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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 29.09.2020

Der kleine große Sänger Joseph Schmidt

Der Sänger
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Wer erinnert sich heutzutage noch an diesen grandiosen Sänger Joseph Schmidt, nur 1,54 m groß, dem aufgrund seiner Körpergröße die Opernbühnen verschlossen blieben, der aber als Konzert-, Film- und Radiosänger ...


Wer erinnert sich heutzutage noch an diesen grandiosen Sänger Joseph Schmidt, nur 1,54 m groß, dem aufgrund seiner Körpergröße die Opernbühnen verschlossen blieben, der aber als Konzert-, Film- und Radiosänger eine großartige Karriere hinlegte? Vielleicht kennt man noch am ehesten „Tiritomba“ oder „Ein Lied geht um die Welt“. Ich empfehle Ihnen sehr, sich Joseph Schmidt bei YouTube mit der Arie „Nessun dorma“ anzuhören. So bekommen Sie am ehesten eine Ahnung davon, wieso seine Stimme die Welt verzauberte.

Das vorliegende Buch befasst sich mit den letzten Lebensjahren des berühmten Tenors, dem die Frauen zu Füßen lagen, Joseph Schmidt,„the tiny man with the great voice“. Nach den Jahren größter Erfolge in Deutschland, Europa und Amerika ist Joseph Schmidt als Sohn orthodoxer Juden seit 1933 auf der Flucht vor den Nazis, von Wien nach Belgien nach Holland nach Frankreich. Schließlich schafft er es von der Auvergne aus in die Schweiz. Joseph Schmidt ist krank, schwer krank. Doch der Schweizer David fürchtet sich vor dem deutschen Goliath. Und so landet Joseph Schmidt trotz seiner schlechten körperlichen Verfassung im Internierungslager Girenbad, erfährt keine wirkliche medizinische Hilfe und stirbt schließlich 1942, im Alter von nur 38 Jahren.

Lukas Hartmann versucht in seinem Buch, dem begnadeten Tenor während seiner letzten Lebensjahre intensiv nachzuspüren, indem er viel Platz lässt für Innenansichten, für Gedanken, für Erinnerungen, kurzum für die Tragik eines jüdischen Tenors, für den Gesang eine Form der Frömmigkeit war, der sich durch seine Stimme Größe und Raum verschaffte. Und der in der Schweiz seine Stimme verliert und damit auch sein Kapital, seinen Glanz, seine Kraft der Verführung und der, obwohl er keine Hilfe erfährt, dennoch den Schweizern dankbar bleibt, weil sie ihn (im Lager!) aufgenommen haben. Obwohl sich Lukas Hartmann in einem etwas zähflüssigen, gefühlsarmen Schreibstil ausdrückt mit geradezu nüchtern-distanzierten Schilderungen, geht das Buch ans Herz. Aber es ist nicht nur eine Hommage an den Künstler Joseph Schmidt, es ist vor allen Dingen ein politisches Buch. Denn es ist eine Ohrfeige für die Schweiz während der NS-Zeit, und auch eine Ohrfeige für unser gegenwärtiges Europa und seine Flüchtlingspolitik. Ein Buch, das lange nachklingt…

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Veröffentlicht am 17.09.2020

Mist ist guter Dünger, auch im Leben

Handbuch für miese Tage
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Ein sehr schön gestaltetes Cover verlockt, das Buch in die Hand zu nehmen. Und auch beim Durchblättern besticht die liebevolle, detailreiche Gestaltung, wobei mir mitunter die typographische Vielfalt ...



Ein sehr schön gestaltetes Cover verlockt, das Buch in die Hand zu nehmen. Und auch beim Durchblättern besticht die liebevolle, detailreiche Gestaltung, wobei mir mitunter die typographische Vielfalt fast etwas zu viel wurde. Dennoch überwiegt der positive Gesamteindruck, der sich beim langsamen Lesen, mit vielen Unterbrechungen des Nachdenkens, fortsetzte.

Das Anliegen der Autorin war, uns auch die miesen, die schwierigen, die enttäuschenden Tage, die wir alle in unserem Leben kennen, schmackhaft zu machen. Gar nicht so einfach: »Wir sollten nicht die beste Version unserer selbst anstreben, sondern die authentischste«, sagt die Chefredakteurin der niederländischen Ausgabe der Zeitschrift Happinez. Mit viel Humor übersetzt sie die oft überfrachteten Lebensglück-Konzepte in den ganz normalen Alltag. Ihre Botschaft: Die miesen Tage machen unser Leben erst interessant.“ So kündigt der Verlag das Buch an.

„Shortcuts“, wie es Eveline Helmink nennt, sind die kleinen, aber durchaus wirksamen Hilfen, die sie uns an die Hand gibt, damit unser Denken auch mal eine andere Richtung einnehmen kann und die unsere seelische Widerstandskraft, die Resilienz, stärken. Für mich gab es einige Aha-Effekte. Denn es geht nicht darum, alles, was nicht passt, zu reparieren oder gar zu betäuben, sondern vielmehr zu verstehen. „Alles kommt und alles geht“. Klingt trivial und ist doch so kraftvoll. Und so begegnen wir in dem Buch Vielem, was wir so oder anders schon gehört und gelesen haben. Aber Eveline Helmink bringt uns diese Gedanken so erfrischend anders, so humorvoll und locker, so alltagstauglich und ohne Heiligenschein näher, dass wir ihr gerne folgen und bereit sind, neue Impulse aufzunehmen. „Ich werde meine Gedanken nicht gegen mich einsetzen.“ Das war der Satz, der sich mir derzeit besonders aufdrängte. Ich traue dem Buch zu, dass es mir immer wieder passende Mantras schickt, wann immer ich mich dem Buch erneut öffne.

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Veröffentlicht am 16.09.2020

Ein leicht lesbarer Thriller zum Entspannen zwischendurch

Die App – Sie kennen dich. Sie wissen, wo du wohnst.
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Manchmal habe ich richtig Lust, mich ganz einfach spannend unterhalten zu lassen, ohne großes Nachdenken über Sinn und Folgerichtigkeit, über psychologische Stimmigkeiten und ohne mich dafür entschuldigen ...


Manchmal habe ich richtig Lust, mich ganz einfach spannend unterhalten zu lassen, ohne großes Nachdenken über Sinn und Folgerichtigkeit, über psychologische Stimmigkeiten und ohne mich dafür entschuldigen zu müssen. Arno Strobel hat mit „Die App“ genau solch ein Buch geschrieben, zum Abschalten, ohne großen Tiefgang, aber spannend, überraschend und unterhaltsam.
Der Chirurg Hendrik hat für sich und seine Verlobte Linda in ihrem gemeinsamen Zuhause Smart Home Adam eingerichtet, ein System, das den Bewohnern absolute Sicherheit verspricht und alles im Haus über eine App steuert, von Türen über Rollläden, über Licht, Musik usw., Kameras und Mikrofone sind überall verteilt. Doch dann passiert es: Linda verschwindet über Nacht spurlos. Es gibt keine Nachricht, keinen Hinweis, nichts. Das System hatte keinen Alarm ausgelöst. Hendrik ist verzweifelt, denn die Polizei mutmaßt, dass Linda freiwillig das Haus bzw. ihren Verlobten verlassen hat. Hendrik lässt jedoch nicht locker auf der verzweifelten Suche nach Linda und findet überraschende Unterstützung.
Ein Teil der immanenten Spannung der Geschichte liegt wohl darin, dass solch ein Geschehen, wie es uns Arno Strobel erzählt, durchaus im Bereich des Vorstellbaren liegt, gerade wegen unserer Faszination für digitale Vernetzungen und technische Neuerungen. Natürlich treibt der Autor die Ereignisse auf die Spitze, aber denkbar wären die Gefahren durchaus. Mich hat das Buch durchweg spannend unterhalten. Auch wenn es teilweise etwas unglaubwürdige Passagen gab, auch wenn man Hendrik manchmal etwas mehr Intelligenz und nüchternen Verstand gewünscht hätte. Vorrangig blieb für mich der große Unterhaltungswert des Buches, der durch die leicht lesbare Schreibweise des Autors noch gefördert wurde. Und überraschend war der Schluss auch, trotz aller Vorhersehbarkeiten. Und dass ein Buch einfach nur spannend unterhält, ohne Grübelattacken auszulösen, darf auch mal sein.
Fazit: Ein leicht lesbarer, durchaus spannender Thriller, ohne großen Anspruch, ideal zum Entspannen zwischendurch.

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Veröffentlicht am 28.08.2020

Suselwusel und andere Schlamassel

Hilfe, meine Eltern haben meinen Geburtstag gestrichen!
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In einer Familie, in der Oma vegane Kuchen backt, mit denen man Autobrücken reparieren kann, und das Riesenschwein Mini auf dem Garagendach wohnt, kann es nicht ganz normal zugehen. Das wird dem Leser ...


In einer Familie, in der Oma vegane Kuchen backt, mit denen man Autobrücken reparieren kann, und das Riesenschwein Mini auf dem Garagendach wohnt, kann es nicht ganz normal zugehen. Das wird dem Leser sofort klar. Und tatsächlich, eine Katastrophe nach der anderen geschieht. Der geliebte Chihuahua von Oma kommt auf schreckliche Weise zu Tode, Oma verletzt sich und muss in der Familie gepflegt werden und die Zahnfee bringt der kleinen Schwester Meg statt Geld nur Unglück. Und das ist noch längst nicht alles!

Kein Wunder, dass die Eltern bei all den Schlamasseln den Kopf nicht frei haben für irgendwelche Partyvorbereitungen, obwohl der 10-jährige Tom auf ein phänomenales Geburtstagsfest zu seinem „Glücksgeburtstag“ (11. August 11 Jahre alt) hofft. Nein, das Fest wird auf „später“ verschoben, sozusagen ein Mega-Schlamassel! Wie Tom jedoch nicht in Selbstmitleid versinkt, sondern Idee um Idee entwickelt, zusammen mit seinen Freunden dennoch ein einmaliges Geburtstagsfest auf die Beine zu stellen und was dann noch alles an Unglaublichem passiert – das müsst ihr selber lesen!

Herrlich komisch ist der Schreibstil von Jo Simmons, lustig und und voll von schrägen Ideen. Nicht nur die Fülle an neuen Schimpfwörtern, die man aus dem Buch lernt wie Zumblum, Spanoffel, oder Harrumpel, bringen den Leser zum Kichern, sondern die abstrusen Ideen von Tom und den sich daraus ergebenden immer chaotisch werdenden Situationen rufen ständiges Bauchschmerz-Lachen hervor. Die cartoonartigen Zeichnungen unterstreichen auf perfekte Weise den ganzen Suselwusel. Aber das Buch enthält nicht nur Nonsense. Denn es ist gut, sich selbst zu helfen. Es ist gut, Freunde zu haben, und es ist gut, dass Erwachsene merken, was wirklich wichtig ist. Kurzum: Ein Spaßbuch mit Sinn.

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Veröffentlicht am 30.07.2020

Musik kennt kein Geschlecht

Die Dirigentin
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Die Autorin spürt im vorliegenden Roman dem Werdegang von Antonia Brico nach, die als Musikbesessene von Kindheit an darum kämpfte, ihre Passion leben zu dürfen, nämlich Musik zum Leben zu erwecken als ...


Die Autorin spürt im vorliegenden Roman dem Werdegang von Antonia Brico nach, die als Musikbesessene von Kindheit an darum kämpfte, ihre Passion leben zu dürfen, nämlich Musik zum Leben zu erwecken als Dirigentin. „Man ist … selbst nur ein Instrument, auf dem das Universum spielt“, sagte Gustav Mahler. Und so, genau so empfand Antonia Musik.
Das Leben der Antonia Brico beginnt als das „eingekaufte“ Adoptivkind Willy Wolters in einem lieblosen Elternhaus. Selbst als Erwachsene muss sie ihr selbstverdientes Geld als Schreibkraft an die „Klimperfrau“, ihre Adoptivmutter, abgeben. Wie sich Willy Wolters alias Antonia Brico im Laufe ihres Lebens emanzipiert und sich mit Zähigkeit, geradezu Verbissenheit durchsetzt, das männliche Bollwerk der Musikschaffenden zu stürmen, ist tief beeindruckend.
Dass Maria Peters eigentlich Filmschaffende ist, merkt man dem Buch an. Denn sie schreibt in einzelnen Szenen, nicht erzählend, sondern eher bebildernd. Der Schreibstil im Präsens machte mich beim Lesen irgendwie atemlos, und der Gleichmut, in dem sie berichtet, ebenso. Die Sprache ist klar, manchmal geradezu hart vor Klarheit. Kurze Sätze ohne viel Drumherum. Sensibel, fast verschwörerisch fein wird die Sprache nur, wenn von Musik die Rede ist. Allerdings konnte ich zur Persönlichkeit der Antonia Brico keinen emotionalen Zugang finden, was vermutlich an der nüchternen, sachlich-kühlen Erzählweise liegt. Was mir von diesem Buch haften bleibt, ist die männliche Hybris, die bis heute (!) Dirigentinnen keinen würdigen Platz einräumt.

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