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Veröffentlicht am 07.10.2020

Sherlock Holmes lässt grüßen - 2. Fall für Daniel Hawthorne

Mord in Highgate
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"Mord in Highgate" von Anthony Horowitz erschien (HC, gebunden) 2020 im Insel-Verlag. Bereits nach den ersten Seiten war mir klar, dass es hier um einen klassischen englischen Kriminalroman im Stile von ...

"Mord in Highgate" von Anthony Horowitz erschien (HC, gebunden) 2020 im Insel-Verlag. Bereits nach den ersten Seiten war mir klar, dass es hier um einen klassischen englischen Kriminalroman im Stile von Sherlock Holmes und seinem Partner Watson geht: Auf den Spuren von niemand Geringerem als Arthur Conan Doyle wandelt hier Daniel Hawthorne, meist mürrisch und schlecht aufgelegt, gerne rauchend und keinen Millimeter seines Privatlebens preisgebend, zudem Ex-Polizist bei Scotland Yard gemeinsam mit - und dies ist eine Besonderheit - "Tony", der eigentlich als Scriptschreiber im Filmgeschäft arbeitet, hier jedoch die Rolle von Holmes einnimmt, Hawthorne in den Ermittlungen zu kniffligen Fällen, zu denen ihn Scotland Yard nach wie vor braucht, begleitet....

Im zweiten Fall von Daniel Hawthorne geht es um die Aufklärung des Mordes an einem bekannten Scheidungsanwalt, Richard Pryce, der zuvor an einem Fall arbeitete, in dem es um Millionen ging: Lockwood, ein windiger Immobilienhai, wollte sich von seiner Frau Akira Anno, einer feministischen Schriftstellerin, scheiden lassen und ist Mandant von Pryce. Da der Anwalt zugunsten Lockwoods vereiteln kann, dass Anno die Hälfte seines (nicht unbeträchtlichen Vermögens) erhält, kippt diese in einem Restaurant Pryce ein Glas Rotwein über den Kopf und bedauert, dass es nicht die Flasche war... Das Kuriose: Genau so endete das Leben des Staranwalts; er wurde mit einer hochpreisigen Flasche Rouge in seiner Wohnung erschlagen....

Im Stile eines crime noir lernen wir nun etwaige Verdächtige kennen: Stephen Spencer, der in Tränen aufgelöste Ehemann von Pryce; Akira Anno und deren Freundin und Verlegerin Dawn; Davina Richardson - um einige zu nennen.
Letztere verlor ihren Ehemann vor 6 Jahren durch ein Unglück bei einer Höhlenwanderung, die Richard Pryce, Greg Taylor und Richardson jedes Jahr gemeinsam unternahmen. Könnte der Mord in Zusammenhang mit der gemeinsamen Höhlenwanderung stehen, die die drei Freunde damals unternommen hatten? Hätte Stephen Spencer, Krokodilstränen weinend, nicht ebenfalls ein Motiv? Und wie viel soll Tony der unsympathischen DCI Grunshaw und ihrem Assistenten Darren von der gemeinsamen Ermittlungsarbeit mit Hawthorne preisgeben, wozu diese ihn gezwungen hat?

Der Ort des Geschehens ist London, wobei ich den Ausflug nach Yorkshire zu der besagten Höhle sehr genoss: Einzig die Figur Hawthorne wurde mir immer unsymphatischer, da er unnahbar, wenn auch überaus scharfsinnig, seinem Partner nichts von seinem Privatleben verraten mochte. Andererseits ist es für mich auch ein stilistischer "Schachzug", denn vielleicht wird der Leser in einem späteren Band doch einiges zur Vorgeschichte von Daniel Hawthorne erfahren? (ausser der Tatsache, dass er gerne Airfix-Modelle zusammenbaut).

Der Fall nimmt viele Wendungen; zu Beginn wird die Spannung angefacht , jedoch kam es durch einige Wiederholungen immer wieder zu einer Abflachung des Spannungsbogens, was mich zuweilen störte.
Gefallen hat mir jedoch der ironische und zuweilen humorvolle Unterton, der auch Selbstkritik nicht aussparte und vor allem die Besonderheit, dass der Autor alias Watson in der Ich-Form den Leser an seinen Gedankengängen teilhaben lässt und gleichzeitig im Roman selbst als Protagonist agiert: Die Bemühungen (oder das Konkurrenzdenken?) Tonys, den Fall noch vor Hawthorne lösen zu können, sind gut herauszulesen; ebenso gibt Horowitz freimütig einige Informationen (oder Desillusionen) zu seinem Schriftstellerleben preis, die durchaus interessant sind, aber mit dem Roman selbst nichts zu tun haben. Der britischen AutorInnen eigene "trockene Humor" kommt stellenweise auch nicht zu kurz; etwa bei Tonys "Auftritt" im Lesekreis Hawthornes...

Es werden jede Menge falscher Fährten gelegt und beim Rätselraten, wer nun den Mord begangen hat - und aus welchen Motiven, wird der Leser einbezogen: Wird es Tony tatsächlich gelingen, den Mörder noch vor Hawthorne ausfindig zu machen?

Fazit:

Einem versierten Krimileser ist schnell klar, dass es sich hier um einen Kriminalroman handelt, auf dem der Schatten von Sherlock Holmes von Beginn an über dem Fall lag. Mir ging es ein wenig so, wie es "Tony" beschreibt: "Ich hatte das Gefühl, einen alten Krimi in einem s/w Fernseher zu sehen" (Zitat S.321). Ein solider Kriminalroman im Sinne des crime noir, der an den Stil von Sherlock Holmes erinnert - und dennoch hier in flüssig geschriebener, unterhaltsamer und modernisierter Form aufwartet.
Ich vergebe 87° auf der "Krimi-Couch" und 4 Sterne.

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Veröffentlicht am 14.06.2020

Die verlorene Frau

Die verlorene Frau
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1960, Seaview Cottage, Sussex, England:

Rebecca Waterhouse wächst auf Seaview Cottage bei ihrer Mutter Harriet auf. Der Vater, der an Kriegstraumata leidet und ein gewalttätiger Trinker ist, prügelt seine ...

1960, Seaview Cottage, Sussex, England:

Rebecca Waterhouse wächst auf Seaview Cottage bei ihrer Mutter Harriet auf. Der Vater, der an Kriegstraumata leidet und ein gewalttätiger Trinker ist, prügelt seine Frau nach seiner Heimkehr (er verbrachte einige Jahre in der Psychiatrie) jeden Abend. Rebecca flüchtet dann regelmäßig zu Harvey, einem Nachbarjungen und Freund, in dem Wissen, dass sie ihrer Mutter nicht helfen kann. Als Harriet eines Nachts von Rebecca blutend und mit schwersten Verletzungen im Vorzimmer liegt, findet man die Leiche des Vaters in der Nähe; er hat sich mit seiner Pistole selbst gerichtet...

2014, Chichester:

Jessica, eine der zwei Töchter von Rebecca, schwanger und durchleidet eine schlimme Schwangerschaft: Sie glaubt, dass man ihr Baby stehlen, ihr fortnehmen wird und flieht mit der neugeborenen Elisabeth aus dem St. Dunston's Hospital.
Iris, die Schwester von Jessie, wird von Rebecca gebeten, Jessica und das Baby zu finden und Rebecca muss sich erstmals seit Jahrzehnten der Frage stellen und ihren Töchtern erzählen, was sich in der schicksalhaften Nacht auf Seaview Cottage ereignet hat, denn das Auffinden von Jessica ist eng mit dieser Frage verwoben.....

Meine Meinung:

Emily Gunnis gelingt es auf einzigartige Weise auch in diesem Roman (der erste hat mich so sehr begeistert, dass ich sehr gespannt auf "Die verlorene Frau" wartete), den Leser durch unterhaltsame und tiefgründige Spannung zu fesseln. Nach und nach lernt man die vielschichtigen Charaktere der Hauptpersonen dieses Romans, der tragische Ereignisse in der Nachkriegszeit Englands um ein Familiengeheimnis schildert, kennen: Da ist Harriet, die Mutter von Rebecca, die auf taube Ohren stößt, als sie sich Hilfe vor ihrem gewalttätigen Ehemann holen will und Rebecca selbst, die das Ereignis 1960 auf Seaview Cottage ihr ganzes Leben, das sie als Ärztin führt, um anderen Menschen zu helfen, begleitet und unausgesprochen ist, bis Jessica, ihre Tochter, die von Liz, deren Stiefmutter, systematisch von Rebecca getrennt wurde, schwanger ist und mit ihrer kleinen Tochter aus der Klinik flieht: Die postpartalen Depressionen scheinen in der Familie zu liegen und wiederholen sich auf schmerzhafte Weise.

Iris, die Schwester Jessicas, macht sich auf die schwierige Suche nach Jessie und dem Baby (sie selbst glaubt, keine Kinder haben zu können und ist frisch geschieden), wohl wissend, dass "die Zeit läuft", sollte die kleine Elisabeth, die Medikamente benötigt, am Leben bleiben können....

Die Suche nach dem Baby, aber auch Rückblicke in die Vergangenheit und das unglückliche Leben Harriets, einer sehr sympathischen Figur, die wie viele andere Frauen damals keine Möglichkeiten hatte, sich von einem gewalttätigen Ehemann zu trennen, sind die Kernzentren dieses unter die Haut gehenden Romans. Harvey, der Vater von Jessica, geht dabei stets den "Weg des geringsten Widerstandes" und erkennt dies am Ende des Romans, dennoch ist auch er ein Sympathieträger.

Die Themen dieses emotionalen, aufwühlenden, tragischen und zuweilen schmerzhaft-schockierenden, aber auch sehr berührenden Romans sind jedoch vielschichtiger Natur: Er beschäftigt sich mit den Traumata des 2. Weltkrieges, die teils gewalttätige, jedoch oft psychisch gestörte Männer in ihre Familien zurückbrachte, die damals keinerlei Therapie oder Hilfe bekamen (im Gegensatz zu heute); mit ungewollter Kinderlosigkeit und postpartaler Depression, häuslicher Gewalt, Vergewaltigung, aber auch Liebe und Vertrauen in der Familie. Dramatik kommt durch die Geschichte Harriets ins Spiel, die für mich eine der stärksten Charaktere des Romans und die eigentlich "verlorene Frau" ist: Sie opfert sich in gewisser Weise, um Rebecca zu retten.

Fazit:

Trotz aller Tragik, Familiengeheimnissen und der Verschleierung von Wahrheiten, die familiäre Dramen wie diese am Leben halten - sie sich manchmal sogar wiederholen lassen, steht dieser Roman für mich für Offenheit, Klarheit und Ehrlichkeit in der Familie. Auch dafür, sich nicht an eine unglückliche Vergangenheit zu klammern, sondern loslassen zu können, frei zu sein - zu leben! Zugleich ist es für mich ein literarisches "Denkmal" für all die Frauen (hier personifiziert durch Harriet Waterhouse), die Gewalt von kriegstraumatisierten Männern nach dem 2. Weltkrieg (und auch davor) erleben mussten - und ihr nicht entkommen konnten. Ein starker Roman mit authentischen, sympathischen Figuren (besonders Harriet, Rebecca und Iris), den ich gerne weiterempfehle und selbst gelesen habe! 4*

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Veröffentlicht am 14.06.2020

Wenn alte Geheimnisse lange Schatten werfen

Die brennenden Kammern
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Carcassone, 1526:
Die neunzehnjährige Minou Joubert, Tochter eines katholischen Buchhändlers, erhält eines Tages einen versiegelten Brief mit nur fünf Worten: "Sie weiß, dass Ihr lebt." Doch noch bevor ...

Carcassone, 1526:
Die neunzehnjährige Minou Joubert, Tochter eines katholischen Buchhändlers, erhält eines Tages einen versiegelten Brief mit nur fünf Worten: "Sie weiß, dass Ihr lebt." Doch noch bevor sie herausfinden kann, was hinter der mysteriösen Botschaft steckt, wird die Begegnung mit dem Protestanten Piet Reydon ihr Leben für immer verändern. Denn der junge Hugenotte hat eine gefährliche Mission. Als er zu Unrecht des Mordes beschuldigt wird, verhilft ihm Minou zur Flucht aus der Stadt. Erst in einem einsamen Bergdorf kommen sie dem Rätsel um den geheimnisvollen Brief auf die Spur. (Quelle: Buchrückentext)

"Die brennenden Kammern" von Kate Mosse ist ein farbenprächtiger, spannender und oftmals abenteuerlicher Auftakt um das Schicksal der Hugenotten, die besonders im Frankreich des 16. Jhd. eine unsägliche Verfolgung durch die katholische Kirche erleben mussten, der sich die Autorin hier widmet.

Der Roman gliedert sich in 3 Teile und ist in stetigem Wechsel in Carcassonne, Wassy (Nordost-Frankreich), Toulouse und Puivert (ein kleines Bergdorf, in dem die Familie Joubert einst lebte und wo Minou geboren wurde). In unruhigen Zeiten lernen wir die beiden sympathischen Hauptprotagonisten kennen; Minou Joubert, ein unerschrockenes und mutiges junges Mädchen, das seinem Vater in dessen Buchhandlung hilft, seit die Mutter starb und ihre kleine Schwester Alis und ihren Vater aufrichtig liebt - und Piet Reydon, ein junger Hugenotte, der auf einer Mission ist, die sehr gefährlich ist und er mit seinem einstigen Weggenossen und Freund Valentin zusammentrifft, der katholischer Priester ist und von der Gier nach Macht zerfressen; ebenso wie seine heimliche Geliebte, die Herrin der Burg von Puivert... Es geht zum einen um ein verschollenes Testament und zum anderen um das Grabtuch Christi, das das heiligste Relikt der katholischen Kirche darstellte und dem Wunder nachgesagt werden; dass der Besitzer mit Macht gestärkt wird, lautet die Kunde. Valentin, der seine Macht mehren will und der ein dunkles Herz hat, würde alles dafür tun, um an dieses Tuch zu gelangen... Ist er der Fälschung oder dem wahren Grabtuch auf der Spur?

Kate Mosse gelingt es von Anfang an, Spannung zu erzeugen und die Protagonisten, die sich ineinander verlieben, sehr authentisch darzustellen. Der gut recherchierte Roman zeigt auch reale historische Personen wie etwa Francois de Lorraine, den Herzog von Guise; seines Zeichens machthungrig und bei Hofe unerwünscht: Guise hasst die Hugenotten, die laut Edikt ihre Gebetshäuser außerhalb der Stadtmauern errichten durften. Gerade diese Unterdrückung religiös Andersdenkender und Intrigen sowie Angriffe, die mit päpstlicher Erlaubnis gegen die Hugenotten von der katholischen Kirche betrieben wurden (was in der Bartholomäusnacht gipfelte), machen den Leser mehr als betroffen und lassen mich diese Kirche kein Quentchen mehr sympathisch erscheinen als sie es m.E. ohnehin ist - historisch betrachtet. Auch die Katharer hatten 350 Jahre zuvor mit Verfolgung - und Abschlachtung zu kämpfen, bis sie regelrecht ausgelöscht waren. Einige Hugenotten und deren Nachfahren haben diese Verfolgungen zum Glück überlebt und konnten teils rechtzeitig ins Ausland fliehen - was sich noch heute an manchen Namen (z.B. Laval) zeigt.

Diese Härte und Ungerechtigkeiten gegenüber einer andersdenkenden Minderheit hat Kate Mosse authentisch am Beispiel der Familie Joubert - besonders Minou und Piet Reydon, darstellen können. Auch die Verlogenheit der katholischen Kirche und Brutalität, die sich in "peinlichen Befragungen" äußerten - und seelisch gebrochene Menschen zurückließen, falls sie diese Folterprozeduren überhaupt überlebt hatten, kommt hier zum Tragen.

Bei aller Unterhaltsamkeit und Spannung ist die Reise mit Minou und Joubert mit allerlei Schrecken gepflastert, die diese unruhigen Zeiten in Frankreich porträtieren.

Am Romanende wird immer deutlicher, dass die boshafte Herrin der Burg von Puivert und der machtgierige Priester Valentin bzw. Vidal sich in ihrer Gier nach Macht und Reichtum gegenseitig überbieten, ebenso an verlogener Gläubigkeit und eiskalten Herzen....

Ich fand die Anmerkungen der Autorin zur Sprache (Französisch, Okzitanisch) und zur Theologie sehr interessant; ebenso die Gemeinsamkeiten von Katharern und Hugenotten, die die Freiheit des Geistes und des Gedankens gemeinsam hatten.

Ich empfehle den Romanauftakt zum Schicksal der Hugenotten gerne weiter und bin bereits gespannt auf die Fortsetzung!

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Veröffentlicht am 05.03.2020

Spannende Zeitreise in düstere Abgründe Stockholms

1794
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Ohne den Vorgänger zu kennen (wobei nachgeholt wird, "1793" auch zu lesen), hat mich "1794" von Niklas Natt och Dag recht schnell in seinen Bann ziehen können. Dies lag mitunter wohl an dem sehr interessanten, ...

Ohne den Vorgänger zu kennen (wobei nachgeholt wird, "1793" auch zu lesen), hat mich "1794" von Niklas Natt och Dag recht schnell in seinen Bann ziehen können. Dies lag mitunter wohl an dem sehr interessanten, spannenden und direkten Erzählstil des Autors, der die Atmosphäre des Jahres 1794 in Stockholm sehr gelungen nachzeichnet. Ich würde den Roman in das Genre "Historischer Kriminalroman" einordnen und habe vor Kurzem gelesen, dass sein Vorgänger zum "Krimi des Jahres 2019" auf der Histo-Couch gewählt wurde!

Inhalt:

Linnea Charlotta und Eric Drei Rosen wachsen zusammen auf und verlieben sich im Jugendlichenalter ineinander: Um diese unmögliche Liebe zu vereiteln, beschließen beide Familien (Erik ist von adeligem Geblüt), die zwei Liebenden zu trennen. So landet Eric in der schwedischen Kolonie Barthelemi (Antillen), und auch Nea wird fortgeschickt. Anfangs nimmt das Kennenlernen des Protagonisten Eric viel Raum ein und Niklas Natt och Dag beschreibt sehr atmosphärisch das Leben, das durch Armut, Unterdrückung und Sklaventum einerseits und Reichtum der Kolonisten und Verwalter andererseits dargestellt ist: Man erfährt von der Entrechtung, der Härte und Unmenschlichkeit, mit der Sklaven verkauft und "gehalten" wurden. Sehr viel Kritik steckt, um es auf den Punkt zu bringen, in den Worten des Arztes Dr. Fahlberg, die im Roman auf Seite 125 nachgelesen werden können. Nach langer Zeit kehrt Eric nach Schweden zurück und da die Liebe die Zeit überdauerte, wird die Hochzeit mit Linnea geplant. Eric kam nicht alleine nach Stockholm zurück; er lernte auf der Insel Ceton kennen, der in gewisser Weise Vaterersatz für ihn war und sich sein Vertrauen ergaunerte: Ceton bereitet nun alles vor - und im weiteren Verlauf des Romans wird klar, welch' ein Mensch sich hinter dieser Maske verbirgt.

Meine Meinung:

Die Braut wird in der Hochzeitsnacht ermordet und der Verdacht fällt auf Eric: Einzig die Mutter von Nea glaubt nicht daran, dass Eric ihre Tochter ermordete und beauftragt Michael Cardell damit, den wahren Mörder zu finden. Vielen wird dieser von "1793" bereits bekannt sein; für mich war er eine sehr interessante Figur, die hier an ihre Grenzen geführt wird. Nach außen hin brutal und rücksichtslos wirkend, legt er eine große Menschlichkeit an den Tag und eine Verbissenheit, dem oder den Mördern endlich auf die Spur zu kommen. Hierbei riskieren er und sein Kompagnon Emil Winge, der Bruder von Cecil Winge so einiges - und fast ihr Leben. Beide ergänzen sich hervorragend in den Ermittlungen. Auch taucht eine ebenfalls bekannte Figur auf: Anna Stina, die dem Leser die Lebensumstände von Einsamkeit, Ausgrenzung, Armut, aber auch Freundschaft und Verbundenheit schildert; hier bedient sich der Autor eines für mich ungewohnten und interessanten stilistischen Mittels.

Zeitweise schildert Niklas Natt och Dag sehr präzise einige Greueltaten und die Brutalität von Menschen, führt den Leser in Abgründe der menschlichen Seele, am Ende des Romans nimmt die spannende Handlung noch an Fahrt auf, jedoch wirkte das tragische Ende etwas überhastet.

Fazit:

Sehr atmosphärisch und in außergewöhnlichem und spannendem Schreibstil versetzt "1794" den Leser in ein düsteres Stockholm des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Wartet mit einem brutalen Mord auf, schildert jedoch auch die Lebensumstände besonders von armen Menschen in dieser Zeit sehr authentisch. Ein lesenswerter historischer Kriminalroman, auf dessen Nachfolger ("1795" ?) man durchaus gespannt sein kann! Für mich war es auch ein interessanter Ausflug in die schwedische Geschichte und man spürte, dass der Autor, selbst ein Abkömmling eines alten schwedischen Adelsgeschlechts, sich sehr für diese interessiert. Es ist ihm gelungen, die Handlungsstränge packend und fesselnd zu schreiben wie auch eine Authentizität herzustellen, die man nicht in jedem Werk so intensiv vorfindet. Eine Leseempfehlung von mir und starke 4*.

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Veröffentlicht am 27.02.2020

1965 - Lesenswerter Auftakt einer Reihe um den jungen Kommissar

1965 - Der erste Fall für Thomas Engel
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"Düsseldorf, 1965:

Für den jungen Kommissar Thomas Engel ist die Stadt am Rhein der verheißungsvolle Beginn eines neuen Lebens. Als er zum ersten Mal ein Konzert der Rolling Stones besucht, gibt es für ...

"Düsseldorf, 1965:

Für den jungen Kommissar Thomas Engel ist die Stadt am Rhein der verheißungsvolle Beginn eines neuen Lebens. Als er zum ersten Mal ein Konzert der Rolling Stones besucht, gibt es für ihn keinen Weg zurück, die Provinz liegt weit hinter ihm. Er stürzt sich in das Leben und in seine Arbeit, die ihm gleich einen spannenden Fall beschert. Ein junges Mädchen wird in der Ruine von Kaiserswerth tot aufgefunden. Engel versteht nicht, dass seine Kollegen nicht gleich die Spur verfolgen, die geradewegs in die dunklen 1930er Jahre führt. Versucht man etwas vor ihm zu verheimlichen, und warum will niemand sehen, was so offenkundig auf der Hand liegt? (Klappentext des Kriminalromans)

Der Hinweis zum Inhalt verrät (wie leider so oft) schon eine ganze Menge im Klappentext, dennoch ist der Kriminalroman spannend zu lesen und entführt auf eine spannende und zeitweise unheilvolle Zeitreise sowohl in die Nachkriegszeit Mitte der 60er Jahre als auch in die Zeit des 2. Weltkrieges und - des Naziregimes.

Thomas Engel, der sich mit seinem Vater nicht versteht und der Enge des Kleinstadtmiefs in den 60ern möglichst bald entfliehen will, bekommt das Angebot von Strobel, einem Freund seines Vaters, der einen glanzvollen Karriereaufstieg bei der Polizei hinlegte und Potential bei Thomas sieht, sich ausbilden zu lassen: Als Bester des Jahrgangs wird Thomas Engel Kommissar, der sich bereits nach zwei Tagen einem Verbrechen gegenübersieht: Frenzel, ein Vertreter für Schreibmaschinen, wird tot in der Nähe eines Roma-Lagers aufgefunden: War es Selbstmord - oder gar Mord?

Der Tote hätte bei der "Sonderkommission für Naziverbrechen" als Zeuge gehört werden sollen, was dem jungen Kommissar zu denken gibt....
Im Prolog möchte ein Kind, dem als BDM-Mädel noch eine Mütze fehlt, sich radschlagend in der Stadt das Geld für die Mütze verdienen, als es von einem NSDAP-Mitglied angesprochen wird: Die Fahrt zur Mutter, die Geburtstag haben soll, führt die kleine Lotte geradewegs in ihr Unglück.
Da ein Täter gefunden werden muss, um den Gauleiter zufriedenzustellen, wird sich die Gestapo, die diesen Fall dem Kommissariat entrissen hat, etwas einfallen lassen. Und wird auch alsbald fündig....

26 Jahre später wird erneut ein totes Mädchen in der Ruine gefunden: Es ist spanischer Herkunft, die Eltern leben in einer Siedlung mit hohem Ausländeranteil - und es kümmert sich ein Mann um die Belange der Bewohner, der "Kapo" genannt wird - und sich auch als solcher entpuppt, obgleich der 2. Weltkrieg bereits seit Jahren beendet ist.

Thomas Christos gelingt es, in diesem Kriminalroman sowohl Zeitgeschichte, Sozialkritik als auch gleichzeitig einen spannend zu lesenden Kriminalroman miteinander zu verweben. Der junge Thomas Engel lernt Peggy, ein Mädchen aus der Erziehungshilfe (damals Fürsorgeheim) kennen, als er ein Konzert der Rolling Stones besucht: Aus ihnen wird ein Paar und in Peggy werden Missstände und Missbrauch der damaligen Heimerziehung angesprochen, die teils bis heute noch nicht vollständig aufgearbeitet sind (ich habe meine Diplomarbeit darüber geschrieben und mich mit der Thematik dieser Zeit auseinandergesetzt). Auch die Rückblenden ins Dritte Reich, zum unmenschlichen, barbarischen Verhalten der Nationalsozialisten, die mit ihrem Euthanasie-Programm viel Leid und Tod über behinderte Menschen brachte, kommen hier zum Tragen. Nach und nach stellt sich heraus, dass auch Strobel und der (Zieh)vater von Thomas ihre Hände nicht in Unschuld waschen können: Thomas begibt sich, nachdem er offiziell seinen Job quittierte, nach Polen, um Genaueres zu recherchieren.... Was er herausfindet, gibt ihm mehr als zu denken; Lydia, seine "Aufpasserin" in Polen, personifiziert das mehr als schwierige Verhältnis zwischen dem im 2. Weltkrieg sehr geschundenen Polen und der jungen Bundesrepublik Deutschland.

Die Spannung baut sich nach und nach auf und nimmt im letzten Drittel des Kriminalromans nochmal an Fahrt auf. Manches war für mich etwas vorhersehbar und wirkte leicht konstruiert; insgesamt fand ich das Buch jedoch gut und lesenswert, da es eine gute Mischung zwischen Krimi und Zeitgeschichte darstellt und die Sprachlosigkeit und Verdrängungsmechanismen der Nachkriegszeit gut dokumentiert. Personen und Handlung sind stimmig, zuweilen wendungsreich.

Da es sich um den Auftakt einer Reihe handelt und die 60er Jahre aus heutiger Sicht durchaus spannend sind (besonders wenn man sich noch an sie erinnern kann ;), kann man durchaus auf weitere Fälle für den jungen Kommissar gespannt sein! Ich vergebe 4 Krimisterne und eine Leseempfehlung.

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