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Veröffentlicht am 10.10.2020

Bisher der gelungenste Band: spannende Unterhaltung, Emotionen und wieder ganz viel Charme

Der Fall des geheimnisvollen Fächers
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Enola Holmes begegnet zufällig Lady Cecily Alistair wieder, dem Mädchen, dem sie wenige Monate zuvor vor ihrem Entführer gerettet hat. Cecily ist abgemagert und wird von ihren Tanten streng bewacht. Enola ...

Enola Holmes begegnet zufällig Lady Cecily Alistair wieder, dem Mädchen, dem sie wenige Monate zuvor vor ihrem Entführer gerettet hat. Cecily ist abgemagert und wird von ihren Tanten streng bewacht. Enola macht sich Sorgen um sie und kann eine versteckte Botschaft von Cecily entschlüsseln, die sie als Hilferuf deutet. Ihre Nachforschungen ergeben, dass Cecily gegen ihren Willen verheiratet werden soll. Das kann Enola als Tochter einer Frauenrechtlerin nicht zulassen und versucht Cecily aus ihrer Gefangenschaft zu befreien. Dabei trifft sie auf ihren Bruder Sherlock Holmes, der von Cecilys Mutter engagiert wurde. Enola, die sich mittels Tarnungen und ihrer Identität als Sekretärin Ivy Meshle bisher erfolgreich vor ihren Brüdern in London verstecken konnte, ist unsicher, ob sie ihrem Bruder vertrauen und zur Befreiung von Cecily mit ihm zusammenarbeiten kann.

"Der Fall des geheimnisvollen Fächers" ist der vierte Band der Jugendbuch-Krimireihe um Enola Holmes, der cleveren kleinen Schwester von Sherlock Holmes. Er schließt nahtlos an den dritten Teil an und handelt 1889 im viktorianischen London. Die zeitgenössische Atmosphäre wird wieder durch die besondere, etwas altertümliche Sprache und die bildhafte Beschreibung der Stadt anschaulich eingefangen. Enola ist einsam und weiterhin auf der Sprache und die bildhafte Beschreibung der Stadt anschaulich eingefangen. Enola ist einsam und weiterhin auf der Suche nach ihrer verschwundenen Mutter, wird aber durch die Begegnung mit der unterdrückten Lady Cecily von ihren Nachforschungen erneut abgelenkt. Sie möchte Cecily unbedingt helfen, muss dafür aber ihre Tarnung aufgeben und läuft damit Gefahr, von ihren älteren Brüdern in ein Internat verbracht zu werden.

Der bisher letzte auf Deutsch erschienene Band der Reihe ist für mich der gelungenste. Der Fall um die eingesperrte Lady Cecily, der die Zwangsverheiratung droht, ist spannend und durch die Rätsel, die es darum zu lösen gilt, kurzweilig. Auch bei der Dechiffrierung der Codes, über die Enola mit ihrer Mutter kommuniziert, wird man als Leser zum Knobeln angeregt.
Enola kennt man inzwischen aus drei Geschichten; in der vierten wird sie aber noch nahbarer, denn ihre Gefühlswelt nimmt einen größeren Raum ein. Für eine 14-Jährige ist sie unglaublich selbstständig, jedoch einsam und leidet unter der verwirrenden Abwesenheit ihrer Mutter, von der sie sich im Stich gelassen fühlt. Auch der Zwiespalt im Hinblick auf die Beziehung zu ihren Brüdern ist deutlicher herausgearbeitet. Einerseits ist ihr insbesondere Sherlock ein Vorbild, das sie bewundert und dessen Nähe sie sucht, andererseits hat sie Angst davor, Sherlock und Mycroft blind zu vertrauen und damit zu riskieren, ihre erkämpfte Freiheit aufzugeben.
Der Kriminalfall und seine Lösung sind einleuchtender als in den Vorgängerromanen und es macht Spaß, zusammen mit Enola die kniffligen Rätsel zu lösen und ihren klugen Gedankengängen zu folgen. Sie ist eine sympathische junge Heldin, die mutig und clever handelt, in diesem Band jedoch bei den Gedanken um ihre schwierige Familienkonstellation auch ihre weiche Seite zeigt. Band 4 bietet damit spannender Unterhaltung, Emotionen und vor allem wieder ganz viel Charme.

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Veröffentlicht am 14.09.2020

Berührende Familiengeschichte über einen tragischen und sinnlos brutalen Tod und die Folgen für die Angehörigen - voller Emotionen und spannender Momente

Das Haus in der Claremont Street
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Nachdem Tom Zeuge einer Familientragödie wurde, bei der seine Eltern auf brutale Art und Weise ums Leben kamen, wird er von seiner Tante Sonya aufgenommen, die als sein Vormund bestimmt wurde. Die perfektionistische ...

Nachdem Tom Zeuge einer Familientragödie wurde, bei der seine Eltern auf brutale Art und Weise ums Leben kamen, wird er von seiner Tante Sonya aufgenommen, die als sein Vormund bestimmt wurde. Die perfektionistische Sonya und ihr Ehemann Alex sind mit der Situation bald überfordert, denn Tom schweigt beharrlich. Er leidet nach der traumatischen Erfahrung unter selektivem Mutismus. Nach zwei Monaten, in denen Sonya nicht an Tom herangekommen ist, gibt sie resigniert auf und Tom zieht zu seiner Tante Rose, die alleinerziehende Mutter eines 14-jährigen Teenagers ist und im Vergleich zu Sonya chaotischer ist und keine Erwartungen an Tom stellt. Bei ihr wohnt auch Will, das Jüngste der vier Geschwister, der sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser hält und sich von Toms Schweigen nicht weiter irritieren lässt.
Alle trauern sie um Mona und geben sich zum Teil sogar die Schuld an ihrem Tod, da sie Warnsignale ignoriert und nicht den Mut hatten, hinzusehen oder gar sich in Monas Familienangelegenheiten einzumischen. Durch die Präsenz von Tom, dem traumatisierten Jungen, der am allermeisten unter dem Verlust seiner Mutter leidet, müssen sich die drei Geschwister der neuen Situation und ihren Gefühlen stellen und haben keine Möglichkeit, den Tod und die Todesumstände ihrer Schwester zu ignorieren. Die Familie wächst in der neuen Konstellation zusammen.
Während Sonya erkennt, dass ihr Leben nicht so perfekt ist, wie sie dachte, lernt Rose Verantwortung zu übernehmen und zu ihren Fehlern zu stehen und auch Will entwickelt sich weiter und verhält sich mehr seinem Alter entsprechend.

"Das Haus in der Claremont Street" ist eine berührende Familiengeschichte über einen tragischen und sinnlos brutalen Tod und die Folgen für die Angehörigen. Sie handelt von vier Geschwistern, die nicht nur mit dem Tod der Schwester fertig werden müssen, sondern sich auch noch um den Waisen Tom kümmern müssen, der traumatisiert ist und sich vollkommen in sich zurückgezogen hat.

Das Buch ist aus wechselnden Perspektiven geschrieben, so dass man Einblicke in die Gefühlswelt jeder Hauptfigur erhält. Der differenzierte Umgang mit Trauer und Verantwortung ist aufgrund der unterschiedlichen Charaktereigenschaften nachvollziehbar dargestellt. Jeder Charakter ist authentisch und individuell gezeichnet.

Die Geschichte zeigt, wie wichtig es ist, in schwierigen Zeiten (als Familie) zusammenzuhalten und sich gegenseitig Halt zu geben. Trotz der traurigen Thematik ist der Roman nicht rührselig und alles andere als deprimierend zu lesen. Dabei sind es Protagonisten wie Rose und Will, die in der bedrückenden Atmosphäre unfreiwillig für amüsante Episoden sorgen und mit ihrer unkonventionellen Art die Leser*innen für sich einnehmen und auch Tom aus seinem tiefen Tal der Trauer holen und neuen Lebensmut schenken können.

Es ist eine abwechslungsreiche, lebensbejahende Geschichte voller Emotionen und spannender Momente, die einfach tragisch-schön ist und das Herz erwärmt. Für mich ist das Buch ein Highlight unter den Neuerscheinungen 2020, das ich uneingeschränkt weiterempfehlen kann.

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Veröffentlicht am 02.09.2020

Perfekte Mischung aus emotionalen und spannenden Momenten. Das Thema #Metoo wird erfreulicherweise nicht einseitig beleuchtet

Die Spur des Schweigens
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Julias Bruder verschwand vor zwölf Jahren bei einem Trekkingunfall in Norwegen, ein Ereignis, das die ganze Familie aus der Bahn geworfen hat. Eine Trauer und ein Abschluss mit dem Verlust war bisher nicht ...

Julias Bruder verschwand vor zwölf Jahren bei einem Trekkingunfall in Norwegen, ein Ereignis, das die ganze Familie aus der Bahn geworfen hat. Eine Trauer und ein Abschluss mit dem Verlust war bisher nicht möglich, da immer noch die Hoffnung bleibt, dass Robert überlebt haben könnte. Julia erträgt die Ungewissheit nur schwer, kann keine langfristigen Beziehungen eingehen, ertränkt ihre Sorgen im Alkohol und schlägt sich als freie Journalistin bei einem Gesundheitsmagazin so durch. Artikel über Venenleiden können ihren journalistischen Ehrgeiz nicht wecken, weshalb sie den Chefredakteur um eine reizvollere Aufgabe bittet. Dieser stößt sie auf ein Forschungsinstitut, in dem es zu sexuellen Übergriffen auf Studentinnen und wissenschaftliche Mitarbeiterinnen gekommen sein soll. Julia sah die Metoo-Debatte bisher kritisch, beginnt jedoch mit Recherchen an dem Institut, in dem auch ihr Bruder als Assistent gearbeitet hatte. Sie stößt zunächst auf eine Mauer des Schweigens, bis sich ihr eine der chinesischen Mitarbeiterinnen öffnet, jedoch anonym bleiben möchte. Je tiefer Julia bohrt, desto größere Ausmaße nimmt die Story an, mit der Julia nicht gerechnet hätte.

"Die Spur des Schweigens" greift ein Thema auf, das immer wieder Schlagzeilen in den Medien macht und ist deshalb brandaktuell. Es geht um sexuelle Übergriffe auf Frauen im Berufsleben und den Druck der von Vorgesetzten ausgelöst wird, um Frauen an einer Karriere zu hindern. Bei den Übergriffen kann es sich um scheinbar harmlose Sprüche, aber auch um angrapschen bis hin zu Vergewaltigungen handeln. All dies soll sich über die Jahre in dem Forschungsinstitut ereignet haben, ohne dass sich eine Frau getraut hätte, dies zur Anzeige zu bringen oder die Vorwürfe waren mit Beschwichtigungen und mittels Versetzungen unter den Teppich gekehrt worden.
Das Szenario ist realistisch und auch die Charaktere wirken sehr authentisch. Insbesondere in Julia, deren Leben vom Verlust ihres Bruders gezeichnet ist, kann man sich gut hineinversetzen. Durch ihre Recherche wird jedoch auch bewusst, was Frauen im Berufsleben erleben und ertragen müssen und wie schwierig es ist darauf zu reagieren bzw. welche Folgen ausgelöst werden, wenn ein Skandal dieser Art aufgedeckt wird und an die Öffentlichkeit gelangt. Insbesondere der Vorwurf, das Frauen aus Rache solche Gerüchte in die Welt setzen, wiegt schwer und ist einer der wesentlichen Gründe, warum viele Frauen sich nicht trauen, sich zu wehren.

Die Geschichte ist sehr eindringlich geschildert und bis zum Ende spannend. Sowohl die Recherche für Julias Artikel als auch die Suche nach ihrem Bruder, für die sie durch ihre Recherche neue Hinweise erhalten hat, erzeugen eine Sogwirkung. Durch den Einblick in das Seelenleben der Figuren und durch Julias bewegtes Privatleben berührt der Roman aber auch auf der Gefühlsebene.
"Die Spur des Schweigens" bietet damit die perfekte Mischung aus emotionalen und spannenden Momenten und greift engagiert ein diskussionswürdiges Thema auf, das nicht nur einseitig beleuchtet wird. Auch die Problematik von gebrandmarkten Männern, die zu unrecht verdächtigt werden, Frauen zu nahe getreten zu sein, findet ihre berechtige Erwähnung.

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Veröffentlicht am 17.08.2020

Die Ehefrau Jesu in der Hauptrolle - Fiktive Geschichte, beruhend auf profunden Fakten, die mitreißend geschrieben ist und durch das Thema Emanzipation nach wie vor aktuell ist.

Das Buch Ana
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Ana soll im Alter von vierzehn Jahren mit dem deutlich älteren Witwer Nathaniel verheiratet werden. Sie versucht sich dagegen zu wehren, denn Ana, die lesen und schreiben gelernt hat, möchte wie ihr Vater ...

Ana soll im Alter von vierzehn Jahren mit dem deutlich älteren Witwer Nathaniel verheiratet werden. Sie versucht sich dagegen zu wehren, denn Ana, die lesen und schreiben gelernt hat, möchte wie ihr Vater Schriftgelehrte werden und sich keinesfalls einem Mann unterordnen müssen. Noch vor der Vermählung stirbt Nathaniel plötzlich und Ana ist daraufhin als verwitwete Verlobte gebrandmarkt. Zudem herrschen Gerüchte in Sepphoris, dass Ana sich unzüchtig verhalten hat. Auf dem Marktplatz wird sie sogar tätlich angegriffen, als sie aus Wut auf den Tetrarchen, der sie als Konkubine in seinen Haushalt aufnehmen wollte, ein Elfenbeinblatt stahl. Jesus ben Joseph, für den sie seit einer ersten Begegnung schwärmte, rettet Ana vor der Steinigung und heiratet sie wenig später. Ana verzichtet damit auf den Reichtum ihrer Familie und zieht zusammen mit ihrer liberalen Tante Yaltha, die ihr stets eine Stütze war, zu Jesus' Familie nach Nazareth. Dort lernt Ana, was es bedeutet in Armut zu leben und was körperliche Arbeit ist. Jesus, der seit einer Offenbarung auf der Suche nach Gott als seinen Wegweiser ist, schließt sich dem Prediger Johannes an und lässt Ana allein zurück. Ana verliert sich wieder in ihren Schriftrollen, die sie von zu Hause mitgebracht hatte und träumt selbst davon, eine Stimme zu sein. Als Johannes verhaftet wird, wird Jesus Kopf seiner Bewegung und geht mit seinen Jüngern davon, um die Menschen davon zu überzeugen, dass das Reich Gottes nah ist. Jesus wird schon bald als Messias gefeiert, begibt sich damit jedoch in die Gefahr der Verfolgung durch Herodes, während Ana nach Alexandria fliehen.

"Das Buch Ana" ist die Stimme Anas, der Gefährtin von Jesus aus Nazareth. Sie war ihrer Zeit weit voraus, hat sich über alle Konventionen hinweg gesetzt und die typische Rolle der Frau abgelehnt. Sie wollte sich nicht darauf reduzieren lassen, treusorgende Ehefrau zu sein und Kinder zu gebären, sondern sich weiterbilden, in der Bibel forschen und die Aufmerksamkeit auf alle darin enthaltene Frauenschicksale lenken.
Ana ist eine mutige Frau, ein starker Charakter mit einem einnehmenden Wesen, so dass Jesus in der fiktiven Geschichte zu einer Randfigur wird. Auch wenn Jesus nicht oft anwesend ist, da er als Wanderarbeiter für die Familie sorgt, unterstützt er Ana indirekt, indem er ihr vertrauensvoll alle Freiheiten lässt.

Die Geschichte Anas ist eine fiktive Geschichte, der jedoch profunde historische Recherchen zugrunde liegen. Es geht nicht um den christlichen Glauben und darum Jesus' Wirken oder seine Wunder darzustellen oder die Frage zu klären, ob es sich bei ihm um Gottes Sohn handelt, sondern um Ana und ihre Emanzipationsbestrebungen. Jesus ist schlicht ein einfacher, gottesfürchtiger Mann, der sich mit einem großen Herz für die Armen und Entrechteten einsetzt.

Das Buch ist mitreißend geschrieben, da die Geschichte, eingewoben in die Fakten, so lebendig dargestellt wird. Ana ist eine authentische Figur, eine Rebellin in einer patriarchalen Gesellschaft, in deren Emotionen man sich hineinfühlen und ihre Sehnsüchte und Ambitionen nachvollziehen kann. Es ist spannend, ihren Weg zu verfolgen, der sie immer neuen Gefahren aussetzt. denen sie sich furchtlos stellt. Sie widersetzt sich allen Regeln und Gepflogenheiten der damaligen Zeit, um sich Gehör zu verschaffen. Sie möchte kein totgeschwiegenes Frauenschicksal sein, wie sie sie aus der Bibel kennt, sondern der Nachwelt etwas von sich hinterlassen.

Der Roman berührt, fesselt und begeistert und ist trotz der Zeit vor 2000 Jahren, in der er handelt, aufgrund der Thematik nach wie vor aktuell. Er löst nicht das Mysterium, ob es die Ehefrau Ana wirklich gegeben hat, erweckt die Figur jedoch so zum Leben, dass ihre Existenz durchaus möglich gewesen ist und nicht abwegig ist, dass sie aufgrund ihrer unerbittlichen emanzipatorischen Haltung aus Geschichtsbüchern herausgeschrieben wurde oder ihr zumindest nicht die von ihr sehnsüchtig erhoffte Stimme gegeben wurde.

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Veröffentlicht am 08.08.2020

Spannendes Familiendrama, das zeigt, welchen Einfluss belastende Ereignisse der Vergangenheit auf die Gegenwart und Zukunft haben können

Geheimnis der Gezeiten
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Als die Eltern von Richard Tide überraschend bei einem Autounfall ums Leben kommen, tritt er sein Erbe an und übernimmt das Anwesen Clifftops in Dorset. Seine Ehefrau Helen und die beiden Töchter müssen ...

Als die Eltern von Richard Tide überraschend bei einem Autounfall ums Leben kommen, tritt er sein Erbe an und übernimmt das Anwesen Clifftops in Dorset. Seine Ehefrau Helen und die beiden Töchter müssen sich der Entscheidung letztlich beugen. Gerade Helen, der ihre Unabhängigkeit und ihre Karriere neben dem Familienleben immer wichtig war, leidet unter dem Umzug, der sie zur Hausfrau und Mutter degradiert. Das Verhältnis zu den pubertierenden Mädchen, insbesondere zu der älteren Cassie, wird schwieriger, weshalb ein Lichtblick für Helen die ungeplante Schwangerschaft mit dem Nachzügler Alfie ist. Als dieser im Alter von drei Jahren am Strand unbemerkt verschwindet, da ihn seine älteren Schwestern unbeaufsichtigt gelassen haben, bricht für Helen eine Welt zusammen. Die Trauer um den geliebten Sohn, die Ungewissheit über seinen Verbleib und die Wut auf Dora, die Cassie und Alfie allein ließ, sowie das eigene schlechte Gewissen quälen Helen. Die Familie zerbricht an der Tragödie.
Als Dora mit Mitte 20 selbst schwanger ist und aufgrund ihres Erlebnisses in der Kindheit große Angst vor der Verantwortung hat, kehrt sie nach Clifftops zurück und sucht das Gespräch mit ihrer Mutter. Dabei muss sich auch Helen ihren inneren Dämonen stellen und die Frage der Schuld neu aufgeworfen werden.

"Geheimnis der Gezeiten" ist eine Familiengeschichte, die auf zwei Zeitebenen handelt und aus den Perspektiven von Cassie, Dora und Helen geschrieben ist. In Rückblenden erfährt man, wie es zu dem Umzug nach Dorset kam, von den schwierigen Anfangsjahren in Clifftops und der Unzufriedenheit Helens und was sich in dem tragischen Sommer vor elf Jahren ereignet hat. Der Klappentext verrät dabei fast zu viel, denn Alfies Verschwinden ereignet sich erst nach gut einem Drittel des Romans.

Dennoch ist das Buch spannend, denn der Verlust des Dreijährigen bildet nur den Rahmen für die Handlung. Im Fokus stehen vielmehr die Folgen der Tragödie und die Geheimnisse, die die Familie umgeben, das Ungesagte, das das Familienleben belastet und die Schuldgefühle und Gewissensbisse, die das Zusammenleben letztlich unmöglich machen. Die Tides schaffen es nicht zusammenzuhalten und sich gegenseitig Trost zu spenden, sondern driften vielmehr auseinander. Vor allem die Frauen der Familie erlauben es sich nicht, wieder Glück empfinden zu dürfen.

Dramatik und Spannung stehen in einem ausgewogenen Verhältnis. Zudem sind die Charaktere authentisch dargestellt und ihr Handeln nachvollziehbar, auch wenn sie nicht unbedingt Sympathieträger sind.

Es ist ein Familiendrama, das zeigt, welchen Einfluss belastenden Ereignisse der Vergangenheit auf die Gegenwart und Zukunft haben können. Dabei bleibt bis zum Ende spannend, ob alle Beteiligten mutig genug sind, sich der (unangenehmen) Wahrheit zu stellen, Verantwortung zu übernehmen und damit den Weg frei für eine Chance auf Vergebung und einen Neuanfang für die nachfolgende Generation machen.

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