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Veröffentlicht am 16.07.2020

Das eindrucksvolle Porträt einer Familie und einer Epoche

Die Marschallin
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Zora del Buono erzählt in dem Roman „Die Marschallin“ die Geschichte ihrer Familie von 1919-1948. Im Mittelpunkt steht dabei ihre Großmutter, eine gebürtige Slowenin, die den gleichen Namen trägt. Nach ...

Zora del Buono erzählt in dem Roman „Die Marschallin“ die Geschichte ihrer Familie von 1919-1948. Im Mittelpunkt steht dabei ihre Großmutter, eine gebürtige Slowenin, die den gleichen Namen trägt. Nach dem Ersten Weltkrieg heiratet Zora den Radiologen Pietro del Buono, mit dem sie überwiegend in Bari in einer luxuriösen Villa lebt. Sie sind reich, aber dennoch überzeugte Kommunisten. Sie verehren Tito, dem der Arzt einmal das Leben gerettet hat. Sie bekämpfen den Faschismus unter Mussolini und unterstützen Partisanen, denen Zora Geld und Waffen zukommen lässt. Bei der Geldbeschaffung wird sie in einen Raubmord verwickelt, was langfristig Folgen für die Familie hat. Sie erleben Krieg und viel Gewalt und eine ganze Reihe von tragischen Verlusten in der Familie. Politisches und Privates sind eng miteinander verwoben, wobei die Informationen über die wechselvolle Geschichte des heutigen Slowenien besonders interessant sind: die Region ist lange Teil des Habsburgerreiches, dann Zankapfel zwischen Österreich und Italien, Teil von Jugoslawien und schließlich ein unabhängiger Staat.
Der Roman hat mir gut gefallen trotz der Personenvielfalt – hier ist das Personenverzeichnis am Anfang sehr nützlich – und der vielen zeitgeschichtlichen Details. Besonders eindrucksvoll ist die Figur der Großmutter, eine vielseitig begabte, durchsetzungsfähige Frau, die 1980 als alte Dame in einem slowenischen Altersheim in einem ausführlichen Schlussteil auf ihr bewegtes Leben zurückblickt. Nicht mühelos zu lesen, aber dennoch interessant und empfehlenswert.

Veröffentlicht am 11.05.2020

Schwierige Beziehungen

Die Mitte ist ein guter Anfang
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In Franka Blooms neuem Roman "Die Mitte ist ein guter Anfang“ verbringt die 49jährige Eva gerade ein paar entspannte Tage bei ihrer besten Freundin Carla in Spanien, als ihr langjähriger Partner Arne ...

In Franka Blooms neuem Roman "Die Mitte ist ein guter Anfang“ verbringt die 49jährige Eva gerade ein paar entspannte Tage bei ihrer besten Freundin Carla in Spanien, als ihr langjähriger Partner Arne ihr einen Heiratsantrag samt Verlobungsring schickt. Eva und Arne sind seit mehr als 20 Jahren ein Paar und haben eine gemeinsame Tochter, die 15jährige Frida. Eva stellt sich in der Folge eine Menge Fragen und hat große Zweifel an der Richtigkeit einer solchen Entscheidung, zumal Arne völlig unromantisch nur praktische Erwägungen anstellt - Absicherung, Ehevertrag im Fall einer späteren Trennung etc. - und mit den eigentlichen Hochzeitsvorbereitungen so wenig wie möglich zu tun haben will. Er formuliert so, als ob es sich um eine unangenehme Sache handelte, die man möglichst schnell hinter sich bringen sollte. Nicht nur Evas und Arnes Beziehung geht in der Folge in die Brüche, sondern auch die Ehe ihrer Eltern und die von zwei weiteren Paaren aus dem engsten Freundeskreis - fast so, als ob Ehekrisen ansteckend wären. Wie wird das alles enden? Was soll sich der Leser unter dem guten Anfang aus dem Titel vorstellen? Renkt sich alles wieder ein, oder werden alle Romanfiguren mit neuen Partnern glücklich?
Mich haben diese in epischer Breite dargestellten Beziehungskrisen nicht besonders fasziniert - schon gar nicht 446 Seiten lang. Das ist weder neu noch wirklich spannend. Schade. Da hatte ich mehr erwartet.

Veröffentlicht am 10.05.2020

Madame Nan blickt auf ihr Leben zurück

Wie uns die Liebe fand
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Im Mittelpunkt von Claire Stihlés Roman „Wie uns die Liebe fand“ steht Marie-Anne Nanon genannt Madame Nan, 92. Sie blickt auf ein ereignisreiches Leben zurück, in dem der Zweite Weltkrieg mit der Phase ...

Im Mittelpunkt von Claire Stihlés Roman „Wie uns die Liebe fand“ steht Marie-Anne Nanon genannt Madame Nan, 92. Sie blickt auf ein ereignisreiches Leben zurück, in dem der Zweite Weltkrieg mit der Phase der deutschen Besatzung des Elsass eine Rolle spielt, vor allem aber die Ereignisse des Jahres 1979, die ihr Leben komplett verändern. Madame Nan hat nach dem Tod ihres Mannes ihre vier Töchter allein aufgezogen. 1979 ist Marie, die Älteste, 20 und Coraline, die Jüngste 10 und Madame Nan selbst 52. Marie ist mit dem Algerier Malou zusammen, der eines Tages dem verwitweten Nachbarn Monsieur Boberschram das Leben rettet, als dieser überfallen wird. Darauf schenkt der Nachbar Madame Nan und ihrer Familie seinen Lebensmittelladen. Malou und Marie entwickeln sogenannte Liebesbomben, die zu einem Verkaufserfolg werden und ein ganzes Dorf die Liebe neu entdecken lassen. Nur Madame Nans späte Liebe zu Monsieur Boberschram bleibt scheinbar unerwidert, denn der Nachbar hat sein Leben lang über ein furchtbares Ereignis aus dem Jahr 1940 geschwiegen, das beide Familien betrifft. Wird die Liebe siegen?
Claire Stihlé erzählt einfühlsam und mit viel Humor eine Geschichte, in der relativ wenig passiert. Nicht die äußere Handlung steht hier im Vordergrund, sondern eine besondere Atmosphäre mit elsässischem Lokalkolorit. Eine schöne Geschichte, wenn man sich darauf einlässt.

Veröffentlicht am 22.03.2020

Spuk auf dem Landsitz

Die stummen Wächter von Lockwood Manor
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Jane Healeys Roman “Die stummen Wächter von Lockwood Manor“ setzt 1939 ein. Die junge Museumsangestellte Hetty Cartwright begleitet die Abteilung für Säugetiere des Londoner Naturkundemuseums, als diese ...

Jane Healeys Roman “Die stummen Wächter von Lockwood Manor“ setzt 1939 ein. Die junge Museumsangestellte Hetty Cartwright begleitet die Abteilung für Säugetiere des Londoner Naturkundemuseums, als diese auf ein Landgut außerhalb ausgelagert wird, um die wertvollen Exponate vor den erwarteten deutschen Bomben zu schützen. Lord Lockwood hat einen Teil seines Hauses zur Verfügung gestellt. Hetty merkt jedoch sofort, dass weder sie noch ihre Schützlinge dort willkommen sind. Das Personal begegnet ihr mit Ablehnung, ja sogar unverhohlenem Hass, und der arrogante Lord lässt keine Gelegenheit aus, sie zu demütigen. Schon in der ersten Nacht verschwindet der Jaguar. In vielen anderen Nächten werden Tiere umgesetzt oder beschädigt. Auch Motten, Mäuse und Füchse von draußen greifen die ausgestopften Tiere an, die Hettys einziger Trost sind. Außerdem sind nachts immer wieder Schreie zu hören, und schemenhafte Gestalten huschen über dunkle Flure. Nur Lucy, die etwa gleichaltrige Tochter des Lords, begegnet Hetty freundlich. Beide Frauen haben jedoch eine Geschichte psychischer Störungen aufgrund einer unglücklichen Kindheit und leiden unter Albträumen. Auch Lucys ein Jahr zuvor verstorbene Mutter galt als geisteskrank. Lucy und Hetty entwickeln Gefühle für einander – der einzige Lichtblick in einer insgesamt sehr düsteren Geschichte. Zu der unangenehmen Situation im Haus kommt die Bedrohung von außen. Der Luftkrieg hat begonnen, kriegstaugliche Männer werden eingezogen, und Lockwood Manor muss mit immer weniger Personal auskommen.

Dieser an äußerer Handlung arme Roman steht in der Tradition des englischen Schauerromans (gothic novel), einem in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts entstandenen Genre, das sich bis ins 19. Jahrhundert großer Beliebtheit erfreute. Ich habe mich die ganze Zeit gefragt, ob es in einem Roman des 21. Jahrhunderts tatsächlich spukt, oder ob es für die übernatürlichen Phänomene am Ende eine logische Erklärung gibt. Der Autorin geht es darum, eine Wortkulisse zu schaffen, die dem Leser die wachsende Bedrohung von innen und außen verdeutlicht. Das gelingt ihr hervorragend, unter anderem durch vielfache Wiederholung. Alles steuert auf eine Katastrophe zu. Werden Hetty und Lucy überleben?

Ich fand den Roman nicht besonders spannend, weil auf fast 380 Seiten einfach zu wenig passiert, finde aber schon, dass er durch seine atmosphärische Dichte überzeugt.

Veröffentlicht am 21.09.2019

Wie lebt man richtig?

Die Altruisten
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In Andrew Ridkers Debütroman “Die Altruisten“ geht es um eine Mittelschichtfamilie im Mittleren Westen. Arthur Alter, 65, ist seit knapp zwei Jahren Witwer. Seine Frau Francine, eine Paartherapeutin, starb ...

In Andrew Ridkers Debütroman “Die Altruisten“ geht es um eine Mittelschichtfamilie im Mittleren Westen. Arthur Alter, 65, ist seit knapp zwei Jahren Witwer. Seine Frau Francine, eine Paartherapeutin, starb an Krebs. Arthur ist in seinem Beruf als Ingenieur und Universitätslehrer gescheitert. Sein Wunsch nach einer Festanstellung an der Universität hat sich nie erfüllt, und inzwischen hat er so wenige Kurse, dass es nicht zum Überleben reicht, erst recht nicht, um nach dem Wegfall von Francines Einkommen die Hypothek für das Haus zu bezahlen. Als letzten Ausweg aus der Krise bleibt ihm nur noch, sich an seine in New York lebenden Kinder Ethan und Maggie zu wenden, denen die Mutter ihr Vermögen vererbt hat. Er lädt sie nach St. Louis in sein Haus ein. Arthur und seine Kinder sind einander entfremdet und haben seit dem Tod der Mutter keinen Kontakt mehr. Maggie nimmt dem Vater übel, dass er die Mutter bis zu ihrem Tod betrogen hat, und Ethan hatte wegen seiner Homosexualität schon immer einen schweren Stand. Tatsächlich geht es aber auch den Kindern nicht gut, weder finanziell noch in ihren Beziehungen. Maggie hat zwar ihr Erbe nicht angerührt, schlägt sich stattdessen mit mehreren schlecht bezahlten Nebenjobs durch und hat dennoch Schuldgefühle wegen ihrer privilegierten Situation.
Ridker erzählt mit wechselnder Erzählperspektive die Vorgeschichte der Überlebenden, aber auch Kindheit und Jugend der Verstorbenen sowie die ersten Jahre mit Arthur. Dabei holt er sehr weit aus, und das ist nicht immer spannend zu lesen. Es gibt einen satirischen Blick auf das Amerika von 2015 vor Trump sowie komische und teilweise sehr poetisch formulierte Szenen. Komisch und traurig zugleich sind zum Beispiel die Passagen, in denen Maggie einen von ihr betreuten Jungen Kampfsporttechniken an sich ausprobieren lässt, wodurch sie sichtlich gezeichnet von diesen Arbeitseinsätzen zurückkehrt. Die überlebenden Mitglieder der Familie Alter sind mit ihren Plänen und guten Vorsätzen grandios gescheitert, vor allem Arthur, der bei seinem von einer dubiosen Organisation finanzierten Projekt in Simbabwe schwere Schuld auf sich geladen hat. Ridker liefert das Porträt einer schlecht funktionierenden Gesellschaft und einer dysfunktionalen Familie, von denen es in der zeitgenössischen amerikanischen Literatur eine ganze Reihe gibt. Er bietet keine Lösungsvorschläge an, lässt aber Vater und Kinder am Ende aufeinander zugehen, wodurch die Geschichte etwas weniger trostlos ist. Der Roman ist nicht schlecht, für mich aber kein Sensationsdebüt eines Ausnahmeautors.