Unbedingt lesen
Meine Meinung:
Dieses Buch hat so viele Erinnerungen in mir geweckt. An den Bauernhof meiner Grossmutter und den Duft frischen Heus. Ich habe mich an die beiden heissen Sommer erinnert, in denen ich auf ...
Meine Meinung:
Dieses Buch hat so viele Erinnerungen in mir geweckt. An den Bauernhof meiner Grossmutter und den Duft frischen Heus. Ich habe mich an die beiden heissen Sommer erinnert, in denen ich auf dem Früchtehof im Dorf meiner Eltern bei der Ernte geholfen habe. Gemeinsam mit Gastarbeiter*innen aus Tschechien und Polen bin ich stundenlang durch die Himbeersträucher und Erdbeerfelder gegangen um auch die unscheinbarste Frucht noch zu erwischen und die Blaubeerenernte war das Meditativste und zugleich Langwierigste, das ich je erlebt habe.
"Alte Sorten" hat mich aber auch an mein erstes selber gebackenes Brot, das eigene eingeweckte Apfelmus (mit dem Fallobst des Nachbarn) und den schweren, süssen Geruch, der danach wochenlang in der Küche hing, erinnert, an die erste Ernte aus meinem Balkongarten, an die Kräuter, Kartoffeln, Radieschen und Karotten, welche ich aus der dunklen Erde gezogen oder mit einer stumpfen Schere abgeschnitten und zu einem Festmahl verarbeitet habe.
Aber "Alte Sorten" weckt nicht nur Erinnerungen, sondern beschreibt auch in meditativer Andacht und mit einer respektvollen Gründlichkeit und Gewissenhaftigkeit die Abläufen bei der Ernte von Riesling oder Kartoffeln, beim Brennen von Schnaps und Einsammeln der Eier aus dem Hühnerstall. Es entschleunigt und lässt innehalten und es erzählt die Geschichte zweier Frauen, welche sich von der Gesellschaft nicht verstanden fühlen und deshalb auf einer ganz eigenen Flucht sind, sich aber dennoch treffen und dann in erster Linie einmal gemeinsam schweigen können. Erst nach und nach wird das Schweigen gebrochen und in zahlreichen Rückblenden und inneren Monologen fügt sich ein Puzzleteil zum nächsten, bis sich ein immer noch von Leerstellen gespicktes Ganzes ergibt. Und dies geschieht so kunstvoll und einfühlsam, dass man das Gefühl hat, mit Liss und Sally am Küchentisch zu sitzen, ihren Geschichten zu lauschen und dabei einen Tee zu trinken oder mit ihnen auf dem Feld anzupacken, schweigend aber durch die gemeinsamen Arbeitsabläufe vereint.
Sprache:
Was die beiden Frauen durchgemacht haben, ist keine leichte Kost. Welche Sorgen und Ängste mit sich tragen, kann verstören, aber auch Mut machen und Ewald Arenz schafft es, seine Protagonistinnen mit so wenigen Worten wie möglich und so vielen Worten wie nötig zu beschreiben, dass keine Formulierung zu viel, keine Beschreibung zu aufdringlich oder irgendwie deplatziert wirkt.
Ausserdem zieht sich ein ganz feinsinniger, zarter Humor durch dieses ganze Buch und eine positive Grundhaltung, die dazu einlädt, jeden Tag so zu nehmen, wie er kommt und Schritt für Schritt zu gehen, aber auch immer neue Chancen zu entdecken und diese beim Schopf zu packen.
Meine Empfehlung:
"Alte Sorten" ist ein kleiner Schatz und ein Buch, das ich im Herbst an ganz viele Geburtstagskinder aus meinem Freundekreis verschenken und einigen lieben Menschen unter den Christbaum legen werde. Die Sprache ist von einer poetischen Schönheit, die ihresgleichen sucht und die einfühlsam erzählte Geschichte hat mich tief berührt. Von mir gibt es eine sehr, sehr herzliche Empfehlung für dieses Buch.