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Veröffentlicht am 26.10.2020

Humorvoll, schnörkellos, einfach wunderbar

Just Like You
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Handlung

Lucy, 42 Jahre alt, Mutter von zwei Jungs, getrennt lebend und Lehrerin an einer staatlichen, Londoner Schule. Ihre bisherigen Dates verliefen wenig erfolgreich.

Als sie zufällig den zwanzig ...

Handlung

Lucy, 42 Jahre alt, Mutter von zwei Jungs, getrennt lebend und Lehrerin an einer staatlichen, Londoner Schule. Ihre bisherigen Dates verliefen wenig erfolgreich.

Als sie zufällig den zwanzig Jahre jüngeren Joseph kennenlernt, entwickelt sich etwas zwischen ihnen, wogegen sich beide zunächst sträuben. Zu mächtig scheinen ihre Unterschiede:

Lucy kommt aus der klassischen Mittelschicht. Joseph ist dunkelhäutig und im sozialen Brennpunkt Tottenham zu Hause. Lucy ist gefestigt in ihrem Leben, Joseph ist noch auf der Suche. Er hat mehrere Jobs und nur eine vage Vorstellung von seinem beruflichen Ziel. Auch politisch sind Lucy und Joseph unterschiedlicher Auffassung. Er ist für den Brexit, sie dagegen. Trotzdem knistert es zwischen ihnen und sie sind mutig genug es zu versuchen. Doch wie lange kann eine solche Beziehung gut gehen?


Inhalt

Lucy tennte sich vor einiger Zeit von ihrem Mann. Sein immenses Alkoholproblem schadete der Familie, sodass Lucy konsequent handeln musste, um ihre zwei Jungs zu schützen. Lucy ist Lehrerin an einer staatlichen Schule in London, die eher zu den „Problemschulen“ zählt. Dennoch führt sie ein normales Mittelstandleben. Ihre Freunde haben gut dotierte Jobs, sind Intellektuelle und erfolgreiche Kulturschaffende.

Als Lucy in der Metzgerei den jungen Verkäufer Joseph kennenlernt, bittet sie ihn, einen Abend auf ihre Jungs aufzupassen. Joseph ist Anfang zwanzig und schlägt sich mit verschiedenen Jobs durch. Er trainiert eine Jugendmannschaft im Fußball, arbeitet im Freizeitzentrum und jeden Samstag in der Metzgerei. Nebenbei bastelt er an Musikstücken, um vielleicht einmal mit der Musik groß raus zukommen. Joseph wohnt bei seiner Mutter in Tottenham.

Joseph versteht sich gut mit Lucys Jungs und kommt nun öfter zum Aufpassen. Dadurch lernen sich auch Lucy und Joseph besser kennen. Es knistert zwischen ihnen, was beide vorerst ignorieren. Es kommt schließlich, wie es kommen muss, sie verlieben sich und halten ihre Affäre zunächst geheim. Zu groß erscheinen beiden ihre Unterschiede. Ihre Lebensweise, ihre politische Einstellung und der Altersunterschied von 20 Jahren.

Angesichts dessen scheint es nur eine Frage der Zeit, bis sie wieder getrennte Wege gehen. Doch die Liebe fragt nicht nach solchen Nichtigkeiten und verfolgt ihren eigenen Plan.


Meinung

Ich mochte Lucy auf Anhieb. Sie ist unprätentiös, pragmatisch und steht mit beiden Beinen im Leben. Ebenso mochte ich Joseph. Auf den ersten Blick wirkt er ziellos, auf dem zweiten merkt man, dass sich hinter seiner Fassade ein suchender, junger Mann verbirgt, der noch viele Unsicherheiten mit sich herumträgt. Trotz allem ist er mutig genug die richtigen Fragen zu stellen. Joseph ist wie Lucy pragmatisch, aber auch nachdenklich. Beide Figuren haben mehr gemeinsam, als es den Anschein hat.

Nick Hornby ist ein präziser Beobachter des Alltäglichen. Und so sind seine Romane von der Komik des Alltags geprägt. Auf äußerst unterhaltsame Weise schafft er es, die auftauchenden Konflikte unterhaltsam zu behandeln. Dabei überlässt er es den Figuren sich ihren Meinungsverschiedenheiten zu stellen und gibt ihnen sehr glaubhafte Argumente an die Hand. Als Autor verzichtet Nick Hornby darauf Stellung zu beziehen oder eine Wertung abzugeben.

Eine Frau, mit einem wesentlichen jüngeren Mann, birgt auch heute noch Konfliktpotential. Wohingegen Männer mit sehr jungen Frauen toleriert werden. Ich finde es gut, dass es zum Thema wird, denn all ihre Widersprüchlichkeiten sind beim näheren Hinsehen gar nicht allzu schwerwiegend. Die größte Hürde wird wohl sein, dass Joseph vielleicht eines Tages eine Familie bzw. eigene Kinder haben will.

Der Roman verzichtet auf jeglichen romantischen Schnickschnack. Dieser hätte auch nicht zu den Figuren gepasst. Es gibt keine Rosenblätter auf dem Bett oder ausführliche Beschreibungen des ersten Kusses. Der Fokus liegt auf den wirklichen und den gemachten Problemen und auf dem Mut, den es braucht, sich auf eine Liebesbeziehung einzulassen. Denn ein Wagnis ist es immer. Genauso ist man bei einem neuen Partner unsicher, was Familie und Freunde sagen. Es ist eine völlig schnörkellose und echte Liebesgeschichte. Es sind die kleinen Gesten und Veränderungen, welche die Liebe zwischen den beiden meiner Ansicht nach hinreichend ausdrückt. So achtet z.B. Joseph bei einer SMS an Lucy auf seine Schreibweise. Sie ist schließlich Lehrerin, auch wenn sie das nie betont.


Fazit

Seit 1996 „High Fidelity“ gelesen habe, liebe ich Nick Hornby. Seine Figuren sind in all ihren Emotionen immer authentisch. Zudem liebe ich seinen Humor, der mich auch in „Just like you“ begeistern konnte. Viele Dialoge zeugen von einer großartigen Situationskomik. Da ich im selben Alter wie Lucy bin, konnte ich mich sehr gut gerade in ihre Figur hineinversetzen. Ich denke, es ist ein Geschenk, wenn man sich verliebt und man sollte dabei mehr im Hier und Jetzt leben. Sowie es Lucys Jungs tun, die ich übrigens super finde.
Meiner Meinung nach ist es Nick Hornby fabelhaft gelungen alle Positionen zum Brexit verständlich darzulegen. Er zeigt, wie wichtig es ist, einander zu zuhören, bevor man sein Urteil über eine Person fällt. Er schneidet in diesem Roman viele aktuelle Themen, wie beispielsweise Rassismus, an, ohne das sie den Roman dominieren. Ich denke, dass es die wichtigste Botschaft des Romans ist, den Mut zu haben, sich auf jemanden einzulassen, jemanden zu zuhören, der auf dem ersten Blick vielleicht das genaue Gegenteil von einem selbst ist.
Für mich ist es ein absolut gelungener Roman, weil mich die Normalität dieser Geschichte vollkommen in ihren Bann gezogen hat. Ich kann gar nicht glauben, dass Lucy und Joseph nur im Roman leben.

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Veröffentlicht am 03.10.2020

Kurze Geschichten, kurze Begegnungen mit Personen, virtous miteinander verknüpft

Turbulenzen
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Erste Turbulenzen gibt es auf dem Flug von London nach Madrid. Eine ältere Dame mit Flugangst, versucht diese mit Bloody Marys zu betäuben und kommt ins Gespräch mit einem afrikanischen Geschäftsmann. ...

Erste Turbulenzen gibt es auf dem Flug von London nach Madrid. Eine ältere Dame mit Flugangst, versucht diese mit Bloody Marys zu betäuben und kommt ins Gespräch mit einem afrikanischen Geschäftsmann. Die Dame verlassen wir in Madrid und begleiten den Geschäftsmann weiter nach Dakar, wo ihn eine schrecklich Nachricht erwartet.
In dieser Weise wird der Stab jeweils an eine andere Person weitergereicht, einmal rund um den Globus. Ausschnitthaft erzählt der Roman von den unterschiedlichsten Menschen.

Handlung

In kurzen Episoden gibt „Turbulenzen“ Einblicke in die jeweilige Lebenssituationen von verschiedenartigen Menschen. Wie ein Staffelstab übergibt der eine Charakter an den nächsten. Turbulenzen gibt es auf den Flügen, sie sind jedoch ebenso übertragbar auf die Menschen, von denen wir nur diese eine Momentaufnahme sehen.
Da ist der einsame Flugkapitän, der den Tod seiner jüngeren Schwester in der Kindheit bis heute nicht verarbeitet hat, die Frau, die sich nach langjähriger Ehe neu verliebt und zwischen den Stühlen sitzt und der Gärtner, der im Ausland arbeitet und seiner Familie zu Hause verschweigt, dass er homosexuell ist.

Meinung

Der Roman „Turbulenzen“ erzählt auf 134 Seiten von den Turbulenzen des Lebens. Manche Menschen beuteln sie stark, manche erfahren nur einen kleinen Windhauch und manche werden von ihnen komplett aus der Bahn geworfen.
Als Leser bekommen wir nur einen kleinen Ausschnitt aus dem Leben der jeweiligen Figur erzählt. Es gibt kein davor oder danach. Wir erfahren nicht, wie die Geschichte, welche knapp angerissen wird, ausgeht. Das beflügelt die Fantasie jedes einzelnen Lesers.
Ich reise gerne und ich habe dadurch schon etliche Menschen kennenlernen dürfen, mit denen ich ähnliche Momentaufnahmen erlebt habe. Wenn man im Zug oder Flugzeug nebeneinander sitzt und ins Plaudern kommt. Wo kommt man her, wo will man hin und warum. Kleine Episoden aus dem Leben und schon ist die gemeinsame Reisezeit vorbei, die Wege trennen sich wieder.
Ähnlich ist es auch in dem Roman. Wir treffen die Charaktere, sehen einen Ausschnitt ihres Lebens und wünschen ihnen alles Gute, wenn wir weiterziehen. Die kurzen Kapiteln beleuchten je eine Figur, die in dieser Episode den Stab an eine andere weiterreicht. Benannt sind die Kapitel nach den Abkürzungen der Flughäfen. Wir fliegen mit den 12 Charakteren einmal um den Globus und am Ende schließt sich der Kreis wieder in London, von wo aus wir gestartet sind.

Fazit
Ich habe „Turbulenzen“ mit offener Neugier gelesen. In Gedanken bin ich mit den Charakteren um die Welt gereist. Trotz der Kürze konnten mich die einzelnen Schicksale berühren. Hauptsächlich, weil dem Autor eine großartige Komposition aus Begegnungen und Befindlichkeiten unterschiedlichster Menschen, über alle Kontinente verteilt, gelungen ist. Die unerwarteten Wendungen machen das Buch kurzweilig und halten es spannend. Als Leser kann man die angerissenen Geschichten weiterspinnen. Dieses Buch macht nachdenklich und lehrt uns, dass es egal ist, wo auf dieser Welt wir leben, im Grunde sind wir alle miteinander verbunden. Mir hat die Erzählweise des Romans, die Idee dahinter und die Umsetzung sehr gefallen.

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Veröffentlicht am 18.09.2020

Ein schwieriges Thema fabelhaft erzählt

A. S. Tory und der letzte Sommer am Meer
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Diesmal lädt A.S. Tory Sid und Chiara zu sich nach England ein, ohne ihnen einen Auftrag zu erteilen. Der Sommer ist heiß, selbst in England, und Mr. Tory besitzt ein Haus am Meer, in dem die jungen Leute ...

Diesmal lädt A.S. Tory Sid und Chiara zu sich nach England ein, ohne ihnen einen Auftrag zu erteilen. Der Sommer ist heiß, selbst in England, und Mr. Tory besitzt ein Haus am Meer, in dem die jungen Leute Ferien machen sollen. Alle Zeichen stehen auf ein unbeschwertes Urlaubsvergnügen. Am Strand lernen Sid und Chiara drei deutsche Mädchen kennen. Eines der Mädchen hat sich mit einem arabischen, jungen Mann angefreundet, der sich illegal im Land aufhält. Als zwei der Mädchen und der junge Mann spurlos verschwinden, beginnen Sid und Chiara ihre eigenen Nachforschungen, die sie bis nach Cornwall führen.


Im dritten Teil begleiten wir Sid und Chiara nach England. A.S. Tory lädt die beiden Abenteurer zu einem zweiwöchigen Urlaub nach England ein. Erst erkunden sie London und treffen auch Chan wieder, mit dem Sid seit seinem ersten London Aufenthalt Kontakt hat. Zu dritt verbringen sie dann einige Tage in Mr. Torys Haus am Meer. Am Strand treffen sie drei Mädchen aus Hamburg. Zwischen den Mädchen kommt es immer häufiger zum Streit, seit Emily sich mit dem illegalen Flüchtling Laith angefreundet hat. Als Emily und Sarah spurlos verschwinden, fällt der Verdacht sofort auf Laith. Denn auch er ist nicht mehr auffindbar. Chiara und Sid machen sich auf die Suche nach den Vermissten. Ihre Spur führt sie nach Brighton, Stonehenge bis nach Cornwall.

Diesmal gibt es keinen Auftrag, sondern nur die Frage; was bedeutet Freiheit? Für Chiara und Sid bedeutet es, selbst entscheiden zu dürfen, was sie tun. Der afghanischen Flüchtling Laith, der illegal in England eingereist ist, weil ihm und seiner Familie in Deutschland die Abschiebung droht, riskiert eine ganze Menge für seine Freiheit.

Die Kapitel werden begleitet von Nachrichtenmeldungen, kurzen Eintragungen aus Emilys Tagebuch oder Laith Gedanken. Jedoch erfahren wir als Leser nie mehr als nötig. Das hält die Spannung bis zum Ende aufrecht. Die Geschichte nimmt sich einem immer noch sehr aktuellen Thema an, nämlich wie wir in Europa mit Flüchtlingen umgehen. Dabei beleuchtet der Roman unterschiedliche Seiten und zeigt, dass es nicht nur schwarz und weiß gibt, sondern ganz viele Schattierungen dazwischen.

Der Schuss von Teil drei hat mich nachdenklich zurückgelassen. Die Erzählung greift einige Themen auf, unbequeme, die sich dennoch mühelos ineinander fügen. Was als Sommerurlaub beginnt endet zwar mit einem Hoffnungsschimmer, über dem jedoch ein großer Schatten liegt. Das Ende hat mich überrascht, letztendlich habe ich den Sinn dahinter verstanden. Besonders hat mir die Herangehensweise an das Thema gefallen. Nie hebt sich da ein moralischer Zeigefinger. Der Ton bleibt, wie bei den anderen beiden Teilen, locker und unterhaltsam. Es hat Spass gemacht mit den zwei Hauptcharakteren durch England zu fahren und mit ihnen diese verschiedenen Menschen kennenzulernen. Ihre offene, fast vorurteilsfreie Art ist erfrischend und macht den Roman zu einem Lesevergnügen. Ich verstehe die Geschichte als ein Appell an die Toleranz und für das Miteinander, damit wir alle unsere persönliche Freiheit leben dürfen.

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Veröffentlicht am 15.09.2020

Ein spannender Blick hinter die Kulissen inkl. Macht, Intrigen und Liebe

Oktoberfest 1900 - Träume und Wagnis
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München 1900. Der Nürnberger Brauerei Besitzer Curt Prank kommt nach München, um das Oktoberfest zu revolutionieren. Er will eine Bierburg für 3.000 Personen errichten. Das stößt vor allem bei den ortsansässigen ...

München 1900. Der Nürnberger Brauerei Besitzer Curt Prank kommt nach München, um das Oktoberfest zu revolutionieren. Er will eine Bierburg für 3.000 Personen errichten. Das stößt vor allem bei den ortsansässigen Brauereien auf Widerstand. Ein Zugezogener, der sich auf ihrem Volksfest breit macht, dass lassen sie sich nicht bieten. Doch Prank ist nicht aufzuhalten. Dafür sind ihm alle Mittel recht. Sogar die Hand seiner Tochter Clara, weiß er geschickt zu vergeben. Clara hat jedoch ihre eigenen Vorstellungen vom Leben.
Colina Kandl ist ein Mädchen vom Lande und arbeitet als Biermadl in einem Wirtshaus. Doch sie ist clever und will mehr. Durch eine kluge Schummelei landet sie als Gouvernante bei den Pranks. Ihre Hoffnung nun ein besseres Leben gefunden zu haben, endet jäh, als herauskommt, dass Clara unter ihrer Aufsicht schwanger geworden ist. Colina bleibt nichts weiter übrig, als wieder auf dem Oktoberfest zu kellnern. Sie besitzt Mut und Verstand und lässt sich von Rückschlägen nicht unterkriegen. Während auf der Wies'n der Kampf zwischen Tradition und Fortschritt tobt, versucht Colina die Welt im Kleinen ein Stück besser zu machen, für sich, aber auch für Clara. Ob ihre Pläne tatsächlich aufgehen, muss sich erst zeigen.

Colina Kandl, auf der Flucht vor ihrem gewalttätigen Ehemann in München gestrandet, arbeitet als Biermadl im Wirtshaus Lochner. Bei der Arbeit muss sich einiges gefallen lassen, denn als Kellnerin bekommt sie keinen festen Lohn, sondern ist auf das Trinkgeld angewiesen. Wenn sie sich etwas dazuverdienen möchte, steht ihr im Hinterhof der Schuppen für ein Schäferstündchen mit einem Gast zur Verfügung. Für Colina ist das keine dauerhafte Option. Clever wie sie ist, schummelt sie sich als Gouvernante in den Haushalt des gerade aus Nürnberg zugezogenen Brauereibesitzers Curt Prank. Sie soll der eigenwilligen, 19 jährigen Tochter Clara als Anstandsdame zur Seite stehen. Was allerdings gründlich schief geht, denn Clara wird schwanger.

Curt Prank will das Oktoberfest revolutionieren. Dafür benötigt er fünf Schanklizenzen, für die er im wahrsten Sinne des Wortes bereit ist über Leichen zu gehen. Besessen vom Bau seiner Bierburg räumt er alles und jeden aus dem Weg. Er will sogar seine Tochter gewinnbringend verheiraten. Clara hingegen hat sich in Roman Hoflinger verliebt, den Sohn eines Münchner Traditionsbrauers. Als der alte Hoflinger unter mysteriösen Umständen ums Leben kommt, beschuldigt seine Witwe, Maria Hoflinger, Curt Prank als Mörder ihres Mannes. Auch wenn die Kriminalpolizei ihm nichts nachweisen kann, bleibt der Verdacht im Raum. Clara und Roman werden dadurch in eine Art Romeo und Julia Beziehung gedrängt. Beide sind starke Persönlichkeiten, die für ihre zukünftiges Glück kämpfen.

Colina hingegen ist wieder dort, wo sie angefangen hat. Auf der Wies'n in der Bierbude. Diesmal hat sie jedoch einen besseren Stand, weil der Wirt ein großes Werbeplakat mit ihrem Konterfei angefertigt hat, um gegen Pranks Bierburg zu bestehen. Leider lockt ihr Werbeplakat nicht nur Gäste, sondern auch ihren Mann an. Der bringt auch noch den gemeinsamen Sohn mit, den Colina der Obhut von guten Freunden überlassen hatte, um ihn vor dem gewaltbereiten Vater zu schützen. Colina muss ein für allemal einen Ausweg aus dieser Ehe finden, bevor ihr Mann ihr oder dem Jungen etwas antut.

Als Bindeglied aller Figuren agieren zwei Kriminalbeamte, die mit Abstand das Treiben rund um das Oktoberfest beobachten und ihre eigenen Ansichten zum Geschehen haben. Oftmals greifen sie rechtzeitig ein, dennoch können sie nicht jedes Unglück verhindern. Der Kampf der Münchner Traditionsbrauereien gegen den Fortschritt, die Intrigen und Seilschaften führen zu tragischen Ereignissen. Am Ende des Oktoberfestes sind die Weichen der Zukunft zwar neu gestellt, allerdings war der Preis dafür hoch.

Der Roman Oktoberfest 1900 basiert auf dem gleichnamigen ARD Mehrteiler (Ausstrahlung am 15.09.2020 oder in der Mediathek). Es ist eine Zeitenwende, die auch vor einem traditionellem Volksfest nicht Halt macht. Im Prinzip stehen sich zwei Familien als Sinnbild für Fortschritt und Tradition gegenüber. Am Ende zerstört Hass und Machtwillen nicht nur alte Strukturen, sondern kostet auch Menschenleben. Es ist kein seichter Roman, sondern einer, der es in sich hat. Vor allem lebt die Erzählung von den außergewöhnlichen, facettenreichen Figuren. Jeder Charakter erzählt seine eigene, vielschichtige Geschichte. Es gibt keine einfache Aufteilung in Gut und Böse. Jede Figur besitzt helle und dunkle Seiten. Bei welchen überwiegt die eine, bei welchen die andere Seite.

Ich bin geradezu eingetaucht in das München der Jahrhundertwende. Der sittsamen Doppelmoral der gutsituierten Gesellschaft steht die Schwabinger Bohème gegenüber. Der flüssige Schreibstil zieht den Leser in den Bann der Geschichte. Besonders gut hat mir die Wiedergabe der Münchner Mundart gefallen, was die Figuren noch authentischer und lebensechter macht. Es ist keine leichte Kost, denn es gibt einige brutale Szenen. Zimperlich sind die Protagonisten im Roman nicht. Das Leben ist ein Kampf und jeder Charakter kämpft seinen eigenen Kampf.

Herausheben möchte ich noch, dass im Roman einiges nur angedeutet, aber nicht konkretisiert wird. Es bleibt daher für die Fantasie des Leser genug Raum, um sich zu entfalten. Das habe ich als ganz wunderbar empfunden, denn so hatte ich die Möglichkeit meine Gedanken schweifen zu lassen. Alles in allem behandelt der Roman eine Zeit, über die bisher wenig geschrieben wurde. Sicher findet gerade beim Oktoberfest zu der Zeit ein Wandel statt - vom Volksfest zu der Geldmaschine, die es bis heute ist. In der Geschichte wird viel zerstört und gleichzeitig auch Gutes erreicht. Vielleicht muss manchmal etwas zerstört werden, um Neues darauf zu errichten. Es ist ein interessanter Einblick hinter die Kulissen. Roman und Mehrteiler ergänzen sich, erzählen aber mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Der Roman hat mich begeistert, gefesselt und ich werde die Geschichte sicher noch einige Tage mit mir herum tragen. Lesenswert!

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Veröffentlicht am 15.09.2020

Eine fesselnde Geschichte über Spionage im geteilten Berlin

Kinder ihrer Zeit
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Auf der Flucht nach Westen 1945 werden die Zwillingsmädchen Alice und Emma Lichtenberg getrennt. Emma wächst in West-Berlin bei ihrer Mutter Rosa auf. Mutter und Tochter halten Alice für tot. Nur Emma ...

Auf der Flucht nach Westen 1945 werden die Zwillingsmädchen Alice und Emma Lichtenberg getrennt. Emma wächst in West-Berlin bei ihrer Mutter Rosa auf. Mutter und Tochter halten Alice für tot. Nur Emma hat als Zwilling häufig so ein Gefühl, als ob Alice noch leben würde. Alice lebt tatsächlich und denkt ihrerseits, dass Mutter und Schwester gestorben sind. Ein russischer Offizier rettete Alice damals aus dem brennenden Haus. Wie viele elternlose Kinder ihrer Zeit kam Alice in ein Waisenhaus.

Erst Jahre später erfährt Alice, dass ihre Familie überlebt hat und in West-Berlin wohnt. Das Wiedersehen der Schwestern fällt nach all den Jahren reserviert aus. Ihre Mutter ist zu dem Zeitpunkt nicht mehr am Leben. Alice, in Kindheitstagen immer die lebendigere von den Mädchen, ist nun reserviert und kühl. Auch die unterschiedlichen politischen Einstellungen machen es den Schwestern nicht leicht, wieder zusammenzufinden.

Als überzeugte Kommunistin wird Alice dazu gebracht, ihre neuen Beziehungen in den Westen zu nutzen, um Informationen zu beschaffen. Als Dolmetscherin ist Emma eine gute Quelle für die Stasi und den KGB. Je tiefer die junge Frau in die Spionagetätigkeit hineinrutscht, desto heftiger regen sich Zweifel in ihr. Um ihre Schwester zu schützen, bricht sie den Kontakt ab. Wenige Tage vor dem Bau der Mauer sehen sich die Schwestern wieder. Von da an überschlagen sich die Ereignisse. Zusammen treffen Emma und Alice eine mutige Entscheidung.

Emma und Alice sind Zwillinge. Alice ist die forschere und Emma eher die anhängliche. Auf der Flucht von Ostpreußen Richtung Westen erkrankt Alice. Ihre Mutter Rosa sucht Zuflucht auf einem Bauernhof. Als sie mit Emma loszieht, um Lebensmittel zu besorgen, wird der Bauernhof von den Russen überfallen und in Brand gesetzt. Tatenlos müssen Rosa und Emma im Versteck zusehen wie alles in Flammen aufgeht.
Sie sind der festen Überzeugung, dass Alice tot ist. Ein schrecklicher Schicksalsschlag, den Mutter und Tochter kaum verkraften. In West-Berlin bauen sie sich ein neues Leben auf. Doch Rosa ist von der Flucht und dem Verlust ihrer Tochter, ihres Mannes und ihrer Heimat stark geschwächt. Damit Emma auf eigenen Beinen stehen kann, unterstützt sie das Sprachtalent ihrer Tochter und ermöglicht ihr eine Dolmetscherausbildung.

Als Emma mit ihrem besten Freund Max in Ost-Berlin unterwegs ist, wird sie von einem Russen angesprochen, der sie zu kennen scheint. Nach dieser Begegnung keimt Hoffnung in ihr auf, der Mann könnte sie mit ihrer Schwester verwechseln. Jedoch findet sie keine verfolgbare Spur. So vergehen Jahre, bevor ihre totgeglaubte Schwester Alice leibhaftig vor Emmas Tür in West- Berlin steht. Alice erfährt durch Zufall von einem alten Suchauftrag vom Roten Kreuz und macht sich daraufhin auf die Suche. Nachdem Sergej, ein russischen Offizier, Alice gerettet hatte, brachte er Alice in ein Kinderheim in Königsberg. Bis heute verbindet sie eine innige Freundschaft zu ihrem Lebensretter.

Die Nachricht, dass ihre Mutter erst vor kurzem verstorben ist, ist für Alice ein furchtbarer Schlag. Alice ist zurückhaltender als Emma und hinzu kommt ihre kommunistische Überzeugung, die eine Annäherung der Schwestern immens erschwert. Max, Emmas gutem Freund, fällt es leichter eine Beziehung zu Alice aufzubauen. Obwohl er sich neben seinem Jura Studium für die KgU, eine antikommunistische Organisation, engagiert. Durch die KgU knüpft er Kontakte zum BND, für den Max allzu gerne arbeiten würde. Allerdings steht ihm dabei die Vergangenheit seiner Eltern im Weg. Es ist bekannt, dass Max Eltern Gegner des Naziregimes waren. Der BND wiederum wurde von ehemaligen Nazis gegründet und setzt weiterhin auf die alten Verbindungen. Jemanden wie Max wollen sie in ihren Reihen nicht haben.

Auf einer Party in Ost-Berlin lernt Emma den Physiker Julius kennen und später auch lieben. Als Julius erleben muss, wie sein bester Freund auf offener Straße entführt wird, fühlt er sich in der DDR zunehmend unwohl. Er fühlt sich verfolgt und überwacht. Deshalb beschließt er aus der DDR zu fliehen, um sich mit Emma im Westen ein neues Leben aufzubauen. Aber anstatt wie geplant in den Westen zu kommen, trennt sich Julius plötzlich von Emma. Auch Alice bricht den Kontakt zu Emma abrupt ab und verschwindet auf mysteriöse Weise. Emma kämpft vergeblich, um ihre Liebe und um ihre Schwester. Sie ahnt nicht das Julius und Alice sich von ihr fern halten, nur um sie zu schützen.

In einem bildhaften, leichten Schreibstil erzählt die Autorin Claire Winter die Geschichte der „Kinder ihrer Zeit“. Sowohl Emma als auch Alice werden in die Machenschaften der Besatzer hineingezogen. In einer Zeit, in dem es im gesamten Berlin vor Geheimagenten nur so wimmelt, nichts ungewöhnliches. Dabei wünschen sie sich nur ein unbeschwertes, langweiliges Leben und geraten dennoch in den Sog der Geheimdienste, die ohne jeglichen Skrupel über das Leben von Menschen bestimmen, als wären es Marionetten. Der Roman bleibt auf jeder Seite spannend, da die Autorin es versteht, dem Leser genau die richtige Portion Wissen an die Hand zu geben. Ich habe mit gefiebert, mitgerätselt und war dann wieder überrascht. Es ist eine Kunst Szenen so zu erzählen, dass ich als Leser sie genau vor mir sehe. Dabei verzichtet die Autorin auf allzu detailreiche Beschreibungen.

Herausragend ist die gewissenhafte historische Recherche, die diesem (sowie z.B. dem Vorgängerroman „Die geliehene Schuld“) Roman „Kinder ihrer Zeit“ zugrunde liegt. Ich bin in die Geschichte abgetaucht. Die Handlung spielt in den Jahren vor dem Mauerbau, als zahlreiche DDR Bürger die Chance in Berlin nutzen, um von Ost nach West zu fliehen. Natürlich werden am Rande wichtige Personen der Zeit, beispielsweise Willy Brandt, Walther Ulbricht oder auch Kennedy erwähnt. In erster Linie beschäftigt sich die Erzählung jedoch mit dem Spionage Hotspot Berlin. Normale Menschen werden für Spionagedienste angeworben und unter Druck gesetzt. Es hat mich erschreckt, wie schnell die Menschen in eine verzwickte und bedrohliche Lebenslage geraten konnten, obwohl sie nur ein kleines Rädchen im System waren.

Der Roman gliedert sich in 8 Hauptabschnitte plus Prolog und Epilog. Besonders der Prolog hat es in sich. Während des ganzen Romans habe ich gerätselt, wer da wem gegenüber steht. Übrigens, ich lag bis zum Schluss falsch! Die einzelnen Kapiteln tragen die jeweiligen Namen der Figuren, deren Situation behandelt wird. Das Buch ist sehr übersichtlich aufgebaut und erzählt zu keiner Zeit mehr als nötig.
Der Roman ist eine Hommage an all die Menschen, die auf der Flucht mehr als nur ihre Heimat verloren, an all die, die unter dem geteilten Land gelitten haben – eben an die Kinder ihrer Zeit, die es vielfach schwer hatten, zum Teil traumatisiert waren und dennoch weitergemacht haben, um dass Land wieder voranzubringen.
Ich kann den Roman uneingeschränkt und mit voller Überzeugung empfehlen!

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