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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 03.08.2020

4,5*: Unterhaltsamer, herzerwärmender Roman mit liebevoll ausgearbeiteten Figuren und viel Humor!

Pandatage
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Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

Seit dem tragischen Unfalltod seiner Frau ist Danny alleinerziehender Vater eines Sohnes, der kein Wort mehr spricht. Aus finanzieller Not kauft er sich ein Pandakostüm, ...

Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

Seit dem tragischen Unfalltod seiner Frau ist Danny alleinerziehender Vater eines Sohnes, der kein Wort mehr spricht. Aus finanzieller Not kauft er sich ein Pandakostüm, um als Straßenkünstler aufzutreten. Sein Sohn fasst bei einer zufälligen Begegnung Vertrauen in den fremden Panda – und er spricht …

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Erzählweise: Figuraler Erzähler, Präteritum
Perspektive: männliche Perspektive
Kapitellänge: mittel bis lang
Tiere im Buch: +/- Es stirbt ein Kaninchen, weil es ein Kabel durchnagt. Zusätzlich gibt es einige Vergleiche, die verletzte oder tote Tiere enthalten, und eine Katze, die allein gehalten wird. Deshalb hier ein wichtiger Hinweis: Katzen sind alleine niemals glücklich (sie sind EinzelJÄGER, keine EinzelGÄNGER), sondern sehr einsam und unglücklich. Sie können verschiedene Verhaltensstörungen entwickeln und depressiv und/oder aggressiv werden. Wer seine Katze liebt, schenkt ihr deshalb mindestens einen Gefährten.
Triggerwarnung: Tod von Menschen, Tod von Tieren, Mobbing, Trauer;

Warum dieses Buch?

Leider ist in den Augen vieler Menschen immer noch hauptsächlich die Frau für die Kindererziehung und – betreuung zuständig, was ich sehr traurig finde! Dieses Buch rückt einen alleinerziehenden Vater und die Beziehung zu seinem Sohn in den Mittelpunkt – deshalb konnte ich es mir nicht entgehen lassen.

Meine Meinung

Einstieg (5 Lilien ♥)

Der Einstieg ist mir sehr leichtgefallen! Durch das einnehmende erste Kapitel fand ich schnell in die Geschichte und wollte sofort weiterlesen.

Schreibstil (4 Lilien)

Der Schreibstil ist anschaulich, flüssig und angenehm lesbar. Ich mochte die kreativen Vergleiche, und auch die Dialoge fand ich sehr lebendig und authentisch – es macht wirklich Spaß, sie zu lesen! Lediglich eine Sache hat mich ein bisschen gestört: Ich hätte mir an manchen Stellen gewünscht, dass der Autor öfter einmal einen Punkt gesetzt hätte, da die Länge der Sätze manchmal (meiner Meinung nach grundlos) etwas ausufert. Das hätte sicher positiv zum Lesefluss und zum Verständnis beigetragen.

„Es war, als lebte sie in einer Welt, die parallel zu seiner eigenen verlief, wie zwei Fremde in einem Hochhaus, die einander hörten, sich aber nie begegneten.“ E-Book, Position 285

Idee, Inhalt, Themen & Ende (4,5 Lilien)

„‘Und jetzt hat er keine Mutter mehr‘, hatte Roger gesagt und auf Will gezeigt, der gerade erst aus dem Krankenhaus entlassen worden war und noch einen Kopfverband trug, der zwischen den schwarzen Hemden und Kleidern wie ein Leuchtturm strahlte. ‚Jetzt ist er allein mit ‚dir‘.‘“ E-Book, Position 398

Mit „Pandatage“ ist James Gould-Bourn ein ganz besonderer, erfrischend unvorhersehbarer und herzerwärmender Wohlfühl-Roman gelungen, der mich sehr gut unterhalten und mich berührt hat. Bei Themen wie Trauer und Verlust, Freundschaft, Familie, Mobbing und finanzielle Not geht der Autor durchaus auch in die Tiefe. Besonders gut gefallen hat mir hier die Auseinandersetzung von Will mit seinem Mobber. Die paar Klischees, die in der Geschichte vorkommen, verzeihe ich gern. Das Ende ließ mich zufrieden zurück; es war so, wie man es bei einem Roman dieser Art erwartet, dabei aber nicht zu kitschig.

Am besten an diesem Roman hat mir aber der Humor gefallen. Mein Humor ist speziell, und er wird von Büchern nur selten getroffen. Die Situationskomik in „Pandatage“ hat mich aber nicht nur zum Schmunzeln gebracht, sondern sogar an einer Stelle (der „Ich nenne jeden Danny“-Szene) zu einem Lachkrampf geführt – das ist mir noch nie bei einem Buch passiert. Einfach nur köstlich – alleine für den Humor lohnt es sich, diesen Roman zu lesen!

„‘Kapier ich nicht‘, sagte Gavin, der so viele Pickel hatte, dass sein Kopf mehr Eiter als Hirn enthielt.“ E-Book, Position 196

Protagonisten & Figuren (5 Lilien ♥ & 5 Lilien ♥)

Die Figuren in „Pandatage“ konnten mich ausnahmslos überzeugen. Von den beiden Protagonisten (Will und Danny) bis hin zu den Nebenfiguren sind die Charaktere liebevoll ausgearbeitet, authentisch und gut gelungen. Die meisten sind sehr sympathisch und alle haben etwas Besonderes an sich, wodurch man sie nicht so schnell vergisst. Lediglich der „böse Zauberer“ blieb etwas eindimensional, aber das war, denke ich, Absicht.

Spannung (4 Lilien) & Atmosphäre (3 Lilien)

Ich habe „Pandatage“ sehr gern gelesen, mochte die überraschenden Wendungen und war auch immer neugierig, wie es weitergeht. Mit der Spannungskurve bin ich prinzipiell zufrieden, auch wenn ich das Buch zwischendurch problemlos aus der Hand legen konnte. Im Mittelteil hätten es allerdings durchaus noch etwas mehr Spannung und Tempo sein dürfen.

Als besonders atmosphärisch würde ich das Buch nicht beschreiben, dafür waren die Beschreibungen der Umgebung nicht detailliert und stimmungsvoll genug. Das stört bei diesem Roman aber nicht weiter, da andere Aspekte klar im Vordergrund stehen.

Feministischer Blickwinkel (3 Lilien)

Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): nicht bestanden!
Frauenfeindliche / gegenderte Beleidigungen: Flitt++++, Schlam++, Bit++

Eine feministische Betrachtung dieses Romans hinterlässt bei mir eher gemischte Gefühle. Einerseits ist es zwar schön, dass hier der Alltag eines alleinerziehenden Vaters in den Mittelpunkt gerückt wird, dass Männer Gefühle zeigen, es eine starke, selbstbewusste weibliche Figur gibt und dass immer wieder mit Geschlechterstereotypen gebrochen wird. Andererseits gibt es im Buch ein großes Geschlechterungleichgewicht (einen Männerüberschuss), was absolut nicht mehr zeitgemäß ist. Dadurch besteht der Roman natürlich auch den Bechdel-Test nicht, was ich sehr schade finde! Zusätzlich wird deutlich, dass Danny viele Haushaltspflichten und andere Dinge erst lernen muss, weil dafür vor ihrem Tod großteils seine Ehefrau zuständig war. Diese ungleiche Verteilung der Haushalts- und Betreuungspflichten wird leider nur unzureichend thematisiert – es werden lediglich Ausreden serviert, warum Danny damals so viel gearbeitet hat. Ebenso gestört hat mich das Slutshaming an einer Stelle, an der Krystal behauptet, dass die Affäre ihres Freundes eine „Schlam++“ sei, obwohl doch ihr Freund untreu war und hier die Schuld trägt! Hier merkt man leider, dass dem Autor teilweise noch das Bewusstsein für feministische Problematiken und Ungerechtigkeiten fehlt. Es bleibt zu hoffen, dass er das bis zur Veröffentlichung seines nächsten Buches ändert.

Mein Fazit

Mit „Pandatage“ ist James Gould-Bourn ein ganz besonderer, erfrischend unvorhersehbarer und herzerwärmender Wohlfühl-Roman gelungen, der mich sehr gut unterhalten konnte und mich berührt hat. Der angenehme, anschauliche Schreibstil mit den lebendigen Dialogen und den gelungenen Vergleichen, der einfache Einstieg in die Geschichte, die köstliche Situationskomik, die liebevoll ausgearbeiteten Figuren, die tiefgründige Verarbeitung der Themen, das Ende, die Wendungen und der Spannungsbogen konnten mich überzeugen. Gestört haben mich lediglich die teilweise unnötig langen Sätze, die vereinzelten Klischees, das Geschlechterungleichgewicht (Männerüberschuss), das Slutshaming und kleinere Spannungseinbrüche. Von mir gibt es jedenfalls eine Leseempfehlung – wenn ihr zur Abwechslung mal Tränen LACHEN anstatt weinen wollt, solltet ihr euch diesen tanzenden Panda definitiv nicht entgehen lassen!

Bewertung

Idee: 5 Lilien ♥
Inhalt, Themen, Botschaft: 4,5 Lilien
Umsetzung: 4,5 Lilien
Worldbuilding: 4 Lilien
Einstieg: 5 Lilien ♥
Ende / Auflösung: 4 Lilien
Schreibstil: 4 Lilien
Protagonisten: 5 Lilien ♥
Figuren: 5 Lilien ♥
Spannung: 4 Lilie
Atmosphäre: 3 Lilien
Emotionale Involviertheit: 4 Lilien
Feministischer Blickwinkel: 3 Lilien

Insgesamt:

❀❀❀❀,5 Lilien

Dieses Buch bekommt von mir viereinhalb Lilien!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 24.07.2020

4,5*: Atemlos spannender, wendungsreicher Thriller mit unheimlichem Setting und Gänsehautmomenten!

Verschließ jede Tür
0

Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

Eine junge Frau mit finanziellen Problemen erhält einen sehr gut bezahlten Wohnungssitter-Job in einem berühmten Wohnhaus für die Reichen in Manhattan. Sie kann ihr Glück ...

Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

Eine junge Frau mit finanziellen Problemen erhält einen sehr gut bezahlten Wohnungssitter-Job in einem berühmten Wohnhaus für die Reichen in Manhattan. Sie kann ihr Glück kaum fassen! Jedenfalls bis eine Sitter-Kollegin spurlos verschwindet – angeblich ist sie überstürzt ausgezogen. Doch Jules kann das nicht glauben. Sie fängt an, gefährliche Nachforschungen anzustellen…

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Erzählweise: Ich-Erzähler, Präsens
Perspektive: weibliche Perspektive
Kapitellänge: kurz bis mittel
Tiere im Buch: ♥ Es wird zwar Fleisch gegessen und von einzelnen Personen Pelz getragen, aber es werden keine Tiere verletzt, gequält oder getötet – im Gegenteil, ein Hund wird sogar mehrmals gerettet.
Triggerwarnung: Tod von Menschen, Feuer, Suizid, Depression, selbstverletzendes Verhalten;

Warum dieses Buch?

Der Klappentext klang so unheimlich, spannend und vielversprechend, dass für mich an diesem Buch kein Weg vorbeiführte!

Meine Meinung

Einstieg (3 Lilien)

Gleich die ersten, rätselhaften Seiten machen neugierig, danach dauert es aber etwas, bis die Geschichte in Schwung kommt und man ins Buch findet.

Schreibstil (4 Lilien)

Riley Sager hat einen einfachen, flüssig lesbaren und anschaulichen Schreibstil. Trotzdem fand ich ihn gewöhnungsbedürftig. Irgendwie störte mich diese Unruhe (mich erinnerte der Schreibstil ein wenig an Casey McQuistons) und die fehlende Präzision bei dem Formulierungen. Nach und nach freundete ich mich aber immer mehr mit der Sprache des Autors an und mochte sie zunehmend.

Idee, Inhalt, Themen & Ende (4 Lilien)

„‘[…] so fühlt sich’s für mich an. Als würde in dem Haus all das spuken, was dort schon passiert ist. All die schlimmen Dinge. Wie Staub, der sich ansammelt und in der Luft liegt. Und wir atmen ihn ein, Jules.‘“ E-Book, Position 1140

„Verschließ jede Tür“ ist ein rundum gelungener Thriller, der bekannte Elemente auf neue, überzeugende Weise miteinander verbindet. Großartig fand ich zudem den Aufbau: Es gibt zwei Zeitebenen. In der Gegenwart liegt Jules nach einem Autounfall im Krankenhaus, in der Vergangenheit (die nur 6 Tage zurückliegt) begleiten wir Jules bei ihrem Einzug und in den Tagen danach. Man fragt sich unweigerlich, was in dieser kurzen Zeit passiert ist, dass Jules solche Angst hat. Das macht natürlich neugierig! Ich konnte das Buch kaum mehr beiseitelegen – genau so muss das bei einem Thriller sein!

Thematisch stehen finanzielle Probleme, Familie, Trauer, Klassenunterschiede, Moral, Reichtum und Freundschaft im Mittelpunkt – der Autor (dessen Name übrigens ein Pseudonym ist) behandelt alle diese Themenbereiche mit angemessener Tiefe. Das Ende fand ich rund, es hat mich zufrieden zurückgelassen, auch wenn es mir nicht allzu lange in Erinnerung bleiben wird. „Verschließ jede Tür“ wird jedenfalls nicht mein letztes Buch des Autors bleiben – dafür war dieser Thriller einfach zu gut!

Protagonistin & Figuren (4 Lilien & 5 Lilien ♥)

Die fünfundzwanzigjährige Jules habe ich als Protagonistin sehr gerne begleitet. Sie ist eine bescheidene, intelligente Frau, der moralisches Handeln wichtig ist. Gestört hat mich an ihr nur, dass sie es meiner Meinung nach mit ihrem „Ich-bin-so-arm-und-ein-Niemand-im-Vergleich-zu-den-Reichen-Leuten-in-diesem-Haus“-Gerede ein wenig übertrieben hat, das fand ich echt anstrengend und nervig. Ähnlich war es mit den Verweisen auf das Schicksal ihrer Schwester. Ich hatte es schon beim ersten Mal verstanden, also hätte man sich hier die (übertrieben gesagt) 200 Wiederholungen sparen können. Hierfür ziehe ich einen halben Punkt ab!

Die anderen Figuren haben mir auch durch die Bank wirklich gut gefallen, sie sind interessant und liebevoll ausgearbeitet und wirken sehr lebendig. Besonders Greta mochte ich sehr.

Spannung (5 Lilien ♥) & Atmosphäre (5 Lilien ♥)

„Aus der Nähe ist das Tapetenmuster noch erdrückender. All die Blumen sind aufgesperrt wie Mäuler. Die Blütenblätter berühren sich, die ovalen Zwischenräume sind so dunkelrot, dass es an Schwarz grenzt. Sie erinnern an Augen. Als wäre die Tapete mit Augen besetzt.“ E-Book, Position 656

Die größten Stärken dieses Thrillers sind seine atemlose Spannung, seine unheimlichen Gänsehautmomente, die schaurigen Traumsequenzen und die unheilvolle, dichte Atmosphäre im geschichtsträchtigen Bartholomew-Wohnhaus. Das Miträtseln macht großen Spaß! Obwohl ich schon weit vor der ersten Hälfte geahnt habe, was hinter den mysteriösen Vorkommnissen steckt, tat das der Spannung keinen Abbruch – und das ist wirklich eine Leistung! Ich habe es geliebt, mich abends mit diesem Buch im Bett richtig schön zu gruseln!

Feministischer Blickwinkel (4 Lilien)

Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): bestanden!
Frauenfeindliche / gegenderte Beleidigungen: Tussi

Eine feministische Analyse fällt bei diesem Thriller ebenfalls positiv aus. Das Buch besteht den Bechdel-Test und enthält viele starke weibliche Figuren. Zudem ist es großteils frei von Geschlechterstereotypen. Lediglich dass eine Frau nach einem One-Night-Stand ihren Heimweg am Morgen als „walk of shame“ bezeichnet und sich Sorgen macht, ob ihr Partner nun denken könnte, sie sei „leicht zu haben“, hat mich gestört. Dieses Denken muss endlich aufhören! Jede Frau darf ihr Liebesleben heutzutage so leben, wie sie mag – und es gibt keinen Grund, sich dafür zu schämen oder sich schlecht zu fühlen!

Mein Fazit

„Verschließ jede Tür“ ist ein rundum gelungener Thriller, der bekannte Elemente auf neue, überzeugende Weise miteinander verbindet. Es dauert ein wenig, bis die Geschichte in Schwung kommt, aber Dranbleiben lohnt sich! Der Plot, die Verarbeitung der Themen, die intelligente Protagonistin, die interessanten Nebenfiguren, die unheilvolle, dichte Atmosphäre und die atemlose Spannung konnten mich auf ganzer Linie überzeugen. Einen halben Stern Abzug gibt es für inhaltliche Wiederholungen und den Schreibstil, an den ich mich erst einmal gewöhnen musste. Ich kann euch diesen Thriller jedenfalls nur wärmstens ans Herz legen! Zieht gemeinsam mit Jules ins unheimliche Bartholomew ein und begleitet sie bei ihren spannenden Nachforschungen – aber kontrolliert vor der Lektüre unbedingt, ob ihr auch alle eure Türen verschlossen habt! Ihr wollt euch doch nicht während des Lesens einer gruseligen Szene fragen müssen: War da etwas? Ein Geräusch? Bin ich vielleicht nicht alleine?

Bewertung

Idee: 5 Lilien ♥
Inhalt, Themen, Botschaft: 5 Lilien ♥
Umsetzung: 4,5 Lilien
Worldbuilding: 5 Lilien ♥
Einstieg: 3 Lilie
Ende / Auflösung: 4 Lilien
Schreibstil: 5 Lilien ♥
Protagonistin: 5 Lilien ♥
Figuren: 5 Lilien ♥
Spannung: 4 Lilie
Atmosphäre: 2 Lilien
Emotionale Involviertheit: 5 Lilien
Feministischer Blickwinkel: 4 Lilien

Insgesamt:

❀❀❀❀,5 Lilien

Dieses Buch bekommt von mir viereinhalb Lilien!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 23.06.2020

Düster, tiefgründig, spannend und ungewöhnlich auf die allerbeste Weise!

Sommer bei Nacht
0

Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

Ein heißer Sommer. Es verschwindet: Ein Junge. Es taucht auf: Ein Teddybär. Zwei Ermittler mit ihren ganz eigenen Problemen sollen den Fall, der Parallelen mit einem ...

Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

Ein heißer Sommer. Es verschwindet: Ein Junge. Es taucht auf: Ein Teddybär. Zwei Ermittler mit ihren ganz eigenen Problemen sollen den Fall, der Parallelen mit einem Fall in Österreich aufweist, lösen…

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Band #1 einer Reihe
Erzählweise: Figuraler Erzähler, Präsens
Perspektive: weibliche und männliche Perspektive
Kapitellänge: sehr kurz
Tiere im Buch: + Es wird Fleisch gegessen. Es werden aber keine Tiere verletzt, gequält oder getötet.
Triggerwarnung: Tod von Menschen, Pädophilie, Missbrauch von Kindern, psychische Krankheiten, Suizid

Warum dieses Buch?

Das Buch wird als „literarischer Krimi“ bezeichnet – das, die positiven Rezensionen und der ungewöhnliche Schreibstil weckten in mir das Gefühl, dass ich dieses Buch auf keinen Fall verpassen sollte!

Meine Meinung

Einstieg (5 Lilien ♥)

„‘Wenn er niemandem aufgefallen ist, trotz der großen Bären. Dann ist er mit ihnen verschmolzen, hat ihnen vielleicht sogar ähnlich gesehen?‘
‚Den Teddybären?‘, fragt Ben.
‚Ja.‘“ E-Book, Position 357

Ich habe sofort und ohne Probleme ins Buch gefunden, obwohl der Schreibstil sehr ungewöhnlich ist. Gleich am Anfang ist man Zeuge der Entführung des kleinen Jungen und möchte natürlich wissen, ob es gelingen wird, ihn rechtzeitig zu retten.

Schreibstil (5 Lilien ♥)

„Die Worte verschwimmen wieder, dann verkleben sie, trocknen in Sekundenschnelle, sind hart und undurchdringlich wie Beton.“ E-Book, Position 1996

Der Schreibstil ist wirklich sehr ungewöhnlich und damit sicher auch nicht für jeden etwas, aber ich habe ihn von der ersten Seite an geliebt! Gerade weil er eben anders und etwas ganz Besonderes ist! Jan Costin Wagner geht mit Wörtern sehr sparsam um, fast wirkt das Buch stellenweise wie ein Experiment: Mit wie wenigen Wörtern kann ein Krimi geschrieben werden? Der Autor beweist: mit sehr wenigen! Nach der Lektüre dieses Buches kommt einem jedenfalls kurzzeitig jeder andere Roman sehr weitschweifig und redselig vor.

In „Sommer bei Nacht“ ist jeder Satz ist auf den Kern reduziert, da steht kein Wort zu viel. Die Formulierungen sind treffend und präzise, immer wieder gibt es auch Ellipsen und unvollständige Sätze. Sinneseindrücke blitzen wie kurze Bilder auf. Trotzdem ist die Sprache niemals oberflächlich– im Gegenteil, dem Autor gelingt es, in die Tiefe zu gehen und die Gefühle seiner Figuren intensiv zu beschreiben. Gleichzeitig weist die Sprache auch eine eigentümliche Schönheit auf, der ich mich nicht entziehen konnte. Die kreativen, außergewöhnlichen Metaphern und Beschreibungen überzeugen auf ganzer Linie!

Idee, Inhalt, Themen & Ende (5 Lilien ♥)

„‘Sie müssen ihn finden‘, sagt Dirk Meininger.
Ja, denkt er.
Endlich, das ist er, der Satz, der sich aus der Dunkelheit herausschält, der einzig wichtige.“ E-Book, Position 457

Mit „Sommer bei Nacht“ ist dem Autor ein ganz besonderer literarischer Krimi gelungen, der mit sprachlichen und erzählerischen Konventionen bricht. Immer wieder sind Ausschnitte aus der Werbung, aus Artikeln und Nachrichten, an die sich die Protagonisten unbewusst erinnern, den Kapiteln vorangestellt, was ich interessant fand. Sehr kurze Kapitel, mindestens 13 verschiedene Perspektiven, reduzierte Dialoge und die Enthüllung des Täters im ersten Kapitel machen dieses Buch zu einer ungewöhnlichen Lektüre, die besonders für VielleserInnen eine erfrischende Abwechslung darstellen dürfte.

Dadurch, dass der Täter von Anfang an bekannt ist, kann man sich bei der Lektüre nicht nur auf die Frage konzentrieren, ob der Junge rechtzeitig gefunden wird, sondern auch auf die psychischen Vorgänge im Inneren der Figuren. Neben den Ermittlungen stehen nämlich menschliche Abgründe im Vordergrund: Schwächen, Geheimnisse, psychische Labilität, Halluzinationen, Zweifel, Probleme, Verlust, eine schwierige Vergangenheit. Einer der Ermittler hat sogar selbst pädophile Neigungen, gegen die er immer wieder erfolglos ankämpft. Bei all seinen Themen gelingt es dem Autor, in die Tiefe zu gehen. Auch das Ende empfand ich als sehr gelungen. Insgesamt war für mich „Sommer bei Nacht“ eine ungewöhnliche, erfrischend andere und spannende Lektüre, die zwar manchmal merkwürdig war – aber das nur auf die allerbeste Weise! Daher wird es sicher nicht mein letztes Buch des Autors bleiben – die Fortsetzung werde ich mir nicht entgehen lassen.

Übrigens hat Jan Costin Wagner während der Arbeit an diesem Buch auch einige Lieder verfasst, die teilweise perfekt zur düsteren, melancholischen Atmosphäre passen. Wer sanfte, nordisch angehauchte Klänge mag, wird sich von Songs wie dem wunderschönen „Raven / A Bird Called Melody“ bestimmt (wie ich!) abgeholt fühlen. Wieso hat dieses Lied auf Youtube so wenige Klicks? Ich verstehe es nicht! Lasst euch diese Musik (vor allem, wenn ich das Buch schon gelesen habt) keinesfalls entgehen!

Figuren (4 Lilien)

Neben dem außergewöhnlichen Schreibstil überraschen auch die vielen Perspektivenwechsel: Der Täter, das Opfer, die Beamten und verschiedene andere Beteiligte kommen zu Wort. Kurz dürfen wir in ihren Kopf schauen und ihre Sicht der Dinge nachvollziehen. Diese vielen Perspektivwechsel sind mit Sicherheit nicht für jeden etwas, aber ich mochte sie und fand die Erzählweise sehr interessant. Spannenderweise ging das trotzdem nicht auf Kosten der Figurenzeichnung, denn diese wirkten dreidimensional und liebevoll ausgearbeitet. Ich hatte meist keine Probleme, mit den Protagonisten mitzufühlen und intensiv mitzuleiden. Ihre Verzweiflung oder Traurigkeit kam sehr intensiv bei mir an, was ich bei diesem reduzierten Schreibstil nicht erwartet hätte! Positiv erwähnen möchte ich auch noch den liebenswerten Lederer, einen pflichtbewussten, sanften, angenehmen Zeitgenossen, der immer als erstes im Büro ist und jeden Tag alles gibt – die Welt braucht mehr Leute wie ihn! ♥

Leider gibt es auch zwei Punkte, mit denen ich bei der Figurenzeichnung meine Probleme hatte. Einerseits muss man sich erst einmal daran gewöhnen, dass nicht nur der Erzählstil sehr einfach ist, sondern dass auch die Figuren auf die gleiche Weise denken und sprechen. Dadurch wirkten sie auf mich in den ersten Kapiteln irgendwie „einfältig“ und kindlich. Erst nach und nach habe ich mich an dieses Stilmittel gewöhnt. Zudem wirkten fast ausnahmslos alle Figuren auf mich psychisch sehr labil; ich wusste nie, was sie als Nächstes tun würden und vertraute ihnen nicht. Eventuell liegt auch das am Schreibstil und der ungewöhnlichen Erzählweise. Ich fand es interessant, aber manchmal auch befremdlich.

Mein zweiter Kritikpunkt bezieht sich auf die Hauptfiguren Ben und Christian. Beide waren gut ausgearbeitet (sie hatten verschiedene Lebensumstände und Geheimnisse) und ich hatte keine Probleme, mit ihnen mitzufühlen. Nur leider wirkten sie auf mich wie eine Person. Sie waren sich in ihrer Denkweise so ähnlich (hier gab es bei den Kapitel aus den verschiedenen Perspektiven überhaupt keinen Unterschied), dass ich sie ständig verwechselt habe und immer nachsehen musste, aus wessen Sicht ich die Geschichte gerade erlebe. Deshalb gibt es hierfür (weil mich der Rest des Buches so beeindruckt hat, nur) eine halbe Lilie Abzug. Ich würde mir wünschen, dass der Autor bei der Fortsetzung darauf achtet, dass man die beiden Protagonisten besser auseinanderhalten kann.

Spannung (5 Lilien ♥) & Atmosphäre (5 Lilien ♥)

Über Innsbruck: „[…] die fröhlichen Menschen sind von Bergen umzingelt. Das ist das Erste, was Christian wahrnimmt. Die Kluft zwischen Leichtigkeit und Bedrohung. Eine Bedrohung, die unverkennbar ist. Die über ihm aufragt wie ein schweigendes Monster, ohne Augen.“ E-Book, Position 724

In einigen Rezensionen habe ich gelesen, dass manche das Buch als sehr langweilig und spannungsarm empfunden habe. Das kann ich überhaupt nicht unterschreiben. Zwar handelt es sich bei „Sommer bei Nacht“ nicht um einen Thriller (das wird auch nicht behauptet), aber ich empfand den Krimi dennoch als sehr spannend. Eine subtile, psychologische Grundspannung durchzieht das Buch, die sich vor allem aus der Charakterentwicklung der Figuren ergibt. Viele von ihnen stehen an einem Abgrund, haben große persönliche Probleme. Ich empfand das Buch aber auch als sehr fesselnd, weil ich um das Leben des Jungen gebangt und gehofft habe, dass er rechtzeitig gerettet wird.

Auch die Atmosphäre im Buch fand ich wunderbar dicht, düster und unheilvoll. Zudem schwingt oft eine gewisse Melancholie und Traurigkeit mit, die ich sehr mochte. Obwohl die ganze Handlung im Sommer und in Deutschland (Wiesbaden) und Österreich (Innsbruck) spielt, zieht sich eine gewisse Kälte und Finsternis durch die Geschichte, die eigentlich für nordische Bücher typisch ist. Da überrascht es nicht, dass der Autor schon einige nordische Krimis geschrieben hat. Diese Einflüsse sind auch in „Sommer bei Nacht“ spürbar. Das Buch hat meiner Meinung nach ein gewisses Noir-Flair, was mir unheimlich gut gefallen hat.

Feministischer Blickwinkel (2 Lilien)

Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): nicht bestanden!
Frauenfeindliche / gegenderte Beleidigungen: ---

Es gibt durchaus ein paar Aspekte, die mir hier gut gefallen haben: Es gibt im Buch keine frauenfeindlichen Beleidigungen und teilweise wird mit Geschlechterstereotypen gebrochen; manchmal werden sie aber auch verstärkt durch eine klassische Rollenverteilung in den Familien. Zwei Dinge haben mich leider massiv gestört: Erstens, dass das Buch den Bechdel-Test nicht besteht und zweitens, dass das Geschlechterverhältnis überhaupt nicht ausgeglichen war, sondern dass es viel mehr männliche Figuren als weibliche gab. Sehr negativ aufgefallen ist mir auch, dass es keine einzige weibliche Polizistin gab (die eine größere Rolle hatte), dafür waren die Angestellten in der Kantine klassisch weiblich... Das ist nicht mehr zeitgemäß! Wohin man blickt, sind alle Ermittelnden männlich, sogar der Beamte aus Innsbruck. Das finde ich wirklich sehr schade! Wenn es so wenige wichtige Frauenrollen im Buch gibt, ist es natürlich kein Wunder, dass der Bechdel-Test nicht bestanden wird. Hier würde ich mir wirklich wünschen, dass der Autor in Zukunft mehr Bewusstsein für dieses Thema entwickelt!

Mein Fazit

Mit „Sommer bei Nacht“ ist dem Autor ein ganz besonderer literarischer und tiefgründiger Krimi gelungen, der mit sprachlichen und erzählerischen Konventionen bricht. Ich mochte den präzisen, reduzierten, metaphernreichen und gleichzeitig schönen Schreibstil, habe intensiv mit den Figuren mitgefühlt und fand sowohl die subtile psychologische Spannung (die sich aus den menschlichen Abgründen ergibt) und die dichte, düstere und melancholische Atmosphäre mit nordischem Noir-Flair großartig. Für die Fortsetzung (die ich mir nicht entgehen lassen werde!) würde ich mir ein ausgeglicheneres Geschlechterverhältnis (besonders bei der Polizei!), einen bestandenen Bechdel-Test und zwei Protagonisten, die leichter auseinanderzuhalten sind, wünschen. Insgesamt war für mich „Sommer bei Nacht“ eine ungewöhnliche, erfrischende und spannende Lektüre, die zwar manchmal etwas merkwürdig war – aber das nur auf die allerbeste Weise! Von mir gibt es daher eine große Leseempfehlung für alle, die offen eine neue Leseerfahrung sind. Taucht ein in diese Geschichte und findet heraus wie finster und kalt ein Sommer sein kann, wenn Jan Costin Wagner ihn beschreibt!

Bewertung

Idee: 5 Lilien ♥
Inhalt, Themen, Botschaft: 5 Lilien ♥
Umsetzung: 4,5 Lilien
Worldbuilding: 5 Lilien ♥
Einstieg: 5 Lilien ♥
Ende / Auflösung: 5 Lilien ♥
Schreibstil: 5 Lilien ♥
Protagonisten: 4 Lilien
Figuren: 4 Lilien
Spannung: 5 Lilien ♥
Atmosphäre: 5 Lilien ♥
Emotionale Involviertheit: 5 Lilien ♥
Feministischer Blickwinkel: 2 Lilien

Insgesamt:

❀❀❀❀,5 Lilien

Dieses Buch bekommt von mir viereinhalb Lilien!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 03.06.2020

4,5*: Überzeugender Endzeitroman der leisen Töne: tiefgründig, atmosphärisch und berührend!

Mein Name ist Monster
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Inhalt

Eine junge Frau überlebt den Untergang der Menschheit (durch eine unheilbare Krankheit) in einem Saatguttresor in Spitzbergen und wandert einsam durch eine menschenleere Welt – bis sie auf ein ...

Inhalt

Eine junge Frau überlebt den Untergang der Menschheit (durch eine unheilbare Krankheit) in einem Saatguttresor in Spitzbergen und wandert einsam durch eine menschenleere Welt – bis sie auf ein Mädchen trifft…

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Erzählweise: Ich-Erzähler, Präsens
Perspektive: weibliche Perspektive
Kapitellänge: sehr kurz
Tiere im Buch: - Im Buch werden Tiere verletzt und getötet (Spatz, Silberfischchen, Schafe, Hühner, Hunde, Maden). Tiere werden gegessen und geschlachtet, um überleben zu können. Es werden keine Tiere gequält.
Triggerwarnung: Tod von Menschen, Tod von Tieren, Suizid, Erbrechen, Mobbing;

Warum dieses Buch?

Hier hat mich der Klappentext neugierig gemacht – und die Parallelen zur aktuellen Situation.

Meine Meinung

Einstieg (4 Lilien)

Der Einstieg in die Geschichte ist mir trotz der ruhigen Erzählweise und der wenigen Dialoge erstaunlich leicht gefallen. Meine Neugier war sofort entfacht und ich wollte mehr über diese apokalyptische Welt erfahren!

Schreibstil (5 Lilien ♥)

„Hoffnung tötet. Sie bläst einen auf wie einen Ballon und wendet sich ab, wenn die Wirklichkeit mit spitzer Nadel zusticht.“ E-Book, Position 957

Der Schreibstil ist vielleicht ein wenig gewöhnungsbedürftig, aber ich mochte ihn sehr. Katie Hale schreibt einfach, aber gleichzeitig eindringlich und berührend. Nie ist ihre Erzählweise oberflächlich, die Autorin nimmt sich genug Zeit für philosophische Fragestellungen und die Ausarbeitung ihrer Themen. Außerdem enthält das Buch sehr schöne und gelungene Metaphern, Vergleiche und Zitate.

Idee, Inhalt, Themen & Ende (5 Lilien ♥)

„Wenn die Welt in Flammen steht, vergisst man leicht, dass es Eis gibt.“ E-Book, Position 11

Manchmal weiß man schon beim ersten Satz: „Das wird gut!“ So war es auch hier. Mit „Mein Name ist Monster“ hat Katie Hale eine ungewöhnliche Dystopie der leisen Töne geschaffen, die mich berühren und emotional mitreißen konnte. Hier steht nicht der Weltuntergang selbst im Fokus, sondern das eigentlich wenig spektakuläre tägliche Leben und Überleben danach. Es geht um Nahrungssuche, Verletzungen, Tierhaltung, Gartenarbeit und die Beziehung zwischen einer erwachsenen, menschenscheuen Frau und einem verwilderten Mädchen. Das Worldbuilding ist sehr gelungen, und trotz der ruhigen Geschichte kann die Autorin mit so mancher unerwarteten Wendung überraschen.

Inspiriert zu ihrem Buch wurde die Schriftstellerin von Klassikern wie „Robinson Crusoe“ und „Frankenstein“, was man der Geschichte auch anmerkt. In ihrer Heimat ist die Britin vor allem als Lyrikerin bekannt und hat bereits Preise für ihre Gedichtbände erhalten. Thematisch stehen philosophische Fragestellungen ebenso im Fokus wie die beklemmende Einsamkeit und Gefährlichkeit der neuen Welt, Freundschaft und Liebe. Alle diese Aspekte behandelt die Autorin tiefgründig; düstere Momente wechseln sich hierbei mit hoffnungsvollen ab. Dass manches unklar bleibt bzw. nur angedeutet wird, hat mich nicht weiter gestört, obwohl ich über die Vergangenheit des Mädchen gern noch mehr herausgefunden hätte. Die Geschichte mündet schließlich in ein sehr gelungenes Ende, das mich zufrieden zurückließ.

Erinnert hat mich „Mein Name ist Monster“ an die Dystopie „Anna“ von Niccolò Ammaniti. Ich habe das Buch damals mit drei Sternen bewertet (es hatte seine Schwächen), doch beim Lesen habe ich gemerkt, dass viele Szenen aus dem Roman auch heute noch sehr präsent in meinem Kopf sind. Das Buch wirkt also länger nach, als man denkt. Wenn euch also „Mein Name ist Monster“ gefallen hat, könnte auch Ammanitis Dystopie etwas für euch sein.

In „Mein Name ist Monster“ sind Kriege, in denen eine tödliche Krankheit als Waffe eingesetzt wurde, schuld am Untergang der Menschheit. Die Parallelen zur aktuellen Corona-Situation sind natürlich nicht zu übersehen, weshalb man dieses Buch im Moment wohl noch einmal mit ganz anderen Augen liest, als man das normalerweise tun würde. Dadurch wird die Geschichte noch interessanter und erhält eine zusätzliche Bedeutungsebene. Die Dystopie kann mit Sicherheit als Warnung betrachtet werden, welche unkalkulierbaren Folgen es haben kann, wenn biologische Waffen eingesetzt werden.

Protagonistinnen (4,5 Lilien)

„Ich glaube, wenn es alle anderen nicht schaffen, kann man nur als Monster überleben.“ E-Book, Position 85

In der Mitte des Buches gibt es einen unerwarteten Perspektivenwechsel – ab da sehen wir plötzlich alles durch die Augen des Mädchens. Zuerst habe ich mich dagegen gesträubt, weil ich mich an Monster gewöhnt hatte, doch nach und nach hat mich die junge Heldin um den Finger gewickelt und sich in mein Herz geschlichen. Der Schreibstil passt sich auf gelungene und authentische Weise der einfacheren (aber nicht weniger tiefgründigen) Denkweise und Sprache der jungen Hauptfigur an, was mir sehr gut gefallen hat. Ich mochte ihre Intelligenz, ihre Unbeschwertheit, ihre Naivität und ihr Philosophieren, und ich liebte es, wie sie sich oft diese komplizierte Welt erklärte und Theorien zu verschiedenen Dingen aufstellte.

Auch die junge Frau, der wir in der ersten Hälfte des Buches bei ihrer Reise in den Süden über die Schulter schauen, habe ich gerne begleitet. Sie war gut ausgearbeitet, hat glaubwürdige Schwächen und Stärken und es fiel mir leicht, mit ihr mitzufühlen. Dennoch hatte ich zwischendurch meine Probleme mit ihr. Sie ist oft nicht einfach und obwohl ich verstehe, dass sie ihre Vergangenheit (das Anderssein, das Mobbing) geprägt hat, fand ich sie in manchen Momenten unangemessen grausam Erik und Monster gegenüber, wodurch sie mir manchmal etwas unsympathisch war. Insgesamt fand ich aber auch sie interessant und sehr liebevoll ausgearbeitet, weswegen ich hier nur einen halben Stern abziehe.

Spannung (4 Lilien) & Atmosphäre (5 Lilien ♥)

Obwohl dieser Roman in der ersten Hälfte kaum Dialoge enthält, zog sich das Buch zu keinem Zeitpunkt, was mit Sicherheit auch an den sehr kurzen, episodenhaften Kapiteln liegt, die sich schnell weglesen lassen. Eine subtile Spannung durchzieht die Dystopie, man will unbedingt wissen, wie es weitergeht und ob die Geschichte für die beiden „Monster“ gut ausgeht. Die ruhigen Momente sind oft die schönsten. Nur im Mittelteil hätte es die Geschichte noch etwas temporeicher sein dürfen.

In „Mein Name ist Monster“ gelingt es Katie Hale, eine sehr dichte Atmosphäre zu kreieren. Die Leere der Welt, die Stille, der Verfall, die Einsamkeit – der Untergang der Menschheit wird in jeder Zeile, in jeder treffenden Beschreibung spürbar. Man fühlt sich, als wäre man selbst dort und liest die Geschichte gerade zur Corona-Zeit noch einmal mit ganz anderen Augen.

Feministischer Blickwinkel (5 Lilien ♥)

Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): bestanden! (wenn man das Mädchen als junge Frau zählt)
Frauenfeindliche / gegenderte Beleidigungen: brünstiges Miststück

Hier hat das Buch wirklich alle Lilien verdient! Wir begleiten zwei starke, mutige Frauen, die hart arbeiten und ganz ohne männliche Hilfe dafür sorgen, dass sie überleben. Beide Hauptfiguren sind nicht konventionell schön (was ich erfrischend finde!), aber intelligent und wild und entsprechen keinen Geschlechterklischees. Katie Hale hat hier alles richtig gemacht!

Mein Fazit

Mit „Mein Name ist Monster“ hat Katie Hale eine ungewöhnliche Dystopie der leisen Töne geschaffen, die mich emotional mitreißen konnte. Ich mochte den eigenwilligen, aber eindringlichen Schreibstil, die schönen Vergleiche, die tiefgründige Behandlung der Themen des Buches, die Parallelen zur aktuellen Situation, die unkonventionellen, starken, mutigen und liebevoll ausgearbeiteten Protagonistinnen, die kurzen Kapitel, die dichte Atmosphäre und die subtile Spannung der dialogarmen Dystopie. Nur zwei kleine Kritikpunkte habe ich: Die ältere Heldin war mir in manchen Momenten unsympathisch und der Mittelteil hätte noch etwas temporeicher sein dürfen, weswegen ich eine halbe Lilie abziehe. Meiner Meinung nach hat diese Dystopie viel mehr Aufmerksamkeit verdient! Von mir gibt es deshalb eine klare Leseempfehlung – vor allem für Fans der ruhigeren Töne!
Wer dieses Buch mochte, mag möglicherweise auch: „Anna“ von Niccolò Ammaniti.

Wer dieses Buch mochte, mag möglicherweise auch: „Anna“ von Niccolò Ammaniti.

Bewertung

Idee: 5 Lilien ♥
Inhalt, Themen, Botschaft: 5 Lilien ♥
Umsetzung: 4,5 Lilien
Worldbuilding: 5 Lilien ♥
Einstieg: 4 Lilien
Ende / Auflösung: 5 Lilien ♥
Schreibstil: 5 Lilien ♥
Protagonistinnen: 4,5 Lilien
Spannung: 4 Lilien
Atmosphäre: 5 Lilien ♥
Emotionale Involviertheit: 5 Lilien ♥
Feministischer Blickwinkel: 5 Lilien ♥

Insgesamt:

❀❀❀❀,5 Lilien

Dieses Buch bekommt von mir viereinhalb Lilien!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 16.04.2020

Eindringlicher, intensiver Roman über menschliche Fehler, Schwächen und Schuld

Miracle Creek
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Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

In der Kleinstadt Miracle Creek in Virginia geht bei einer HBO-Therapiesitzung, bei der die PatientInnen mit purem Sauerstoff versorgt werden, um damit unter anderem ...

Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

In der Kleinstadt Miracle Creek in Virginia geht bei einer HBO-Therapiesitzung, bei der die PatientInnen mit purem Sauerstoff versorgt werden, um damit unter anderem Autismus zu heilen, ein Sauerstofftank in Flammen auf. Es war Brandstiftung. Kitt, Mutter von fünf Kindern, und Henry, ein achtjähriges Kind, sterben, drei weitere Menschen werden schwer verletzt. In einem Gerichtsprozess soll nun geklärt werden, wer das Feuer gelegt hat. Auf der Anklagebank sitzt Elizabeth, Henrys Mutter. Doch sie ist nicht die Einzige in Miracle Creek, die Geheimnisse hat…

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Erzählweise: Figuraler Erzähler, Präteritum
Perspektive: weibliche und männliche Perspektive (im Wechsel)
Kapitellänge: mittel bis lang
Tiere im Buch: + Eine Mücke wird getötet, ein Hund stirbt (wird nur kurz erwähnt) und Tierversuche werden angesprochen. Ansonsten werden keine Tiere verletzt, gequält oder getötet.
Triggerwarnung: sexualisierte Gewalt, Suizid, Tod von Menschen (Erwachsene und Kind) und schwere Verletzungen durch Feuer, Rassismus, Misogynie

Warum dieses Buch?

„Miracle Creek“ hat mich sofort angesprochen. Der Klappentext klang nämlich so vielversprechend! Die Geschichte erinnerte mich an "Kleine Feuer überall" von Celeste Ng, das ich auch sehr mochte. Das Buch hat außerdem schon sehr viel Lob erhalten und wurde von einigen Magazinen zu einem der besten Bücher des Jahres gewählt - das machte mich zusätzlich neugierig!

Meine Meinung

Einstieg (4 Sterne)

Obwohl die Geschichte am Anfang nur langsam ins Rollen kommt, dauerte es nicht lange, bis ich ins Buch fand. Das Buch konnte mich aufgrund des eindringlichen, unaufgeregten Schreibstils sofort in seinen Bann ziehen. Ich wollte unbedingt weiterlesen.

Schreibstil (4 Lilien)

"Eine Tragödie macht einen nicht immun gegen weitere Tragödien, und Schicksalsschläge werden nicht gerecht hier und da verteilt - mit Unglück wird klumpenweise, gebündelt nach einem geworfen, unkontrollierbar und chaotisch." Seite 10

Ich liebe den Schreibstil von Angie Kim! Sie schreibt relativ komplex und anspruchsvoll (ihre oft verschachtelten Sätze gehen nicht selten über mehrere Zeilen), dabei aber sehr flüssig und angenehm lesbar. Ihre unaufgeregte, ruhige Sprache ist unheimlich eindringlich und voller wunderschöner Vergleiche und Beschreibungen. Am meisten beeindruckt hat mich aber, wie unvergleichlich nuanciert sie Menschen beschreibt: ihre Gefühle in allen Schattierungen, ihre Gedanken, ihre Gesten, Blicke und Mimik. Großartig!

Inhalt, Themen & Ende (4 Lilien ♥)

„‘Wir haben alle hin und wieder Gedanken, für die wir uns schämen.‘“ Seite 481

Menschliche Fehler und Schwächen und ihre tragischen Folgen – sie machen den Kern dieses tragischen, intensiven und berührenden Romans aus, der auch euch nicht kaltlassen wird. Es geht in „Miracle Creek“ um jene düsteren Gedanken, die wir uns verbieten, um Seiten an uns, die wir verleugnen, um starke negative Emotionen wie Neid, Frustration und Kränkung, um Lügen und Fehler, die man nicht wiedergutmachen kann, und um Bereuen und brennende Schuldgefühle. Diese Themen behandelt die Autorin emotional und tiefgründig und bringt uns dazu, über unsere eigenen Unzulänglichkeiten nachzudenken. Wer von uns hatte noch nie einen unangemessenen, düsteren und verwerflichen Gedanken, auch wenn er uns nur einen Sekundenbruchteil durch den Kopf geschossen ist? Wer hat noch nie einen Anflug von Neid verspürt, wenn einer anderen Person etwas gelingt, das man sich schon lange wünscht? Wer ohne Sünde sei, werfe den ersten Stein! Und: Wer hat auch diese Gefühle sofort verdrängt und verurteilt und sich selbst einen schlechten Menschen geschimpft? Dieses Buch hat mich, auch wenn ich gerade nicht gelesen habe, nicht mehr losgelassen. Solche Bücher sind doch die besten, oder? Die offene Schilderung von Fehlern und Schwächen hilft vielleicht auch, eigene unerwünschte Gefühle ein Stück weit zu akzeptieren und als menschlich anzunehmen.

Neben Rassismus, Heimat und den Schwierigkeiten, die Migration mit sich bringt, wird auch Gewalt in der Erziehung und wie erschreckend weit verbreitet und alltäglich sie immer noch zu sein scheint, angesprochen – hier muss sich endlich etwas ändern! Sehr interessant fand ich zudem, dass verschiedene Menschen sich an eine Situation ganz unterschiedlich erinnern und diese auch ganz unterschiedlich bewerten. Und keine Sorge: Auch positive Themen wie Liebe, Familie und Freundschaft haben Einzug in die Geschichte gefunden.

Noch etwas anderes ist in „Miracle Creek“ ganz zentral: die Abwesenheit der Väter. Im Mittelpunkt stehen Mütter von Kindern mit Behinderung und ihre Liebe, aber auch ihre Probleme, ihre Fehler und Schwächen, ihre hohe Verantwortung, ihr Ganz-allein-für-alles-zuständig-Sein, ihre Überforderung, ihr Verzicht und alles, was sie aufgeben müssen. Unweigerlich stellt man sich eine Frage: Wo sind eigentlich die Väter? „Miracle Creek“ zeichnet leider ein authentisches, trauriges Bild unserer Gesellschaft, das leider der Wahrheit entspricht: Wenn es schwierig wird, sind es oft die Männer, die gehen und die Frauen, die ganz selbstverständlich bei ihrem Kind bleiben und am Ende ganz alleine dastehen. Mehr dazu beim Unterpunkt „Feministischer Blickwinkel“.

Für mich war „Miracle Creek“ bis zur gelungenen Auflösung und zum runden, mich zufrieden zurücklassenden Ende ein wahrer Lesegenuss! In der Geschichte, die aus mehreren Perspektiven erzählt wird und viele Rückblenden enthält, werden Stück für Stück neue Puzzleteile und überraschende Geheimnisse offenbart, wodurch sich ein richtiger Sog einstellt. Die spannende Gerichtsverhandlung mit ihren unerwarteten Wendungen wechselt sich hierbei auf gelungene Weise mit ruhigeren Schilderungen des Privatlebens der Figuren ab.

„Gute und schlechte Dinge – jede Freundschaft, jede Liebe, jeder Unfall, jede Krankheit – waren das Ergebnis der Verschwörung hunderter Kleinigkeiten, die jede für sich genommen vollkommen belanglos waren.“ Seite 500

ProtagonistInnen (5 Lilien ♥) & Figuren (5 Lilien ♥)

Die Figurenzeichnung ist ohne Zweifel eine der größten Stärken des Romans: Durch Kims nuancierte Schilderungen der Gedanken- und Gefühlswelt ihrer Protagonistinnen, durch deren authentische Schwächen, Träume, Zweifel und Ängste, wirken sie sehr plastisch und dreidimensional. Man fühlt und leidet unheimlich intensiv mit den liebevoll ausgearbeiteten Figuren mit und identifiziert sich mit ihnen. Auch die Nebenfiguren sind durchgehend sehr lebendig beschrieben und sehr gut gelungen. „Miracle Creek“ zeigt, dass es leider oft gute Menschen sind, die Fehler machen, die schlussendlich in eine Tragödie münden.

Spannung & Atmosphäre (4 Lilien)

Eine gewisse Grundspannung ist im Buch durchgehend vorhanden, ebenso wie zahlreiche hochemotionale und atemlos spannende Momente. Jedoch bricht der Spannungsbogen hin und wieder auch ein. Mir hätte etwas mehr Tempo an manchen Stellen gut gefallen, aber das ist Kritik auf hohem Niveau, denn auch so war ich mit „Miracle Creek“ und seiner dichten Atmosphäre sehr zufrieden.

Feministischer Blickwinkel (2 Lilien)

Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): bestanden!
Frauenfeindliche / gegenderte Beleidigungen: Schlam++, Hu++

„‘Mein Mann ist das überhaupt nicht gewöhnt, sich um die Kinder zu kümmern.‘ […] ‚Bei mir genau das Gleiche. Hoffentlich ist der Prozess schnell vorbei.‘“ Seite 155

„Miracle Creek“ enthält viele starke und interessante Frauenfiguren und besteht problemlos den Bechdel-Test. Außerdem ist die Feministin Janine ein echter Lichtblick. Leider gibt es aber auch einiges, was ich kritisieren muss. Angie Kim, eine ehemalige Anwältin, die sich selbst als Feministin beschreibt, hat zwar eine Art authentische Milieustudie über das Leben von Müttern von Kindern mit Behinderung geschrieben und zeigt darin auf, wie sehr die Frauen unter der Belastung, ganz alleine für alles verantwortlich zu sein, leiden, aber sie kritisiert diese Situation meiner Meinung nach nicht deutlich genug. Stattdessen wird (vielleicht auch unabsichtlich) der Mythos der Mutter, die sich selbst für ihr Kind aufgibt, gefördert. Warum gibt es keinen einzigen Vater, der mit seinem Kind zur Therapie fährt? Warum sind es die Männer nicht gewohnt, sich um ihren Nachwuchs zu kümmern? Das ist doch einfach nur traurig!

Das Buch enthält viele Rollenstereotype und besonders in Youngs Familie herrscht (bedingt durch Einflüsse aus der koreanischen Kultur) eine sehr traditionelle Rollenaufteilung, bei der der Mann als Familienoberhaupt Befehle verteilt und Entscheidungen trifft und bei der die Frau still zu sein und diese auszuführen hat, was mir als Feministin ebenfalls nicht gefallen hat. Zum Beispiel schreibt Young ihre Masterarbeit nicht fertig, weil ihr von ihrer Mutter gesagt wird, dass kein Mann eine besser ausgebildete Frau haben möchte. Auch wenn es zumindest bei einer weiblichen Figur im Laufe des Romans eine positive Entwicklung gibt, lassen sich die Frauen in diesem Buch (mit Ausnahme der einzigen Feministin Janine) viel zu viel von den Männern gefallen!

Auch die Doppelmoral hat mich wütend gemacht: Als eine Ehefrau vermutet, dass ihr Ehemann (der ihr die Treue geschworen hat!) eine Beziehung zu einer Minderjährigen unterhält, stellt diese nicht etwa ihren schuldigen Mann zur Rede, sondern beschimpft lieber die vermeintliche Affäre (die single ist und somit keine Verpflichtungen hat) als Hu++ und Schlam++. Das ist wieder ein wunderschönes Beispiel für verinnerlichte patriarchale Werte, Schuldumkehr und Slut Shaming! Ich würde mir wünschen, dass die Autorin beim Thema Geschlechterstereotype noch etwas sensibler wird und dass ihre feministische Einstellung beim nächsten Buch stärker Einzug in den Text findet. Dann gibt es auch alle Sterne!

Mein Fazit

„Miracle Creek“ ist ein intensiver, tragischer und berührender Roman über menschliche Fehler, Schwächen und Schuld, der auch euch nicht kaltlassen wird. Das lag vor allem am wunderbaren Schreibstil von Angie Kim: Sie schreibt relativ komplex und anspruchsvoll (ihre oft verschachtelten Sätze gehen nicht selten über mehrere Zeilen), dabei aber sehr flüssig und angenehm lesbar. Ihre unaufgeregte, ruhige Sprache ist unheimlich eindringlich und voller wunderschöner Vergleiche und Beschreibungen. Am meisten beeindruckt hat mich aber, wie nuanciert sie Menschen beschreibt: ihre Gefühle in allen Schattierungen, ihre Gedanken, ihre Gesten, Blicke und Mimik. Großartig! Die Figurenzeichnung ist ohne Zweifel eine der größten Stärken des Romans: Die Figuren haben authentische Schwächen, Träume, Zweifel und Ängste und wirken dadurch sehr plastisch und liebevoll ausgearbeitet. Man fühlt und leidet unheimlich intensiv mit ihnen mit. Es geht in „Miracle Creek“ (neben positiven Themen wie Liebe und Freundschaft) um die düsteren und verwerflichen Gedanken und Gefühle, die wir uns verbieten, um Seiten an uns, die wir verleugnen, um schwerwiegende Fehler und um Bereuen und brennende Schuldgefühle. Diese Themen behandelt die Autorin emotional und tiefgründig. Noch etwas anderes ist in „Miracle Creek“ ganz zentral: die Abwesenheit der Väter. Im Mittelpunkt stehen Mütter von Kindern mit Behinderung und ihre Liebe, aber auch ihre Probleme, ihre hohe Verantwortung, ihr Frust, ihre Überforderung und ihr Verzicht. Unweigerlich stellt man sich eine Frage: Wo sind eigentlich die Väter? „Miracle Creek“ zeichnet zwar (leider!) ein authentisches (und trauriges) Bild unserer Gesellschaft und zeigt auf, wie sehr Mütter unter der Belastung, ganz alleine für alles verantwortlich zu sein, leiden, aber sie hinterfragt und kritisiert diese Situation meiner Meinung nach nicht deutlich genug. Problematisch fand ich auch die traditionellen Rollenbilder, die Geschlechterstereotypen und die Doppelmoral (inklusive Slut Shaming). Dafür gibt es einen halben Stern Abzug. Ich würde mir wünschen, dass die Autorin im nächsten Buch sensibler mit diesen Aspekten umgeht und dass sich ihre feministische Einstellung stärker im Text spiegelt. In der Geschichte, die aus mehreren Perspektiven erzählt wird und in der sich die spannende Gerichtsverhandlung mit ruhigeren Schilderungen des Privatlebens der Figuren abwechselt, werden Stück für Stück neue Puzzleteile und überraschende Geheimnisse offenbart, wodurch sich ein richtiger Sog einstellt. Mir hätte etwas mehr Tempo an manchen Stellen gut gefallen, denn hin und wieder bricht der Spannungsbogen ein, doch auch so war ich mit „Miracle Creek“ und seiner dichten Atmosphäre sehr zufrieden. Für mich war der Roman jedenfalls bis zur gelungenen Auflösung und zum runden Ende ein wahrer Lesegenuss! Daher kann ich euch dieses Buch nur wärmstens ans Herz legen! Lest „Miracle Creek“ aber nur, wenn ihr den Kopf in den nächsten Tagen nicht freihaben müsst. Denn: Ihr könnt das Buch zwar zuklappen, die Geschichte wird euch aber nicht mehr loslassen!

Wer dieses Buch mochte, mag wahrscheinlich auch:
„Kleine Feuer überall“ von Celeste Ng
„Der Gesang der Flusskrebse“ von Delia Owens

Bewertung

Idee: 5 Lilien ♥
Inhalt, Themen, Botschaft: 5 Lilien ♥
Umsetzung: 5 Lilien ♥
Worldbuilding: 5 Lilien ♥
Einstieg: 4 Lilien
Ende / Auflösung: 5 Lilien ♥
Schreibstil: 5 Lilien ♥
ProtagonistInnen: 5 Lilien ♥
Figuren: 5 Lilien ♥
Spannung: 4 Lilien
Atmosphäre: 5 Lilien ♥
Emotionale Involviertheit: 5 Lilien ♥
Feministischer Blickwinkel: 2 Lilien

Insgesamt:

❀❀❀❀,5 ♥ Lilien

Dieses Buch bekommt von mir viereinhalb Lilien und ein Herz und damit den Lieblingsbuchstatus!

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  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere