Profilbild von Corsicana

Corsicana

Lesejury Profi
offline

Corsicana ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Corsicana über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 27.03.2021

Diese Sommer der Jugend, die alles verändern

Der große Sommer
0

Viele Menschen erinnern sich sicherlich an diesen einen besonderen Sommer in ihrem Leben. Diese Wochen, die so vieles verändert haben. Solch einen Sommer beschreibt der Erzähler als erwachsener Mann, der ...

Viele Menschen erinnern sich sicherlich an diesen einen besonderen Sommer in ihrem Leben. Diese Wochen, die so vieles verändert haben. Solch einen Sommer beschreibt der Erzähler als erwachsener Mann, der über einen Friedhof geht und ein bestimmtes Grab sucht - und sich erinnert ...

Der "Große Sommer" fing dabei für Frieder gar nicht so gut an. Er ist 16 und gerade zum zweiten Mal in der neunten Klasse hängengeblieben. Jetzt muss er in die Nachprüfung. Und darf nicht mit seiner Familie in den Campingurlaub fahren. Er soll für die Sommerferien zu Großmutter und Großvater ziehen und dort lernen. Dabei ist das nicht einmal sein echter Großvater - und er ist auch noch mehr als streng.

Aber dann entwickelt sich doch alles besser als erwartet. Denn Frieder lernt im Schwimmbad Beate, das Mädchen im flaschengrünen Badeanzug. Wir sind nämlich in den 80ern. Es gibt keine Handys - aber dafür Plattenspieler und Kassetten - und die erste Liebe - die gab es natürlich auch damals schon. Außerdem erfährt Frieder mehr über seine Großeltern und seine Eltern und wird so Stück für Stück eigenständiger und fängt an, erwachsen zu werden.

... Und ganz am Ende wird auch das Rätsel mit dem Grab auf dem Friedhof gelöst.

Dieses Buch ist ein wunderbarer, scheinbar leicht geschriebener - aber doch tiefgründiger Roman über das Erwachsenwerden. Ich werde mir jetzt die anderen Bücher des Autors anschauen - er schreibt wirklich fesselnd, unterhaltsam und doch nicht trivial.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 21.01.2021

Grandios - Ergreifend - Wahrscheinlich mein Jahreshighlight

Das Verschwinden der Erde
0

Dieser Roman (nein - ein Thriller ist es nicht - obwohl das leider auf dem Umschlag steht) spielt in einer sehr exotischen Gegend. Auf Kamtschatka, dieser riesigen Halbinsel, die ganz im Osten von Sibirien ...

Dieser Roman (nein - ein Thriller ist es nicht - obwohl das leider auf dem Umschlag steht) spielt in einer sehr exotischen Gegend. Auf Kamtschatka, dieser riesigen Halbinsel, die ganz im Osten von Sibirien ins Meer ragt. Erreichbar nur per Flugzeug oder Schiff, eine Straßen- oder Eisenbahnverbindung zum Rest vom russischen Festland gibt es nicht. Erst seit 1991 ist Kamtschatka für die Öffentlichkeit zugänglich - vorher war es militärisches Sperrgebiet. Auf der Halbinsel wohnen inzwischen mehrheitlich Russen, die Bevölkerungsdichte ist niedrig und die verschiedenen Stämme an Ureinwohnern sind nur auf dem Papier gleichberechtigt.

Dieser Roman gibt einer benachteiligten Bevölkerungsgruppe eine Stimme - den Frauen. Denn obwohl Frauen auf dem Papier gleichberechtigt und auch gut ausgebildet sind, fällt es ihnen doch schwer, sich in der streng patriarchalischen Gesellschaft zu behaupten. Dies wird in diesem als Kaleidoskop angelegten Roman deutlich, der den Verlauf eines Jahres beschreibt, von August bis Juli, jeder Monat aus Sicht einer anderen Frau. Mögen die Geschichten am Anfang noch zusammenhanglos wirken, so zeigt sich im Laufe der Zeit, dass es doch Zusammenhänge gibt. Oft nur mittelbare - manchmal auch unmittelbare.

Zusammengehalten wird die Geschichte durch einen Kriminalfall. Zwei kleine russische Mädchen verschwinden im August in der Hauptstadt. Und sie tauchen nicht wieder auf. Das hat Auswirkungen auf viele Menschen. Zum Beispiel auf die einzige Augenzeugin, die die Mädchen in ein Auto steigen sah. Als man aber das Auto und die Mädchen nicht findet, zweifeln alle an ihrem Verstand - sie selbst nachher auch. Da ist die Ureinwohnerin, deren Tochter vorher schon verschwand. Aber sie war schon 18 - und es wurde nicht von der Polizei nach ihr gesucht. Dann sind da diverse junge Frauen, die durch das Verschwinden der Mädchen noch mehr kontrolliert und behütet werden und noch mehr von ihrer Freiheit verlieren. Da sind aber auch andere Frauen, die zwar nur mittelbar betroffen sind - aber auch große Verluste zu verarbeiten haben. Und das ist wohl das Thema des Buches: Verlust.

Der Verlust der Kindheit, der Eigenständigkeit, der Träume, der unberührten Natur, der Liebe....

Erzählt wird dies alles in einer sehr klaren, kraftvollen, perfekt auf den Inhalt abgestimmten Sprache. Den Übersetzer*innen ist hier sicherlich auch viel zu verdanken!

Die Autorin hat wohl insgesamt 10 Jahre an dem Roman gearbeitet und war selbst lange auf Kamtschatka. Das merkt man. Sie beschreibt diesen weit entfernten, gleichzeitig exotischen und doch manchmal so trostlosen Landstrich sehr eindringlich. Auch die grandiose Natur wird gewürdigt.

Der gesamte Roman ist perfekt komponiert - wie ein Musikstück, dass eine perfekte Melodie hat - ohne Kitsch - aber sehr ergreifend.

Für mich ein grandioses Buch. Ich war gefesselt, ich fand es spannend. Auch wenn es kein klassischer Krimi ist - obwohl es um einen Kriminalfall geht. Ich liebe Romane, die als Kaleidoskop geschrieben sind und ich bin tief eingetaucht in eine Gesellschaft, in der ich sicherlich nicht leben will - die mir aber nahe gekommen ist. In all ihrer Unvollkommenheit - Unfertigkeit - Ungerechtigkeit.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 08.07.2020

Unsentimental und doch so wunderschön poetisch

Kostbare Tage
0

Es sind die leisen Bücher, die sich in mein Herz schleichen. Die mich noch lange innerlich begleiten und die mich noch lange über das Leben nachdenken lassen. So ging es mir mit "Stoner" von John Williams ...

Es sind die leisen Bücher, die sich in mein Herz schleichen. Die mich noch lange innerlich begleiten und die mich noch lange über das Leben nachdenken lassen. So ging es mir mit "Stoner" von John Williams oder mit "Ein ganzes Leben" von Robert Seethaler oder mit den Büchern von Norbert Scheuer. Und auch Kent Haruf schreibt solche Bücher. "Kostbare Tage" ist das dritte Buch von Kent Haruf, das ich lese. Und ich bin wieder begeistert und berührt.

Oberflächlich betrachtet geschieht nicht viel in diesen Büchern. Aber eigentlich geschieht alles - das gesamte Leben in all seiner Tragik, Einsamkeit, Rauheit und Warmherzigkeit. Alle Bücher von Haruf spielen in der fiktiven Kleinstadt Holt in Colorado. Gelegen mitten in den Plains. Kein besonderer Ort, sondern tiefste Provinz. Es gibt die üblichen Geschäfte und einen Diner. Das Highlight der Menschen dort ist ein Burger-Essen im Diner. Ansonsten lebt man sein Leben. Meist nimmt man es einfach so hin, man arrangiert sich. Zwischendurch ist man auch mal glücklich. Aber wenn nicht - dann eben nicht. So geht es auch Dad Lewis, dessen Geschichte sich als eine Art Hauptstrang durch das Buch zieht. Dad hat Krebs, unheilbar. Er hat nur noch einen Sommer zu leben. Er nimmt es hin, seine Frau leidet, seine Tochter kommt, um die Mutter bei der Pflege zu unterstützen.

So kommt die Schwester vom Hospiz und sagt zur Appetitlosigkeit von Dad: "Ich weiß. Das ist normal. So geht es uns allen eines Tages".

Dieser Satz sagt so viel aus. Das Leben akzeptieren, den Tod akzeptieren. Ich finde es so schön, wie der Autor dies in kurzen, knappen Sätzen ausdrücken kann.

Die Nachbarn von Dad nehmen Anteil. Und auch deren Geschichten werden erzählt. Manchmal traurige Geschichten, viel Wehmut, viel Einsamkeit. Manchmal trifft man alte Bekannte aus den anderen Romanen wieder, was sehr schön ist. Ich mag es, wenn Autoren ihre eigene Welt errichten.

Das hört sich jetzt eher nach einem traurigen und langweiligem Buch an. Ist es aber nicht. Denn der Schreibstil ist in wunderbar. Sehr einfach, fast karg. Wie das Leben in Holt. Aber mit ein paar wenigen Sätzen kann Kent Haruf wunderschön poetische Dinge über das Leben erzählen. Über das Glück von Liebe und Zusammenhalt. Über schöne gemeinsame Momente. Über kleine aufkeimende Pflänzchen der Liebe und Zuneigung. Es ist schwer zu beschreiben, wie schön es ist, das zu lesen.

Drei Bände des nur sechs Bücher umfassenden Werkes von Kent Haruf fehlen mir noch. Einer, "Unsere Seelen bei Nacht" ist schon übersetzt und wurde bereits mit Jane Fonda und Robert Redford verfilmt. Dieses Buch werde ich als nächstes lesen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 23.02.2020

Wunderschön traurig und wunderschön humorvoll

Marianengraben
0

Paula ist in tiefer Trauer versunken. Sehr tief. So tief wie der Marianengraben (11.000 Meter - man achte auf die Kapitelüberschriften!). Ihr kleiner Bruder wollte immer in den Marianengraben ...

Paula ist in tiefer Trauer versunken. Sehr tief. So tief wie der Marianengraben (11.000 Meter - man achte auf die Kapitelüberschriften!). Ihr kleiner Bruder wollte immer in den Marianengraben - einen neuen Fisch finden. Aber jetzt ist der kleine Bruder tot - ertrunken. Und Paula findet nicht aus ihrer Trauer und Depression heraus. Aber als sie bei einem nächtlichen Besuch am Grab ihres Bruders Helmut kennen lernt - einen älteren Herrn, der ebenfalls viele Verluste in seinem Leben verkraften musste- - ändert sich etwas. Die beiden gehen auf eine Reise in die Alpen - mit Hund und Huhn (was es mit dem Huhn so auf sich hat ist irgendwie witzig - und irgendwie traurig - genau wie das gesamte Buch).

Und so langsam steigt Paula hoch aus ihrer Trauer (man achte wieder auf die Kapitelüberschriften).

Ich hatte das Glück, mir schnell eine der raren Karten für eine neue Art von Leserunde zu kaufen beim Lesefestival NRW in Köln. Das Buch erhielt ich schon Ende Dezember vorab - Ende Januar war dann eine Diskussionsrunde. Moderiert und mit Autorin. Alle hatten das Buch gelesen - es war daher eine sehr interessante Gesprächsrunde.

Die Autorin erzählte, dass sie Depressionen selbst sehr gut kennt - aber ihr kleiner Bruder lebt. Sie erzählte auch, dass sie keine Roadmovies mag - aber sie hat einen geschrieben. Und zwar einen guten. In einer sehr bildhaften Sprache mit sehr lebensechten Dialogen (die Autorin erzählte, dass sie zwar auf einer alten Schreibmaschine schreibt - aber die Dialoge diktiert). Als Leser sieht man quasi einen Film vor sich ablaufen. Es war übrigens auch ein Filmemacher in der Diskussionsrunde - und der meinte auch, dass das Drehbuch quasi schon fertig wäre.

Bei allem Hype und aller Kritik, die es derzeit um dieses Buch herum und um die Social-Media-Aktivitäten der Autorin gibt (die erste Auflage des Buches im Eichborn-Verlag war schon vor Erscheinungstermin ausverkauft) sollte nicht vergessen werden, dass es sich bei diesem Buch um ein bemerkenswertes Debüt handelt.
Diese Balance aus einer tieftraurigen Geschichte gepaart mit schönen und humorvollen Szenen hinzubekommen - das gelingt nur wenigen. Jasmin Schreiber kann das.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 22.02.2020

Was für eine tolle Krimi-Reihe!

Doggerland. Tiefer Fall (Ein Doggerland-Krimi 2)
0

Wer war schon einmal auf Doggerland? Dieser Inselgruppe zwischen Großbritannien und Dänemark? Mit einer Kultur gemischt aus Skandinavien und England, Landschaft ein wenig wie in Schottland und dazu noch ...

Wer war schon einmal auf Doggerland? Dieser Inselgruppe zwischen Großbritannien und Dänemark? Mit einer Kultur gemischt aus Skandinavien und England, Landschaft ein wenig wie in Schottland und dazu noch ein bisschen bretonisches Lebensgefühl (es gibt jedes Jahr ein großes Austernfest)?

Noch keiner???

Nun, das könnte daran liegen, dass es Doggerland gar nicht gibt. Es gab zwar einmal eine bewohnte Landmasse in der Nordsee zwischen dem heutigen Großbritannien und Skandinavien - aber diese wurde vor 8.000 Jahren überflutet.

Aber die Autorin dieser Krimi-Serie beschreibt Doggerland so detailliert und lebensecht, dass ich am liebsten eine Fähre buchen würde und hinfahren würde.

Natürlich lässt sich an einer solchen fiktiven Inselgruppe das Sozialgefüge eines Landes sehr detailliert beschreiben - und Kritik kommt auch nicht ganz zu kurz.
Vor allem aber ist die Reihe eine Folge von Krimis. Spannend, etwas skandinavisch-sozialkritisch und dazu eine Handvoll Protagonisten, die sehr eigenwillig und manchmal ein wenig exzentrisch sind - aber doch realistisch.

Da ist die Kommissarin - Karen Eiken Hornby - nach vielen Jahren in London nach einem schweren Schicksalsschlag heimgekehrt nach Doggerland. Sie lebt jetzt in ihrem ehemaligen Elternhaus und vergräbt sich in der Arbeit. Aber ein paar Freunde hat sie doch, die sie liebevoll unterstützen. Und mit denen sie gerade Weihnachten feiert. Doch dann muss sie einen Einsatz übernehmen. Auf der nördlichen Insel von Doggerland (es gibt drei Inseln, die letzte Folge spielte auf der Hauptinsel, jetzt kommt die nördliche Insel und im nächsten Band dann wohl die südliche Insel?) wurde ein Mann neben einer Kiesgrube gefunden. Und es war wohl kein Unfall. Hornby beginnt zu ermitteln - und stellt dann fest, dass ein Teil ihrer Familie eventuell involviert ist. Und überhaupt wird das Ganze immer verworrener - und vor dem Ende gibt es noch eine Reihe an unvorhersehbaren Verwicklungen. Alles in allem also ein solider Krimi. Mich interessieren an dieser Reihe aber vor allem das Setting, die Beschreibung einer fiktiven Gesellschaft (die aber äußerst realistisch dargestellt wird) und die Personen, die sehr interessant sind. Da ist die eigenbrötlerische Ermittlerin, ein schwules Pärchen, eine erfolgreiche Künstlerin, ein gescheiterter Musiker, ein Ermittler-Kollege mit Elternzeit-Problemen und ein Chefermittler, der in diesen Fällen nie ermittelt - sondern entweder befangen oder in Urlaub ist.
Ein wenig gestört hat mich, dass das Thema "Gewalt gegen Frauen" anscheinend in jedem zweiten skandinavischen Krimi thematisiert werden muss. Zweifellos ein wichtiges Thema - aber doch bitte noch so gezwungen einbauen - hier ist es zum Glück nur eine Nebenhandlung.

Insgesamt freue ich mich jedenfalls schon auf den nächsten Fall, der Ende des Jahres erscheinen wird.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere