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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 31.01.2022

Porträt einer verlorenen Generation

Der letzte Sommer in der Stadt
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Der junge Leo Gazzarra zieht von Mailand nach Rom, um bei einer Zeitung zu arbeiten. Bald wechselt er zum Corriere dello Sport. Er hat nie viel Geld, findet aber Freunde, die ihm eine Wohnung leihen und ...


Der junge Leo Gazzarra zieht von Mailand nach Rom, um bei einer Zeitung zu arbeiten. Bald wechselt er zum Corriere dello Sport. Er hat nie viel Geld, findet aber Freunde, die ihm eine Wohnung leihen und einen alten Alfa Romeo schenken. Vor allem zieht er mit ihnen durch die Bars, lernt jede Menge Frauen kennen und trinkt zu viel Alkohol. Er liebt Bücher, möchte selbst Schriftsteller werden oder einen Film drehen. Stattdessen lässt er sich ziellos treiben, statt seinen Tagen Struktur zu geben und sein Leben sinnvoll zu planen. Immer wieder macht er Versuche, sein Leben zu ändern, vor allem seinen Alkoholkonsum zu reduzieren, aber ohne nennenswerten Erfolg. Eines Tages lernt er bei einer Party die sehr attraktive, exzentrische Arianna kennen. Sie wird die Liebe seines Lebens, aber sie ist so wenig greifbar wie die Stadt, die er so sehr liebt.

Calligarichs 1973 erschienener Roman weist deutlich autobiografische Züge auf, denn sein Autor ging einen ähnlichen Weg wie der Ich-Erzähler Leo Gazzarra. Der Roman wurde gefeiert und zum Kultbuch ernannt, dann aber schnell wieder vergessen. Mich hat das Buch nicht begeistert, und es ist für mich schwer nachvollziehbar, was diesen Roman zum Meisterwerk macht. Die Identifikation mit den Figuren fällt schwer. Einzig das Porträt von Rom in den 70er Jahren mit seinen imposanten Bauwerken und der speziellen Atmosphäre bleibt mir positiv im Gedächtnis genauso wie die Beschreibungen des Meeres als Sehnsuchtsort des Protagonisten, aber das reicht mir nicht so ganz.

Veröffentlicht am 07.08.2021

Mr. Younger Cohen wird erwachsen

Im Reich der Schuhe
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In Spencer Wises Roman „Im Reich der Schuhe“ geht es um den Bostoner Juden Fedor Cohen und seinen 26jährigen Sohn Alex. Der Vater hat in der Vergangenheit schon überall in der Welt Geschäfte gemacht und ...


In Spencer Wises Roman „Im Reich der Schuhe“ geht es um den Bostoner Juden Fedor Cohen und seinen 26jährigen Sohn Alex. Der Vater hat in der Vergangenheit schon überall in der Welt Geschäfte gemacht und betreibt aktuell eine Schuhfabrik im südchinesischen Foshan. Sein Sohn hält sich seit einem Jahr bei ihm auf und wird in die Geschäftsabläufe eingeführt, weil er irgendwann den Betrieb übernehmen soll. Der Senior macht ihn zum Partner, ohne ihm irgendwelche Entscheidungsbefugnisse zu übertragen. Der Vater ist sehr dominant und profitorientiert. Alex bekommt immer mehr Einblick in die Situation der Arbeiter, seit er eine Liebesbeziehung mit der Arbeiterin Ivy angefangen hat. Alex begreift schnell, dass er so nicht weitermachen wird, denn die Wanderarbeiter sind völlig rechtlos und werden gnadenlos ausgebeutet, wobei den Aufsehern jeder Vorwand recht ist, den geringen Lohn noch weiter zu kürzen. Es formiert sich erster Widerstand, und es ist von der Gründung einer Gewerkschaft die Rede. Fedor Cohen duldet Veränderungen genauso wenig wie die Staatsmacht, die jedes Anzeichen von Rebellion blutig niederschlägt. Ausländer können ohnehin in China nur Geschäfte machen, wenn sie die Obrigkeit mit Schmiergeldzahlungen bei Laune halten.
Sowohl das Porträt von China als Wirtschaftsmacht und als Staat, in dem Menschenrechte nicht gerade Priorität haben als auch der sich entwickelnde Konflikt zwischen Vater und Sohn sind ein interessantes Thema, aber insgesamt etwas langatmig dargestellt. Wird Alex sich dem Vater wie bisher unterordnen, oder gelingt es ihm, seinen eigenen Weg zu gehen? Hat seine Liebe zu Ivy unter diesen Bedingungen eine Chance? Wie gesagt, eine interessante Geschichte, aber nicht besonders spannend zu lesen.

Veröffentlicht am 28.07.2021

Kein Zuhause, nirgendwo

Wie viel von diesen Hügeln ist Gold
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In C Pam Zhangs Romanerstling geht es um eine Familie mit chinesischen Wurzeln. Zu Beginn ist nicht nur die Mutter nicht mehr da – auch der Vater ist gestorben. Die Geschwister transportieren eine Truhe ...

In C Pam Zhangs Romanerstling geht es um eine Familie mit chinesischen Wurzeln. Zu Beginn ist nicht nur die Mutter nicht mehr da – auch der Vater ist gestorben. Die Geschwister transportieren eine Truhe mit seiner Leiche auf dem Rücken des Pferdes Nellie, das eigentlich Lucys Lehrer gehört. Sie wollen den Vater anständig beerdigen. Außerdem sind sie in dem Bergarbeiterort in Kalifornien nicht mehr sicher. Der Vater wollte Mitte des 19. Jahrhunderts als Goldsucher reich werden, landete aber als schlecht bezahlter Arbeiter im Kohlebergbau.

Der Roman erzählt in vier großen Abschnitten aus der Vergangenheit der Eltern, von dem schweren Leben in Kalifornien und davon, wie sich das weitere Leben von Lucy und Sam gestaltet. In mancher Hinsicht ist dies eine tieftraurige Geschichte mit einigen makabren Elementen wie zum Beispiel dem Leichentransport. Es werden viele Themen behandelt: Herkunft und Heimat, Rassismus gegenüber Einwanderern, Vertreibung und Vernichtung der Native Americans, Ausrottung von Tierarten wie Bison und Tiger, rücksichtslose Zerstörung der Natur, Genderfragen. Dabei erscheint vor allem die Erschließung des amerikanischen Westens in einem neuen Licht. Da stehen keine abenteuerlustigen Cowboys auf Pferden im Mittelpunkt, sondern da sind chinesische Wanderarbeiter, die zum Beispiel beim Bau der Eisenbahnstrecke im Westen beschäftigt wurden. Da gibt es keine Heldengeschichten, sondern die skrupellose Ausbeutung von Mensch und Natur.

Trotz des originellen Ansatzes, der zweifelsohne beachtlichen sprachlichen Qualität und der beeindruckenden Themenvielfalt hat mir der Roman nicht wirklich gefallen. Mir fehlte es über lange Strecken an Spannung. Keine leichte Lektüre.

Veröffentlicht am 22.08.2020

Aus dem Leben eines Landschaftsgärtners

Das Leben ist ein wilder Garten
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Roland Butis Roman „Das Leben ist ein wilder Garten“ erzählt eine kurze Zeitspanne im Leben des Landschaftsgärtners Carlo Weiss. Er leidet unter der Trennung von seiner Frau Ana und vermisst seine Tochter ...

Roland Butis Roman „Das Leben ist ein wilder Garten“ erzählt eine kurze Zeitspanne im Leben des Landschaftsgärtners Carlo Weiss. Er leidet unter der Trennung von seiner Frau Ana und vermisst seine Tochter Mina, die im Ausland studiert. Dann wird sein Mitarbeiter Agon von zwei Männern krankenhausreif geprügelt und erheblich verletzt. Die Männer nehmen offensichtlich Rache für Geschehnisse im Balkankrieg. Zu allem Überfluss verschwindet Carlos Mutter aus dem Altersheim. Carlo findet sie in einem heruntergekommenen ehemaligen Luxushotel in den Bergen, das inzwischen Betreuung für pflegebedürftige alte Menschen anbietet zu einem Preis, der eine echte Alternative zum Altersheim ist. Dieses Hotel hat im Leben der Mutter einmal eine wichtige Rolle gespielt. Als junges Mädchen lieferte die Bäckerstochter hier Ware aus und wurde wegen ihrer Schönheit umschwärmt. Hier traf sie unter anderem ihre erste Liebe, einen deutschen Adligen.
Carlo erkennt, dass er vieles nicht wusste, weder über seine Mutter noch über seinen Mitarbeiter Agon, den sanften Riesen, der sich nach den Kriegsjahren im Kosovo in der Schweiz eine neue Existenz aufgebaut hat. Dazu gehört auch sein Stück Land mit Hütte in einer Schrebergartenkolonie, das man ihm nun wegnimmt, um dort einen Fußballplatz zu bauen. Seine Hütte wird mit einem Hubschrauber zu einer anderen Stelle transportiert, und er muss wieder ganz von vorn anfangen.
Der Autor erzählt diese Geschichte einfühlsam und poetisch und lässt seine Liebe zur Natur und sein Verständnis für zwischenmenschliche Beziehungen durchscheinen. Das ist an und für sich nicht schlecht, aber es passiert einfach zu wenig. Ich fand die Lektüre zäh und teilweise ziemlich langweilig. Schade.

Veröffentlicht am 22.08.2020

Der Mut der Frauen

Wilde Freude
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Im Mittelpunkt von Sorj Chalendons Roman “Wilde Freude“ steht die Buchhändlerin Jeanne. Sie erfährt eines Tages, dass sie an Brustkrebs erkrankt ist und sich einer Chemotherapie gefolgt von Bestrahlungen ...

Im Mittelpunkt von Sorj Chalendons Roman “Wilde Freude“ steht die Buchhändlerin Jeanne. Sie erfährt eines Tages, dass sie an Brustkrebs erkrankt ist und sich einer Chemotherapie gefolgt von Bestrahlungen unterziehen muss. Ihr Mann Matt ist ihr in dieser Situation keine Hilfe. Die Ehe ist bereits seit längerer Zeit gescheitert - seit ihr siebenjähriger Sohn Jules starb. Matt reagiert kalt und ablehnend und wird sie bald verlassen, weil er ihren Anblick nicht erträgt. Bei der Therapie lernt Jeanne in Brigitte eine Krebspatientin kennen, die sie fürsorglich und liebevoll betreut. Durch Brigitte begegnet Jeanne mit Assia und Melody zwei weiteren kranken Frauen und zieht nach einiger Zeit in ihrer WG ein.
Der Autor schildert – wohl aufgrund eigener familiärer Erfahrungen - kenntnisreich und detailliert die Symptome der Krankheit und die furchtbaren Nebenwirkungen der Therapie mit allen zum Teil unappetitlichen Begleiterscheinungen. Er kann sich zum Beispiel sehr gut in die Situation von Frauen versetzen, die den Verlust ihrer Haare fürchten und sich lieber eine Glatze scheren lassen als diesen Prozess bis zum Ende mit anzusehen. Mir persönlich gefällt diese Detailfreudigkeit nicht, im Gegenteil, sie macht mir Angst. So genau möchte ich das gar nicht wissen. Positiv ist an dem Roman sicherlich das Porträt von Solidarität und Freundschaft unter den betroffenen Frauen, das zeigt, dass man auch in schier ausweglosen Situationen nicht den Mut verlieren darf, sondern den Kampf gegen den Krebs aufnehmen muss, auch wenn der Ausgang ungewiss ist. Das wird sehr deutlich in der Figur der mitfühlenden Brigitte, aber auch in der sympathischen Jeanne, die erkennt, dass sie ihr Leben lang zu nachgiebig und unterwürfig war und nun zur furchtlosen Kämpferin wird. Insgesamt überzeugt mich der Roman neben den genannten Gründen auch wegen seines nicht immer plausiblen Plots nicht. Für mich ist dies nicht sein bester Roman.