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Veröffentlicht am 22.06.2022

Gut unterhaltend, aber steigerungsfähig

Ein Giro in Triest
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REZENSION – Die Hafenstadt Triest ist nicht zum ersten Mal Schauplatz eines Romans des österreichischen Schriftstellers Christian Klinger (56), der nach Verlagsangabe seit 2017 dort seinen Zweitwohnsitz ...

REZENSION – Die Hafenstadt Triest ist nicht zum ersten Mal Schauplatz eines Romans des österreichischen Schriftstellers Christian Klinger (56), der nach Verlagsangabe seit 2017 dort seinen Zweitwohnsitz hat. Bereits in „Blutschuld“ (2017), dem vierten Fall seines Wiener Ermittlers Marco Martin, sowie in der Familiensaga „Die Liebenden von der Piazza Oberdan“ (2011) machte Klinger die Stadt an der Adriaküste zum Ort der Handlung. In seinem kürzlich im Picus Verlag veröffentlichten Roman „Ein Giro in Triest“, Auftakt zu einer historischen Krimireihe, widmet sich Klinger allerdings vollends der heutigen Hauptstadt der italienischen Region Friaul-Julisch Venetien, die über 500 Jahre zum österreichischen Kaiserreich gehörte und erst 1918 zu Italien kam.
In seinem Triest-Krimi geht der Autor in diese letzte Phase der von Österreichern, Italienern, Slowenen und anderen Nationalitäten besiedelten habsburgischen Hafen- und Handelsstadt zurück und lässt seinen jungen Inspektor Gaetano Lamprecht im Jahr 1914 im Umfeld von Monarchisten, nationalistischen Italienern (Irredentisten) und der italienisch-slawischen Unterwelt ermitteln. Schon der italienisch-deutsche Name des Inspektors der Triester Polizei zeigt dessen eigene gespaltene Identität, ist doch sein Vater ein Österreicher und die Mutter eine Italienerin. Scheint es Gaetano Lamprecht anfangs nur mit einem vorgetäuschten Selbstmord eines Soldaten zu tun zu haben, wandelt sich Klingers Roman bald von einem historischen Krimi in einen interessanten Politkrimi, der die politisch brisante Situation in der Vielvölkerstadt aufzeigt: Gerade sind der österreichische Thronfolgerpaar, Erzherzog Franz Ferdinand und seine Ehefrau Sophie, am 28. Juni 1914 in Sarajewo von Gavrilo Princip, einem Mitglied der serbisch-nationalistischen Bewegung Mlada Bosna, ermordet worden. Die Särge des Paares sollen über Triest nach Wien gebracht werden. Doch jetzt drohen Nationalisten mit der Entführung der Särge, was Gaetano verhindern soll. In einem Netz aus Verschwörungen und Korruption gelingt es dem noch jugendlich-forschen und gelegentlich auch unüberlegt handelnden Kriminalisten nur mühsam, die Verschwörer zu entlarven und letztlich dadurch auch seinen Mordfall zu lösen.
Der Soldatenmord und die Jagd nach den Särgen des Thronfolgerpaares geben dem historischen Roman allerdings nur einen Handlungsrahmen, weshalb in „Ein Giro in Triest“ auch keine rechte Spannung aufkommen will. In erster Linie schildert das Buch die schwierige Situation in Triest im politischen wie gesellschaftlichen Umgang mit und zwischen den Bewohnern so unterschiedlicher Nationalitäten, die jede für sich um ihre Rechte und Anerkennung kämpft. Doch diese komplexe Vielfalt beschreiben zu wollen, lähmt zwangsläufig den Handlungsablauf und nimmt dem Krimi die Spannung.
Mag die geschichtliche Recherche dem Autor gelungen sein, was nur Historiker beurteilen können, übertreibt der Autor allerdings dann, wenn er der Handlung wieder zu mehr Spannung verhelfen will: Es ist doch wenig glaubhaft, wenn sein junger Inspektor, so gelenkig und sportlich dieser als trainierter Radrennfahrer auch sein mag, auf offener See ein Kriegsschiff in voller Fahrt nur mit Hilfe eines herabgelassenen Taus entert. Auch die nachfolgende Handlung an Bord scheint kaum glaubwürdig, langweilt zudem in ihrer Detailfreudigkeit.
In seiner Danksagung nennt Autor Klinger ausdrücklich seinen Schriftsteller-Kollegen und Landsmann Günther Neuwirth (55) als Ratgeber. Dieser hat mit seinen beiden historischen, nur wenige Jahre früher in Triest spielenden Krimis „Dampfer ab Triest“ (2021) und „Caffè in Triest“ (2022) mit dem galanten Ermittler Bruno Zabini die Messlatte hochgelegt. Wird man nun von Klinger selbst zum Vergleich gezwungen, muss man feststellen, dass sein „Giro in Triest“ für sich allein betrachtet sich zwar gut lesen lässt, doch gegenüber Neuwirth stilistisch und atmosphärisch noch ein Stück aufzuholen hat.

Veröffentlicht am 01.01.2022

Historischer Roman mit Macken

Die militante Madonna
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REZENSION - Ein Transvestit am französischen Hof Ludwigs XV. sowie seines Nachfolgers und Enkels Ludwig XVI., ein Dragoner-Hauptmann in Frauenkleidern, erzählt uns in Irene Disches neuem Roman „Die militante ...

REZENSION - Ein Transvestit am französischen Hof Ludwigs XV. sowie seines Nachfolgers und Enkels Ludwig XVI., ein Dragoner-Hauptmann in Frauenkleidern, erzählt uns in Irene Disches neuem Roman „Die militante Madonna“ seine sensationelle Lebensgeschichte – mehr als zwei Jahrhunderte nach seinem Tod. Mit diesem literarischen Kniff mischt sich die österreichisch-amerikanische Schriftstellerin scheinbar amüsiert in die aktuelle, als besonders aufgeklärt und tolerant erscheinende, gelegentlich auch hysterisch-übertrieben wirkende Gender-Debatte unserer Generation ein. Mit ihrer im Oktober beim Hoffmann & Campe Verlag veröffentlichten Romanbiografie über das wechselhafte Leben des Chevaliers Carles d’Eon de Beaumont (1728-1810) zeigt sie uns, dass diese Debatte um sexuelle Identität schon uralt ist und bereits vor Jahrhunderten teils intrigant und verbissen diskutiert wurde, andererseits Männer in Frauenkleidern und Frauen in Männerkleidung doch nichts Neues waren. „Zweihundertfünfzig Jahre nach meiner Zeit glauben Sie offenbar“, spricht uns der Erzähler direkt an, „Sie hätten die Wahlfreiheit erfunden, ein Mann oder eine Frau zu sein. …. Die Sünde wurde aus Ihrem Wortschatz gestrichen, aber die Verdammung des Wortverbrechens ist geblieben.“
Zumindest ansatzweise auf seinen 1836 erstveröffentlichten und 1998 als Reprint erschienenen „Mémoires du chevalier d’Éon“ basierend, lässt die Autorin in ihrer keineswegs historisch korrekten Romanbiografie ihren Helden seine abenteuerliche Geschichte erzählen, die in seiner Rolle als männlicher Kaufmann bis zum Waffenhandel mit den amerikanischen Revolutionären unter George Washington und als „militante Madonna“ zur Aufstellung einer Amazonen-Brigade reicht, eine „schlagkräftige Truppe von achtzig Frauen, die fünf verschiedene Sprachen sprachen“, um als Frau mit Frauen in Amerika für Freiheit und Gleichheit zu kämpfen.
Der Chevalier d’Eon de Beaumont war ein dem französischen König direkt unterstellter Gesandter, kämpfte als Mann im Siebenjährigen Krieg als Dragoner, spionierte als „schöne, geistreiche Frau mit kecken Brüsten, strahlend blauen Augen und blonden Locken“ am russischen Zarenhof und war bekannt für seine Fechtkunst mit dem Degen, ganz gleich ob als Mann oder Frau: „Auch in meinen Dreißigern, als ich noch gertenschlank und bildhübsch wie eine junge Frau war, konnte ich fechten, fluchen und rauchen wie ein widerlicher alter Mann.“ Bis zu seinem Tod wurden an der Londoner Börse Wetten über sein wahres Geschlecht abgeschlossen, die zu seinen Lebzeiten nie eingelöst wurden. Erst bei der Totenschau stellte man fest, dass d'Eon „nackt ein Mann war, ein normaler Mann, mein Geschlecht vom Alter verschrumpelt, aber nicht vom mangelnden Gebrauch, denn es hatte mir in meiner zweiten Lebenshälfte viel Lust bereitet“.
So ging Charles d'Eon als erster berühmt gewordener Transvestit in die Geschichte ein, weshalb auch der „Eonismus“ in den Fachbüchern früher Sexualwissenschaftler als Terminus für den Transvestitismus stand. In Disches Roman erkennt der Chevalier seine Zweigeschlechtlichkeit trotz mancher Intrige und gesellschaftlichen Drucks als „großzügiges Gottesgeschenk“ an: „Ich war nie auf die Idee gekommen, das eine Geschlecht zugunsten des anderen aufgeben zu müssen.“
Einerseits ist Disches aktuelles Buch ein locker geschriebener und deshalb gut lesbarer, auch unterhaltender historischer Roman über eine überaus interessante und schillernde Persönlichkeit des ausgehenden 18. Jahrhunderts, deren schwieriges Schicksal uns heute kaum bekannt ist. Doch fehlen in Disches Roman die geschichtlichen Hintergrundinformationen, die zum besseren Verständnis der politischen und gesellschaftlichen Situation jener Zeit nötig sind und in einem erklärenden Anhang sinnvoll gewesen wären. Hierzu ist deshalb ergänzende Lektüre unbedingt empfehlenswert.
Auch verliert der Roman durch die „Wiederauferstehung“ des Chevaliers als Ich-Erzähler mehr als 200 Jahre nach seinem Tod und dessen persönliche Einmischung in die aktuelle Gender-Debatte an Glaubwürdigkeit. Irene Dische zieht damit sogar die Ernsthaftigkeit der Thematik ins Lächerliche und neigt zur Überheblichkeit, wenn sie ihren Chevalier mit „erigiertem Zeigefinger“ sagen lässt: "Damit habe ich hier die älteste Geschichte der Welt in einer ihrer unzähligen Varianten nacherzählt, um Sie daran zu erinnern, nicht so arrogant zu glauben, Sie hätten die Freiheit erfunden, ein Mann oder eine Frau zu sein."

Veröffentlicht am 21.07.2020

Nach "Totenland" erfüllt "Totenwelt" nicht die Erwartungen

Totenwelt
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REZENSION – Nach dem lesenswerten Krimi-Debüt „Totenland“ (2019) von Michael Jensen, Pseudonym des holsteinischen Arztes und Trauma-Therapeuten Jens-Michael Wüstel (54), durfte man auf die Fortsetzung ...

REZENSION – Nach dem lesenswerten Krimi-Debüt „Totenland“ (2019) von Michael Jensen, Pseudonym des holsteinischen Arztes und Trauma-Therapeuten Jens-Michael Wüstel (54), durfte man auf die Fortsetzung gespannt sein. Doch „Totenwelt“, nach den in Band 1 geschilderten Geschehnissen während der letzten Kriegstage des untergehenden Deutschen Reiches chronologisch nun in den ersten Mai-Tagen 1945 spielend, in denen Hitler-Nachfolger Dönitz in Flensburg eine neue Regierung aufzubauen versucht, während britische Truppen die Stadt besetzen, enttäuscht trotz durchaus spannender Elemente leider auf mehrfache Weise.
Der von der Ostfront kriegsverletzt heimgekehrte Polizei-Inspektor Jens Druwe soll als Hilfspolizist der Briten einen Doppelmord aufklären. Das zur Übergabe brisanten Materials über untergetauchte Nazi-Funktionäre arrangierte Geheimtreffen eines Captains mit einem früheren Canaris-Mitarbeiter endet für beide tödlich. Zwar scheint es zunächst, als hätten beide sich gegenseitig erschossen, doch Druwe hat berechtigte Zweifel und sucht nach dem unbekannten Dritten. Gleichzeitig wird er von der Dönitz-Regierung beauftragt, eine neue deutsche Polizei-Einheit aus politisch unbelasteten Beamten aufzustellen. Als Diener zweier Herren, die völlig gegensätzliche Interessen verfolgen, gerät Druwe zwangsläufig zwischen die Räder gegenläufiger politischer Interessen und wird als „Ermittler, der dem Grauen des Krieges die Liebe zur Wahrheit entgegenhält“ auch diesmal enttäuscht. Denn seinem britischen Vorgesetzten geht es nicht, wie Druwe gehofft hatte, um die Aufklärung des Doppelmordes und vor allem um die Festnahme untergetauchter Nazis, sondern als Mitarbeiter des britischen Auslandsgeheimdienstes MI6 ausschließlich um politische Interessen Großbritanniens und Vorteile gegenüber den anderen Siegermächten.
Autor Michael Jensen versteht es hervorragend, die Atmosphäre jener Tage in seiner Heimatregion absolut authentisch und lebendig wiederzugeben. Auch die so unterschiedlich gesetzten Charaktere – ob Opfer, Täter und Mitläufer der Nazis oder Vertreter der britischen Besatzungsmacht – sind tiefgründig ausgearbeitet und nachvollziehbar beschrieben: „Ich habe versucht, diese Gefühle und Gedanken [jener Tage] lebendig werden zu lassen.“ Denn „die innere Geschichte ist erst die wahre Geschichte“, zitiert Trauma-Therapeut Wüstel als Autor Michael Jensen im Nachwort den dänischen Philosophen Søren Kierkegaard.
Doch als Buchautor verzettelt sich Michael Jensen in seinen komplexen Ansprüchen um genaue Analyse, was sich in „Totenwelt“ auf lähmend auf die Spannung auswirkt. Die um Korrektheit bemühte Schilderung der historischen Geschehnisse nimmt allzu viel Platz ein, gehört in dieser Breite auch nicht in einen Krimi. Hierzu wäre die Lektüre des zeitgleich erschienenen Buches „Acht Tage im Mai“ des Historikers Volker Ullrich besser. Jensens Bemühen um Genauigkeit zeigt sich in „Totenwelt“ leider auch in ständigen Bezugnahmen zu Handlung und Personen des ersten Bandes „Totenland“. Manches wird sogar innerhalb dieses zweiten Bandes noch mehrfach wiederholt, was das Lektorat hätte vermeiden müssen. Diese durchgängigen Bezüge auf Band 1 stören nicht nur das Vergnügen jener Leser, die den ersten Band bereits kennen, sondern irritieren auch Erstleser, da die rückblickenden Halbsätze nicht ihren Zweck erfüllen können. Besser wäre es stattdessen gewesen, dem zweiten Band die Geschichte des ersten auf drei Seiten zusammengefasst voranzustellen.
Da man beide Bände in Folge lesen sollte und es dem Autor ohnehin mehr um seine Charaktere als um die Mordfälle und deren Aufklärung geht, wäre es besser gewesen, von vornherein auf die Zweiteilung zu verzichten und die Handlungen vor und nach der deutschen Kapitulation in einem einzigen Band zu vereinen. Doch so aufgeteilt, konnte der zweite Band „Totenwelt“ den durch seinen Vorgänger „Totenland“ hochgesteckten Erwartungen leider nicht im eigentlich erwarteten Maß entsprechen. Doch trotz der von mir kritisierten Punkte bleibt auch dieser zweite Band gerade für die Generationen der Nachgeborenen empfehlenswert, zeichnet er doch ein weiteres Mal auf beeindruckende Weise ein genaues politisches und gesellschaftliches Abbild nicht nur Norddeutschlands zu jener Zeit des Neuanfangs.

Veröffentlicht am 04.05.2020

Spannender, unterhaltsamer Krimi mit Ausbaupotenzial

Der Himmel so rot
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REZENSION – Wer einen spannenden Unterhaltungsroman mit historischem Rückblick in die Zeit des Zweiten Weltkriegs sucht, macht mit dem 200-Seiten-Krimi „Der Himmel so rot“, dem dritten Buch von Marion ...

REZENSION – Wer einen spannenden Unterhaltungsroman mit historischem Rückblick in die Zeit des Zweiten Weltkriegs sucht, macht mit dem 200-Seiten-Krimi „Der Himmel so rot“, dem dritten Buch von Marion Feldhausen, sicher keinen Fehler. Er verknüpft in lockerem Stil aktuelle gesellschaftspolitische Themen mit Kriegsverbrechen in Norditalien. Besser wäre allerdings gewesen, wenn Letzteres nicht schon im Klappentext des Romans verraten würde. Denn dadurch verliert der durchaus raffiniert aufgebaute Krimi einen wesentlichen Teil seiner Spannung. Doch das Tempo der Handlung, starke Szenenwechsel, kurze Sätze und gute Dialoge machen das Buch zu einem leicht und gern lesbaren Spannungsroman.
Hauptkommissarin Sophia Barucchi, Deutsche mit italienischen Wurzeln, und ihr Kollege, Oberkommissar Paul Scholten, werden eines Morgens in ein Waldstück am Duisburger Kaiserberg gerufen, wo nach einem anonymen Anruf die skelettierte Leiche einer etwa 30-jährigen Frau gefunden wurde. Deren Leichnam wurde nach Auskunft der Rechtsmedizinerin wohl schon vor 30 Jahren dort vergraben. Daneben werden zwei ältere Lira-Münzen gefunden. Sophias italienischer Kollege, der eigentlich gerade unter Todesgefahr gegen die Mafia kämpft, überprüft alte Vermisstenmeldungen. Bald stoßen die Ermittler auf das Verbrechen einer SS-Panzergrenadier-Division an Einwohnern des Dorfes Santa Maria, die 1944 zu Hunderten ermordet wurden. Nicht weniger gefährlich erscheint das Ermittlungsumfeld in Duisburg, wo Sophia und Paul es mit rivalisierenden Rockerbanden, Drogenhandel und Prostitution sowie mit Neonazis und einem Altnazi zu tun bekommen. Dann wird im eigenen Kommissariat noch ein „Maulwurf“ entdeckt.
Was einerseits die Stärke dieses Krimi ist - schnelles Tempo, hohe Handlungsintensität, starke Szenenwechsel, flapsige Dialoge und sympathische wie unsympathische Figuren – und sich damit für eine Verfilmung eignen würde, ist gleichzeitig sein Nachteil: In die Handlung wurde alles gepackt, was thematisch passend scheint: Zu den Altnazis und SS-Schergen mit ihren heute oft verjährten Kriegsverbrechen kommen die Neonazis. Von ihnen ist es nur ein kleiner Sprung zu den Rockerbanden und weiter zu Drogenhandel und Prostitution – alles Themen, mit denen sich die Autorin als berufsmäßige Psychotherapeutin von drogensüchtigen Strafgefangenen zweifellos gut auskennt. Als wäre dies nicht genug, erschweren auch noch LKA und BND die Arbeit der Duisburger Ermittler.
Diese kraftvolle Themenvielfalt, gepresst auf nur 200 Seiten, ermöglicht es der Autorin kaum, sowohl in der Handlung tiefer zu gehen als auch die Charaktere ihrer Protagonisten stärker auszuleuchten. Jedes Thema für sich würde schon für einen eigenen Roman reichen. Und was ließe sich alles aus der temperamentvollen Deutschitalierin Sophia Barucchi und ihrem Verhältnis mit dem Staatsanwalt noch herausholen oder aus Sophias freundschaftlich-knisternder Beziehung zum Kollegen Paul. Und dann ist da noch die clevere Helma, die „Perle des Kommissariats“. Doch ungeachtet dessen bleibt „Der Himmel so rot“ ein locker geschriebener, leicht zu lesender und durchaus fesselnder Krimi, der als spannende Feierabendlektüre bestens geeignet ist.

Veröffentlicht am 30.10.2019

Vergnüglicher Krimispaß mit britischem Humor

Ein Gentleman in Arles – Gefährliche Geschäfte
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REZENSION - „Gefährliche Geschäfte“ ist bereits der zweite Band der Krimi-Trilogie „Ein Gentleman in Arles“ des britischen Autors Anthony Coles, die auf Deutsch im Pendo-Verlag erscheint. Wer allerdings ...

REZENSION - „Gefährliche Geschäfte“ ist bereits der zweite Band der Krimi-Trilogie „Ein Gentleman in Arles“ des britischen Autors Anthony Coles, die auf Deutsch im Pendo-Verlag erscheint. Wer allerdings auf knallharte Action wirklichkeitsnaher Thriller hofft, kann nur enttäuscht werden. Vielmehr ist es ein amüsanter Krimispaß, mit leichter Feder und sehr britisch-snobistischem Humor sowie mit Liebe zur südfranzösischen Stadt Arles und deren Bewohner geschrieben. David Gentry und Peter Smith, zwei pensionierte Agenten des britischen Geheimdienstes, die sich selbstverständlich „gemäß britischer Privatschultradition“ trotz jahrelanger Zusammenarbeit nur mit Nachnamen anreden, haben sich kürzlich in Arles zur Ruhe gesetzt. Dumm nur, dass beide Gentlemen ständig in „Mörderische Machenschaften“ (2018) verwickelt werden, wie schon der Titel des ersten Bandes verrät.
Diesmal werden bei einem Einsatz am Strand von Beauduc drei junge Polizisten hinterrücks erschossen – wie sich später herausstellt, von Kameraden der eigenen Einheit –, darunter der Enkel des über 80-jährigen Marcel Carbot. Gentry bittet nun Smith, den Mörder des Enkels zu finden. Bald wird klar, dass es bei dem Vorfall um nationale Interessen Frankreichs geht. Nicht nur die verschiedenen Polizei- und Terrorabwehr-Einheiten sind in den Fall verwickelt, sondern sogar Frankreichs Präsident schaltet sich in die Aufklärung ein. Doch Smith interessiert sich nicht für die Staatsinteressen seines Gastlandes, sondern ihm geht es „auftragsgemäß“ um den trauernden Großvater. Dieser wurde von offizieller Seite getäuscht, es habe sich um einen Unfall gehandelt. Doch Smith, einem Mann von Ehre, fordert Wahrheit und Loyalität dem Alten gegenüber. Und so wechselt der kunstinteressierte Gentleman, der lieber mit seinem Windhund Arthur durch die Gassen der alten Römerstadt spazieren, das landestypische Essen genießen oder sich seiner neuen Liebe Martine widmen würde, zurück in die Rolle des eiskalten Agenten mit scheinbar lebenslänglich gültiger „Lizenz zum Töten“. Organisatorisch unterstützt wird der „Mann fürs Grobe“ von Gentry, der nicht nur über modernste Computer- und Telekommunikationstechnik verfügt, sondern sein altes Agenten-Netzwerk zu nutzen weiß.
Anthony Coles ist kein Krimi-Autor, sondern anerkannter britischer Kunstwissenschaftler. Vor wenigen Jahren veröffentlichte er nach 45-jähriger Forschungsarbeit sein in der Kunstwelt international gelobtes Sachbuch über den deutschen Fotokünstler John Heartfield. Fast scheint es, als habe sich Coles danach mit seiner Krimireihe eine berufliche Auszeit von der Kunst gegönnt. „Gefährliche Geschäfte“ ist so leicht und locker, so mörderisch gut geschrieben, dass man nicht alles so ernst nehmen darf, weil es auch vom Autor gar nicht ernst gemeint ist, und sich einfach amüsieren muss. So sieht man in der Handlung gern über einige „märchenhafte“ Ungereimtheiten hinweg. Allein die Charaktere lassen schon schmunzeln: Peter Smith, der häufiger mit den Schriften des altgriechischen Philosophen Plutarch als mit Freundin Martine ins Bett geht. Oder deren inzwischen 93-jährige Gouvernante, die selbstbewusst nach dem Motto „ich bin alt, aber nicht blöd“ lebt. Wer Sinn für Humor hat und Südfrankreich mag, wird seine Freude an dieser vergnüglich-(ent)spannenden Feierabend-Lektüre haben – vielleicht bei einem Banff Malt Whisky, wie ihn Gentry bevorzugt, oder mit einem verschnittenen Scotch, dem bevorzugten Drink seines Freundes Smith, wenn beide nach getaner Arbeit ihre Partie Schach spielen. Der dritte Band „Tödliche Täuschung“ soll im Mai erscheinen.