faszinierende daran ist, dass man beim Lesen eine genaue Vorstellung von dieser Villa erhält, obwohl schädlich kaum Adjektive verwendet und ganz nüchtern schreibt. Das ist für mich sehr erstaunlich, denn lernt man nicht schon in der Schule, dass Adjektive zu jeder guten Beschreibung gehören? Schädlich führt diesen Anspruch ad absurdum. Großartig gemacht! Das gilt auch für den Rest des Buches: nüchterne Sprache, die starke Emotionen hervorruft. Das schaffen nicht viele Schriftsteller.

Man muss sehr aufmerksam lesen, die weiteren Kapitel sind stark verdichtet, es gibt viele Personen und viele Namen, die man sich merken muss. Man wird durch die Familien Kramer und Ruttig geführt und erfährt eine Menge über ihre politischen Einstellungen, über ihre soziale Umgebung, ihre Berufe, ihre Wünsche und Hoffnungen. Schädlich umreißt die Zeit des aufkommenden Nationalsozialismusˋ und scheut sich nicht, den Finger in die Wunde zu legen. Er widmet sich der politischen Gesinnung der NSDAP, der Frage werten und unwerten Lebens, den Überlegungen, eine Heirat einzugehen oder eben nicht, wenn der Bruder der Braut so gar nicht dem nationalsozialistischen Ideal entspricht, nur, weil er ein wenig sonderbar ist.

Man merkt schnell, wer eine eigene Haltung bewahren kann, wer zum Mitläufer wird und wer aktiver Nationalsozialist sein möchte. Die Rolle der Frau wird mehr oder weniger direkt angesprochen: Mädchen müssen nicht studieren, sie sollen lieber brav zu Hause sitzen und den Haushalt führen. Auch das ein nationalsozialistisches ideal, das – neben dem möglichst zahlreichen Kindersegen – eine wichtige Rolle spielte.

Dieses Buch ist wirklich nicht dick, aber es enthält dennoch eine Fülle an Informationen. Vieles wird nur angerissen, bleibt aber gerade deshalb eindrücklich hängen. Man lernt bei Schädlich, zwischen den Zeilen zu lesen.

Dieses Buch hat nicht „den einen Protagonisten“, sondern eigentlich ganz viele. Jedes Familienmitglied hat seine ganz eigene Rolle, jeder ist wichtig. Alle Familienmitglieder, alle Orte und alle Ereignisse sind unbedingt notwendig, um die erzählte Geschichte wirklich zu verstehen.

Schädlich führt den Leser durch den Zweiten Weltkrieg, die Besatzungszeit, aber auch durch das Nachkriegsdeutschland, so dass man einen eindrucksvollen Überblick bekommt. Dabei steht immer das Alltagsleben im Mittelpunkt, das so ganz nebenbei die politische Situation einbezieht.

Fazit:

Wenn man dieses Buch wirklich genießen will, sollte man über die Zeit des Nationalsozialismusˋ Bescheid wissen.

Denn das Buch fordert genaues Lesen und ein hohes Maß an Aufmerksamkeit, sonst verliert man ganz schnell den Überblick.

Für mich ist Die Villa ein ganz besonderes Buch.