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Veröffentlicht am 19.07.2020

Eine Liebe gegen alle Widerstände

Modehaus Haynbach – Tage voller Hoffnung
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1922. Claire hat das Handwerk als Näherin von der Pieke auf von ihrer Mutter Louise gelernt. Als sie ein Brautkleid fertigen soll, führt dies sie in das Haus der von Haynbachs, denn der älteste Sohn Helmut ...

1922. Claire hat das Handwerk als Näherin von der Pieke auf von ihrer Mutter Louise gelernt. Als sie ein Brautkleid fertigen soll, führt dies sie in das Haus der von Haynbachs, denn der älteste Sohn Helmut soll bald die ebenfalls adlige Hilda von Bilgenstein heiraten. Doch dann löst Helmut die Verlobung, weil er sich in Claire verliebt hat. Für seine Eltern ist das ein Eklat, denn Claire ist für sie nicht standesgemäß, sowas wird im Haus Haynbach nicht geduldet, weshalb Helmut das elterliche Haus gemeinsam mit der schwangeren Claire verlassen muss. Nach ihrer Hochzeit versucht Helmut eine Anstellung für das Auskommen der Familie zu finden, doch damit hat er nicht viel Erfolg. Wird es dem jungen Paar gelingen, Fuß zu fassen?
Elaine Winter hat mit „Modehaus Haynbach-Tage voller Hoffnung“ den Auftakt ihrer historischen verankerten Haynbach-Trilogie vorgelegt, die von der ersten Seite an mit einem flüssigen, bildhaften und gefühlvollen Schreibstil überzeugen kann. Die detailreiche Erzählweise lässt beim Leser sofort das Kopfkino anspringen, denn nicht nur die Landschaftsbeschreibungen erzeugen wunderschöne Bilder im Kopf, auch die Protagonisten sind so lebendig dargestellt, so dass man sich ihnen als Leser neugierig an die Fersen heftet und gespannt ist, wie es ihnen im weiteren Verlauf ergehen wird. Die Autorin hat Wert darauf gelegt, neben den historischen Fakten wie der schlimmen Nachkriegszeit mit all ihren Facetten, der Währungsreform und der politischen Entwicklung auch die Haltung der damaligen Gesellschaft zu transportieren sowie die Standesunterschiede deutlich zu machen. Obgleich der Adel um Einfluss und Ansehen gebracht wurde, behaupteten ihre Angehörigen ihre Haltung und hielten sich für etwas Besseres und diejenigen, die sich nicht mit dem gemeinen Volk verbünden oder verbrüdern. Das ging so weit, dass Eltern ihre eigenen Kinder enterbten und verstießen, weil Ansehen höher bewertet wurde, als abtrünnig geltende Familienmitglieder. In warmherziger und gefühlvoller Art beschreibt die Autorin die innige Beziehung zwischen Helmut und Claire, während sie unterschwellig den Handlungsverlauf mit geschickten Wendungen immer wieder Spannung verleiht und den Leser konstant an die Seiten fesselt.
Die Charaktere sind lebendig inszeniert, überzeugen mit ihren menschlichen Ecken und Kanten, was sie für den Leser glaubwürdig und authentisch wirken lässt. Schnell nähert man sich ihnen an, leidet und bangt mit ihnen in der Hoffnung auf einen guten Ausgang. Claire ist eine fleißige und sympathische junge Frau, die das Glück von anderen vor ihr eigenes stellt. Sie ist bescheiden und in ihrer Tätigkeit als Näherin sehr begabt. Ihre Unsicherheit weiß sie geschickt zu kaschieren, sie ist mutig und strahlt eine innere Stärke aus, die bewundernswert ist. Helmut ist ein anständiger Kerl, der zu seinen Überzeugungen sowie zu seinen Entscheidungen steht und die Konsequenzen mit erhobenem Haupt trägt. Er ist verlässlich, treu und ehrlich, stellt sich den Herausforderungen. Aber auch die von Haynbachs, Louise oder Hilda tragen zum Unterhaltungswert dieser Geschichte bei.
„Modehaus Haynbach-Tage voller Hoffnung“ kann den Leser mit einer Sogwirkung von Beginn an unterhaltsam und mit einiger Spannung an die Seiten fesseln. Neben einer Liebesgeschichte gibt es Drama, Intrigen und einen guten Abriss des historischen Hintergrunds. Sehr gelungen, daher eine verdiente Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 18.07.2020

"Ehe ist gegenseitige Freiheitsberaubung in beiderseitigem Einvernehmen." (Oscar Wilde)

Wie backe ich mir einen Mann?
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1896 Texas. Durch ein dummes Gesetz droht Abigail Kemp in Honey Grove die familieneigene Bäckerei zu verlieren, weil es Frauen verboten ist, ein Geschäft zu führen. Um die Aufgabe der Bäckerei zu vermeiden ...

1896 Texas. Durch ein dummes Gesetz droht Abigail Kemp in Honey Grove die familieneigene Bäckerei zu verlieren, weil es Frauen verboten ist, ein Geschäft zu führen. Um die Aufgabe der Bäckerei zu vermeiden und das Verbot der Stadtväter zu umgehen, hat sich Abigail dazu entschlossen, sich einen Ehemann zuzulegen und auch schon drei männliche Kandidaten ins Auge gefasst. Einer davon, der Schreiner Zach Hamilton, ist ihre erste Wahl, denn er verursacht in ihr ein leichtes Magenflattern. Deshalb macht sie ihm per Vertrag ein Angebot, mit ihr eine Scheinehe einzugehen. Doch sie hat nicht mit Zachs Zusatzregeln gerechnet, die natürlich auch mit aufgenommen werden sollen…
Karen Witemeyer hat mit „Wie backe ich mir einen Mann“ den zweiten Teil ihrer historischen „Patchwork-Family-Reihe vorgelegt, der dem ersten Band in nichts nachsteht, was Romantik und Unterhaltungswert angeht. Der flüssige, gefühlvolle Erzählstil ist mit einer guten Prise Humor gewürzt und nimmt den Leser mit auf eine Zeitreise ins Amerika des 19. Jahrhunderts, um sich in Abigails Bäckerei ein Plätzchen zu suchen und das Geschehen zu beobachten. Die Autorin hat ein besonderes Geschick, Geschichten mit Botschaften zu erzählen. Hier lässt sie zwei Protagonisten mit einigem Seelengepäck aufeinander treffen, die sich nicht nur gegenseitig unterstützen, sondern auch aneinander wachsen. Auch bei den zwischenmenschlichen Beziehungen beweist Witemeyer ein gutes Auge, denn sie lässt nicht nur die arrogante Widersacherin auftreten und allerlei Gerüchte streuen, sondern hat auch die familiären Bande ihrer beiden Hauptcharaktere wunderbar herausgearbeitet sowie deren Hilfsbereitschaft für ihre Mitmenschen. Der christliche Aspekt ist sehr eingängig in die Handlung eingearbeitet und wirkt glaubhaft und nachvollziehbar, denn alle haben einige Schicksalsschläge zu schultern. Themen wie Vergebung und Nächstenliebe sind ebenso vertreten wie Schuldgefühle und verborgene Geheimnisse, die an die Oberfläche drängen. Besonders schön zu beobachten ist die Entwicklung dieser nur zum Schein geschlossenen Ehe, in der beide lernen müssen, auf den anderen einzugehen und sich gegenseitig Vertrauen entgegen zu bringen. Der Spannungsbogen ist im mittleren Feld angelegt, steigert sich aber im Verlauf der Geschichte durch interessante Wendungen immer weiter.
Die Charaktere sind liebevoll ausgestaltet, sie sprühen vor Lebendigkeit und nehmen den Leser mit ihren menschlichen Ecken und Kanten schnell für sich ein. Abigail ist eine fleißige junge Frau, die all ihre Liebe in die Familienbäckerei steckt und sich warmherzig nicht nur um ihre Schwester Rosie, sondern auch um Bedürftige kümmert. Ihre Unsicherheit verbirgt sie durch ein forsches Auftreten. Rosie trägt ein Geheimnis mit sich herum, dass sie nicht einmal mit ihrer Schwester teilen will. Zach ist ein zurückhaltender, schweigsamer Mann, der sich seine Freiheit hart erarbeitet hat. Seine Vergangenheit belastet ihn noch immer, weshalb er sie unter Verschluss halten möchte. Sophia war mal Abigails beste Freundin, doch als Frau des Bürgermeisters lässt sie über diese nun arrogant eine Menge übler Nachrede regnen, um sie für eine vermeintliche Schuld büßen zu lassen. Aber auch Seth und Evie tauchen wieder auf der Bildfläche auf und tragen zu der abwechslungsreichen und tiefgründigen Handlung bei.
„Wie backe ich mir einen Mann“ ist eine sehr gelungene Mischung aus Romantik gepaart mit eingebetteten christlichen Botschaften und gut angelegter Spannung. Humorvoll und tiefgründig erzählt verursacht diese warmherzige Lektüre ein tolles Kopfkino. Sehr zu empfehlen!

Veröffentlicht am 12.07.2020

Manchmal braucht dein Herz mehr Zeit, um das zu akzeptieren, was dein Verstand bereits weiß

Das kleine Café im Herzen der Stadt
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Seit dem Tod ihres Mannes Micah vor drei Jahren schlägt sich Robin Price als alleinerziehende Mutter mit Söhnchen Caleb und ihrem Willow-Tree-Café in Peaks mehr schlecht als recht durch. Ihre Kraft zieht ...

Seit dem Tod ihres Mannes Micah vor drei Jahren schlägt sich Robin Price als alleinerziehende Mutter mit Söhnchen Caleb und ihrem Willow-Tree-Café in Peaks mehr schlecht als recht durch. Ihre Kraft zieht sie aus ihren Erinnerungen und den Begegnungen mit den Cafébesuchern. Doch dann bekommt ihr Leben erneut einen Knacks, denn der Bürgermeister möchte mit Hilfe des Investors Ian McKay die Stadt durch einen Wohnkomplex bereichern, um dem städtischen Aufschwung auf die Sprünge zu helfen, dafür müssen aber all die kleinen Ladengeschäfte, zu denen auch Robins Café gehört, weichen. Robin will das nicht einfach so hinnehmen und stellt sich Ian mit aller Kraft und Verzweiflung in den Weg. Ian bewundert die Zielstrebigkeit dieser Frau, jedoch hat er eigene Gründe, das Projekt erfolgreich durchzuführen. Wird es Robin gelingen, das Aus für ihr Café noch abzuwenden?
Kati Ganshert lädt mit „Das kleine Café im Herzen der Stadt“ den Leser erneut als Gast in den kleinen Ort Peaks ein, den man schon aus „Unter samtweichem Himmel“ kennt. Der flüssig-leichte, farbenfrohe und gefühlvolle Schreibstil macht es leicht, in die Geschichte einzutauchen, sich in Robins Willow Tree-Café einen gemütlichen Platz zu ergattern und dort die Geschicke um Robin, Ian und die Ortsbewohner zu beobachten. Die Autorin spielt mit wechselnden Perspektiven und gibt dem Leser so die Möglichkeit, nicht nur Robins Gedanken- und Gefühlswelt mitzuerleben, sondern auch Ian und Amanda besser kennenzulernen. Die Thematik, Altbewährtes gegen Neues auszutauschen, findet sich überall im täglichen Leben wieder und wird hier von der Autorin grandios umgesetzt, denn es geht nicht nur darum, das Stadtbild zu verändern, sondern der Neuanfang soll auch bei ihren Protagonisten Einzug halten, was mit allerlei Emotionen verbunden ist, da es vielen oft schwer fällt, sich von der Vergangenheit zu lösen und sich in unsichere Gewässer zu begeben. Gerade hier wirkt der im Buch schön ausgearbeitete Aspekt, denn es gilt, Hoffnung und Vertrauen in Gott und sich selbst zu haben für die Dinge, die vor einem liegen. Auch in die zwischenmenschlichen Beziehungen innerhalb der Ortsgemeinschaft wird der Leser wunderbar mit eingebunden, wo viele füreinander einstehen und an einem Strang ziehen.
Die Charaktere wurden liebevoll in Szene gesetzt. Sie wirken mit ihren persönlichen Eigenschaften sehr glaubhaft und lebendig, was es dem Leser leicht macht, sich ihnen verbunden zu fühlen. Robin musste schon einiges einstecken und hat sich trotzdem nicht unterkriegen lassen. Söhnchen Caleb wird mit Liebe überschüttet, und auch ihre Cafébesucher werden warmherzig empfangen und verwöhnt. Robin ist selbstlos, hilfsbereit und voller verschütteter Gefühle, die sich nun langsam Bahn brechen. Ian ist ein erfolgreicher Geschäftsmann, der seine eigenen Schicksalsschläge unter Verschluss hält. Er denkt pragmatisch und businessorientiert, doch insgeheim zollt er Robin Bewunderung für ihren Widerstand. Caleb ist ein zauberhafter kleiner Kerl, der das Herz von jedem öffnet. Aber auch die Bewohner von Peaks gehen einem schnell unter die Haut mit ihrem Gemeinschaftsgefühl.
„Das kleine Café im Herzen der Stadt“ weiß den Leser sofort in den Bann zu ziehen. Die tiefsinnige und emotionale Geschichte um die Stadtbewohner, besonders aber um Ian und Robin, beschert schöne Lesestunden und vermittelt gleichzeitig eine Botschaft. Unbedingt lesen und herausfinden!

Veröffentlicht am 06.07.2020

Liebe lässt sich weder durch Kriege oder Grenzen aufhalten

Eine Liebe zwischen den Fronten
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15. Juli 1870 Berlin. Der Tag ihrer Verlobung mit dem deutschen Arzt Paul von Gerlau soll für die Französin Madeleine Tellier eigentlich ein Freudentag sein. Doch das große Ereignis wird jäh gestört durch ...

15. Juli 1870 Berlin. Der Tag ihrer Verlobung mit dem deutschen Arzt Paul von Gerlau soll für die Französin Madeleine Tellier eigentlich ein Freudentag sein. Doch das große Ereignis wird jäh gestört durch den Einberufungsbefehl, den Paul bekommt und damit den Krieg zwischen Preußen und Frankreich offiziell macht. Während Paul sich sofort an der Front einfinden muss, verlässt Madeleine in Begleitung ihres Vaters Berlin, um in ihre Heimat Metz zurückzukehren mit dem Wissen, dass sie und Paul nun auf gegnerischen Seiten stehen und der Angst, ob sie ihre große Liebe jemals lebend wiedersehen wird. Der furchtbare Krieg fordert seine Opfer auf beiden Seiten der Grenze, so dass Paul als Stabsarzt alle Hände voll zu tun hat, aber auch Madeleine setzt sich als Krankenschwester für die Verwundeten ein. Der Zufall führt die beiden Liebenden in Coblenz zwar kurz wieder zusammen, nur damit das Schicksal sie bald darauf wieder trennt. Wird der Krieg Madeleine und Paul die Chance auf ein gemeinsames Glück für immer nehmen?

Maria W. Peter hat mit „Eine Liebe zwischen den Fronten“ einen wunderbar fesselnden historischen Roman vorgelegt, der Geschichte in einer einzigartigen Form wieder lebendig werden lässt. Der flüssige, packende und bildhafte Erzählstil der Autorin schickt den Leser mit den ersten Zeilen auf Zeitreise ins 19. Jahrhundert, um sich abwechselnd den verschiedenen Protagonisten an die Fersen zu heften, ihre Gedanken- und Gefühlswelt aufzusaugen sowie dem Kriegsverlauf zu folgen. Die geplatzte Verlobung sowie die Trennung des Liebespaares lassen den Leser atemlos zurück, aber auch die Kriegshandlungen sind so anschaulich beschrieben, dass man das Gefühl hat, sich ebenfalls mitten auf dem Schlachtfeld oder im Lazarett zu befinden. Die Autorin stellt mit dem Verweben von Fiktion und historischer Wahrheit nicht nur ihre akribische Recherche unter Beweis, sondern nutzt ihr besonderes Händchen in der Ausarbeitung ihrer Protagonisten, um diese eng an den Leser zu binden. Nicht nur die Hauptakteure wachsen einem gefühlsmäßig ans Herz, auch Menschen aus der Bevölkerung sind so in die Handlung eingebunden, dass sie für diese einen wertvollen Beitrag leisten. Der Leser findet sich während der ganzen Lektüre in einer Achterbahn der Gefühle, sei es die Angst um die beiden Liebenden, sei es die Ungerechtigkeit der Franzosen gegenüber den algerischen Soldaten oder aber auch der Verlust der Heimat aufgrund kriegerischer Handlungen. Peters gelingt es, den Spannungsbogen durchweg auf hohem Niveau zu belassen bis zum finalen Schluss.

Die Charaktere sprühen vor Lebendigkeit, sie überzeugen durch menschliche Züge und wirken wunderbar glaubwürdig und authentisch. Madeleine ist eine warmherzige und selbstlose Frau, die all ihre Kraft bündelt, um anderen zu helfen. Sie lässt sich durch Schicksalsschläge nicht unterkriegen, sondern gewinnt dadurch noch mehr an Stärke und Format. Paul ist ein Arzt, der seinen hippokratischen Eid sehr ernst nimmt und nicht nur die eigenen Landleute versorgt. Er ist verlässlich, offen, ehrlich, und hasst die ihm aufgezwungene Kriegsbeteiligung. Clément ist Madeleines Bruder und eine gepeinigte Seele. Innerlich zerrissen kann er sich nicht entscheiden, welchen Weg er einschlagen soll. Madame Tellier ist eine gefühllose und verwöhnte Frau, die wenig Verständnis für ihre Kinder Madeleine und Clément aufbringt. Als Bedienstete von Madeleines Mutter begleitet Djamila Madeleine auf der Suche nach ihrem eigenen Bruder, der als Soldat im Krieg kämpft. Sie ist eine zurückhaltende Frau, die schon einiges ertragen musste. Aber auch Hagemann, Karim, Bismarck und Margot tragen viel dazu bei, dass die Handlung durchweg fasziniert.

„Eine Liebe zwischen den Fronten“ ist nicht nur ein exzellent recherchiertes Stück Zeitgeschichte, sondern zeigt neben einer zu Herzen gehenden Liebesgeschichte auch, welche schrecklichen Folgen dieser Krieg für alle Beteiligten hatte, vor allem für die Entwurzelten, die ihre Heimat und ihre Identität verloren. Wunderbar lebendig erzählt, besser geht es nicht. Chapeau!

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Veröffentlicht am 05.07.2020

Erlebbare Geschichte

Die goldenen Jahre des Franz Tausend
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1924. Die Gier der Menschen beflügelt den Hochstapler Franz Tausend, der selbstsicher und überzeugend bei konspirativen Treffen vor seinem Publikum als Alchemist auftritt und ihnen verspricht, Gold herstellen ...

1924. Die Gier der Menschen beflügelt den Hochstapler Franz Tausend, der selbstsicher und überzeugend bei konspirativen Treffen vor seinem Publikum als Alchemist auftritt und ihnen verspricht, Gold herstellen zu können, um ihnen damit das Geld aus der Tasche zu ziehen, was ihm hervorragend gelingt. Doch es dauert nicht lange, dass die ersten Investoren nervös werden und ausgerechnet eine Frau aus ärmlichen Verhältnissen rückt seine Scharlatanerie in den Blickpunkt der Polizei vertreten durch Kommissar Heinrich Ahrndt. Dem wird von der Obrigkeit auf die Finger geklopft und schon bald entlassen. Ein Wink des Schicksals führt ihn von München nach Berlin, wo er den Auftrag hat, den aufrührerischen Journalisten Carl von Ossietzky zu beobachten, der dem deutschen Volk die Augen öffnen will über das, was hinter ihrem Rücken von den Regierenden bereits in Vorbereitung ist und daher der politischen Elite ein Dorn im Auge ist ebenso wie der Schriftsteller Thomas Mann…
Titus Müller hat mit „Die goldenen Jahre des Franz Tausend“ einen sehr anspruchsvollen und informativen historischen Roman vorgelegt, der nicht nur die letzten Jahre der Weimarer Republik und das Erstarken der Nationalsozialisten exzellent recherchiert an den Leser bringt, sondern ihn auch durch das Wirken von eindrucksvollen Persönlichkeiten zu faszinieren weiß, die er in seiner Geschichte lebendig werden lässt. Der flüssige und atmosphärische Schreibstil versetzt den Leser schnell ins vergangene Jahrhundert in eine Zeit des Aufbruchs, in der die Demokratie durch die verqueren Ideologien erst einmal in der Versenkung verschwindet und die Tyrannei der Nazis Einzug hält, die von Meinungsfreiheit nichts hält und hart durchgreift. Müller lässt die „Goldenen Zwanziger“ vor dem inneren Auge des Lesers wieder lebendig werden. Durch wechselnde Perspektiven lernt der Leser die Hauptprotagonisten bestehend aus Carl von Ossietzky, Thomas Mann, Heinrich Arndt und Franz Tausend kennen, wobei Müller gerade mit den Nobelpreisträgern Mann und Ossietzky die Lage in Deutschland sehr gut wiederspiegelt. Während der Autor seine Geschichte spannend erzählt, versteht er es brillant, dem Leser die damalige Zeit vor Augen zu führen, die Zerrissenheit einer gebeutelten Nation, die nach einem verlorenen Krieg wirtschaftlich am Boden liegt und sich nach besseren Zeiten sehnt. Gerade die Verknüpfung mit belegten historischen Personen macht die Handlung dadurch noch authentischer.
Die Charaktere sind so feinsinnig und detailliert ausgestaltet, dass der Leser sich mitten unter ihnen wähnt und sie bei der Lektüre genau vor Augen hat. Franz Tausend spielt in diesem Roman zwar eher eine Nebenrolle, doch mit seiner Cleverness, Charme und einer gewissen Raffinesse Betrug im großen Stil betreibt. Carl von Ossietzky hat sich dem kritischen Journalismus verschrieben, er war überzeugter Pazifist und den Nationalsozialisten ein Dorn im Auge, was ihn schlussendlich auch ins KZ gebracht hat. Ossietzky ließ sich nicht verbiegen, war mutig und entschlossen, Missstände aufzudecken und der Bevölkerung die Augen zu öffnen. Thomas Mann war ebenso ein Kritiker, der allerdings vor allem an sich selbst zweifelte. Heinrich Ahrndt ist ein integrer Mann, dem Betrug und Falschheit ein Graus ist. Er besitzt eine gute Spürnase und folgt seinen Instinkten. Die Vermischung von fiktiven und belegten historischen Persönlichkeiten ist in diesem Roman besonders gut gelungen und unterstützt das Miterleben der Handlung.
„Die goldenen Jahre des Franz Tausend“ ist spannend von der ersten bis zur letzten Seite, denn die historischen Fakten sind ausgezeichnet recherchiert und mit dem Leben von vier interessanten Protagonisten verknüpft. Für alle, die gerne in die Vergangenheit reisen und Geschichte hautnah miterleben wollen. Absolute Leseempfehlung!